G8 oder G9 – wir sagen JA!

Die Frage, ob Schüler/innen am Gymnasium in 8 oder 9 Jahren zum Abitur geführt werden sollen, erhitzt weiterhin die Gemüter vieler Schüler, Eltern und Lehrer. An einem „Runden Tisch“ soll nun erneut darüber debattiert werden, ob es zurück zum G9 gehen soll, oder wie man unter Beibehaltung von G8 die Schüler so entlasten kann, dass Schule nicht zum alleinigen Lebensinhalt für viele Betroffenen wird. Diese Diskussion wird zurzeit nicht nur in NRW, sondern in mehreren Bundesländern geführt, zum Teil nicht nur ideologisch, sondern auch sehr emotional und nicht sehr differenziert.

Schüler und Eltern beklagen, dass durch die Einführung von G8 kaum noch Zeit für außerschulische Interessen und Hobbys bleibt. Der Leistungsdruck ist erheblich gestiegen und viele Schüler müssen mehr arbeiten, als von erwachsenen Arbeitnehmern erwartet wird. Dies ausgerechnet in einem wichtigen Lebensabschnitt, in dem Jugendliche ihre Persönlichkeit entdecken und sich durch vielfältige Lebenserfahrungen zu kritischen, verantwortungsbewussten Erwachsenen entwickeln sollen.

Es haben sich einige Elterninitiativen gebildet, welche die Rückkehr zum G9 fordern. Dabei geht es häufig auch um den Ausbau des Ganztags an den Gymnasien. Bei allem Verständnis dafür, halten wir es für falsch, die Diskussion über die Schulzeitlänge mit der Diskussion über den Ganztag an Gymnasien zu verbinden. Dies beiden Themen sollte man strikt voneinander getrennt betrachten und diskutieren.

Aber ist es wirklich notwendig, hier eine entweder- oder Diskussion zu führen? Wir sind auf dem Weg hin zu einer Schule, welche die individuelle Förderung aller Schüler in den Mittelpunkt ihres Handelns stellt. Nimmt man diese Forderung ernst, resultiert daraus auch eine individuelle Geschwindigkeit des Lernens. Betrachtet man die Schullandschaft, stellt man schnell fest, dass viele Schulformen erfolgreich Schüler mit unterschiedlichen Leistungsniveaus unterrichten. Warum soll das nicht auch an den Gymnasien gelingen?

Dabei darf es nicht darauf hinauslaufen, dass Schüler im Rahmen ihrer individuellen Förderung eine Klasse überspringen oder wiederholen, das würde die Intention verfehlen. Wir dürfen auch nicht von einem G8 ausgehen, bei dem, vermeintlich „schlechteren“ Schüler, ein Jahr länger bis zum Abitur gewährt wird. Wir sollten grundsätzlich von 9 Jahren ausgehen und leistungsstarken Schülern durch individuelle Unterstützung das Abitur in 8 Jahren ermöglichen, und das an jedem Gymnasium.

Es gibt verschiedene Modelle, wie dies umgesetzt werden kann. Grundsätzlich halte ich es für viel zu früh, eine solchen Entscheidung, wie das im Moment praktiziert wird, schon während des 4. Schuljahres, durch die Wahl der weiterführenden Schule zu treffen, da eine präzise Prognose über die individuelle Lernentwicklung kaum zu treffen ist. Begriffe wie „Spätstarter“ oder ähnliches belegen dies. Je später diese Entscheidung getroffen wird, desto zielgenauer ist voraussichtlich die Prognose. Es würde daher durchaus reichen, am Gymnasium nach der 6. Klasse zu schauen, welche Schüler eine derart leistungsstarke Entwicklung zeigen, dass eine G8- Laufbahn ohne zu großen Belastungen zu einem erfolgreichen Abschluss führt. Diese könnten dann in G8 Kursen oder G8 Klassen unterrichtet werden.

In der Diskussion ist auch noch ein anderes Modell. So schlägt der VBE (Verband Bildung und Erziehung) die Verkürzung der Oberstufe auf zwei Jahre vor. Das würde die Mittelstufe entlasten und hätte, auf Grund der noch späteren Entscheidung, eine relativ sichere Prognose über den Erfolg einer Verkürzung der Schulzeit zur Folge.

Statt der generellen Verkürzung der Oberstufe, sehen wir hier die Möglichkeit der Wahl. Die Oberstufe sollte generell 3 Jahre dauern, leistungsstarke Schüler könnten statt in drei in zwei Jahren zum Abitur geführt werden. Erst hier die Trennung G8- G9 zu machen hätte außerdem den Vorteil, dass in der Oberstufe sowieso Kurssysteme gefahren werden und daher die Einrichtung einer Extraklasse nicht nötig wäre.

Letztendlich halten wir es aber auch für möglich, ähnlich wie an den Sekundarschulen, G8 und G9 ausschließlich durch individuelle, an die Leistungsfähigkeit der Schüler angepasste Lernangebote im Klassenunterricht anzubieten. Dafür müssen sich aber noch einige Gymnasien bewegen. Auch hier muss sich überall die Erkenntnis durchsetzen, dass nicht immer alle Schüler am gleichen Lernstoff arbeiten, neue Arbeitsformen, wie z.B. das Kooperative Lernen, müssten selbstverständlich werden. Viele Gymnasien haben sich hier auf den Weg gemacht und können als Best- Praxis- Beispiele dienen.

Die Frage ist also nicht, G8 oder G9, sondern vielmehr die Aufgabe, Gymnasien so zu organisieren und zu unterstützen, dass alle Schüler individuell gefördert werden und ihrem eigenen Lerntempo entsprechen zu einem Abschluss gelangen. Dabei sind, abseits der Diskussion G8 G9, die Lehrpläne (nicht nur) an den Gymnasien so zu entschlacken und zu gestalten, dass jeder Schüler durch ein eigenes Lernprofil und einen eigenen Lernplan zu einem bestmöglichen Ergebnis geführt wird.

