Olaf Wegner, Stellvertretender Fraktionsvorsitzender und ordentliches Mitglied im Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend für die Piratenfraktion im Landtag NRW erklärt zur heutigen Anhörung:
Wir wurden in der heutigen Anhörung von den Experten darin bestätigt, dass die Einrichtung und Besetzung einer unabhängigen Stelle eines Landesbeauftragten für Kinderrechte unverzichtbar ist, um die UN-Menschenrechte der Kinder und Jugendlichen in NRW wirklich umzusetzen und zu achten.Piraten fordern in ihrem Antrag die Einrichtung und Besetzung einer Stelle eines unabhängigen Landesbeauftragten für die Rechte und Belange von Kindern und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen.
Für ein Leben in Frieden, Freiheit und Vielfalt in der Europäischen Union und der Welt
Die Piraten haben der gemeinsamen Resolution von SPD, CDU, Grüne und FDP (Drucksache 16/10307 (Neudruck)) nicht zugestimmt, da sie „die falsche Antwort ist auf Fragen, die gar nicht gestellt wurden“, sagt Michele Marsching, Vorsitzender der Piratenfraktion im Landtag NRW:
„Erstens: Die Resolution fordert mit deutlichen Worten den völkerrechtswidrigen Kriegseinsatz in Syrien. Abscheulich! Mit der Forderung nach Gewalt kommen wir nicht weiter – wenn wir Frieden fordern, müssen wir auch Worte des Friedens verwenden.
Zweitens: Auf Extremismus kann man nicht mit Massenüberwachung antworten. In der Vielzahl der Daten ist es unmöglich, das Relevante zur Gefahrenabwehr herauszufinden. Wenn wir uns zur absoluten Sicherheit hin überwachen wollen, werden wir unsere Freiheiten verlieren.
Drittens: Wir müssen die Bereiche Bildung, Integration und Arbeit so ausgestalten, dass sie Perspektiven und Chancen für alle schaffen. Nur so werden wir einer Radikalisierung von Einzeltätern vorbeugen können.“
Die Piraten haben eine eigene Resolution eingebracht, die diese Aspekte berücksichtigt.
Marsching: „Mit unserer Resolution fordern wir eine Antwort, die Menschen tatsächlich schützt, die Radikalisierung vorbeugt, die Flüchtlinge begrüßt und eigene Verantwortungen benennt. NRW muss auch weiterhin für Frieden, Freiheit, Vielfalt, Toleranz und gegen jegliche Ausgrenzung stehen!“
Am 7. November 2015 veranstaltet die Piratenfraktion im Landtag NRW ihr 4. Kommunalvernetzungstreffen #kvt154.
Alle kommunalpolitisch aktiven Menschen in NRW sind herzlich eingeladen, auf diesem Treffen mit externen Fachleuten und Fachleuten der Piratenfraktion im Landtag NRW über aktuelle und wegweisende politische Themen zu diskutieren und sich zu informieren. Die Veranstaltung findet ganztägig im Unperfekthaus in Essen statt und ist offen für jedermann.
Wir freuen uns, kommunal aktive Piraten und sachkundige Bürger begrüßen zu dürfen!
Diese Einladung darf gern verbreitet werden. Sie gilt selbstverständlich auch für kommunalen Partner aus anderen Parteien und Bürgerbewegungen.
Alle rufen nach Transparenz. Aber was heißt das genau? Was interessiert euch in puncto Transparenz? Was möchtet ihr von Regierung, Behörden & Co. wissen? Welche politischen Entscheidungen sollen transparenter gemacht werden? Weiterlesen ›
Konstruktiv und streitbar – Ihre Piratenfraktion im Landtag NRW
Nach 2 Wochen intensiver Vorbereitung in Marathonfraktionssitzungen freuen wir uns jetzt auf die kommende Arbeit im Landtag. Wir verstehen uns nicht als Fundamental-Opposition, sondern stehen für ein Miteinander aller Fraktionen. Wir begrüßen ausdrücklich die Worte von Frau Präsidentin Gödecke, den Politikstil und die Erfahrungen aus der Zeit der Minderheitsregierung, die parteienübergreifende Zusammenarbeit, fortzuführen und weiterzuentwickeln. Wir haben die Chance, vertrocknete Strukturen zu hinterfragen und aufzubrechen, ganz im Sinne unserer gemeinsamen Verantwortung für die Menschen in Nordrhein-Westfalen.
Neue Lösungen ergeben sich meist jenseits der klassischen Pro- und Kontra-Positionen. Der Dissens gewinnt damit eine neue und konstruktive Qualität. Diese aus unseren Parteitagen stammenden Erfahrungen wollen wir nun in das Parlament des größten Bundeslandes einbringen und laden Sie herzlich ein, mit uns neue Wege der Demokratie auszuloten und zu entwickeln. Eine erste Gelegenheit dazu wird sich bei der Diskussion um die neue Geschäftsordnung des Landtages ergeben.
Angenehm überrascht waren wir über die freundliche und herzliche Aufnahme durch die Verwaltung, allen Mitarbeitern des Landtags und den Kollegen der anderen Fraktionen. Dafür herzlichen Dank Ihnen Allen!
Ihre Piratenfraktion
ein Debattenbeitrag zum Thema künstliche Intelligenz
Liebe Leser, liebe Vordenker,
vorneweg, dieser Essay ist auch eine Entschuldigung. Der og. Begriff im Titel, „Irreduzible Parallelität„, ist nicht von mir. Und in Publikationen schriftlich verwendet hatte ich ihn auch schon. Alles weitere im Text.
Forschen, das heißt, regelmäßig Ausflüge an die Grenzen des eigenen Verstehens zu machen, alles andere ist Verwalten.
Ich fange mit einem Gedanken an und schaue, wohin es mich trägt.
Abstract Wie lässt sich der Begriff der Komplexität besser fassen? In diesem Essay gehe ich der Geschichte des Begriffs „irreduzible Parallelität“ nach und versuche zu zeigen, dass er einem tieferen Verständnis komplexer Systeme dienen kann. Ausgehend von einer anekdotischen Kritik an der unpräzisen Verwendung des Begriffs der Komplexität sowie einer Diskussion der verbreiteten Anthropomorphisierungen insbesondere von KI-Systemen untersuche ich, wie sich parallelisierte, prinzipiell serielle algorithmische Prozesse künstlicher Intelligenz von der massiven Parallelität biologischer Prozesse unterscheiden. Dieses Vorgehen führt an die Wurzeln der Sequenzialität in Sprache, Philosophie und Mathematik und reißt alternative logische und mathematische Ansätze an, die nicht auf einem Konzept der Linearität beruhen. Dabei werden Begriffe wie Selbstreferenzialität, Selbstorganisation und Ultrametrizität erörtert, um Grenzen und Möglichkeiten der Berechenbarkeit und Formalisierung von Beschreibungen lebender Systeme aufzuzeigen. Abschließend werden einige Definitionen vorgeschlagen.
Übers verloren fühlen in der Schnellebigkeit der Welt und im Politaktivismus (und ein Lob auf Diskussionen/die Diskussionskuktur auf Mastodon)
Oft bin ich traurig in letzter Zeit. Manchmal auch pissig. Manchmal auch durchaus auf einzelne Menschen, aber mehr auf strukturelle Gegenenheiten, internalisierten Kapitalismus, Effizienzstreben, „höher, schneller, weiter“, Insta-Fssaden. All das macht auch vor linken Strukturen nicht halt, sondern wird zunehmend Teil derer mit all den dadurch unangenehmen, toxischen Folgen.
Regt mich das nun vor allem deshalb so auf, weil ich das nicht mehr kann aufgrund von psychischen und physischen Beeinträchtigungen?
Ist das eigentlich schlimmer geworden in den letzten Jahren oder fällt mir das aufgrund dessen nur mehr auf? Wird dadurch Ableismus mehr? Sind mehr Menschen in der Szene unterwegs, die kapitalistische Ideale so stark verinnerlicht haben, dass das Polit-Arbeit und Strukturen verändert?
Und natürlich ist auch einfach viel, gegen das man kaum ankommt: Rechtsruck, damit einhergehend Faschobedrohungen, Terfs, Swerfs, Klimawandel. Das volle Programm.
Ich habe das zunehmende Gefühl, dass ich meinen politischen Kompass verloren habe, mein Gefühl von Zugehörigkeit. Ist das jetzt ‚nur‘ zunehmendes Alter? Hat sich politische Arbeit verändert? Habe ich mich so stark verändert? Muss ich kompromissbereiter werden? Wo sind meine roten Linien? Und wie gehe ich damit um, wenn die völlig andere sind als in vielen politischen Gruppen? Suche ich an den falschen Stellen? Bin ich zu hart geworden? Oder zu weich? Wo heulen wir eigentlich zusammen?
Atmen, zur Ruhe kommen, Stille: Fühlt sich das, was ich tue, richtig an? (Und oft fühlt es sich nicht richtig an…)
Was sind denn eigentlich meine Bedürfnisse? Ich habe immer mehr das Gefühl, dass wir auch in linken Bubbles Konflikte, Werte etc. nicht aufrichtig diskutieren. Vor allem: Dass wir uns keine Zeit nehmen fürs Fühlen. (Das habe ich aber auch erst durch Jahre Therapie gelernt.)
Ich passe nicht mehr. Oft fühlen sich für mich Begegnungen, Treffen, Plena völlig oberflächlich an. Es gibt einen Veranstaltungskalender mit zig Veranstaltungen, Vorträgen, Tresen, Kundgebungen, Kampfsport. Und ich fühle mich nahezu überall falsch. Als knirsche alles. Noch nen Sekt?
Für mich ist da gerade nichts bei. Das mit dem Rückzug ins Private habe ich auch verkackt. Vielleicht doch wieder um ein paar alte Katzen kümmern? Politzeug den Jüngeren überlassen. Nicht mehr dagegen halten. (Zum Beispiel bei Sexarbeitsfeindlichkeit.) Ich will nicht immer nur Kämpfe. Im Kern bin ich harmoniebedürftig. Erst recht in schwierigen Zeiten.
Wo reden wir über unsere Bedürfnisse? Die Menschen, die nicht (mehr) passen, sind halt weg, raus aus Strukturen. Wo ist Raum für Fehler(kultur), Verzeihen, Zärtlichkeit, Meditation? Wo nehmen wir uns Zeit für tiefe, aufrichtige Begegnungen? Wo sehen wir einander wirklich? Wie gehen wir mit Konflikten um? Überall Awareness? Was ist eigentlich noch echt?
Alles ist immer super wichtig, super dringlich. Klar. Abwehrkämpfe. Nächster Aufreger. Noch ne Abschiebung. Wieder ein toter Obdachloser. Aber wie verarbeiten wir das denn überhaupt? Also nicht in der nächsten Kundgebung. Ich meine, so emotional…
Mein Impuls in all dem wäre eigentlich, einen Schritt zurückzugehen. Langsamer machen. Weniger Populismus. Aber damit bin ich irgendwie… alt? Falsch?
Ich mag immer noch Gruppen, die sich fortbilden. Texte lesen, darüber reden. Sich Zeit dafür nehmen. Zum Beispiel fand ich mich an vielen Stellen in diesem wieder:
Ich habe mehr Fragen als Antworten. Mehr Unsicherheiten. Keine Lösungen.
Aber auch ein wenig Hoffnung. Meine größte, positive Überraschung der letzten Jahre ist Mastodon. Es ist vielleicht auch traurig, dass ich Auseinandersetzungen/Diskussionen dort oft mehr als im Draußen als sehr facettenreich, persönlich, bereichernd, durchdacht empfinde. Das passt nicht für alle. Wenn Du nur Inhalte raushauen willst, ist das vermutlich die falsche Plattform.
Wie geht es euch so aktuell? Wo seid ihr sicher? Wo hadert ihr? Was sind eure Strategien? Wo fühlt ihr euch zugehörig? Was braucht ihr dafür?
