Ja, ich schäme mich.
Ich meine dieses Gutachtending. Menschen haben Fehler gemacht. Verhältnismäßig schwerwiegende Fehler.
Keine Fehler, die man Verschweigen und unter den Teppich kehren darf. Fehler, die so nicht wieder passieren dürfen.
Diese Fehler wurden von Menschen begangen, denen wir unser Vertrauen ausgesprochen haben. Menschen die wir beklatschst und bejubelt haben, weil sie freiwillig verantwortungsvolle und aufwendige Aufgaben übernommen haben.
Diese Menschen haben in den letzten Monaten daran gearbeitet, sich teil daran aufgerieben. Und während dieser Arbeit wurden Fehler gemacht.
Dieser Fehler wurde für viele von euch zum Ventil. Ventil um Frust abzulassen, über die Situation, über andere und zu guterletzt sich selbst.
Dieser Frust hat sich in Form von Stillstand, Resignation und gar Degeneration gefestigt. Seit Tagen schon und irgendwie scheint kein Ende in Sicht.
“Aber diese Menschen müssen zu den Fehlern stehen, die sie begangen haben und sich dafür entschuldigen!”, werdet ihr schreien.
Ja, das müssen sie. Aber ihr selbst habt es ihnen aberzogen. Ihr selbst seid schuld daran, dass in unserer Partei keine Fehlerkultur entstehen kann. Es gibt keinen offenen Umgang mit Fehlern. Jeder Fehler wird sofort mit Spott und Häme abgestraft. Immer. Zu jeder Tageszeit. Was folgt ist die Forderung nach Rechtfertigung, immer überall zu jeder Tageszeit, ohne Rücksicht.
Fast schon menschlich erscheint es, Fehler und potentielle Fehler unbewusst auszublenden um von der Rechtfertigungsmühle, den Spott, der Häme den Beleidigungen verschont zu bleiben. Für Menschen in Extremsituationen ist dies ein Teil der Selbsterhaltung. Es geschieht reflektorisch.
“Aber es ist ein Verrat an unseren Grundwerten!!”, werdet ihr schreien.
Die Entscheidung dieses Gutachten zurückzuhalten war ein Fehler, ein schlimmer Fehler. Aber dieses Gutachten wurde veröffentlicht. Und zwar nicht geleakt, von irgendwem, heimlich. Nein, dieses Gutachten wurde von den Verantwortlichen selbst veröffentlicht. Ja, zwar auf mehrmalige Nachfrage, aber es wurde veröffentlicht. Sogar mehr, samt den ganzen dazugehörigen Mailverkehr. Am selben Abend haben sich viele der Verantwortlichen in direkten Gesprächen den Fragen, den Vorwürfen und den Beleidigungen gestellt.
Dies zeigt mir, die Grundsätze der Transparenz zählen eben mehr. Unsere Partei funktioniert.
Doch es reicht euch nicht. Seit gefühlten Tagen wälzt ihr euch in den Fehler der anderen. Teils aufgesetzt hysterisch, teils schadensfroh, teils amüsiert tanzt ihr den Empörungslimbo.
Und während ihr so tanzt merkt ihr nicht, dass hinter eurem Rücken gesetzliche Grundlagen geschaffen werden, um an private Passwörter zu kommen, dass Ermittlungsbehörden und Geheimdienste an ihrer Technik feilen um immer mehr, immer besser die Kommunikation ihrer Bürge zu überwachen und in den USA das weltgrößte Überwachungszentrum der Welt gebaut wird. Das größenwahnsinnige Ziel, die gesamte Kommunikation der Welt abzugreifen und auszuwerten. Schon sitzen die ersten Abgeordneten der etablierten Parteien und diskutieren mit Vertretern der “Sicherheitsindustrie” über gesetzliche Regelungen der Nutzung von Verschlüsselung. Sprich, die Verschlüsselung der Kommunikation soll verboten und unter Strafe gestellt werden. Noch sind dies meist Partei-Hinterbänkler aus der letzten Reihe. Es ist aber nur eine Frage der Zeit, wann damit Wahlkampf gemacht wird. Und wenn wir nichts machen, dann wird das auch umgesetzt.
Ich schäme mich, wenn ich den Menschen in die Augen schauen muss, die uns vertraut haben. Menschen, die die Hoffnung hatten, wir können diese Entwicklung verlangsamen oder gar verhindern. Ich schäme mich für euch. Wacht auf!