Das Bildungskonzept der Piraten NRW zeigt ein solches Modell auf. Wir nennen es fließende Schullaufbahn. Fließende Schullaufbahn bedeutet für uns, dass Kompetenzen in einem Kurssystem erworben werden. Durch die erfolgreiche Teilnahme an einem Kurs, mit entsprechenden Prüfungen, erreicht der Schüler die nächste Niveaustufe und wird so zu dem für ihn höchst möglichen Abschluss geführt. Diese Kurse müssen nicht notwendigerweise durch die Einrichtung von vielen Lerngruppen durchgeführt werden, sondern können auch im Rahmen eines individuellen Unterrichts in einem Klassenverband durchgeführt werden. Denn genau das bedeutet individuelle Förderung. Dies schließt unterschiedliche Lerngeschwindigkeiten mit ein und die Frage der Lerndauer, also G8 oder G9, wird dadurch überflüssig. Diese Vision von Schule werden wir weiterentwickeln und in die öffentliche Diskussion bringen.

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Das erlebte und unreflektierte Ende des Industriezeitalters

ein Gastbeitrag von Eberhard von Goldammer

Teil 1: Der Blick aus der Vogelperspektive auf eine geistig ermüdete Gesellschaft

Es ist schon mehr als verwunderlich, dass nahezu alle kritischen Beiträge zur wirtschaftlichen Situation heute ausschließlich die Finanzkrise bzw. den Kapitalismus ins Visier nehmen. Damit wird aber nur über Symptome diskutiert, die man „heilen“ oder verändern möchte ohne die wirkliche Ursache der „Krankheit“, die man bisher ganz offensichtlich noch nicht einmal wahrgenommen, geschweige denn analysiert hat, von der Wurzel her zu behandeln. Die Krankheit ist nämlich nichts anderes als das in den westlichen (frühindustrialisierten) Gesellschaften erlebte – und nicht reflektierte – Ende des Industriezeitalters. Besonders in Deutschland ist man total blind gegenüber dieser Entwicklung und daran scheinen auch Worthülsen wie Postwachstumsgesellschaft, nachhaltiges Wirtschaften, Wissens- oder Informationsgesellschaft – was immer das ist – nichts zu ändern.

In den 70er Jahren hat Margret Thatcher das Ende des Industriezeitalters für England erklärt und die Banken von nahezu allen Fesseln der Regulierung befreit. Man schwafelte dann überall von Dienstleistungsleistungsgesellschaft oder vom „Dritten Weg“ (Giddens) usw. Das alles ging aber total am Kern des eigentlichen Problems vorbei, weil es einfach zu kurz gedacht war. In England hat es (zunächst!) nur deswegen einigermaßen funktioniert, weil man vor der Küste Englands Gas und Öl gefunden hat (nach der Ölkrise 1973!!) und sich daher dieses Kurzschlussdenken ökonomisch überhaupt leisten konnte; – das Öl und Gas vor der englischen Küste geht aber heute so langsam seinem Ende entgegen und was dann?[1] US-Amerika exportiert – etwas zugespitzt ausgedrückt – Waffen, Krieg und Terror und bietet nun sein Fracking-Gas an und lebt darüber hinaus grotesk über seine Verhältnisse und das auf Kosten der restlichen Welt (Dollar als Leitwährung!).

In den südeuropäischen Ländern kann man heute sehen, was passiert, wenn man diese Entwicklung einfach ignoriert, denn große Industriestaaten waren diese Länder ohnehin schon vorher nicht. In Deutschland ist man deswegen mit Blindheit geschlagen (und das wird sich bald rächen!), weil wir infolge des verlorenen Krieges und des Schuldenerlasses nach dem WK-II alles neu aufbauen konnten/mussten und auf diese Weise zum Exporteur-Nummer-Eins aller klassischen(!!) Industriegüter wie Maschinen, Autos, Chemie (und Waffen) wurden – auf dem Computersektor sind wir heute praktisch gar nicht erst vertreten und das gilt auch für die Unterhaltungselektronik nebst Software usw. – Deutschland war und ist immer noch eine industrialisierte Handwerkergesellschaft und das bezieht sich vor allen Dingen auf unser Denken – Karl Steinbuch hat in diesem Zusammenhang von einer Hinterwelt-Gesellschaft gesprochen [2].

Was ist aber der Kern des Problems?

Um diese Frage zu beantworten muss man sich erst einmal klar machen, was man unter einer Industriegesellschaft zu verstehen hat. Das ist eine Gesellschaft, in der mit viel Energie und Maschinen eine Massenproduktion von Gütern (und in gewissem Umfang auch Dienstleistungen – man denke dabei nur an Massentourismus usw.) entwickelt wurde. Da sind Wachstum, Aktien, Zinsen und Inflationsraten systemimmanente Erscheinungen und nicht nur das – auch die uns heute bekannte Form der Demokratie ist ein Produkt dieser Entwicklung, denn man musste den Menschen gewisse Freiheiten gewähren, damit die massenhaft produzierten Güter auch (in Massen) gekauft werden konnten.[3]

Die Banken machten durch Finanzierung von Industrieanlagen und der entsprechenden notwendigen Infrastruktur (Bau von Eisenbahnen, Brücken, Straßen usw.) in diesen Ländern gute Geschäfte – der Höhepunkt dieser Entwicklung ist in allen frühindustriellen Ländern heute längst überschritten. Das ist einer der wesentlichen Gründe für die Spekulationen der Banken sowie der Spekulation an den Börsen. Ein weiterer Grund für diese Spekulationen ist das erwirtschaftete Kapital eines relativ kleinen Prozentsatzes von Menschen am Ende dieser (Industrie)Gesellschaften [4] – ohne die Unmengen an Kapital würde es diese Spekulationen ja gar nicht geben. Die Diskussion über die negativen Erscheinungen des Kapitalismus gehen daher ein wenig am eigentlichen Kern des Problems vorbei. Das kann man schon daran erkennen, wenn man sich die Frage stellt, was denn die Negation – also das Gegenteil – des Kapitalismus ist.

Kapitalismus gab es schon lange bevor das Industriezeitalter im 19. Jdt. begann – allerdings hat sich mit der Industrialisierung die Gesellschaft gewandelt und damit natürlich auch das, was wir heute unter dem Begriff Kapitalismus verstehen. Auch hier diskutiert man nur an einem Symptom herum und übersieht dabei den eigentlichen Kern des Problems. Dazu kommt, dass als Gegensatz zum Begriff des Kapitalismus sofort der Begriff des „Kommunismus“ oder „Sozialismus“ (im Sinne des so genannten „Real-existierenden-Sozialismus“) am Horizont – meist unausgesprochen – auftaucht und diese beiden Begriffe sind derart verbrannt, dass keiner (außer vielleicht der Linken und auch die nicht wirklich) es wagt, sie in den Mund zu nehmen.