In der Begründung des Chefredakteurs steckt ein unmittelbar ins Auge springender eklatanter Widerspruch. Einerseits heißt es, „die Deindizierung“ sei „keinesfalls ein Misstrauensvotum gegen frühere Autoren und damalige Beiträge heutiger Autoren. Wir mussten aber einsehen, dass es keine realistische Möglichkeit gibt, die enorme Menge von Artikeln aus gut 25 Jahren hinreichend zu prüfen.„
Aber schon im übernächsten Absatz schreibt Neuber: „Wir werden die alten Inhalte systematisch und so schnell wie möglich sichten und – soweit sie noch einen Mehrwert bieten – nach unseren Qualitätskriterien bewerten und überarbeiten.„
Erst wird gesagt, dass eine hinreichende Prüfung nicht möglich sei, gleichwohl
soll bewertet und überarbeitet werden. Überarbeiten? Hallo, geht’s noch! Für mich klingt das schwer nach, „wir werden dem Werk von Karl May die Indianer schon austreiben.“ Und man maßt sich an zu bewerten, obwohl, siehe oben, eine hinreichende Prüfung erklärtermaßen nicht möglich ist.
„Essays und Fachaufsätze haben dabei Vorrang„, heißt es weiter, „tagesaktuelle Texte aus der Vergangenheit nicht. Schrittweise sollen die vielen Perlen aus dem Archiv wieder zugänglich gemacht werden …„
Insgesamt sind mehr als 50.000 Beiträge, Berichte, Essays, Gespräche, Interviews, von der Löschung betroffen, über die vorab weder die Autoren noch die Öffentlichkeit informiert wurden.
Diese Aktion hat zudem technisch zur Folge, dass tausende Links aus dem Netz auf diese Telepolis-Beiträge nun zerbrochen sind.
Vom Inhalt her betrachtet reißt das ein riesiges Loch in die Netzkultur, bzw. in den deutschsprachigen Teil unseres digitalen kulturellen Gedächtnisses.
Eine wesentliche Möglichkeit der Interaktivität, ein technischer Ausdruck der Meinungsfreiheit, bestand in der gern und reichlich genutzten Kommentarfunktion auf Telepolis.
Auch die Kommentare in den Diskussionsforen zu den abgeschalteten Beiträgen sind nicht mehr verfügbar. Einige der ernstzunehmenderen Kommentarbeiträge enthalten nicht selten ihrerseits Links auf weiteren themenrelevanten Content.
Somit stellt die Herausnahme der Texte und der zugehörigen Forenbeiträge einen massiven Riß im Medien- und Textgewebe der Zeit dar.
Die Forenbeiträge sind möglicherweise ganz verloren, denn das privat geführte Internet-Archiv archive.org sowie auch die Deutsche Nationalbibliothek archivieren sie nicht. Dasselbe gilt für das Fußnotenmanagement von Telepolis.
In Zukunft sind also nicht nur Diejenigen, die sich mit Kultur- und Mediengeschichte des Internet und der Veränderung unserer Kommunikationskultur beschäftigen, sondern auch allgemeine Leser, die sich für das Vierteljahrhundert Telepolis interessieren, auf Spezialarchive angewiesen. Doch deren Existenz ist nicht garantiert.
Die aktuelle Telepolis-Aktion ist programmierte digitale Geschichtsvergessenheit. Ohne Ansage.
Florian Rötzer war Mitgründer und von 1996 bis 2020 Chefredakteur des Online-Magazins. Auch wenn er mittlerweile Abstand dazu hat, es ist die Unzugänglichmachung eines Teils seines Lebenswerks.
Und für viele Autoren war Telepolis auch eine Referenz, manche begannen ihre Schreibkarriere dort. Ihnen ist mit der Abschaltung zumindest ein Teil ihrer digitalen Existenz, ihrer Identität, genommen.
Nun denn, Telepolis antwortet nicht auf Anfragen. Und ich habe nicht wirklich Hoffnung, dass dort noch etwas passiert. Die Pseudo-Strategie des Aussitzens ist weit verbreitet. Derartige Probleme haben aber nicht selten die Eigenschaft, in unerwartet veränderter Form irgendwann durch eine Hintertür wieder hereinzukommen.
Es gibt jedoch auch eine Verantwortung des Autors für seine Texte und für die von ihm geführten Interviews sowie die Gesprächspartner. Der will ich, soweit es mir möglich ist, nachkommen.
Aus diesem Grund stelle ich meine Beiträge und Interviews nun hier zur Verfügung. Die geringere Reichweite dieses Journals gegenüber Telepolis muss eben in Kauf genommen werden. Aber wenigstens sind die Texte weiterhin verfügbar.
I’m not amused, dennoch beste Wünsche für das kommende Jahr 2025, Nick H. aka Joachim Paul
Links und Titel zu meinen Beiträgen und von mir geführten Interviews auf Telepolis in der Reihenfolge ihres Erscheinensin dem Online-Magazin
Anti-Aufklärung? Kriegstechnologie? – Anmerkungen zu blinden Flecken im Narrativ der Kybernetik Neuss, 07. Januar 2018, republiziert auf Telepolis am 21. Mai 2018, ungültige URL: https://www.heise.de/tp/features/Anti-Aufklaerung-Kriegstechnologie-4049821.html?seite=all Dieser Beitrag ist von Telepolis nur übernommen worden. Aufgrund der Abschaltung der Republikation verweise ich hier mit dem Link auf das Original.
Eigentlich habe ich überhaupt keine Lust mehr, auf SWERF und TERF Texte zu reagieren und Diskussionen zu Sexarbeit/Prostitution wieder aufzuwärmen, von denen ich eigentlich dachte, man hätte dies in den 90ern und später rund um die Prostitutionsgesetze ausgiebigst ausgehandelt. Wenn aber zunehmend junge, „linke“ Gruppen in ihren Forderungen wieder reaktionärer werden, sich eher auf CDU Niveau begeben in ihren populistischen, teils autoritären Argumentationen und damit weit hinter wirklich guten Texten und Analysen (https://www.aids-nrw.de/upload/pdf/empfehlungen/prostschg/20141008_runder_tisch_prostitution_abschlussbericht.pdf) aus dem bürgerlichen Niveau (übrigens unter Einbezug von Sexarbeitenden) zurückbleiben, wird es vielleicht doch Zeit für ein paar deutlichere Worte.
(Dies ist eine erste, kurze Fassung, die ich bei Gelegenheit erweitern könnte. Kommentiert/ergänzt gerne.)
Grundsätzlich stellt sich mir auch die Frage, ob es sinnvoll ist, einem schlechten Text durch Erwähnung zu mehr Reichweite zu verhelfen, aber da interne Diskussionen und meine Kritik jedes verfickte Mal in nach meinem Empfinden völlig abwertender Art abgebügelt wurden (zum Beispiel nach der Rede und dem Auftreten von fem:in Ruhr und den ihnen verbundenen Strukturen auf der 8. März Vorabend-Demo in Dortmund), ist es vielleicht einfach nötig, dass ich mal öffentlich klar Stellung beziehe.
Weil ich das wichtig finde. Eben genau, um Gewalt wirklich zu begegnen und auch, um Ally zu sein für meine Freund*innen in Sexarbeit. Und weil ich mich mit einer gegenläufigen feministischen, politischen Position zunehmend nicht mehr sicher fühle in Zusammenhängen und bei Demonstrationen, die derartig reaktionäre Beiträge nicht nur dulden, sondern feiern.
Ja. Ich bin wütend. Und nur dann schreibe ich überhaupt noch Texte.
Dieser Text hat nicht den Anspruch, alle Aspekte und Probleme von Sexarbeit erfassen zu können. Sexarbeit ist vielfältig, umfasst Escort, Pornos, Table Dance, Tantra-Massage und Straßenstrich. Und so vielfältig wie die Arbeitsfelder sind die Menschen, die entsprechend derart arbeiten.
Damit sind wir im Grunde schon beim ersten Kritikpunkt am neuesten Text von fem:in Ruhr zu Prostitution.
Der Text kommt ausschließlich cis-geschlechtlich daher. Es ist ausschließlich von weiblicher Prostitution die Rede. Das mag die Mehrheit sein der Menschen in Sexarbeit, beschränkt sich aber keinesfalls darauf. Ein Ausblenden der Vielfalt in Sexarbeit wirkt mir da systemisch. Es macht es einfacher, Frauen darauf zu beschränken, Opfer zu sein, die vor durchweg gewalttätigen Freiern gerettet werden müssten.
Ja. Es gibt in der Branche gewalttätige Übergriffe. Allerdings ist es -wie in dem Text gefordert- überhaupt nicht hilfreich, auf Kriminalisierung zu setzen, um Gewalt zu verhindern.
Aber der Reihe nach. Sehen wir uns den Text doch mal systematisch und von vorne an:
Die Veröffentlichung von fem:in Ruhr beginnt bereits mit der höchst populistischen Überschrift „Wenn Frauenkörper zur Ware werden“.
Die Diskussion, ob Sexarbeit eine Dienstleistung ist oder ob grundsätzlich und immer (wie bei fem:in) davon gesprochen werden kann, dass „Frauen ihren Körper verkaufen“, ist auch schon x Male geführt worden über die letzten Jahrzehnte. In der Sache würde es nach meiner Auffassung helfen, sich Antje Schrupp oder „Feminism Unlimited“ anzuschließen und begrifflich Sexarbeit und Prostitution auseinanderzudividieren.
Um Gewalt begegnen zu können, braucht es mE eine differenzierte Betrachtung, auch in der „linken“ Diskussion und mit Begriffen. Das ist aufwändiger, führt nicht zu reißerischen Bannern, hilft aber am Ende betroffenen Menschen weit mehr als das Befeuern von Stigmata und Stillschweigen oder gar die Forderung nach Kriminalisierung und damit ein Verdrängen ins Heimliche. „Prostituierte*r“, „Sexarbeiter*in“, „Hure“ etc. ist als Selbstbezeichnung zu akzeptieren, als Fremdbezeichnung aber durchaus problematisch, weil damit unmittelbar Ablehnung, Kriminalität, Stigmatisierung, Missbrauch etc. mitschwingen.
Die Gefahr dabei, alles in dem Bereich über einen Kamm zu scheren, ist vor allem ein systematisches Unsichtbarmachen von Gewalt, zum Beispiel bezüglich trans Menschen in Sexarbeit. Von den in 2023 ermordeten 321 trans Menschen waren 48 Prozent in Sexarbeit tätig. (https://transrespect.org/en/trans-murder-monitoring-2023/)
Das Ausblenden führt zudem zu weiterer Stigmatisierung (der trans Menschen, aber auch Menschen in Sexarbeit im aktuellen Rechtsruck ohnehin schon ausgesetzt sind).
Aber zunächst mal weiter im Text von fem:in: Nahezu alle Behauptungen des Textes bleiben ohne Beleg oder Quelle. Beispiel: „Aber um welche Frauen geht es dabei? Wer sollte die wichtigere Seite sein, bei einer Gegenüberstellung von wenigen Freiwilligen und einer großen Anzahl Zwangsprostituierter?“
Neben der fehlenden Seriösität solcher Aussagen kommt hier ein weiterer Aspekt zum Tragen: Offen auftretenden Sexarbeitenden, die dies freiwillig und selbstbestimmt tun, wird das Recht abgesprochen, zu reden/ernst genommen zu werden. Sie werden als „zu privilegiert“ abgestempelt. Nur Frauen, die Gewalt erfahren haben und Prostitution daraus folgend ablehnen, werden als legitime Stimme angesehen. Diese Argumentation weist deutliche Doppelstandards auf. (https://prostitutionspolitik.net/2024/09/15/warum-der-vorwurf-des-privilegs-gegen-sexarbeitende-eine-anti-demokratische-strategie-ist/)
Im Text von fem:in folgt dann ein größerer Abschnitt über Freier. Zweifellos ist in einer patriarchalen Gesellschaft männliche und sexualisierte Gewalt eingewoben, beschränkt sich aber bei weitem nicht auf Gewalt gegen Sexarbeitende. Jede Beziehung, jeder sexuelle Kontakt müsste daraufhin geprüft werden. Aber ist die Aussage, dass man sexuelle Dienstleistungen nicht kaufen dürfe, eine daraus unmittelbar folgende oder ist dies nicht eher ein sehr moralin-triefendes Ding? Ist Sex etwas so „Heiliges“/Besonderes, dass es auch konsensuell nicht mit Gegenleistung oder Bezahlung verbunden sein darf? Polemisch: Müsse man Sex anbieten, ohne dafür bezahlt zu werden? Im Nebensatz findet sich noch ein wenig mehr Moralvorstellungsgedöns in Form von Kinkshaming zu „Fetischnischen“, was ich jetzt aber in diesem Text nicht weiter problematisieren werde. Die moralische Überhöhung von Sex sieht man mE auch in Aussagen wie „Dadurch verliert die Sexualität ihren sozialen und zwischenmenschlichen Kontext“. Natürlich ist es legitim, Sexualität diese Bedeutung zuzumessen. Allgemeingültig ist diese aber keineswegs. Manchmal ist Sex einfach nur Sex. Lust, Befriedigung, Frustabbau. (Konsens natürlich vorausgesetzt.)
