Den 100sten Blogeintrag zum Thema Wahlanalyse schreiben? Als 101er über all die Probleme, Ungereimtheiten, Kommunikationsfehler innerhalb der Partei reden? Oder doch als „amtierendes MdL“ den Fehler zunächst bei sich selbst suchen?
Ich glaube mit Letzterem fahre ich besser.
Alles in allem wird dieser Blogeintrag wieder eine Abrechnung werden. Eine Generalabrechnung mit meiner Arbeit als MdL, als Parteimitglied, als Wahlkämpfer am Infostand und an den Briefkästen.
Um eins vorweg zu nehmen: Dieser Text ist gespickt mit Hilflosigkeit. Ich weiß, dass ich Fehler mache und gemacht habe, bin mir bei vielem aber unsicher, wie und wann ich die Zeit aufbringen soll diese Fehler nicht wiederhole und stattdessen andere Dinge, wichtigere Dinge vorzuziehen.
Alles in allem hat die Landtagsfraktion NRW einen schlechten Wahlkampf gemacht.
Ja, wir haben Anträge zu den wichtigen Themen gestellt und diese im Plenum, so gut es uns möglich war, verkauft. Wir haben eine „Achtung!“-Aktion gefahren (bei der ich mich (aus heutiger Sicht) leider enthalten habe), wir haben Pressemitteilungen verschickt und unsere Website bedient. Aber wir haben den Bonus nicht genutzt!
Wir haben als Landtagsabgeordnete den Bonus, in der Aufmerksamkeitsökonomie mit einem Vorsprung zu starten. Für unsere Aktionen und Statements interessiert sich die Presse nunmal mehr als für einen Brief von Lieschen Müller. Oder vom KV Kleve. Oder sogar vom LV NRW.
Wir sind die kleinste Fraktion im Landtag und viele in unseren Reihen denken noch immer, dass sie durch das Stellen von Anträge die Welt verbessern können. Leider können wir das nicht. Unsere Feinde heißen nicht nur Regierungskoalition sondern ganz klar auch Opposition (zumindest die CDU in den allermeisten Fällen). Damit es jeder noch einmal gelesen hat, schreibe ich hier noch mal ganz unverblümt: Wir werden für uns wichtige Anträge niemals durchbekommen!
Umso mehr sollten wir auf spektakuläre Aktionen setzen und unsere Themen einschränken. So wichtig es auch ist, in vielen/allen Themen eine Meinung zu haben und diese zu vertreten, am Ende haben uns die Bürger dafür nicht gewählt. Wir haben eine Veränderung, eine Verbessrung der Demokratie versprochen. Wir wollten Nachvollziehbarkeit unserer Entscheidungen sicherstellen. Wir haben mehr Bürgerbeteiligung, leichter verständliche Anträge und einen direkten Draht zu Politikern versprochen. Wir sollten uns ein Wort auf die Fahnen schreiben, das ich schon länger Propagieren. Dieses Wort heißt „Ehrlichkeit“.
Wir sollten ehrlich zu den Bürgern sein und jetzt sagen, was wir in den nächsten 6/12/36 Monaten an Utopien und Wahlversprechen umzusetzen. Über ein Jahr ohne Liquid Democracy System, über ein Jahr ohne Kodex der Fraktionsmitglieder und über ein Jahr ohne Antwort auf Fragen bei Abgeordnetenwatch sollten uns zu denken geben.
Wir dürfen uns nicht mehr täglich auffressen lassen von der Routine des Landtags, sondern müssen uns davon frei machen und die Prioritäten neu setzen.
Wenn wir für den Bürger da sein wollen, dann müssen wir auch Sprechstunden anbieten, online erreichbar sein UND AUCH antworten auf die an uns gestellten Fragen.
Wenn wir Demokratie 2.0 postulieren, dann müssen wir Anträge gemeinsam mit unserer Basis entwickeln.
Wenn wir das Bild von Politikern verbessern wollen, dann müssen wir wieder unsere regelmäßigen Tätigkeitsberichte veröffentlichen.
Wenn wir Politik verständlicher machen wollen, dann müssen wir im Fraktionsblog Hintergründe zu Anträgen erklären und warum wir diese ablehnen oder diesen zustimmen.
Ich weiß, dass diese Kritik auch an mich selber geht. Ich habe vor ca. einem halben Jahre eine langweilige, weil abgelesene „Brandrede“ gehalten und verkündet, dass ich jetzt rebellischer sein und alles anders machen werde. Alles in allem fehlt mir dazu der Mut und das Wissen, einen Großteil der Fraktion bei solchen Aktion hinter mir stehend zu haben!
Würde ich tatsächlich ohne Sakko reden, von der Präsidentin ermahnt, gebeten mir ein Jacket überzuziehen, dies verneinen und mit das Reden versagt: Wer würde aufstehen und mit mir aus Protest den Raum verlassen? Wer würde bei einer Brandrede voller wütender Worte von seinem Platz aufstehen und schreien „recht hat er!!“? Wer würde bei mir stehen, wenn ich Forderungen stelle, die in der Verfassungskommission/GO/GemeinsameArbeitsgruppeX sowieso schon gestellt werden sollen – gegen jeden Shitstorm aus dem Parlament?
Wenn ich wüsste, dass diese Fraktion bereit ist, Politik wieder anzuprangern, bloß zu stellen und die Schwachpunkte aufzuzählen, anstatt sich vom täglichen Einheitsbrei die Zeit dafür klauen zu lassen… ich würde versuchen, mit einer kleinen Gruppe, immer und immer wieder der Stachel im Fleisch der Großen zu sein, der wir immer sein wollten.
Ja, auch das sind bis zur tatsächlichen Umsetzung einzig leere Vorsätze und ich weiß nicht, ob ich sie tatsächlich umsetzen kann. Langsam aber komme ich an einen Punkt, an dem ich mich frage, ob ich das, was ich täglich im Landtag tue, noch mit meinem Gewissen vereinbaren kann!
Wenn wir gegen so wichtige Dinge, wie die 3%-Sperrklausel auf kommunaler Ebene, nur mit Anträgen vorgehen und keine großen Medienkampagne fahren, eine Demo organisieren und Aktionen durchführen, dann braucht uns diese Demokratie nicht mehr. Dann können wir unsere Mandate abgeben und auf die Präsenz der Piratenpartei im Landtag verzichten.
Daher hier meine Ankündigung, meine Vorgaben von vor Monaten in die Tat umzusetzen und zu versuchen, die Welt ein kleines bisschen besser zu machen. Ich hoffe auf genug Rückendeckung, dass ich tatsächlich den Mut finde, diesen Weg zu gehen.