Würde man dialektisch denken – was die US-Amerikaner in aller Regel erst gar nicht können und die Europäer seit dem Fall der Mauer und der sich daran anschließenden enorm zugenommenen geistigen VerAmerikanisierung auch kaum noch können; – würde man also dialektisch denken, dann würde einem auffallen, dass möglicherweise beide Begriffe untauglich geworden sind, weil beide Begriffe im gleichen gesellschaftspolitischen Umfelde – also auf der Basis der gleichen Rationalität einer Kultur als polarisierende, sich wechselseitig ausschließende – als duale – Denkansätze entstanden sind, die dann in Europa politisch-ideologisch – mit allen Folgen, die wir kennen – umgesetzt wurden. Aus hegelscher Sicht müsste man hier also über eine dialektische Aufhebung und Synthese nachdenken – aber das setzt voraus, dass man über die Ursprünge, die Möglichkeiten und Grenzen der abendländischen Rationalität und der sich daraus ableitenden Kultur, aus der diese Begriffe hervorgegangen sind, nachzudenken anfängt. Das wird aber gar nicht erst in Betracht gezogen, weil es – aus welchen Gründen auch immer – ganz offensichtlich gar nicht gesehen wird.

Bis hierher ist das alles – vielleicht oder auch nicht? – keine wirklich neue Erkenntnis.

Schwieriger wird die Sachlage schon, wenn man sich fragt: Was kommt danach – also nach dem industriellen Zeitalter? Denn mit den Finanzspekulationen, die sich zu einer sich immer weiter öffnenden Schere von Arm und Reich entwickelt, wird es nicht ewig weiter gehen können. Man kann eben aus Geld – ohne realwirtschaftlichen Untergrund ­– nicht Geld machen (oder erwirtschaften), es sei denn, man druckt das Geld, wie in den USA, was ja bekanntlich nur deshalb möglich ist, weil der US-Dollar (noch!) als Leitwährung fungiert – aber das geht nicht für alle Zeiten so weiter.

Irgendwann kommt der Kollaps, zumal ja auch noch der Klimawandel und damit verbunden die Umweltverschmutzung sowie das rasante Anwachsen der Weltbevölkerung und die Transformation der Gesellschaften (wie China, Indien und einige der afrikanischen Staaten) zu Industriegesellschaften vor dem Hintergrund immer knapper werdenden Ressourcen (man wird bald einen zweiten Planeten benötigen, wenn alle so leben wollen wie die frühindustrialisierten Gesellschaften) das Problem nicht gerade vereinfachen. Auch diese Länder stehen daher vor dem (nicht-reflektierten) Problem eines zu Ende gehenden Industriezeitalters und das obwohl es für einige noch gar nicht wirklich begonnen hat.

Was kommt also danach?

Wenn die Europäer und/oder die US-Amerikaner, die allerdings noch nie sehr tief nachgedacht haben, sondern immer erst gehandelt und dann nachgedacht haben, wenn das Kind in den Brunnen gefallen war [5]–, wenn also von diesen Gesellschaften keine Antwort gefunden wird, dann sieht es für den Planeten Erde und den darauf lebenden Erdlingen für die Zukunft nicht sehr rosig aus, denn der anthropogene Treibhauseffekt und der damit verbundene Klimawandel ist heute kaum noch zu leugnen und die Modelle der Klimaforschung erlauben drei gleichwahrscheinliche Aussagen: 1) es wird alles nicht so schlimm, wie es durch die Modelle beschrieben wird (da hätten wir Glück); – 2) es wird so wie die Modelle es beschreiben (das wäre schon verheerend genug); oder, last but not least, 3) es wird alles noch viel schlimmer als es in den Modellen beschrieben wird (kaum auszudenken).

Um die Frage nach dem „Was-kommt-danach?“ zu beantworten, muss man sich erst einmal die Frage stellen, wie und warum sich in einigen Gesellschaften – nämlich in der abendländischen, also in Europa – eine Industriegesellschaft entwickelt hat und in anderen Teilen der Welt – also beispielsweise in China oder Indien – eben nicht. Ohne diese Frage zu stellen und eine Antwort zu finden, versteht man gar nichts und kommt auch niemals zu einer sinnvollen Antwort auf die Frage „was kommt danach?“.

Die Entwicklung zur Industriegesellschaft ist ohne die logisch-mathematisch-naturwissenschaft­liche [6] Ratio­nalität und der sich daraus entwickelten Wissenschaft und Technik nicht denkbar – der Beweis für diese Aussage ist die Entwicklung in China. Im 15./16. Jahrhundert war die kulturelle Entwicklung Chinas bis ins 17. Jahrhundert vergleichbar mit der Entwicklung im damaligen Europa – ja einige meinen sogar, dass sie weiter fortgeschritten war. Als Grund für Needham’s Grand Ques­tion „warum der Westen trotz des früheren hohen Standes der chinesischen Kultur diese am Ende über­holte?“, machte Needham die Einflüsse des Konfuzianismus und Daoismus verantwortlich.[7] – Die Frage müsste aber lauten, warum sich in China oder Indien eine mathematisch-naturwissen­schaft­lich fundierte Rationalität nicht ausgebildet hat? [8] Heute holt China auf diesem Gebiet rasant auf – aber was kommt danach, wenn sie aufgeholt haben – kehren sie dann zurück zum Konfuzia­nismus und Daoismus?