Auch Kund*innen von Sexarbeitenden sind übrigens vielfältig. Ein überwiegender Anteil von Männern blendet Frauen, queere und behinderte Menschen einfach mal aus.
In die emotional aufheizenden Formulierungen mischt sich nun im Text etwas Paternalistisches. Frauen werden als Opfer, migrantisch, jung gesehen und vor allem als hilflos, als jemand, den man „retten“ müsse.
Nun könnte ich mich noch mit Marx‘ Verdinglichung beschäftigen, da das aber den Rahmen sprengen würde, endet diese Analyse zunächst mal mit einem Blick auf die Auswirkungen der von fem:in geforderten Kriminalisierung. Fem:in setzt hier auf einen gesellschaftlichen Wandel, der durch Ausweitung von Scham und dadurch zunehmende gesellschaftliche Ablehnung des Kaufs von Sex passieren soll.
Kriminalisierung/Auswirkungen und Kritik:
Gerade Scham und mehr Repression führen aber eben nicht zu einem Rückgang von Gewalt, sondern vor allem dazu, dass Betroffene erst recht nicht mehr über diese Erfahrungen sprechen könn(t)en und Sex gegen Bezahlung vermehrt im Verborgenen ablaufen würde.
Aussagen, dass Menschenhandel durch das Prostitutionsgesetz befördert worden seien, haben bisher keine in Daten abgebildete faktische Basis. Mehr zu Menschenhandel:
Das könnte ich nun noch eine Weile fortführen, belasse es aber erst einmal dabei.
Was wirklich helfen würde:
Nach meiner Auffassung neben einer wie von mir oben geforderten differenzierten Betrachtung: Über Bedarfe mit Betroffenen zu reden und dementsprechend solidarisch zu handeln. Auch hier gilt: „Nicht über uns ohne uns.“
Studie der Aidshilfe zu gesundheitlichen Bedarfen von Sexarbeitenden:
„‚Sexarbeitsfeindlichkeit, Rassismus und Transmisogynie führen zu Gewalt gegen Sexarbeiter*innen, ganz besonders gegen trans weibliche Sexarbeiter*innen. Wir möchten mit Respekt behandelt werden. Wir sind normale Menschen, keine Monster. Ausgrenzung und Isolierung haben eine negative Auswirkung auf die Gesundheit von Sexarbeiter*innen. Durch Projekte von und für Sexarbeiter*innen und akzeptierende Arbeit kann die Gesundheit in unserer Community gefördert werden.‘“
„Kunst aus dem ThermoMix“, Leonardo AI, Prompt by Joachim Paul: „Erstelle bitte ein Titelbild zu einer als herausragend bezeichneten Masterarbeit mit dem Titel „Raubbau an der Kultur? – Zur Ethik generativer KI im aktuellen Diskurs“.
Darüber hinaus wird ein längst erschienener Aufsatz des Philosophen und Psychoanalytikers Rudolf Heinz, „Was ist Patho-Gnostik?„, nun online zur Verfügung gestellt.
Und erneut hervorgehoben werden sollen eine sprachphilosophische und eine praktisch konstruktive Arbeit des Begründers der Koreanistik in Deutschland, Andre Eckardt, seine „Philosophie der Schrift“ und seine Sinnschrift SAFO.
Obendrein gibt es noch einen – zugegeben längst überfälligen! – Literaturtipp, „Das Bewusstsein der Maschinen – die Mechanik des Bewusstseins“ — „Mit Gotthard Günther über die Zukunft menschlicher und künstlicher Intelligenz nachdenken“ von Werner Vogd und Jonathan Harth.
Abschließend wird – in eigener Sache – auf einen neuen Video-Podcast „Bildung – Digitalisierung – Zukunft“ verwiesen.
Xu untersucht in ihrer Arbeit internationale sowie deutsche kollektive Stellungnahmen, Vereinbarungen, Gesetzgebungsprozesse und Studien und darüber hinaus einschlägige Statements einzelner Autoren aus dem Jahr 2023 aus dem Diskurs um generative KI-Systeme und belegt – so der Kommentar auf dem Server der Universität -, dass innerhalb der Debatten für ethische Fragestellungen vorwiegend die Outputs der KI-Generatoren betrachtet werden. Insofern ist ihre Arbeit auch ein dringendes Plädoyer dafür, die „Voraussetzungen generativer KI-Systeme“ ebenfalls ethisch zu reflektieren und stellt daher eine unbedingt hervorzuhebende Bereicherung des aktuellen Diskurses um generative KI dar.
Dadurch, dass in der Arbeit auch Quellen abseits der allgemeinen Trends und der Mainstream-Debatte um KI ausführlich berücksichtigt werden – pars pro toto hervorgehoben werden können hier die Publikationen des Autorenduos Jobst Landgrebe und Barry Smith -, bereichert sie über die ethischen Fragestellungen hinaus auch technikphilosophische Diskurse sowie die Kritik von Trans- und Posthumanismus.
Dabei benennt die Autorin mögliche Fallstricke und Stolpersteine für den offenen Diskurs, sie weist auf eine „Ethik unter Zeitdruck“ hin und warnt vor
„der Gefahr einer zweifach verengten Perspektive: Zum einen dadurch, dass Elemente der transhumanistischen Ideologie quasi ontologisiert Eingang finden, zum anderen, dass ökonomisch motivierte Argumente die Debatte einhegen und Kritik oder Aufklärung bezüglich der Voraussetzungen generativer KI nur insoweit zulassen, als sie das „Geschäft“ mit ihr nicht in Frage stellen. Über die „Zukunftsversprechen“, die einen wesentlichen Teil des KI-Marketings ausmachen, [seien] „diese beiden perspektivischen Verengungen, in welche die Debatte unter Zeitdruck hineingetrieben wird, auch thematisch miteinander verknüpft“,
so Melanie Xu auf Seite 19f ihrer Arbeit. Dies kann nur mit den Attributen „schlüssig und lesenswert“ unterschrieben werden.
Rudolf Heinz, dessen am 23.11.2019 im Correctiv-Buchladen in Essen gehaltener Vortrag „Eindüsterungen zum Identitätsproblem, pathophilosophisch“ hier als Kurzzusammenfassung mit Videolink bereitgestellt wurde, liefert in einem 1984 erstmals als gedruckte Version publizierten Aufsatz „Was ist Patho-Gnostik?“ einen tieferen Einblick in Motivation und Entstehungsgeschichte seines psychoanalytischen Denk- und Lehransatzes.
Ein Problem im universitären Raum bestand zunächst in der Frage, wie sich Psychoanalyse an interessierte Studierende vermitteln lässt, ohne dabei auf einschlägige klinische Verfahren zurückzugreifen. Bei der „gruppenmäßig betriebenen Anwendung von Psychoanalyse auf Kunst und Kunstähliches wie z.B. Märchen oder Mythen“ wurde festgestellt, dass „die dabei immer virulente Idee einer Sachvermittlung von Psychischem und gesellschaftlicher Objektivität als Inbegriff der Kritik des psychoanalytischen Subjektivismus“ für die Teilnehmenden recht überraschend einer möglichen Realisierung zutrieb.
Die Folge war ein langwieriger Umorientierungsweg vermittels einer erneuten Lektüre der Freudschen Todestriebtheorie sowie die Beschäftigung mit „psychiatrienahen extremeren Psychoanalyseversionen“. Hier sind insbesondere die Arbeiten von Melanie Klein und Heinz Kohuts Narzissmustheorie anzuführen. Eine Schlüsselrolle kommt der Rezeption der Psychoanalyse-Philosophie Jacques Lacans zu. Wie Heinz bemerkt, führte dies leider zur „Mißliebigkeit eines Selbstausschlusses aus der herkömmlichen Psychoanalyse“.
Zur Lektüre von Rudolf Heinz Texten sei hier noch angemerkt, dass Heinz gebürtiger Saarländer ist, der auf Deutsch schreibt aber häufig in französischen Satzstrukturen denkt. Dieser Hinweis mag sich als Hilfe für alle LeserInnen erweisen.
Andre Eckardt ist als Autor von zwei Beiträgen seit 2011 hier vertreten, zum einen steht seine Philosophie der Schrift online zur Verfügung sowie die von Eckardt entwickelte Sinnschrift SAFO. Ein Fehler in Dateizuordnungen führte dazu, dass sein Nachlassverwalter PD Dr. Albrecht Huwe sich meldete und im Zuge der Korrektur seine Zustimmung zur Bereitstellung von Eckardts Werken noch einmal ausdrücklich erneuerte. Im gebührt ein ganz herzlicher Dank dafür!
Aus diesem Anlass weisen wir erneut auf das Werk des Begründers der Koreanistik in Deutschland hin. Wer sich wie Eberhard von Goldammer mit den Arbeiten des Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz und insbesondere mit seinem Anspruch ein universelles Zeichensystem (characteristica universalis), eine Universalschrift konstruieren zu wollen beschäftigt, der Beitrag titelt mit „Leibniz … reloaded oder UniversalSCHRIFTsprache — Vision oder Illusion?„, der stößt fast zwangsläufig auch auf die Arbeiten von Andre Eckardt.
Was Eckardt auszeichnet, ist seine physische – er lebte lange Zeit vor Ort in Korea – und mentale Selbstpositionierung an den Berührungsstellen zwischen Ost und West, zwischen Ideogramm und Alphabet, von denen aus er seine Philosophie der Schrift entwickelt. Ideographische Schriften können – beim Lesen – in einem gewissen Sinn als Abstraktionen des Sehens verstanden werden, alphabetische als Abstraktionen des Hörens, bzw. Transformationen von Gehörtem in Sichtbares. Daraus folgt unmittelbar, dass z.B. Chinesen anders „ticken“ als z.B. Europäer. Aber beiden Arten der graphischen Darstellung durch Zeichensysteme muss einerseits ein Mehr, andererseits auch ein Weniger gegenüber der gesprochenen Sprache zugestanden werden, oder wie von Goldammer es verkürzt ausdrückte:
Schrift ist häufig mehr als nur verschriftlichte Sprache und umgekehrt ist Sprache unter Berücksichtigung von Betonungen, Mimik usw. ebenfalls mehr als ihre einfache Verschriftlichung.
Dieser Widerspruch – wie kann beides jeweils mehr als das andere sein? – erweist sich als monokontextural. Er löst sich unmittelbar auf, wenn mehrere Kontexturen zugrunde gelegt werden.
Eckardt jedenfalls, die koreanischen Schriftenschöpfer (Hangul) vor Augen und den Wunsch nach Völkerverständigung im Herzen, entwickelt eine eigene Symbolschrift, die er Sa = Sinn, Fo = Schrift, SAFO = Sinnschrift nannte in der Hoffnung, dass sie sich sowohl für Asiaten als auch Europäer als praktikabel erweise. Und seine Philosophie der Schrift kann auch, dialektisch wohlgemerkt, als Gegenthese zu Marshall McLuhans in den magischen Kanälen geäußerte Auffassung [*] von den gleichschaltenden Momenten alphabetischer und den trennenden ideographischer Schriftsysteme gelesen werden.
Werner Vogd und Jonathan Harth veröffentlichten bereits im Oktober 2023 im Velbrück Verlag ihr Werk „Das Bewusstsein der Maschinen – die Mechanik des Bewusstseins“ mit dem Untertitel „Mit Gotthard Günther über die Zukunft menschlicher und künstlicher Intelligenz nachdenken“.
Leider kann erst jetzt darauf Bezug genommen werden. Eine diesem 400-Seiten-Werk gerecht werdende Würdigung muss zwangsläufig die Ausmaße eines umfangreicheren Essays annehmen. Dazu gab es – leider – vielfältigen, teilweise recht unangenehmen Umständen geschuldet auch nach längerem Hin und Her kein passendes Zeitfenster.
