Plenarrede: Paul zum Haushaltsplan 2013 der Landesregierung

Plenarsitzung 17, 12. Dezember 2012

Joachim Paul zu TOP 1:  Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplans des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2013 (Haushaltsgesetz 2013)

Gesetzentwurf der Landesregierung / Drucksache 16/1400


Mitschnitt der Rede von Joachim Paul

und

Finanzplanung 2012 bis 2016 mit Finanzbericht 2013 des Landes Nordrhein-Westfalen / Drucksache 16/1401

Redeprotokoll:

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürger auf der Tribüne und zu Hause! Meine Damen und Herren von der Landesregierung, sehr geehrter Herr Finanzminister, machen wir uns nichts vor: Die Regierungen sind zu Getriebenen der Finanzmärkte geworden. Das formulierte völlig unumwunden als Mahnung der ehemalige Präsident der Deutschen Bundesbank, Hans Tietmeyer, beim 3. Weltwirtschaftsforum im Februar 1996 in Davos an die versammelten Staatschefs der Erde Folgendermaßen – ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident –: „Von nun an stehen Sie unter der Kontrolle der Finanzmärkte.“

Die weltweite Krise der Finanzmärkte hat die Europäische Währungsunion an den Rand des Abgrunds geführt. Als Retter in der Not musste die Staatengemeinschaft milliardenschwere kreditfinanzierte Staatsausgaben tätigen und Bürgschaften für Banken übernehmen bzw. Rettungsschirme aufspannen, ja sogar Banken verstaatlichen.

Dass die Gesellschaft in der heutigen Zeit von ihren Märkten und deren immer schneller abgewickelten Börsengeschäften, Bonitätsrankings, Terminhandel etc. abhängig ist, registrieren noch viele Menschen. Das Verstehen dieser Abhängigkeiten aber fällt den meisten schwer. Das wiederum ist verständlich; denn die globalen und komplexen Zusammenhänge des Marktes sind für den einzelnen Menschen nicht greifbar. Die Zusammenhänge und die Auswirkungen auf das alltägliche Leben stellen sich wenig transparent und reichlich undurchsichtig dar.

Ich verrate sicher kein Geheimnis, wenn ich feststelle, dass Nordrhein-Westfalen und seine Bürgerinnen und Bürger unter den Auswirkungen der Finanzmarktkrise ganz bitter leiden müssen. Ich erspare Ihnen dazu nähere Ausführungen.

Herr Finanzminister, Sie sprechen sehr gern davon, dass die öffentlichen Haushalte nicht nur ein Ausgabenproblem, sondern auch ein Einnahmenproblem haben. Da sind wir als Piratenfraktion im Großen und Ganzen auf Ihrer Seite. Sie müssen aber dann auch einmal ein glaubwürdiges und realistisches Konzept auf den Tisch legen, wie Sie die notwendigen Investitionen in die Zukunft unserer Bürger, in die Zukunft unserer Kinder und in die Zukunft unserer Infrastruktur finanzieren wollen.

(Beifall von den PIRATEN)

„Es ist einfach, darüber zu reden, wie man eine bessere Welt schafft, aber es ist schwieriger, das umzusetzen.“ – Mit Verlaub, Herr Präsident, ein Zitat von Noam Chomsky.

Haushaltsberatungen sind für die Landesregierung eine zentrale Möglichkeit, sich mit eigenen Initiativen politisch zu präsentieren und zu profilieren. Bienenfleißig hat die Landesregierung ein umfangreiches Zahlenwerk vorgelegt. Das soll hier auch durchaus gewürdigt werden.

Herr Finanzminister, der vorgelegte Haushaltsplan 2013 ist zwar etwas mehr als eine schlichte saldenmechanische Anstrengung, aber leider auch weniger als ein gelungener finanzpolitischer Wurf. Sie können keine systematischen Lösungswege für die Bewältigung der enormen Probleme in unserem schönen Land aufzeigen.

Ohne politische Ambitionen verwaltet die Landesregierung den Status quo. Für echte Reformen und die gewaltigen politischen Herausforderungen sehen Sie auf Sicht offensichtlich keinen finanziellen Handlungsspielraum. Ratlosigkeit und Hilflosigkeit greifen angesichts der im Grunde nicht mehr vorhandenen politischen Handlungsmöglichkeiten auf Landesebene um sich.