Offensichtlich reicht die logisch-mathematisch-naturwissenschaftliche Rationalität des Abendlandes heute nicht mehr aus, um die Komplexität der spät-industriellen Gesellschaft und deren geschaffe­nen Probleme auch nur im Ansatz zu verstehen oder gar zu bewältigen. Die – aus konzeptioneller Sicht – geradezu infantilen physikalistischen Modelle der Mainstream-Ökonomen tragen eher mas­siv zur Verschärfung der Probleme und nie und nimmer zu deren Lösung bei. So lautet beispiels­weise eine der Kernbotschaften in dem Klima-Report 2014 [9]:

„Das Klima ist ein globales Allgemeingut, daher kann weltweiter Klimaschutz nur durch internationale Kooperation erreicht werden. Ergänzende Politikmaßnahmen bis hin zur lokalen Ebene spielen eine zentrale Rolle, um die Transformation hin zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaftsweise zu befördern“. [Hervorhebung EvGo]

Eine Gemeingüter-Ökonomie wäre einer der Ansätze, die Wege jenseits des herrschenden, wachs­tumsfixierten Paradigmas bieten könnten, wenn sie – die Gemeingüter-Ökonomie – denn (global!) umsetzbar wäre. Aus der Sicht der dominierenden Mainstream-Ökonomie sind Gemeingüter aber ineffizient, also schlecht, um nicht zu sagen „Kommunismus pur“ und damit des Teufels.[10] Nicht von ungefähr wurde in der englischen Originalversion des Klima-Reports (s. Ref. 9) lediglich in einer Fußnote auf das so genannte „global com­mons problem“ (globales Gemeingüterproblem) hingewiesen und betont, dass von diesem Problem „die Sozial­wissenschaftler [offensichtlich nicht die Ökonomen!?] sprechen“. Die wissenschaftlich-formalen Modelle der Mainstream-Ökonomen, die alle ein Produkt unserer klassisch-logischen mathematisch-naturwissenschaft­lichen Rationalität darstellen – und darauf sind die Mainstream-Ökonomen stolz(!!) –, sind als Modelle völlig untauglich, um das „Gemeingüter-Problem“ oder „Allmende-Problem“ auch nur im Ansatz an konkreten Beispielen zu applizieren, d.h. zu simulieren.[11]

Wie könnte also eine nach-industrielle Gesellschaft in Europa und anderswo aussehen, wenn die logisch-mathematisch-naturwissenschaftliche Rationalität nicht mehr ausreichend ist?

Sollen wir diese Rationalität aufgeben und uns zurück zu eine Agrarwirtschaft bewegen? Letzteres ist keine rhetorische Frage, sondern würde aus den Vorstellungen vieler Ökobewegungen, die sich heute in unserer Gesellschaft tummeln, folgen, ohne dass dies sonderlich reflektiert wird.[12] Bei diesen Denkansätzen wird Vieles übersehen, vor allen Dingen, dass es Menschsein ohne Technik gar nicht gibt.[13] Folgt daraus nun, dass wir so weiter machen können wie bisher? Das ist sicherlich auch keine gute Lösung. Die Antwort, d.h. die Lösung liegt auf der Hand: Wir müssen unsere Denkwerkzeuge erweitern, d.h. an die Komplexität anpassen. Das kann nur durch eine Erweiterung unsere logisch-mathematisch-naturwissenschaftlichen Rationalität geschehen – also einer Erweiterung von Mathematik und Logik.

Die Grundlagen dafür wurden durch den deutsch-amerikanischen Philosophen und Logiker Gotthard Günther (1900-1984) mit der von ihm eingeführten Polykontexturalitätstheorie [14] im vorigen im 20. Jahrhundert bereits gelegt.[15] Das alles impliziert nicht nur ein grundlegend anderes Verständnis von Technik, sondern auch eine andere Technik, bei der es nicht nur primär um Quantitäten – im Sinne von schneller, weiter, größer oder kleiner – geht, sondern vor allen Dingen um Qualitäten und technische Intelligenz, die in der Technik – also implementiert – und nicht ausschließlich vor der Technik – also im Ingenieur – steckt. Eine formale Theorie der Qualitäten existiert bis heute nicht und lässt sich auf der Grundlage unseres heutigen logisich-mathematischen Denkens auch nicht entwickeln – und zwar grundsätzlich nicht entwickeln!

Es ist schon merkwürdig, dass eine Gesellschaft glaubt, es sich leisten zu können, die Arbeiten eines der bedeutendsten Denker des 20. Jahrhunderts einfach zu ignorieren und auf der anderen Seite heute überrascht zur Kenntnis nehmen muss, dass sie auf dem Gebiet der Computertechnik ein Entwicklungsland – eine Gesellschaft von „Hinterweltlern“ – geblieben ist. Der Inhalt philosophisch-wissenschaftlicher Essays ist und war des Öfteren in der Geistesgeschichte des Abendlandes von gesellschaftspolitischer und mitunter sogar von volkswirtschaftlicher Bedeutung, wie das Beispiel der Philosophiae Naturalis Principia Mathematica von Isaac Newton oder die Ars Combinatoria von Leibniz und seine mathematisch-philosophischen Studien deutlich demonstrieren.

Die Ignoranz bedeutender geistiger Leistungen ist auch ein Indiz für eine zu Ende gehende kulturelle Epoche, die ungefähr im 17. Jahrhundert mit den Namen von Descartes, Pascal, Newton und Leibniz, um nur einige zu nennen, begann und heute mit dem Industriezeitalters ihr Ende findet – ein Ende, das sich ganz offensichtlich als eine Zeit geistiger Müdigkeit in Europa und ein ziemliches aktives aber geistiges Wirrwarr in Amerika, dem Ableger des Abendlandes, darstellt.

Eine Publikationsliste des Autors Eberhard von Goldammer sowie eine Kurzvita – am Ende der Liste – finden sich hier.

Endnoten:

[1] Englands Ölreichtum geht seit 1999 mit etwa 8% pro Jahr zurück. In der Folge ist England 2006 vom Erdölexporteur zum Importeur geworden. (cf., Wikipedia)
Abbau des Wohlfahrtsstaates: Immer mehr Briten hungern, Telepolis vom 18.04.2014 – [-> zum Text]

[2] Karl Steinbuch, Falsch programmiert-Über das Versagen unserer Gesellschaft in der Gegenwart und vor der Zukunft und was eigentlich geschehen müsste, dtv 1969. Obwohl dieses Buch 1969 veröffentlicht wurde (im WS 69/70 wurde an der TU Karlsruhe der erste Informatikstudiengang eröffnet), so ist es, was die Kernaussage betrifft, heute immer noch aktuell. [-> zum Text]

[3] Man sollte sich auch nicht darüber wundern, dass wir heute total überwacht werden, was ausschließlich der Kontrolle der eigenen Bürger gilt, und dass die demokratischen Rechte – die Bürgerrechte – langsam eingeschränkt werden. Das sind alles typische Indikatoren für eine zu Ende gehende Epoche und es gehört zu dem von Warren Buffett zitierten Klassenkampf, also dem „Krieg – Reich gegen Arm“, den, wie Buffet es sieht, die Reichen begonnen haben und – seiner Meinung nach – auch gewinnen werden.