Gleichwohl, das Werk stellt einen höchst wertvollen Beitrag dar nicht nur zu den Diskursen zu dem, was gemeinhin künstliche Intelligenz genannt wird, sondern auch zu Technikphilosophie ganz allgemein. Dort ist man sich nämlich immer noch nicht einig, ob der Kybernetik-Philosoph Günther da überhaupt einen Platz hat oder haben soll. Die Monographie „Technikanthropologie“ (Hg. Martina Heßler, Kevin Liggieri, Nomos, Baden-Baden 2020) beschäftigt sich in mehreren Beiträgen mit dem Philosophen, das „Handbuch Technikphilosophie“ (Hg. Mathias Gutmann, Klaus Wiegerling, Benjamin Rathgeber, J.B. Metzler, Stuttgart 2024) erwähnt ihn nicht ein einziges Mal im Gegensatz zu einigen Autoren, die selbst Günther ausgiebig zitiert haben. Für ein Werk mit dem Anspruch eines Nachschlagewerks wirkt das zumindest irritierend.
Das Werk von Vogd und Harth ist – sehr erfreulich – zudem eine Open-Access-Publikation in der Nomos eLibrary und kann dort als ebook heruntergeladen werden. Die Print-Ausgabe kostet 49,90 €.
Wer der im Untertitel ausgesprochenen Einladung folgt, den erwartet ein Werk, in dem die Autoren nicht der kommerziellen Versuchung erliegen, auf Fragen (einfache) Antworten zu geben, ihr Verdienst besteht vielmehr darin, wissenschaftlich und philosophisch Fragen zu präzisieren und deren Konnotationsräume anzureichern, gedankliche Seitenlinien scharf zu machen, etc. Ich persönlich habe an einigen Stellen Einwände und Anmerkungen. Das ist gut so und erhöht den persönlichen Wert des Werkes für mich.
Im Grunde liegt ein im besten Sinne transdisziplinärer Forschungsleitfaden vor, der gleichermaßen Widerspruch und Zustimmung provoziert und der einerseits weit in das Informationstechnologisch-Maschinelle hineinreicht, andererseits aber nicht im Positivistisch-Instrumentellen verweilt oder gar hängen bleibt – wie aktuell das Gros der Publikationen zu KI, sondern der immer wieder, in jedem Kapitel, implizit und gelegentlich auch explizit die Kantsche Kernfrage „Was ist der Mensch?“ offensiv stellt.
Auch um einen kurzen Eindruck von Sprachstil und – melodie zu vermitteln, soll hier das Werk in zwei etwas längeren Zitaten für sich sprechen:
Eine der wesentlichen Errungenschaften der Kybernetik besteht darin, anzuerkennen, dass unsere Welt unvorstellbar komplex ist und die Möglichkeiten, Daten zu Zusammenhängen zu verknüpfen, also Information zu erzeugen, um ein Vielfaches größer sind als die gesamte Anzahl der Elementarteilchen im Universum. Dies führt zu dem Befund, dass kognitive Systeme (wie zum Beispiel menschliche Lebewesen) keine andere Wahl haben, als sich ihre eigene Welt zu schaffen, um hierdurch Orientierung zu gewinnen. Subjektivität bedeutet in diesem Sinne immer auch, mit Nichtwissen in einer produktiven Weise umgehen zu können, also sich eine Existenz aufzubauen, indem grobkörnig – das heißt mit selektiver Blindheit – auf die Welt geschaut wird. [Vogd, Harth, S. 18]
Nicht nur dieser Absatz lässt sich unmittelbar zu Gotthard Günthers Essay „Erkennen und Wollen“ in Beziehung setzen. Subjektivität bedeutet immer auch, Teil eines größeren Ganzen zu sein, das nicht vollständig erfasst werden kann. Nichtwissen ist daher – hier erfrischend positiv gewendet – notwendige Bedingung für die Konstruktion von Welt.
Wer demgegenüber eine monokontexturale Erkenntnistheorie pflegt, wird andere Wesen weder als Subjekte noch als inhärenten Bestandteil des eigenen Beziehungsgewebes verstehen können. Er oder sie wird andere Wesen tendenziell als befremdlich, gefährlich oder zumindest störend empfinden und damit einer Entfremdung Vorschub leisten, die die eigenen Freiheitsgrade und letztlich auch die eigene Subjektivität unterminiert. Denn wer Tiere, Pflanzen, Kinder, Partnerinnen, Kollegen oder kybernetische Maschinen überwiegend instrumentell begreift, wird dazu neigen, auch sich selbst – also seinen eigenen Leib und seine eigene Psyche – als einen zu optimierenden Mechanismus aufzufassen. Unweigerlich wird damit all das, was aus dem Bereich der eigenen Subjektivität in den Bereich des Objektiven entäußert werden kann, der Manipulation ausgeliefert werden: der trainierbare und chirurgisch gestaltbare Körper, die Neurochemie, die Expression der Gene, die optimierbaren Aspekte der Psyche, die seelischen Aspekte, die dem Zugriff einer vermeintlich positiven Psychologie zugänglich sind, etc.
Wenn sich das eigene Selbstverhältnis immer weniger von etwas berühren lässt, was sich der Positivität der eigenen Weltobjektivierung entzieht, dann wird das seelische Leben über kurz oder lang flach werden. Es gibt keinen Raum des Negativen, des Unverfügbaren mehr, aus dem heraus das Selbst berührt und transzendiert werden könnte. Das Subjektive – und damit verbunden die Möglichkeit des Empfindens von Freiheit – wird an den äußersten Rand verdrängt. Die Sehnsucht nach Lebendigkeit – also nach dem Risiko des Lebens – mag zwar fortbestehen, wird jedoch unter den Skripten der Optimierung und Rationalisierung des eigenen Selbst- und Weltverhältnisses kaum mehr einen eigenständigen Ausdruck finden. [Vogd, Harth, S. 358]
Hier wird die Konsequenz eine mehr oder weniger rein instrumentellen Sicht auf Welt schonungslos aufgezeigt, sie schlägt zurück auf Physis und Psyche des Subjekts. Bemerkenswert ist der Charakter einer Gegenrede zu technologieeuphorischen Positionen, so wie wir sie von Apologeten der Silicon Valley-Ideologie kennen, der jedoch ebenso kulturpessimistischen oder gar maschinenstürmerischen Tendenzen widersteht, eben durch Einbeziehung der kybernetischen Maschinen, also der Konstruktionen des Menschen in die Gegenwehr zum „überwiegend instrumentellen“ Begreifen. Eine Subjektivierung des Maschinellen ist das deshalb noch lange nicht. Es geht um die Ausgestaltung der Beziehungen zur Welt und ihren lebenden und nicht-lebenden Teilen. Der Schlusssatz der Verlagsbeschreibung bringt den Anspruch des Werkes verdichtet zum Ausdruck:
So lässt sich schließlich zeigen, wie künstliche Intelligenzen Aufschluss darüber geben können, was es heißt, ein Mensch zu sein.
Dall-e, OpenAIs GPT 40, Prompt by Joachim Paul: „Erstelle bitte ein Titelbild zu einer als herausragend bezeichneten Masterarbeit mit dem Titel „Raubbau an der Kultur? – Zur Ethik generativer KI im aktuellen Diskurs“. Hier ist die Kultur offensichtlich ganz unter die (Zahn-)räder geraten und des L verlustig gegangen bei gleichzeitiger Mutation des U zum Ü. „Kunst“ aus dem ThermoMix.
Thomas Hickfang, u.v.a. Teamkoordinator für das Medienpädagogische Zentrum Leipzig, Thomas Rudel, Leiter des Kommunalen Medienzentrums des Kreises Tübingen und ich, Joachim Paul, haben uns entschlossen, regelmäßig, monatlich, bzw. wenn unsere Zeit es zulässt, mehr oder weniger Weltbewegendes unter dem Titel Bildung – Digitalisierung – Zukunft zu diskutieren. Sie sind alle herzlich eingeladen, in den Vodcast-Kanal auf youtube reinzuschauen. Aktuell sind bereits drei Folgen online unter https://www.youtube.com/@Bild_Digit_Zukunft
Mit [trotzdem] besten Grüßen, Ihr Nick H. aka Joachim Paul (Hg.)
„Kunst aus dem ThermoMix“, Leonardo AI, Prompt by Joachim Paul: „Erstelle bitte ein Titelbild zu einer als herausragend bezeichneten Masterarbeit mit dem Titel „Raubbau an der Kultur? – Zur Ethik generativer KI im aktuellen Diskurs“.
Darüber hinaus wird ein längst erschienener Aufsatz des Philosophen und Psychoanalytikers Rudolf Heinz, „Was ist Patho-Gnostik?„, nun online zur Verfügung gestellt.
Und erneut hervorgehoben werden sollen eine sprachphilosophische und eine praktisch konstruktive Arbeit des Begründers der Koreanistik in Deutschland, Andre Eckardt, seine „Philosophie der Schrift“ und seine Sinnschrift SAFO.
Obendrein gibt es noch einen – zugegeben längst überfälligen! – Literaturtipp, „Das Bewusstsein der Maschinen – die Mechanik des Bewusstseins“ — „Mit Gotthard Günther über die Zukunft menschlicher und künstlicher Intelligenz nachdenken“ von Werner Vogd und Jonathan Harth.
Abschließend wird – in eigener Sache – auf einen neuen Video-Podcast „Bildung – Digitalisierung – Zukunft“ verwiesen.
Xu untersucht in ihrer Arbeit internationale sowie deutsche kollektive Stellungnahmen, Vereinbarungen, Gesetzgebungsprozesse und Studien und darüber hinaus einschlägige Statements einzelner Autoren aus dem Jahr 2023 aus dem Diskurs um generative KI-Systeme und belegt – so der Kommentar auf dem Server der Universität -, dass innerhalb der Debatten für ethische Fragestellungen vorwiegend die Outputs der KI-Generatoren betrachtet werden. Insofern ist ihre Arbeit auch ein dringendes Plädoyer dafür, die „Voraussetzungen generativer KI-Systeme“ ebenfalls ethisch zu reflektieren und stellt daher eine unbedingt hervorzuhebende Bereicherung des aktuellen Diskurses um generative KI dar.
Dadurch, dass in der Arbeit auch Quellen abseits der allgemeinen Trends und der Mainstream-Debatte um KI ausführlich berücksichtigt werden – pars pro toto hervorgehoben werden können hier die Publikationen des Autorenduos Jobst Landgrebe und Barry Smith -, bereichert sie über die ethischen Fragestellungen hinaus auch technikphilosophische Diskurse sowie die Kritik von Trans- und Posthumanismus.
Dabei benennt die Autorin mögliche Fallstricke und Stolpersteine für den offenen Diskurs, sie weist auf eine „Ethik unter Zeitdruck“ hin und warnt vor
„der Gefahr einer zweifach verengten Perspektive: Zum einen dadurch, dass Elemente der transhumanistischen Ideologie quasi ontologisiert Eingang finden, zum anderen, dass ökonomisch motivierte Argumente die Debatte einhegen und Kritik oder Aufklärung bezüglich der Voraussetzungen generativer KI nur insoweit zulassen, als sie das „Geschäft“ mit ihr nicht in Frage stellen. Über die „Zukunftsversprechen“, die einen wesentlichen Teil des KI-Marketings ausmachen, [seien] „diese beiden perspektivischen Verengungen, in welche die Debatte unter Zeitdruck hineingetrieben wird, auch thematisch miteinander verknüpft“,
so Melanie Xu auf Seite 19f ihrer Arbeit. Dies kann nur mit den Attributen „schlüssig und lesenswert“ unterschrieben werden.
Rudolf Heinz, dessen am 23.11.2019 im Correctiv-Buchladen in Essen gehaltener Vortrag „Eindüsterungen zum Identitätsproblem, pathophilosophisch“ hier als Kurzzusammenfassung mit Videolink bereitgestellt wurde, liefert in einem 1984 erstmals als gedruckte Version publizierten Aufsatz „Was ist Patho-Gnostik?“ einen tieferen Einblick in Motivation und Entstehungsgeschichte seines psychoanalytischen Denk- und Lehransatzes.
Ein Problem im universitären Raum bestand zunächst in der Frage, wie sich Psychoanalyse an interessierte Studierende vermitteln lässt, ohne dabei auf einschlägige klinische Verfahren zurückzugreifen. Bei der „gruppenmäßig betriebenen Anwendung von Psychoanalyse auf Kunst und Kunstähliches wie z.B. Märchen oder Mythen“ wurde festgestellt, dass „die dabei immer virulente Idee einer Sachvermittlung von Psychischem und gesellschaftlicher Objektivität als Inbegriff der Kritik des psychoanalytischen Subjektivismus“ für die Teilnehmenden recht überraschend einer möglichen Realisierung zutrieb.