Statt sich weiter zur Förderung von Sozialem und Kultur zu bekennen, kürzen Sie kleinmütig die Zuschüsse für die Wohlfahrtsverbände um 64 %. Mit solchen kurzsichtigen Kürzungsmaßnahmen erschüttern Sie das Vertrauen der Bürger und der Zuwendungsempfänger von Arbeiterwohlfahrt, Caritas und Diakonie, die, wie Sie alle wissen, eine hervorragende soziale Arbeit in unserem Lande leisten.

(Beifall von den PIRATEN)

Auch der ohnehin schon kleine Kulturhaushalt wird geschröpft.

Es bestehen umfangreiche und zum Teil über Jahre aufgelaufene Investitionsbedarfe im öffentlichen Personennahverkehr und im Bereich zahlreicher Verkehrsinfrastrukturen. Wirft man einen Blick in den Einzelplan 09 – Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr –, so besteht ein wesentlicher Teil des dortigen Haushalts aus der Durchleitung von Bundesmitteln.

Es besteht dringender Bedarf in der Innovations- und Qualifizierungsförderung der kleinen und mittleren Unternehmen in Nordrhein-Westfalen, zum Beispiel im Rahmen der durch den Europäischen Strukturfonds bereitgestellten EFRE-Mittel. Nordrhein-Westfalen ist das Land des Mittelstandes. Sie kürzen stattdessen die landesseitigen Fördermittel um 9,8 Millionen €. Vielleicht haben Sie gedacht, dieser Tatbestand würde uns im Gedränge nicht so auffallen.

Im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ stellen Sie gerade einmal 27 Millionen € an komplementären Landesmitteln bereit. Das ist angesichts der strukturpolitischen Herausforderungen in NRW geradezu die Verkündung der öffentlichen Armut.

(Beifall von den PIRATEN)

Wenn wir den Staat, die Landesregierung und das Parlament, als aktiv handelnden Teil im Gesamtgefüge einer Wirtschafts- und Finanzpolitik verstehen wollen, müssen wir auch die mittelfristigen und nachhaltigen Wirkungen nicht nur der Ausgabenseite, sondern der Einnahmenseite in den Fokus nehmen. Die Länder müssen zur Erfüllung ihrer Aufgaben mit ausreichender Finanzkraft ausgestattet werden.

Herr Finanzminister Walter-Borjans, Sie sagten in der 8. Sitzung des Haushalts- und Finanzausschusses – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –:

„Die öffentlichen Haushalte sind unterfinanziert angesichts dessen, was sie zu leisten haben, um Bildung und Wachstum, öffentliche Sicherheit, Nachhaltigkeit, Zusammenhalt und Chancenentfaltung für jede und jeden Einzelnen zu gewährleisten.“

Vollmundig haben Sie uns noch vor ein paar Wochen von den immensen Demografiegewinnen erzählt, die Sie zur Konsolidierung des Haushaltes einsetzen wollen. Mittlerweile haben Sie auf unseren Druck das Gutachten von PricewaterhouseCoopers veröffentlicht. Die utopische Zahl von 1,4 Milliarden € taucht in der Tat in diesem Dokument auf. In der Zusammenfassung am Ende heißt es aber – ich zitiere wieder mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident –:

„Insgesamt können hier Einsparpotentiale aufgrund der demografischen Entwicklung von 620 Millionen € ausgewiesen werden. Dem stehen jedoch 196 Millionen € Mehrausgaben im Bereich der Vormundschaften, Pflegschaften und Betreuungen gegenüber.“

Also sind es nur noch 424 Millionen €. Die Kosten für den U3-Ausbau sind noch gar nicht hineingerechnet. – Weiterhin kann man dort lesen:

„Es stellt sich jedoch die Frage, inwieweit die prognostizierten demografischen Konsolidierungspotentiale auch tatsächlich realisiert werden können und welche Konsequenzen dies für die Haushaltsplanung hätte.“

Der Deutsche Beamtenbund hält das in seiner Stellungnahme für nicht machbar. Stellenpläne über die Demografie zu steuern würde seiner Ansicht nach bedeuten, eine Personalpolitik fortzusetzen, die wie in der Vergangenheit bei pauschalen Stellenkürzungen das Gießkannenprinzip realisiert. Wie soll – laut Beamtenbund – zum Beispiel Personal aus demografischen Gründen abgebaut werden, das für den Straßenbau und die Pflege von Straßen zuständig ist, wenn gleichzeitig der Verkehr ständig zunimmt?