Zum Thema „Industrialisierung“ und die langen „Wege zur modernen Demokratie“ in Europa, siehe: Wolfgang Kruse, Industrialisierung und moderne Gesellschaft, bpb vom 27.09.2012; Hans Vorländer, Wege zur modernen Demokratie, bpb vom 26.01.2005 [-> zum Text]

[4] Thomas Piketty stellt in Capital in the Twenty-First Century (Belknap Press, 2014—Original: Le Capital au XXIE Siecle, Édition du Seuil, 2014) am Ende des Industriezeitalters fest, dass der (industrielle) Kapitalismus die sozialen Ungleichheiten eben nicht beseitigt hat – es ist viel schlimmer: am Ende dieser Epoche geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auf. Karl Marx hat mit seinem Das Kapital sicherlich eine sehr viel wissenschaftlicheres Oeuvre vorgelegt und konnte noch nicht auf vorhandene Daten zugreifen, wie Thomas Piketty. Deshalb ist ein unmittelbarer Vergleich beider Arbeiten nur bedingt sinnvoll – siehe dazu auch: James K. Galbraith, Kapital for the Twenty-First Century?, Dissent– A Quarterly of Politics and Culture, 2014. Siehe auch: Helge Peukert: “Das Moneyfest“, metropolis-Verlag, 2014 / SR-Mediathek
[-> zum Text]

[5] Siehe dazu: Moritz Julius Bonn: Geld und Geist – vom Wesen und Werden der amerikanischen Welt, S. Fischer Verlag, Berlin 31927 — Siehe dazu auch: Resistenz gegen Genmais: Wieso die Schädlinge sich anpassen [-> zum Text]

[6] Hier wird anstelle von „mathematisch-naturwissenschaftlich“ das Adjektiv „logisch-mathematisch-naturwissen­schaftlich“ verwendet, um dezidiert darauf hinzuweisen, dass sowohl die uns heute bekannte Mathematik als auch die Naturwissenschaften auf dem Fundament der klassischen Aristotelischen Logik (cf. Folie_007) ruhen – das ist vielen Mathematikern und Naturwissenschaftlern heute gar nicht mehr bewusst.  [-> zum Text]

[7] The “Needham Question” or “Needham Problem,” also misleadingly called “the Needham Paradox,” refers to the guiding question behind Joseph Needham’s (b. 1900–d. 1995) massive Science and Civilisation in China, as well as his many other publications. As he phrased it, “the essential problem [is] why modern science had not developed in Chinese civilization (or Indian) but only in Europe.” He went on to consider another quite different question, equally important, and centered his historical research on it: “why, between the first century BC and the fifteenth century AD, Chinese civilization was much more efficient than occidental in applying human natural knowledge to practical human needs” (p. 190 of The Grand Titration [Needham 1969], cited under Basic Works by Needham). To seek answers, he compiled what Europeans had learned over three hundred years about science, medicine, and technology in China. Substantial original investigations by Needham and his several collaborators, of whom the best known were Lu Gwei-djen (Guizhen), Wang Ling, and Ho Peng Yoke (Bingyu), expanded and added depth to the picture, and Needham’s interpretations of the results gave it coherence. — aus: Oxfords Bibliographies. [-> zum Text]

[8] Gottfried Wilhelm Leibniz hat das sehr deutlich formuliert, wenn er 1697 in Novissima Sinica schreibt: “…dass die Chinesen, auch wenn sie seit einigen tausend Jahren mit erstaunlichem Eifer die Gelehrsamkeit pflegen und ihren Gelehrten höchste Preise aussetzten, dennoch nicht zu einer exakten Wissenschaft gelangt sind, ist, wie ich glaube, durch nichts anderes bewirkt worden als dadurch, dass sie … die [axiomatisch-deduktive] Mathematik nicht hatten…”. Aus: Novissima Sinica, deutsche Übersetzung von H.G. Nesselrath, Iudicium Verlag, München 2010, p. 17. (Zusatz in eckiger Klammer von EvGo). [-> zum Text]

[9] Aus den „Kernbotschaften des 5. IPCC-Sachstandberichts“ vom 11.04.2014 – Im englischen Originaltext lautet diese Passage (Summary for Policymakers, p. 4): Effective mitigation will not be achieved if individual agents advance their own interests independently. Climate change has the characteristics of a collective action problem at the global scale, because most greenhouse gases (GHGs) accumulate over time and mix globally, and emissions by any agent (e.g., individual, community, company, country) affect other agents.[4] International cooperation is therefore required to effectively mitigate GHG emissions and address other climate change issues. Furthermore, research and development in support of mitigation creates knowledge spillovers. International cooperation can play a constructive role in the development, diffusion and transfer of knowledge and environmentally sound technologies. [4] In the social sciences this is referred to as a ‘global commons problem‘. As this expression is used in the social sciences, it has no specific implications for legal arrangements or for particular criteria regarding effort-sharing. [-> zum Text]

[10] Den Anhängern des „Bedingungslosen Grundeinkommens“ sei gesagt, dass eine Industriegesellschaft immer ein kapitalistisches Wirtschaftssystem impliziert – ein Wirtschaftssystem, in dem ein bedingungsloses Grundeinkommen geradezu einen Widerspruch-in-sich darstellt; – auch der Kommunismus der Ostblockstaaten ist an diesem Widerspruch-in-sich von allem Anfang an gescheitert. Industrieller Kapitalismus und Kommunismus im Sinne einer Gemeingüter-Ökonomie schließen sich wechselseitig aus.  [-> zum Text]

[11] Was man benötigen würde, wären Simulationswerkzeuge wie etwa SimCity, bei denen die Computer nicht nur als Plattform für die Software dienen, sondern bei denen die Computer – und nicht nur ausschließlich der Mensch – die spielenden Akteure sind … :-) [-> zum Text]

[12] Johannes Heimrath: Die Post-Kollaps-Gesellschaft: Wie wir mit viel weniger viel besser leben – und wie wir uns heute schon darauf vorbereiten können, Scorpio Verlag, 2012 — siehe auch: Auf in die Post-Kollaps Gesellschaft
[-> zum Text]

[13] Siehe dazu: Paul Alsberg: Das Menschheitsrätsel, Sybillen Verlag Dresden 1922, neu verlegt 1978, edition schlot [-> zum Text]