Die Folge war ein langwieriger Umorientierungsweg vermittels einer erneuten Lektüre der Freudschen Todestriebtheorie sowie die Beschäftigung mit „psychiatrienahen extremeren Psychoanalyseversionen“. Hier sind insbesondere die Arbeiten von Melanie Klein und Heinz Kohuts Narzissmustheorie anzuführen. Eine Schlüsselrolle kommt der Rezeption der Psychoanalyse-Philosophie Jacques Lacans zu. Wie Heinz bemerkt, führte dies leider zur „Mißliebigkeit eines Selbstausschlusses aus der herkömmlichen Psychoanalyse“.
Zur Lektüre von Rudolf Heinz Texten sei hier noch angemerkt, dass Heinz gebürtiger Saarländer ist, der auf Deutsch schreibt aber häufig in französischen Satzstrukturen denkt. Dieser Hinweis mag sich als Hilfe für alle LeserInnen erweisen.
Andre Eckardt ist als Autor von zwei Beiträgen seit 2011 hier vertreten, zum einen steht seine Philosophie der Schrift online zur Verfügung sowie die von Eckardt entwickelte Sinnschrift SAFO. Ein Fehler in Dateizuordnungen führte dazu, dass sein Nachlassverwalter PD Dr. Albrecht Huwe sich meldete und im Zuge der Korrektur seine Zustimmung zur Bereitstellung von Eckardts Werken noch einmal ausdrücklich erneuerte. Im gebührt ein ganz herzlicher Dank dafür!
Aus diesem Anlass weisen wir erneut auf das Werk des Begründers der Koreanistik in Deutschland hin. Wer sich wie Eberhard von Goldammer mit den Arbeiten des Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz und insbesondere mit seinem Anspruch ein universelles Zeichensystem (characteristica universalis), eine Universalschrift konstruieren zu wollen beschäftigt, der Beitrag titelt mit „Leibniz … reloaded oder UniversalSCHRIFTsprache — Vision oder Illusion?„, der stößt fast zwangsläufig auch auf die Arbeiten von Andre Eckardt.
Was Eckardt auszeichnet, ist seine physische – er lebte lange Zeit vor Ort in Korea – und mentale Selbstpositionierung an den Berührungsstellen zwischen Ost und West, zwischen Ideogramm und Alphabet, von denen aus er seine Philosophie der Schrift entwickelt. Ideographische Schriften können – beim Lesen – in einem gewissen Sinn als Abstraktionen des Sehens verstanden werden, alphabetische als Abstraktionen des Hörens, bzw. Transformationen von Gehörtem in Sichtbares. Daraus folgt unmittelbar, dass z.B. Chinesen anders „ticken“ als z.B. Europäer. Aber beiden Arten der graphischen Darstellung durch Zeichensysteme muss einerseits ein Mehr, andererseits auch ein Weniger gegenüber der gesprochenen Sprache zugestanden werden, oder wie von Goldammer es verkürzt ausdrückte:
Schrift ist häufig mehr als nur verschriftlichte Sprache und umgekehrt ist Sprache unter Berücksichtigung von Betonungen, Mimik usw. ebenfalls mehr als ihre einfache Verschriftlichung.
Dieser Widerspruch – wie kann beides jeweils mehr als das andere sein? – erweist sich als monokontextural. Er löst sich unmittelbar auf, wenn mehrere Kontexturen zugrunde gelegt werden.
Eckardt jedenfalls, die koreanischen Schriftenschöpfer (Hangul) vor Augen und den Wunsch nach Völkerverständigung im Herzen, entwickelt eine eigene Symbolschrift, die er Sa = Sinn, Fo = Schrift, SAFO = Sinnschrift nannte in der Hoffnung, dass sie sich sowohl für Asiaten als auch Europäer als praktikabel erweise. Und seine Philosophie der Schrift kann auch, dialektisch wohlgemerkt, als Gegenthese zu Marshall McLuhans in den magischen Kanälen geäußerte Auffassung [*] von den gleichschaltenden Momenten alphabetischer und den trennenden ideographischer Schriftsysteme gelesen werden.
Werner Vogd und Jonathan Harth veröffentlichten bereits im Oktober 2023 im Velbrück Verlag ihr Werk „Das Bewusstsein der Maschinen – die Mechanik des Bewusstseins“ mit dem Untertitel „Mit Gotthard Günther über die Zukunft menschlicher und künstlicher Intelligenz nachdenken“.
Leider kann erst jetzt darauf Bezug genommen werden. Eine diesem 400-Seiten-Werk gerecht werdende Würdigung muss zwangsläufig die Ausmaße eines umfangreicheren Essays annehmen. Dazu gab es – leider – vielfältigen, teilweise recht unangenehmen Umständen geschuldet auch nach längerem Hin und Her kein passendes Zeitfenster.
Gleichwohl, das Werk stellt einen höchst wertvollen Beitrag dar nicht nur zu den Diskursen zu dem, was gemeinhin künstliche Intelligenz genannt wird, sondern auch zu Technikphilosophie ganz allgemein. Dort ist man sich nämlich immer noch nicht einig, ob der Kybernetik-Philosoph Günther da überhaupt einen Platz hat oder haben soll. Die Monographie „Technikanthropologie“ (Hg. Martina Heßler, Kevin Liggieri, Nomos, Baden-Baden 2020) beschäftigt sich in mehreren Beiträgen mit dem Philosophen, das „Handbuch Technikphilosophie“ (Hg. Mathias Gutmann, Klaus Wiegerling, Benjamin Rathgeber, J.B. Metzler, Stuttgart 2024) erwähnt ihn nicht ein einziges Mal im Gegensatz zu einigen Autoren, die selbst Günther ausgiebig zitiert haben. Für ein Werk mit dem Anspruch eines Nachschlagewerks wirkt das zumindest irritierend.
Das Werk von Vogd und Harth ist – sehr erfreulich – zudem eine Open-Access-Publikation in der Nomos eLibrary und kann dort als ebook heruntergeladen werden. Die Print-Ausgabe kostet 49,90 €.
Wer der im Untertitel ausgesprochenen Einladung folgt, den erwartet ein Werk, in dem die Autoren nicht der kommerziellen Versuchung erliegen, auf Fragen (einfache) Antworten zu geben, ihr Verdienst besteht vielmehr darin, wissenschaftlich und philosophisch Fragen zu präzisieren und deren Konnotationsräume anzureichern, gedankliche Seitenlinien scharf zu machen, etc. Ich persönlich habe an einigen Stellen Einwände und Anmerkungen. Das ist gut so und erhöht den persönlichen Wert des Werkes für mich.
Im Grunde liegt ein im besten Sinne transdisziplinärer Forschungsleitfaden vor, der gleichermaßen Widerspruch und Zustimmung provoziert und der einerseits weit in das Informationstechnologisch-Maschinelle hineinreicht, andererseits aber nicht im Positivistisch-Instrumentellen verweilt oder gar hängen bleibt – wie aktuell das Gros der Publikationen zu KI, sondern der immer wieder, in jedem Kapitel, implizit und gelegentlich auch explizit die Kantsche Kernfrage „Was ist der Mensch?“ offensiv stellt.
Auch um einen kurzen Eindruck von Sprachstil und – melodie zu vermitteln, soll hier das Werk in zwei etwas längeren Zitaten für sich sprechen:
Eine der wesentlichen Errungenschaften der Kybernetik besteht darin, anzuerkennen, dass unsere Welt unvorstellbar komplex ist und die Möglichkeiten, Daten zu Zusammenhängen zu verknüpfen, also Information zu erzeugen, um ein Vielfaches größer sind als die gesamte Anzahl der Elementarteilchen im Universum. Dies führt zu dem Befund, dass kognitive Systeme (wie zum Beispiel menschliche Lebewesen) keine andere Wahl haben, als sich ihre eigene Welt zu schaffen, um hierdurch Orientierung zu gewinnen. Subjektivität bedeutet in diesem Sinne immer auch, mit Nichtwissen in einer produktiven Weise umgehen zu können, also sich eine Existenz aufzubauen, indem grobkörnig – das heißt mit selektiver Blindheit – auf die Welt geschaut wird. [Vogd, Harth, S. 18]
Nicht nur dieser Absatz lässt sich unmittelbar zu Gotthard Günthers Essay „Erkennen und Wollen“ in Beziehung setzen. Subjektivität bedeutet immer auch, Teil eines größeren Ganzen zu sein, das nicht vollständig erfasst werden kann. Nichtwissen ist daher – hier erfrischend positiv gewendet – notwendige Bedingung für die Konstruktion von Welt.
Wer demgegenüber eine monokontexturale Erkenntnistheorie pflegt, wird andere Wesen weder als Subjekte noch als inhärenten Bestandteil des eigenen Beziehungsgewebes verstehen können. Er oder sie wird andere Wesen tendenziell als befremdlich, gefährlich oder zumindest störend empfinden und damit einer Entfremdung Vorschub leisten, die die eigenen Freiheitsgrade und letztlich auch die eigene Subjektivität unterminiert. Denn wer Tiere, Pflanzen, Kinder, Partnerinnen, Kollegen oder kybernetische Maschinen überwiegend instrumentell begreift, wird dazu neigen, auch sich selbst – also seinen eigenen Leib und seine eigene Psyche – als einen zu optimierenden Mechanismus aufzufassen. Unweigerlich wird damit all das, was aus dem Bereich der eigenen Subjektivität in den Bereich des Objektiven entäußert werden kann, der Manipulation ausgeliefert werden: der trainierbare und chirurgisch gestaltbare Körper, die Neurochemie, die Expression der Gene, die optimierbaren Aspekte der Psyche, die seelischen Aspekte, die dem Zugriff einer vermeintlich positiven Psychologie zugänglich sind, etc.
Wenn sich das eigene Selbstverhältnis immer weniger von etwas berühren lässt, was sich der Positivität der eigenen Weltobjektivierung entzieht, dann wird das seelische Leben über kurz oder lang flach werden. Es gibt keinen Raum des Negativen, des Unverfügbaren mehr, aus dem heraus das Selbst berührt und transzendiert werden könnte. Das Subjektive – und damit verbunden die Möglichkeit des Empfindens von Freiheit – wird an den äußersten Rand verdrängt. Die Sehnsucht nach Lebendigkeit – also nach dem Risiko des Lebens – mag zwar fortbestehen, wird jedoch unter den Skripten der Optimierung und Rationalisierung des eigenen Selbst- und Weltverhältnisses kaum mehr einen eigenständigen Ausdruck finden. [Vogd, Harth, S. 358]
Hier wird die Konsequenz eine mehr oder weniger rein instrumentellen Sicht auf Welt schonungslos aufgezeigt, sie schlägt zurück auf Physis und Psyche des Subjekts. Bemerkenswert ist der Charakter einer Gegenrede zu technologieeuphorischen Positionen, so wie wir sie von Apologeten der Silicon Valley-Ideologie kennen, der jedoch ebenso kulturpessimistischen oder gar maschinenstürmerischen Tendenzen widersteht, eben durch Einbeziehung der kybernetischen Maschinen, also der Konstruktionen des Menschen in die Gegenwehr zum „überwiegend instrumentellen“ Begreifen. Eine Subjektivierung des Maschinellen ist das deshalb noch lange nicht. Es geht um die Ausgestaltung der Beziehungen zur Welt und ihren lebenden und nicht-lebenden Teilen. Der Schlusssatz der Verlagsbeschreibung bringt den Anspruch des Werkes verdichtet zum Ausdruck:
So lässt sich schließlich zeigen, wie künstliche Intelligenzen Aufschluss darüber geben können, was es heißt, ein Mensch zu sein.
Dall-e, OpenAIs GPT 40, Prompt by Joachim Paul: „Erstelle bitte ein Titelbild zu einer als herausragend bezeichneten Masterarbeit mit dem Titel „Raubbau an der Kultur? – Zur Ethik generativer KI im aktuellen Diskurs“. Hier ist die Kultur offensichtlich ganz unter die (Zahn-)räder geraten und des L verlustig gegangen bei gleichzeitiger Mutation des U zum Ü. „Kunst“ aus dem ThermoMix.