(Beifall von den PIRATEN)

Die Anzahl der Betriebe hat bisher von Jahr zu Jahr zugenommen. Das ist eine positive Entwicklung. Diese müssen jedoch steuerlich geprüft werden. Der Rückgang der Bevölkerung kann doch noch nicht zu einem Personalabbau in der Betriebsprüfung führen!

Gleiches gilt für den Bereich der Justiz. Die Anzahl der Verfahren steigt ständig. Beim Beratungsbedarf speziell älterer Mitbürger ist das ebenso der Fall. Hier sorgt die Demografie nicht für weniger Mittelbedarf, sondern für mehr Mittelbedarf im Personalhaushalt.

(Beifall von den PIRATEN)

Stattdessen bekräftigt der Deutsche Beamtenbund Nordrhein-Westfalen seine Forderung nach einer Politik der ehrlichen Aufgabenkritik. Das ist immer gut. Hierzu gehören bei jeder Gesetzesvorlage eindeutige Aussagen zur Arbeitsbelastung der betroffenen öffentlichen Dienste. Nur so kann der Landtag Personalentwicklung und -bedarfe – gleich welcher Richtung – präventiv erkennen.

Zur Umsetzung Ihrer Haushaltspolitik schweigt das Gutachten. Warum wohl? In diesem Zusammenhang muss ich an ein Zitat des US-amerikanischen Politikers Maurice Stans denken: „Das Aufstellen eines Budgets ist die Kunst, Enttäuschungen gleichmäßig zu verteilen.“ – Demnach können Sie mit diesem Haushalt noch nicht einmal richtig enttäuschen.

(Beifall von den PIRATEN)

Sie geben leider nicht an, welche Aufgaben Sie mit Ihren Kürzungen zurückführen wollen. Tatsächlich aber haben Sie die globale Minderausgabe weiter erhöht, und zwar auf über 789 Millionen €. So wird verhindert, dass das Parlament und die Öffentlichkeit genau feststellen können, an welchen Stellen Sie weiter kürzen wollen. Herr Finanzminister, mit der Ausbringung einer globalen Minderausgabe von einer dreiviertel Milliarde Euro beschreiten Sie erneut einen reichlich intransparenten Weg, um Einsparungen im Haushalt 2013 vorzunehmen. Bei allem Respekt, das können wir als Piratenfraktion nicht gutheißen. Das ist mit unseren Transparenzgrundsätzen nicht vereinbar.

(Beifall von den PIRATEN)

In diversen Anhörungen von Sachverständigen und in den Ausschusssitzungen sind die Haushaltsprobleme des Landes explizit benannt worden, so zum Beispiel

1.  die sich immer weiter erhöhenden Überstunden und der hohe Krankenstand bei Lehrkräften und Polizisten,

2.  der Sanierungsstau PCB-belasteter öffentlicher Gebäude,

3.  das strukturelle Defizit bei den Kommunen und

4.  die soziale Schieflage beim Wohnen.

Aus einer Antwort der Landesregierung geht hervor, dass allein in den vergangenen acht Jahren bei der Polizei Mehrarbeit im Umfang von mehr als 1,4 Millionen Stunden geleistet wurde, die weder in Freizeit ausgeglichen noch vergütet wurden.

Gleichzeitig liegt laut des Gutachtens von PwC, das die Landesregierung in Auftrag gegeben hat, die Aufklärungsquote von Gewalt- und Sexualverbrechen in Nordrhein-Westfalen um mehr als 10 % unter dem Durchschnitt der anderen Flächenländer Westdeutschlands.

Das zeigt, wie wichtig die Polizeiarbeit und wie hoch die Belastung der Polizei in unserem Land ist. Aufgrund der ständig hohen Belastungen können Überstunden nicht abgebaut werden. Immer mehr Polizeikräfte werden durch den Stress krank. Hier liegen Gefahren für diesen, vor allem aber auch für künftige Haushalte.