[14] Diese Theorie umfasst eine Erweiterung der Zahlen durch so genannte nebengeordneten (oder qualitative) Zahlen, durch die polykontexturale Logik, durch die Kenogrammatik (eine prä-semiotische Theorie) und die Morphogrammatik (eine prä-logische Theorie) – siehe Folie_009. [-> zum Text]

[15] Siehe dazu: Gotthard Günther in Wikipedia sowie Gotthard Günther und Rezeptionen in: www.vordenker.de, www.thinkartlab.com [-> zum Text]

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Anhörung „Verbot der Haltung von Delphinen“

Antrag der Piratenfraktion

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Diskussion: #TTIP, die Kommunen und das Land NRW

 

Die Diskussion „Auswirkungen des Transatlantischen Handelsabkommens TTIP auf die Kommunen und das Land NRW“ fand am Donnerstag, 17. April 2014, um 19 Uhr im Amphisaal des Harenberg City Centers in Dortmund statt.

Podiumsgäste:
Stephen A. Hubler, US-Generalkonsul
Alexander Trennheuser, Geschäftsführer Mehr Demokratie NRW
Julia Reda, Piratenpartei Deutschland
Moderation: Manon Heiland

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Anhörung „Verbot der Haltung von Delphinen“

Wir fordern ein Verbot der Haltung von Delphinen in nordrhein-westfälischen Zoos. Die Landesregierung soll dazu die Möglichkeit der Auswilderung ermitteln und hierfür von durch Tierpfleger betreute, eingezäunte Meeresbuchten in die Überlegungen einbeziehen. Außerdem soll die Landesregierung eine Bundesratsinitiative zum deutschlandweiten Verbot von Delphinarien initiieren.

Am kommenden Montag, 28.04.2014 um 14 Uhr, gibt es dazu im Plenarsaal des Landtags NRW die öffentliche Anhörung der Sachverständigen. Weiterlesen ›

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Bürgersprechstunde im Landtag NRW

Ärger mit Behörden? Bürgersprechstunde des Petitionsausschusses im Landtag

Der Petitionsausschuss des Landtags hilft Bürgerinnen und Bürger, die sich von einer Landesbehörde falsch behandelt fühlen. Die Abgeordneten nehmen sich der einzelnen Fälle an und versuchen je nach Sachlage mit den Beteiligten gemeinsame Lösungswege zu finden. Weiterlesen ›

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Komm uns besuchen!

Der Landtag NRW öffnet seine Pforten: Wenn du dir das rundeste Gebäude von ganz NRW anschauen magst, dann komm: Ab Sonntag, 27. April, bis Sonntag, 6. Juli, sowie vom 31. August bis zum 19. Oktober ist der Landtag sonntags jeweils von 11 bis 16 Uhr für jedermann geöffnet. Weiterlesen ›

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Breitbandausbau: Thema im Landtag NRW

snow-220636_640In den letzten zwei Plenarrunden war der Breitbandausbau wieder einmal Thema im Landtag Nordrhein-Westfalens. Ihr wisst, dass wir schon mehrere Anträge dazu eingebracht haben, es Expertengespräche und Anhörungen auf unseren Antrag hin gab. Unserer Meinung nach geht der Breitbandausbau in NRW viel zu langsam voran, genauer gesagt gibt es bislang noch überhaupt kein Konzept, wie man ein schnelles Internet in alle Haushalte bringt. Derzeit stehen rund 9 Mio Euro Fördermittel dafür zur Verfügung – aus dem Landwirtschaftsministerium, zum Ausbau in Gegenden, in denen weniger als 2 Mbit/s. zur Verfügung stehen. Wer jetzt schon 2 Mbit hat, guckt in die Röhre.

Wir forderten, Fördergelder aus dem “Europäischen Fonds für regionale Entwicklung”, kurz EFRE genannt, ebenso für den Breitbandausbau zu nutzen. Bislang stand die Landesregierung auf dem Standpunkt, Fürdergelder aus EFRE nicht für den Ausbau von Breitband-Internet verwenden zu dürfen. Eine Meinung, die sich nach einem Expertengespräch im Wirtschaftsausschuss vom 19.03.2013 als falsch herausgestellt hat.

Piraten, CDU und FDP haben daraufhin eine aktuelle Stunde “Landesregierung darf beim Breitbandausbau nicht weiter auf der Bremse stehen” beantragt, die am Freitag, den 28. März 2014 debattiert wurde. Die gesamte Debatte könnt ihr hier nachsehen, meinen ersten Redebeitrag findet ihr ab Minute 7:20, meinen zweiten Redebeitrag bei 1:14:00.

Zu Beginn wurde ich übrigens wegen meines EFF-T-Shirts von der Präsidentin ermahnt.

Aus der Debatte folgte ein Antrag “Breitbandausbau beschleunigen – Landesregierung muss Operationelles Programm EFRE für flächendeckenden Breitbandausbau öffnen”, der im Grunde einen alten Antrag der gesamten Opposition aufgriff, sowie einen Entschließungsantrag dazu mit der Drucksachennummer 16/5534. Die Debatte dazu fand am Mittwoch, den 09. April 2014 statt. Meinen Redebeitrag könnt ihr hier nachsehen:

Erfreulicherweise gab es viel Resonanz, zum Beispiel in RTL, 1Live, WDR, sowie in der Presse (zum Beispiel hier oder hier). Das mit den Themen halt. Netzpolitik und so.

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curva monasteria vs. curva pirata

Ich. Beim Fußball. Soweit nix besonderes. An die 1000 Fußballspiele dürften es mittlerweile sein, die ich in den vergangen Jahren so besucht habe. Unzählige Grounds, unzählige Vereine. Aber neben vielleicht 50 bis 60 Schalker Spielen und einigen Deutschland-Spielen eigentlich immer im Support für meinen Verein RWO. Heute jedoch hat mich der schöne Zufall nach Münster getrieben. Auf Einladung (danke @NicoWde und @Saendralein) hab ich mir heute das Spiel SC Preußen Münster gegen den 1. FC Saarbrücken angesehen. Irgendwas wie Mittelfeld der Tabelle gegen Absteiger.
Ansgar Brinkmann im Fanblock, kein berauschendes Spiel, zwei Preußen-Tore, ein verdienter Arbeitssieg für die Preußen und für mich die Erkenntnis: Trotz gewisser Sympathie mit einem Verein, der nicht zu den Global Playern gehört, der ähnliche Schicksale wie meine Kleeblätter erleiden musste und für den ich mich heute sogar extra in grün gekleidet habe:

 

Aber darum soll es hier gar nicht so sehr gehen …
Was mir schon zu Beginn des Spiels aufgefallen ist und mir bislang in dieser Auswirkung so nicht klar war: Die Münsteraner Fan- und Ultraszene ist gespalten.