Thomas Hickfang, u.v.a. Teamkoordinator für das Medienpädagogische Zentrum Leipzig, Thomas Rudel, Leiter des Kommunalen Medienzentrums des Kreises Tübingen und ich, Joachim Paul, haben uns entschlossen, regelmäßig, monatlich, bzw. wenn unsere Zeit es zulässt, mehr oder weniger Weltbewegendes unter dem Titel Bildung – Digitalisierung – Zukunft zu diskutieren. Sie sind alle herzlich eingeladen, in den Vodcast-Kanal auf youtube reinzuschauen. Aktuell sind bereits drei Folgen online unter https://www.youtube.com/@Bild_Digit_Zukunft
Mit [trotzdem] besten Grüßen, Ihr Nick H. aka Joachim Paul (Hg.)
Isaac Asimovs Science Fiction-Band „I, Robot“ erschien 1950 und versammelte Roboter-Erzählungen des Autors aus den Jahren 1940 bis 1950. Eine deutsche Ausgabe – als vierter Band von Rauchs Weltraumbüchern – erschien 1952 im Carl Rauch Verlag, Düsseldorf, versehen mit einem Vorwort und einem philosophischen Kommentar des Herausgebers Gotthard Günther, betitelt mit „Die „zweite“ Maschine„.
Der historisch bedingte Aspekt kann nun neu aufgezogen werden,
da Zeit vergangen ist. Aus anderen Zeiten folgen andere Bühnen, Stücke, Spieler, Kostüme, Kulissen, Requisiten, Regie … Nach Baudelaire verzeitigt sich die unvermeidliche Doppelstellung der Kulturproduktion – zwischen Ewigkeitsbindung und aktuellem Zeitkontakt, beides determiniert das Produkt.
In „tribute“ von Claus Baldus vollziehen sich zehn Robot-Auftritte. Nummer 10 kann als Überbau und abstrakte Reflexion zur alltäglichen Wirkung der “Übertragung“ interpretiert werden, ohne die Kommunikation und intersubjektive Beziehungen unmöglich sind. Dieser Freudsche Begriff war im Verlauf von Jahrzehnten auf jedwede Alltagspraxen zu erweitern.
Der Typbegriff „Minutenstück“, so Baldus, ist im Besonderen angeregt von der Minutensymphonik der Wiener Moderne (Schönberg …) jedoch auch generell von minimalistischen Konzepten.
Praktikant’innen sind Spieler‘innen im Alltag, ganz besonders Anfänger und – in Krisen – Neuanfänger, unabhängig von der jeweiligen Altersetappe.
Für die Graffiti-Kunst gilt, dass sie schnell zu produzieren ist – um der Polizei zu entgehen. Sie muss daher einfach und großzügig sein, etwas auf den Punkt bringen mit nicht zu vielen Details. Graffitis haben oft kritische und provokative Absichten, so etwa gegen Immobilienspekulation, wie es Bilder am temporären Ersatzbau zum Markt Sant Antoni in Barcelona zeigten. Ebenso lassen sich Freilegungen von narzisstischen Identifikationen finden, Wunschvorstellungen, Triebkomplexen, auch solchen, die Gesellschaft wie individuelles Dasein ganz gerne unter Deckstruktur stellen …
„tribute“ enthält 10 Stücke mit einem Vortext, der nicht den Anspruch erhebt, Einleitung im traditionellen Sinn zu sein, sowie einem detaillierten Impressum. Die Text-Bild-Bezüge sind nicht determiniert, sondern frei gestellt, womit den individuellen Assoziationen (Spiel-)Räume gegeben sind. Das bereits hier erschienene „Gestolpert“ ist einen Vorab-Auszug der „tribute“.
Bontrup ist ein Wirtschaftswissenschaftler, der für seine Zunft den Anspruch einer Trias der Denkmethoden erhebt, kausal – holistisch – dialektisch. So hat die Volkswirtschaftslehre immer auch Soziologie, Politikwissenschaft sowie der philosophischen Erörterung/Debatte fähig zu sein, sonst verbleibt sie als unvollständige, rein technische Disziplin, ihr Denken verkümmert im Fragmentarischen, das jedwedem ideologischen Missbrauch Tür und Tor öffnet, wie die sogenannte Neoklassik in den letzten Jahrzehnten hinreichend belegt hat.
„So, wie es ein Marktversagen in marktwirtschaftlich-kapitalistischen Ordnungen gibt, so gibt es auch ein vielfältiges Staats- und Politikversagen in parlamentarischen Demokratien.“ (H.-J. Bontrup)
Er schält die Fehlstellungen und Konstruktions-Bugs unserer repräsentativen Demokratien deutlich heraus und begründet, warum diese ganz zwangsäufig dazu führen, dass Politik sich vielfach auf Symptombekämpfung reduziert. Er fordert nicht nur eine direkte Demokratie anstatt einer „Zuschauerdemokratie“, seine Überlegungen und Argumente zielen letztlich auf eine Wirtschaftsdemokratie.
Eberhard von Goldammer, Biophysiker und Kybernetiker, verstarb am 27. Mai 2024. Ein Nachrufwurde bereits veröffentlicht. Seine Bibliographiewird sofern möglich auch weiterhin fortlaufend ergänzt. So hielt Eberhard von Goldammer am 23. Mai 2015 einen Vortrag mit dem Titel „Anmerkungen zu André Gorz’ „Welches Wissen? Welche Gesellschaft?“ im Rahmen eines von der Piratenpartei NRW veranstalteten kleinen Kongesses „Ökonomie der Zukunft – Zukunft der Ökonomie“ im Theater im Depot in Dortmund. Der Vortrag steht nun als separates Video zur Verfügung und ebenso der zugehörige Foliensatz.
Bleiben Sie gelassen, herzlich, Ihr Joachim Paul (Hg.)
Isaac Asimovs Science Fiction-Band „I, Robot“ erschien 1950 und versammelte Roboter-Erzählungen des Autors aus den Jahren 1940 bis 1950. Eine deutsche Ausgabe – als vierter Band von Rauchs Weltraumbüchern – erschien 1952 im Carl Rauch Verlag, Düsseldorf, versehen mit einem Vorwort und einem philosophischen Kommentar des Herausgebers Gotthard Günther, betitelt mit „Die „zweite“ Maschine„.
Der historisch bedingte Aspekt kann nun neu aufgezogen werden,
da Zeit vergangen ist. Aus anderen Zeiten folgen andere Bühnen, Stücke, Spieler, Kostüme, Kulissen, Requisiten, Regie … Nach Baudelaire verzeitigt sich die unvermeidliche Doppelstellung der Kulturproduktion – zwischen Ewigkeitsbindung und aktuellem Zeitkontakt, beides determiniert das Produkt.
In „tribute“ von Claus Baldus vollziehen sich zehn Robot-Auftritte. Nummer 10 kann als Überbau und abstrakte Reflexion zur alltäglichen Wirkung der “Übertragung“ interpretiert werden, ohne die Kommunikation und intersubjektive Beziehungen unmöglich sind. Dieser Freudsche Begriff war im Verlauf von Jahrzehnten auf jedwede Alltagspraxen zu erweitern.
Der Typbegriff „Minutenstück“, so Baldus, ist im Besonderen angeregt von der Minutensymphonik der Wiener Moderne (Schönberg …) jedoch auch generell von minimalistischen Konzepten.
Praktikant’innen sind Spieler‘innen im Alltag, ganz besonders Anfänger und – in Krisen – Neuanfänger, unabhängig von der jeweiligen Altersetappe.
Für die Graffiti-Kunst gilt, dass sie schnell zu produzieren ist – um der Polizei zu entgehen. Sie muss daher einfach und großzügig sein, etwas auf den Punkt bringen mit nicht zu vielen Details. Graffitis haben oft kritische und provokative Absichten, so etwa gegen Immobilienspekulation, wie es Bilder am temporären Ersatzbau zum Markt Sant Antoni in Barcelona zeigten. Ebenso lassen sich Freilegungen von narzisstischen Identifikationen finden, Wunschvorstellungen, Triebkomplexen, auch solchen, die Gesellschaft wie individuelles Dasein ganz gerne unter Deckstruktur stellen …
„tribute“ enthält 10 Stücke mit einem Vortext, der nicht den Anspruch erhebt, Einleitung im traditionellen Sinn zu sein, sowie einem detaillierten Impressum. Die Text-Bild-Bezüge sind nicht determiniert, sondern frei gestellt, womit den individuellen Assoziationen (Spiel-)Räume gegeben sind. Das bereits hier erschienene „Gestolpert“ ist einen Vorab-Auszug der „tribute“.
Bontrup ist ein Wirtschaftswissenschaftler, der für seine Zunft den Anspruch einer Trias der Denkmethoden erhebt, kausal – holistisch – dialektisch. So hat die Volkswirtschaftslehre immer auch Soziologie, Politikwissenschaft sowie der philosophischen Erörterung/Debatte fähig zu sein, sonst verbleibt sie als unvollständige, rein technische Disziplin, ihr Denken verkümmert im Fragmentarischen, das jedwedem ideologischen Missbrauch Tür und Tor öffnet, wie die sogenannte Neoklassik in den letzten Jahrzehnten hinreichend belegt hat.
„So, wie es ein Marktversagen in marktwirtschaftlich-kapitalistischen Ordnungen gibt, so gibt es auch ein vielfältiges Staats- und Politikversagen in parlamentarischen Demokratien.“ (H.-J. Bontrup)
Er schält die Fehlstellungen und Konstruktions-Bugs unserer repräsentativen Demokratien deutlich heraus und begründet, warum diese ganz zwangsäufig dazu führen, dass Politik sich vielfach auf Symptombekämpfung reduziert. Er fordert nicht nur eine direkte Demokratie anstatt einer „Zuschauerdemokratie“, seine Überlegungen und Argumente zielen letztlich auf eine Wirtschaftsdemokratie.
Eberhard von Goldammer, Biophysiker und Kybernetiker, verstarb am 27. Mai 2024. Ein Nachrufwurde bereits veröffentlicht. Seine Bibliographiewird sofern möglich auch weiterhin fortlaufend ergänzt. So hielt Eberhard von Goldammer am 23. Mai 2015 einen Vortrag mit dem Titel „Anmerkungen zu André Gorz’ „Welches Wissen? Welche Gesellschaft?“ im Rahmen eines von der Piratenpartei NRW veranstalteten kleinen Kongesses „Ökonomie der Zukunft – Zukunft der Ökonomie“ im Theater im Depot in Dortmund. Der Vortrag steht nun als separates Video zur Verfügung und ebenso der zugehörige Foliensatz.
Bleiben Sie gelassen, herzlich, Ihr Joachim Paul (Hg.)
bereits mehrfach veröffentlicht an anderen Orten, 26.07.2024 [Hervorhebungen, Einrückungen, Fett- und Kursivsetzungen von Zitaten und Textteilen durch den Herausgeber mit Genehmigung des Autors.]
Die parlamentarische (indirekte) Demokratie ist in vielen Ländern gefährdet. Wir haben längst „postdemokratische Zustände“, so der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch, und der deutsche Philosoph Jürgen Habermas spricht von einer „Fassadendemokratie“. Die Menschen wenden sich ab. Es entsteht Politikverdrossenheit. Das Vertrauen in die Demokratie schwindet seit der letzten Bundestagswahl 2021 besonders rapide, stellt in einer jüngsten repräsentativen Umfrage die Körber-Stiftung fest. Wähler gehen nicht mehr wählen. Die größte „Partei“ bei Wahlen sind heute die Nichtwähler. Die derzeitige „Ampel-Regierung“, bestehend aus SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP, ist, bezogen auf die Wahlberechtigten, nur von 49,5 Prozent, also knapp der Hälfte der Bürger und Bürgerinnen gewählt worden. Die Menschen durchschauen immer mehr eine Politik, die nicht für die Mehrheit der Menschen gemacht wird, was aber die eigentliche Aufgabe von Demokratie wäre, sondern für eine kleine Schicht von Profiteuren in der Gesellschaft, wovon die meisten ihren Reichtum geerbt und die anderen sich die Arbeits- bzw. Mehrwerte durch Ausbeutung der Arbeitskräfte angeeignet haben. Auf der anderen Seite leiden gut 16 Prozent der deutschen Bevölkerung unter Armut und jedes fünfte Kind hat arme Eltern. Nicht nur die schon lange ausgegrenzten gesellschaftlichen Ränder – Soziologen sprechen von einer „Externalisierung“ –, sondern selbst der Mittelstand fühlt sich mittlerweile von der jeweils herrschenden Politik bedroht.
Bedrohungen empfinden aber auch immer mehr Politiker und Politikerinnen, die regelmäßig vom Volk gewählt und auf Zeit mit dem staatlichen Gewaltmonopol ausgestattet werden. Politiker werden körperlich angegriffen und ermordet.
Hier kam es während der Weimarer Zeit, am Ende der ersten deutschen Demokratie, sogar zu Hunderten von politischen Morden. In den USA waren Präsidenten und Politiker schon immer Zielscheibe von Attentaten, die auch tödlich endeten. Was ist das für eine „Demokratie“, wo sich Wähler und Gewählte gegenseitig bedrohen und bis aufs Äußerste bekämpfen und wo Politiker vor dem Volk vielfach mit Polizeigewalt beschützt werden müssen? Was sind die Ursachen für die verheerenden Symptome?
Der große französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) schrieb schon 1762 im dritten Buch seines Gesellschaftsvertrages:
„Das englische Volk hält sich für frei. Es irrt gewaltig. Es ist nur frei während der Wahl der Mitglieder des Parlamentes. Sobald diese gewählt sind, wird das Volk zum Sklaven und ist nichts.“
Und der SPD-Politiker Herbert Wehner (1906-1990) brachte es in jüngerer Geschichte auf den Punkt.
„Der Wähler legitimiert mit seiner Wahl die Entscheidungen, die anschließend gegen ihn unternommen werden.“
So lebt dann das Volk in einer Zuschauerdemokratie.
„Die Volksvertreter können, sind sie einmal im Amt, so handeln, wie es ihnen beliebt, gleichgültig, wie die Wähler wünschen, dass sie handeln“,
schreibt der Schweizer Philosoph Urs Sommer, Professor für Philosophie an der Universität Freiburg i. Br. Auch die ehemalige Bundesverfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff konstatiert:
„Die Bürger sind, was politisches Entscheiden angeht, weitestgehend auf Wahlen beschränkt.“
Einmal in die Parlamente gewählt, sind Volksvertreter nicht mehr an Aufträge und Weisungen gebunden, sondern nur noch ihrem Gewissen verpflichtet. So steht es im Grundgesetz. Das stimmt aber realiter nicht. Politiker und Politikerinnen sind vielmehr Abhängige ihrer jeweiligen Parteien und hier insbesondere Abhängige von den Parteispitzen, die sie als Kandidaten zur Wahl letztlich aufstellen und damit auf ein parteipolitisches Wahlprogramm festlegen und verpflichten. Die Wähler und Wählerinnen entscheiden sich dann womöglich mehr für die Partei und das Wahlprogramm als für die aufgestellten Politiker. Nach der Wahl erzielt die Partei aber nur in Ausnahmefällen eine absolute Mehrheit, und es kommt in der Regel zu Koalitionen und Koalitionsverträgen. Dann müssen die Wähler feststellen, dass von dem Wahlprogramm der gewählten Partei nicht mehr viel im Koalitionsvertrag übrig geblieben ist. Und selbst an der Umsetzung des Vertrages während der Legislaturperiode hapert es, es kommt zu „Verwässerungen“ oder sogar zu einer vollständigen Streichung der Vereinbarung.
EU-Politiker werden bei Wahlen zum Europäischen Parlament nicht einmal in ein richtiges, sondern nur in ein Pseudoparlament gewählt (vergleiche dazu meinen Beitrag in den NachDenkSeiten „Die EU-Wahl wird nichts verändern“). Gesetze erlassen, die wichtigste Aufgabe der Legislative, kann das sogenannte EU-Parlament nicht. Und wenn nicht einmal die existenziell wichtige Gewaltenteilung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative in indirekten Demokratien sauber funktioniert, dann ist mehr als Gefahr in Verzug. Das zeigen auf EU-Ebene Länder wie Polen und Ungarn, aber auch in anderen Ländern gibt es innerstaatliche Übergriffe. So schreibt die Frankfurter Rundschau in Bezug auf Österreich:
„Politik setzt Judikative unter Druck. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), die eine zentrale Rolle bei allen Ermittlungen in den jüngsten Polit-Affären spielt, sollte nach Erkenntnissen der Kommission zerschlagen werden. Für diese Bestrebungen habe es im vergangenen Jahrzehnt mehrfache Hinweise gegeben. Die Kommission sprach von Seilschaften und einer zweifelhaften Rolle einiger Mitglieder des Justizsystems. Es herrschte ein ‚Verantwortungsnebel‘ und eine teils fehlende Distanz zur Politik. Extrem lange Verfahrensdauern von bis zu 15 Jahren seien zudem ein Mittel ‚zur sachfremden Einflussnahme‘ auf Ermittlungen gewesen.“
Wo war hier übrigens in Deutschland der Generalbundesanwalt bei der Causa-Spendenaffäre des deutschen CDU-Bundeskanzlers Helmut Kohl (1930-2017)?
„Am 4. Dezember 2017 wurde eine Fernseh-Dokumentation von SWR und ARD ausgestrahlt, und parallel erschien ein Bericht im Spiegel über die Rolle Kohls in der Spendenaffäre. In beiden Berichten wurde die Version Kohls, dass er vier bis fünf Spendern sein Ehrenwort gegeben habe, ihre Namen nicht preiszugeben, als ‚absolut unglaubwürdig‘ bewertet. Kohls Mitarbeiter im Konrad-Adenauer-Haus hätten seit den 1970ern ein System geheimer Kassen betrieben, aus denen sich Kohl nach Bedarf bedient hätte – nicht zur eigenen Bereicherung, aber zum eigenen politischen Vorteil. Das Geld in diesen Kassen sei aus der Industrie gekommen und in der Schweiz weißgewaschen worden. Alleine das über die Schweiz verschobene Geld betrug demnach rund 200 Millionen Euro. Schon im Jahr 2015, zu Lebzeiten Kohls, war diese Version durch den CDU-Frontmann Wolfgang Schäuble (1942-2023) in einem Interview so bestätigt worden“,
Immerhin wurde in einem anderen Fall der zweimalige österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wegen Falschaussagen in einem Untersuchungsausschuss angeklagt und verurteilt, was zu einem Rückzug von allen politischen Ämtern führte. Kurz arbeitet jetzt als Investor und Unternehmer in den USA und verfügt über Verbindungen zu vielen Unternehmen und Organisationen. Vor Kurzem nahm er an der Luxus-Hochzeit des Sohnes der reichsten indischen Familie teil. Die Hochzeit hat einen dreistelligen Millionenbetrag gekostet. Politiker halten sich eben gerne im internationalen Geldadel auf und lassen sich dabei nicht selten von Reichen auch korrumpieren. Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen, nur eine direkte Volksdemokratie schützt das Volk vor Volksvertretern, Parteien und damit die Demokratie. In der Schweiz muss man keine Angst vor Politikern und Parteien haben, sie könnten die Macht über das Volk bekommen, weil sie letztlich nichts zu sagen haben. Selbst über die Verfassung wachen hier nicht durch Politik berufene Verfassungsrichter, sondern das Volk, das auch nur Verfassungsänderungen in Abstimmungen vornehmen kann.
So, wie es ein Marktversagen in marktwirtschaftlich-kapitalistischen Ordnungen gibt, so gibt es auch ein vielfältiges Staats- und Politikversagen in parlamentarischen Demokratien. (H.-J. Bontrup)
Politiker und Parteien verfolgen hier Eigeninteressen, die zwar auch am Gemeinwohl orientiert sein können, aber nicht sein müssen, sondern in der Regel vielmehr nur Partialinteressen befriedigen. Hier besteht regelmäßig die Gefahr einer nicht mehr kontrollierbaren Verselbstständigung.
„Der Bundestag agiert abgehoben und fern der Lebensrealität der Menschen“,
kritisiert die Soziologie-Professorin Christiane Bender von der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg. Das bestätigt die Körber-Stiftung in der schon zitierten Umfrage, wonach 71 Prozent der Befragten davon ausgehen, dass Politiker in einer eigenen Welt lebten und auf den Rest der Bevölkerung herabschauten. Nicht einmal jeder zweite Deutsche fühlt sich von der deutschen Politik respektvoll behandelt. Das berichtet die Neue Osnabrücker Zeitung aus einer repräsentativen Umfrage des German Internet Panels der Universität Mannheim.
Politiker und Politikerinnen unterliegen, wie alle Menschen, vielfältigen menschlichen Schwächen. Vor allen Dingen können sich Menschen irren. Tun das wenige für alle, wie das in repräsentativen Demokratien immer möglich ist, kann das katastrophale Folgen für das Ganze, für das Volk haben. Man denke hier nur an die Entscheidung Krieg oder Frieden. Eine Stellvertreterentscheidung ist hier inakzeptabel, und trotzdem wurde sie schon immer und auch heute noch durch Politiker getroffen, ohne das Volk zu fragen. Volksvertreter unterliegen bei ihrem Tun oder auch Nicht-Tun vielen Abhängigkeiten und Unvollkommenheiten. Sie sind abhängig von der Wahl und Wiederwahl des Volkes und von ihrer Partei. Ohne diese sind sie politisch ein Niemand, das gilt auch für die in einem Wahlkreis direkt Gewählten. Insofern haben sie bei einem Wechsel zu einer anderen Partei oder als parteiloser Abgeordneter ihr Mandat auch zurückzugeben. Aber selbst das machen sie nicht, weil viele vom Sitz im Parlament existenziell abhängig sind. Das gilt insbesondere für Politiker, die sich schon in jungen Jahren in die Politik begeben. Man könnte sagen, vom Kreißsaal in den Hörsaal und danach in den Plenarsaal, wobei nicht wenige den Hörsaal ohne Abschluss an einer Hochschule mit einer Exmatrikulation verlassen müssen. Ohne Ausbildung und bürgerlichen Beruf denkt man verständlich an eine ex-postpolitische Karriere in der Wirtschaft oder bei Verbänden. Auch das schafft Abhängigkeiten und womöglich Anfälligkeiten für Korruption.
Politik ist auch unvollkommen. Das Denken beschränkt sich hier auf Ereignisse. Diese haben aber immer eine Vorgeschichte, die in Form eines holistischen Denkens zu berücksichtigen ist. Das ist im Politischen aber nicht opportun, weil gefährlich, genauso wie das Aussprechen von Wahrheiten, weshalb Politiker auch kausales Denken negieren. (H.-J. Bontrup)
Man „lebt“ in einer Welt der politischen Symptombekämpfung, ohne noch nach den Ursachen zu fragen und diese zu beseitigen. Das, was in der Wissenschaft unumgänglich ist, findet in der Politik nicht statt, wo darüber hinaus nur in kurzfristigen Wahlzyklen gedacht wird – man will ja im Hier und Jetzt wiedergewählt werden. So ist Politik nicht nachhaltig, und sollten Politiker tatsächlich über ihre Wahlperiode hinaus ein langfristiges und nachhaltiges Denken an den Tag legen, so verbindet sich Zukunft im politischen Raum in der Regel mit einem reinen Wunschdenken, das zu katastrophalen Ergebnissen führt.
Ein aktuelles Beispiel ist hier die Energiewende. Das Westfälische Energieinstitut in der Westfälischen Hochschule hat zu einem solchen Wunschdenken unter der Federführung von sieben Professoren des Instituts (einer davon ist der Verfasser des Artikels) eine Energiestudie unter dem Titel „Energie- und Klimawende zwischen Anspruch, Wunschdenken und Wirklichkeit – Umsetzungspfade“ vorgelegt. Hier wird gezeigt, dass die von der Ampel-Regierung geplante Energiewende weder technisch noch soziökonomisch umsetzbar ist. Zweimal wurde die Studie Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Bündnis90/Die Grünen) zugänglich gemacht. Der hat es aber nicht einmal für nötig erachtet, den Eingang der Studie in seinem Ministerium zu bestätigen. Sieben Professoren sind über ein derartiges Verhalten entsetzt, zumal gerade die Grünen als Partei sich immer eine partizipative, offene Diskussion in der Gesellschaft wünschen – zumindest in Sonntagsreden.