 

 

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Auf dem Foto gut zu erkennen: In Block M die Deviants und die “restlichen” Ultras ganz rechts im Bild in Block N. Dazu gesellt sich noch im Bereich des Blocks L der “Normalo”.
Stadionplan

 

Jetzt ist der SCP, wenn nicht Derby gegen Osnabrück ist, nicht gerade für berauschende Stimmung bekannt. Aber das heute war schon sehr bezeichnend … die beiden Ultrablöcke sangen zwar das ganze Spiel über, aber der Funke ging nur selten auf den Rest des Stadions über, welches mit etwa 7500 Zuschauern zur Hälfte gefüllt war. Jetzt will ich nicht weiter darauf eingehen, dass es in den letzten beiden Jahren Versuche gab, sich anzunähern. Schon gar nicht, warum diese scheiterten, bzw. über ein “ran rücken” der Ultras aus Block O in Block N nicht hinaus gingen. Und ja, ich weiß, dass es ähnliche Phänomene in vielen Vereinen gibt – auch bei meinem. Aber das heute war aktuell und hat mich ein wenig zum Nachdenken gebracht …

 

Den Ultras in Münster kann ich nicht wirklich helfen. Denen kann ich nur sagen: Ihr seid wenige. Wenn ihr Euch auch noch aufteilt, oder gleichzeitig zwar coole Aktionen, coole Gesänge macht, kommt davon nix oder nur wenig rüber. Würdet ihr zumindest, bei aller räumlichen Trennung, hier und da das ein oder andere gemeinsam auf die Beine stellen, so wäre Euch allen geholfen. Euch eint eine Sache, der SCP.

 

Das schöne an diesem Blogpost, und jetzt verlassen wir den Fußball, ist: den letzten Absatz könnte ich auch uns Piraten ins Stammbuch schreiben. Wir haben da ja diesen Richtungsstreit aka Flügelkacke oder wie auch immer jeder das zur Zeit für sich interpretiert oder nennt. Um es mit den Worten des @DSLawfox zu sagen: Fakt ist, wir sind gespalten. Trotz der berechtigten oder nicht berechtigten Meinungsverschiedenheiten, programmatischen Differenzen und was auch immer: Uns eint Dinge. Uns eint diese Piratenpartei. Uns eint der Kampf gegen die Vorratsdatenspeicherung, gegen Überwachung, für Datenschutz, Netzneutralität, kostenfreie Bildung, Teilhabe am digitalen Leben, mehr Demokratie, eine Reform des Urheberrechts, fahrscheinlosen ÖPNV und und und.

 

Nein, das wird kein “weiter so”. Wir dürfen uns streiten. Ich fand die Diskussionen auf dem letzten #lptnrw141 ja durchaus gut – auch wenn ich mit dem Ergebnis nicht immer ganz zufrieden bin. Wir können das auf dem #aBPT fortsetzen. Sollten dies auch tun. Aber: bleibt sachlich, beleidigt niemanden, werdet nicht unfair. Stempelt niemanden ab. Steckt niemanden in eine bestimmte Schublade, in der er sich selber vielleicht gar nicht einordnen möchte. Es gibt auch Piraten, die möchten in keine der zur Verfügung stehenden Schubladen hüpfen.

 

Ja, es gibt in dieser Partei Menschen, die hier nichts verloren haben. Die Missgunst sähen, die den Streit bringen und forcieren. Ich bin überzeugt davon, dass diese von alleine gehen, wenn sie merken, dass sie damit bei uns keine Chance hätten. Leider ist das im Moment anders. Wir gehen auf Provokationen ein, jeder holt seine persönliche Filterbubble und drauf … kann man machen, dann is man aber halt kacke.

 

Ich habs früher schon geschrieben. Es gibt so viel zu tun. Unser politischer Gegner sitzt da draußen. Guckt Euch die Osterblogs und Tweets der CDU an und schaut, wie sie mit dem freiheitlichen Wunsch nach einer Lockerung des Tanzverbots umgehen. Größtenteils mit Arroganz. Mit der Arroganz der Macht. Schaut Euch die ach so soziale SPD an oder die grüne Verbotspartei, die alles reglementieren möchte, was es zu reglementieren gibt. Oder diese Wirtschaftsliberalen. Mit der AfD muss ich wohl wirklich nicht anfangen … am Samstag bin ich mit einigen Vertretern dieser Spezies in Münster an deren Infostand ins Gespräch gekommen. Die werden einen einmaligen Erfolg im Mai feiern und sich danach selbst zerlegen. Soviel Doofheit habe ich selten auf einem Fleck getroffen.

 

Also, der Gegner wartet. Und der wartet nicht in Halle auf dem Bundesparteitag. Der wartet draußen, auf dem Spielfeld. An den Infoständen, in den Räten und Parlamenten.
Was ich spätestens heute gelernt habe: ein großer Block ist lauter als drei kleine.

 

Will sagen: wenn Spieltag ist, müssen wir gemeinsam Hand in Hand für unsere Ziele einstehen.
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Wir waren so nah dran… (UPDATE)

Ein paar Tage Abstand zum Landtag, ein Plakat auf dem Klo und ein kleiner Link im Internet – mehr braucht es nicht, um Nostalgie aufkommen zu lassen und mich in die Stimmung zu bringen, die Piraten als Idee zu hinterfragen: Was mir dafür fehlte? 2 Tage krank im Bett rumliegen, die Geschichte der Sozialdemokratie, eine Auflistung der Piratenparteien weltweit und ein wenig Wehmut. Dazu ein Plakat im Wahlkreisbüro:

“Aufgeben oder Kämpfen ?”

Von 2010, als die Welt noch in Ordnung war … aber wann ist dann eigentlich dieser ganze Scheiß mit uns passiert?

Am Anfang stand eine Bewegung, eine Idee, etwas ohne Grenzen. Internationale Gedankenwelten. Da ist etwas Neues, eine Entwicklung, die uns zusammenbringt, reaktionäre und konservative Kreise, die nichts von uns und unseren Problemen wissen wollte. Also haben wir eine Partei gegründet. Sind in die Politik; haben neben unseren Aktivitäten in den verschiedensten NGO versucht, durch politischen Druck etwas zu bewegen; sind gewählt worden, sicher aus dem Gefühl heraus, dass etwas falsch läuft in diesem Land, dass Menschen darunter leiden, wie Entscheidungen getroffen werden, wer wann welchen Blödsinn erzählt und die tumbe Masse damit auf seine Seite zieht; sitzen jetzt im Parlament und – geben unsere kämpferische Einstellung nach und nach auf…

Merken Sie noch was? So, oder so ähnlich hätte sicherlich ein Politiker der frühen SPD schreiben können! Oder eben ein verzweifelter Michele Marsching

…der im Landtag in NRW sitzt und sich immer wieder fragt, auf welchen Vorstellungen eigentlich die Anträge so beruhen, die wir Piraten im Plenum stellen? Warum sind wir eigentlich so sehr in der Realpolitik angekommen, dass jemand in der Fraktion der festen Überzeugung ist, bei Wirtschaftstheorie oder in der 200 Jahre dauernden Bergbau-Diskussion oder bei Themen wie Landwirtschaft, Gleichstellungspolitik oder Europa mitreden zu müssen bzw. überhaupt zu können?

Na gut, in einigen Bereichen kann man sich gute Referenten einkaufen, die dann ihr Fachwissen in den Landtag einbringen. Aber will man das überall? Ist ein Referent, der einen zu großen Wissensvorsprung hat nicht auch eine Gefahr, dem MdL einfach wegzulaufen und eigene Agenden zu verfolgen? Was wenn ein MdL überhaupt keine Verbindung mehr zu einem Thema herstellen MUSS, weil Referent/in X ihm schon all diese lästige Lese- und Recherchearbeit abnimmt, ihm alles vorkaut?

Wir reden also zu allen Themen mit. Jeder Antrag nimmt uns gefangen, zu allen Themen muss man eine Meinung haben! Das Hamsterrad dreht sich…unsere Grundsätze drehen aber nicht mit…

Als wir in den Landtag kamen, da war die Sache einfach: Haben wir ein Thema in dem wir keinen blassen Schimmer haben, dann fragen wir “die Basis”(tm). Irgendwer wird schon wissen, was die Fakten sind, dann machen wir eine Abstimmung und dann wissen wir, was “die Bürger”(tm) denken. Ist natürlich Blödsinn, kann man aber erstmal so denken!

Klar, wir haben kaum jemals die Basis zu irgendwas abstimmen lassen, die Zusammenarbeit mit Arbeitskreisen klappt nur so la-la, aber alles wird bald besser, denn die Partei passt sich dem Landtag an. Bald haben wir einen AK Religionspolitik und können da über einen Antrag zum Tanzverbot am Karfreitag beraten. Schöne neue Piratenwelt!

Aber ist das wirklich der richtig Weg? Was ist aus der internationalen Bewegung geworden, die vor allem 3 Sachen gefordert hat: freies Internet, Reform des Urheberrechts aus sozio-historischen Gründen und die Transparenz des Staates statt des transparenten Bürgers? Wo sind die Ideale davon hin, dass Politik vor allem Informationsgeber sein und der mündige Bürger selbst entscheiden soll? Wann erlauben wir uns endlich mal zu sagen: “Sorry, aber zu diesem Thema haben wir nun wirklich noch keine Meinung!”?

Im Wahlkampf hat uns das nicht geschadet, jetzt werden wir langsam und sicher wie alle anderen Parteien, haben auf alles eine Antwort und stellen kaum noch (an die richtigen Leute) (die richtigen) Fragen. Wohin hat uns das gebracht? Von 7.9% auf 1.8%?

Wir können jetzt aufgeben und das Experiment als gescheitert erklären. Aber das machte keinen Sinn. Die Probleme, wegen derer wir alle in die Politik und einige in Landtage und ins Abgeordnetenhaus gingen, sind doch lange nicht verschwunden. Im Gegenteil: mit jedem Prozentpunkt weniger für uns sinkt die Angst der Etablierten und sie machen weiter wie bisher. Sie schreiben jetzt überall Transparenz mit drauf und denken damit sei das Problem gelöst.

Wir müssen uns zusammen raufen, wieder Biss zeigen, auf der Straße stehen und Flyer verteilen, den Menschen zeigen, dass wir noch da sind. Wir dürfen uns nicht mehr um Menschen streiten, sondern um die Sache. TTIP, Snowden, die GroKo, dass Urheberrecht und die Beteiligung der Bürger. Das alles liebt noch im Argen, auch wenn wir uns mit vier Mini-Fraktionen auf Landesebene den Arsch aufreissen.

Machen wir so weiter, ohne Präsenz, ohne ständigen Wahlkampf, ohne Biss, dann sind wir bald draußen aus den Parlamenten. Kein Druck mehr von Innen, keine Angst mehr vor den kleinen Piraten. Dann haben wir versagt und unser Ziel verpasst. Dann können wir sagen

“Wir waren so nah dran.”

Da hängt es wieder, dieses Plakat. “Aufgeben oder Kämpfen?” und starrt mich an. Schon einmal habe ich hier gesessen, mit Twitter in der Hand und unruhigen Gedanken. Von Fraktionsaustritt bis Partei verlassen. Wie damals starre ich zurück und schreie am Ende das Plakat an.

Nur nah dran gewesen zu sein ist keine Lösung.

Aufgeben ist keine Option!

UPDATE: Nach einigen Gesprächen mit Mitarbeitern möchte ich klar stellen: Mitnichten wollte ich darstellen, dass es bereits Mitarbeiter in der Fraktion gibt, die statt der MdL politische Entscheidungen treffen und die Abgeordneten “fernsteuern”. Ich wollte nur auf die schwerwiegenden Kosequenzen hinweisen, wenn es dazu kommen sollte. Nicht jeder kommt mit hehren Zielen in den Landtag, mancher hat eine eigene Agenda und wird diese auch umsetzen wollen, wenn er merkt, dass ihm dies aufgrund der Situation möglich ist.

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