Eine weitere Unvollkommenheit bei Politikern und Politikerinnen ist, dass sie in der Regel kein ökonomisches Wissen haben – weder theoretisches noch praktisches Wissen. Das sieht man nicht nur an dem amtierenden Finanzminister Christian Lindner (FDP), der in einer unglaublichen Ignoranz an der staatlichen Schuldenbremse festhält (siehe dazu auch meinen Beitrag in den NachDenkSeiten „Herr Lindner, treten sie zurück“), die niemals 2009 im Rahmen der Föderalismusreform II von Politikern mit einer Zweidrittelmehrheit ins Grundgesetz hätte aufgenommen werden dürfen. Jetzt wollen zumindest SPD und Bündnis90/Die Grünen Anpassungen bei der Schuldenbremse vornehmen; ganz streichen wollen sie die kontraproduktive Kreditbremse aber nicht. Der Politikwissenschaftler Stefan Bajor von der Universität Düsseldorf ordnet die Schuldenbremse politisch richtig ein, wenn er schreibt:
„Die sogenannte Schuldenbremse, also das Ergebnis der Reform des deutschen Kreditverfassungsrechts von 2009, ist nicht, wie manche meinen, eine Schlussfolgerung aus der Finanz- und Staatsschuldenkrise ab 2008. Diese hätte ja angesichts des Wirkens der erwähnten keynesianisch inspirierten Konjunkturprogramme eher in anderer Richtung ausfallen müssen. Nein, die Schuldenbremse ist das Ergebnis des neoliberalen Staatsverständnisses, das den privaten Nutzen voranstellt und den öffentlichen Sektor daran hindern will, das Allgemeininteresse an ausreichenden öffentlichen Leistungen vor allem in den Bereichen Gesundheit und soziale Sicherheit, Chancengleichheit und Bildung, Umweltschutz und Kultur zu realisieren. Die strikte Schuldenregel sollte in Kraft gesetzt werden, um Staat und Kommunen daran zu hindern, die eingeschlagene Steuersenkungspolitik der vergangenen Jahrzehnte durch Krediteinnahmen auszugleichen. Am Ende des Weges soll ‚eine neue Stabilitätskultur‘ stehen, in der sich der öffentliche Sektor den privatwirtschaftlichen Interessen allein schon deshalb zu beugen hat, weil ihm die finanziellen Mittel zum Gegensteuern fehlen.“
Die Wirkung der ökonomisch kontraproduktiven Grundgesetzverankerung der Schuldenbremse hat die „Ampel-Regierung“ im November 2023 mit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil zu spüren bekommen. Die Richter monierten hier eine schwerwiegende Umgehung der Schuldenbremse. So wurden Kürzungen im Bundeshaushalt notwendig, die sich bis in den von der Regierung vorgelegten aktuellen Bundeshaushaltsentwurf für 2025 und darüber hinaus bis 2028 zeigen; und dies trotz eines ebenfalls ins Grundgesetz aufgenommenen sogenannten „Sondervermögens Bundeswehr“ (richtig ist hier die Formulierung „Aufrüstung durch Verschuldung“), bei der die Schuldenbremse nicht zur Anwendung kommt. Zur Einordnung des „Sondervermögens“ vergleiche ausführlich meinen Beitrag in den NachDenkSeiten „100 Milliarden Euro fürs Militär und Rüstung. Mehr bornierte Politik geht nicht – es reicht“.
Ohne das Volk zu fragen, hat die Bundesregierung damit einen gefährlichen Aufrüstungskurs initiiert und ins Grundgesetz geschrieben, das in der originären Fassung von 1949 genau dies nicht wollte, sondern rein friedensorientiert verfasst war. Staatsschulden für Rüstung werden heute von Politikern als gute Staatsschulden deklariert, für zivile Staatsausgaben dürfen aber keine Schulden gemacht werden. Dies zeigt eine unglaubliche Borniertheit der Politik, die nicht einmal den nichtreproduktiven Charakter von Rüstungsausgaben und die wesentlich geringeren multiplikativen Wachstums- und Einkommenseffekte im Vergleich zu zivilen Staatsausgaben ökonomisch richtig einordnen kann. Hier fällt einem dann das alte chinesische Sprichwort ein, das sich die Dummheit Kraft ihres Selbst leider nicht erkennen kann. Mit der Dummheit von Politikern beschäftigt sich die bekannte US-amerikanische Historikerin Barbara Tuchman (1912-1989) in ihrem Buch über „Die Torheit der Regierenden. Von Troja bis Vietnam“ ausführlich.
Es darf nicht sein, dass nur vom Volk gewählte Vertreter und Vertreterinnen über den Rüstungskurs eines Landes entscheiden. Das gilt auch für die grundsätzlichen Richtlinien der Wirtschaftspolitik. Paradigmenwechsel von einem Wohlfahrts-Keynesianismus hin zu einem marktradikalen Neoliberalismus, wie ab etwa Mitte der 1970er-Jahre vollzogen, darüber haben keine Politiker zu entscheiden, sondern das Volk, zumal, wenn sich heute Politiker einseitig von Wirtschaftswissenschaftlern beraten lassen, die dem Neoliberalismus das Wort reden. Wie jede Wissenschaft beruht auch die Wirtschaftswissenschaft auf einem umfassenden Theoriengebäude und einem verifizierten Wissen. Keiner erwartet, dass Politiker die hier auftretende wissenschaftliche Komplexität verstehen müssen, dies tun selbst die meisten akademisch gebildeten Ökonomen nicht. Wer kann schon beispielsweise die Frage beantworten, ob Keynes ein Keynesianer war oder worin sich der Kurzzeit-Keynes vom Langzeit-Keynes unterscheidet. Selbst Keynesianer tun sich hier schwer.
Auch auf einzelwirtschaftlicher Ebene müssen Politiker nicht wissen, wie Abschreibungen unterschiedlich in der Gewinn- und Verlustrechnung und der Kapitalflussrechnung eines Unternehmens wirken. Was man aber zumindest von Politikern in parlamentarischen Demokratien erwarten darf, ist, dass sie bei ihrer notwendigen Beratung auf eine dialektische Vorgehensweise zu achten und zu setzen haben. Das ist aber nicht der Fall, wie gerade eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung zur einseitigen ökonomischen Beratung von Politik durch Beiräte beim Bundesfinanz- und Bundeswirtschaftsministerium aufgezeigt hat. Dabei fällt aber selbst in dieser kritischen Studie eine Nichterwähnung der seit 1975 jährlich erscheinenden Memoranden der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik auf, die immer links-keynesianische Gegenpositionen zum neoliberalen Mainstream entwickelt und veröffentlicht hat.
In einer partizipativen direkten Demokratie würde das alles ganz anders laufen. „Sie steht – ungeachtet aller demagogischen Anfälligkeit – gegen die Verweltanschaulichung des Politischen: Man muss sich bei jeder Entscheidung, die einem aktive Partizipation abverlangt, neu orientieren und formieren, neu positionieren und bleibt so in ständiger Bewegung, bleibt politisch handelnd. Demgegenüber scheint die Ideologisierung des Politischen eine unmittelbare Folge des Repräsentatismus zu sein: Weil ich dort von politischen Einzelentscheidungen ausgeschlossen bin und sie meinen Repräsentanten überlassen muss, zu deren Wahl ich alle paar Jahre beitragen darf, muss ich mir eine politische Weltanschauung zulegen, die sich irgendwo auf einer ziemlich starren Bandbreite von ganz links bis ganz rechts ansiedelt. Dürfte ich hingegen politische Sachentscheidungen fällen, könnte mir die Selbstverortung irgendwo auf dieser starren Bandbreite herzlich egal sein“, schreibt Urs Sommer und stellt zusammenfassend fest:
„Direkte Partizipation unterbindet die Ideologisierung des Politischen.“
Der wohl größte Vorteil bei direkten Abstimmungen der Bürgerinnen und Bürger über Sachfragen ist, nicht alle paar Jahre bei der Wahl von Repräsentanten und Parteien alles auf eine Karte setzen zu müssen, sondern permanent in der Sache gefragt zu sein.
„Direkt-partizipative Demokratie dient dem Komplexitätsabbau, oder vielmehr dem Abbau geballter Komplexität. Denn jede Sachentscheidung muss für sich getroffen werden; ich muss nicht einmal für vier Jahre jemanden mandatieren, der für mich alles entscheidet. Gerade in einer komplexen Gesellschaft ist nicht der parlamentarische Repräsentatismus das Gebotene, sondern die direkt-partizipatorische Demokratie. Komplexität ist viel besser zu bewältigen, wenn wir alle möglichst alle Einzelentscheidungen zu treffen haben“,
so Urs Sommer. Hier gilt dann mit dem US-amerikanischen Managementberater und viel gelesenen Autor Ken Blanchard der Sinnspruch: „Keiner von uns ist so klug wie wir alle,“ womit dann auch gegen den immer wieder vorgetragenen Vorwurf, für „Sachentscheidungen sei das Volk zu dumm“ und würde nur „Demagogen begünstigen“, alles gesagt ist. Und wem das nicht genügt, dem empfehle ich zur Vertiefung das Buch „Demophobie. Muss man die direkte Demokratie fürchten?“ von Gertrude Lübbe-Wolff.
Alle in meinem Beitrag aufgeführten Punkte, die sicher nicht vollständig sind, sprechen im Befund eindeutig für partizipative Sachentscheidungen in einer direkten Demokratie. „Menschen sind teilhabenwollende Wesen“, so noch einmal Urs Sommer.
„Und das Politische – die gemeinsame Gestaltung der eigenen Lebensbedingungen – ist etwas, bei dem man das Teilhaben prinzipiell nicht an andere abgeben kann. Der mündige Mensch ist zur Teilhabe verurteilt. Und muss sich darin unentwegt einüben.“
Und Gertrude Lübbe-Wolf ergänzt:
„Wo die Bürger sich über Sachfragen informieren, weil sie dabei mitzuentscheiden haben, steigt nicht nur die Sachkunde bezogen auf einzelne zur Abstimmung stehende Gegenstände, sondern die staatsbürgerliche Kompetenz ganz allgemein, denn jeder ernsthafte Versuch, sich ein Urteil zu bilden, fördert tendenziell die Urteilskraft auch über den konkreten Fall hinaus und trägt insofern zu verbessertem Funktionieren der Demokratie auch in ihren repräsentativen Elementen bei.“
Es ist aber nicht nur die Politik zu demokratisieren, sondern auch die Wirtschaft. Wir brauchen eine Wirtschaftsdemokratie, was bis heute aber in der Schweiz auch noch nicht umgesetzt worden ist. Eine gesellschaftliche Dichotomie darf es zwischen Politik im staatlichen Überbau und der Wirtschaft im Unterbau nicht geben. Dazu schrieb schon 1972 der ehemalige 1. Vorsitzende der IG Metall, Otto Brenner:
„Wir wissen, dass die Freiheit des Menschen außerhalb seines Arbeitslebens nicht vollständig und gesichert ist, solange der Mensch in seinem Arbeitsleben der Herrschaft anderer unterworfen bleibt. Die Demokratisierung des öffentlichen Lebens, das freie Wahl-, Versammlungs-, Rede- und Presserecht bedarf der Ergänzung durch die Demokratisierung der Wirtschaft, durch Mitbestimmung der arbeitenden Menschen über die Verwendung ihrer Arbeitskraft und der von ihnen geschaffenen Werte.“
Einseitig haben aber in der Wirtschaft die Kapitaleigner das Sagen, weil sie über das „Investitionsmonopol“ (Erich Preiser) verfügen und die abhängig Beschäftigten ihre Arbeitskraft den Produktionsmitteleigentümern verkaufen müssen. Diese doppelte Abhängigkeit macht alle Beschäftigten quasi zu Untertanen des Kapitals. Um diesen unhaltbaren Zustand zu beseitigen, kann es jedoch nicht nur um Mitbestimmung gehen. Der nach dem Zweiten Weltkrieg herausragende Ökonom Preiser konstatierte hier schon 1965 in einem Vortrag an der Universität Bonn:
„Konsequent durchdacht, muss sich die Forderung mitzubestimmen in die Forderung verwandeln mitzubesitzen. Keine wirtschaftliche Tätigkeit ist denkbar ohne die Verfügung über Produktionsmittel. Ihr Eigentümer hat notwendigerweise ein Übergewicht über den, den er an diesen Produktionsmitteln beschäftigt. Das bloße Mitreden ist nur eine halbe Sache – erst die Teilnahme an den Produktionsmitteln schafft klare Verhältnisse.“
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