PCB ist ein schlimmes Thema in Deutschland und vor allem in Nordrhein-Westfalen. Trotz langer Bekanntheit des Problems liegen immer noch keine verlässlichen Zahlen und Fakten auf dem Tisch, wie viele von den infrage kommenden Gebäuden tatsächlich belastet sind. Egal ob Rot-Grün, Schwarz-Gelb, oder meinetwegen Lila-Blassblau, wie so oft fehlt einfach der Mut zum Handeln. Die Landesregierungen schieben das Thema vor sich her wie ein Schneemobil die Schneemassen bei plötzlichen Wintereinbrüchen. Nur leider werden die Schneemassen dadurch nicht kleiner, sondern der Berg wird immer größer, ebenso wie der Berg an Folgekosten, die auf das Gesundheitswesen zukommen.

(Beifall von den PIRATEN)

Die Beratung im Fachausschuss muss dazu erneut geführt werden. Wir haben die Initiative ergriffen und fordern eine flächendeckende Überprüfung und Feststellung von PCB-belasteten öffentlichen Gebäuden, insbesondere von Schulen und Kitagebäuden.

Ein weiteres Problem ist das strukturelle Defizit der Kommunen des Landes. Das Gutachten von Junkernheinrich und Lenk hat ergeben: Viele Kommunen in unserem Land leiden eben nicht nur an selbstverschuldeten Haushaltsproblemen. Vielmehr haben insbesondere Ruhrgebietsstädte strukturelle Haushaltsprobleme, die aus den schlechten Einkommensverhältnissen der Menschen in diesen Städten resultieren. Der Stärkungspakt bestraft nun die Menschen in diesen Kommunen zusätzlich. Die Kommunen müssen die Grundsteuer B erhöhen, die auf die Mieter umgelegt wird.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir stehen für eine Finanzierung der Kommunen, sodass nicht die Menschen in den reichen Kommunen geringe Steuern und die in den armen Kommunen hohe Steuern zahlen müssen. Regierungshandeln darf nicht zu solchen kommunalen Kollateralschäden führen.

(Beifall von den PIRATEN)

Da hilft es auch nicht, Herr Römer, dass Sie den Kommunen, denen Sie Geld aus dem Stärkungspakt versprochen haben, lediglich mehr Zeit geben wollen. Sie brauchen weiterhin stärkere finanzielle Unterstützung.

An dieser Stelle verweise ich auf unsere Forderung zum Haushalt 2012, die Verbundquote, also die Zuweisungen des Landes an die Kommunen, zu erhöhen. Sämtliche Medienberichte nach der Verabschiedung des GFG zeigen eindeutig, dass die Landesregierung jetzt handeln muss. Nachzulesen ist dies explizit auch in der Studie von Ernst & Young. Darin wird noch einmal darauf hingewiesen, dass die finanzielle Situation der NRW-Kommunen im bundesweiten Vergleich miserabel ist.

Die finanziellen Handlungsspielräume sind auch durch den hier im Land zu verantworteten Schuldenaufbau in den vergangenen Legislaturperioden enger geworden. Das Suchen nach den Schuldigen ist nicht so der Bringer. Aus Sicht der Piratenfraktion geht es schlicht darum, wie man es langfristig besser machen und wie man vor allem systematisch und nachhaltig die Zukunft für die Menschen in unserem Land verbessern kann.

(Beifall von den PIRATEN)

Warum liegt der Bund bei einer Gesamtverschuldungsquote von etwa 80 % im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt? Aus Verschwendungssucht? Wer hat diese Schulden verursacht? Ist deren Höhe im Verhältnis zur jährlichen Produktion von Gütern und Dienstleistungen volkswirtschaftlich und gesellschaftlich überhaupt vertretbar? Viele Politiker, die heute vehement und in der ersten Reihe den Abbau der Schulden fordern, haben in der Vergangenheit oft in Abstimmungen immer wieder für eine Kreditfinanzierung der Länder- und Bundeshaushalte gestimmt – auch hier in Nordrhein-Westfalen. Haben diese Politiker das leichtfertig und ohne triftigen Grund gemacht? Nein, sicher nicht. Aber gut gemeint ist nicht gut gemacht.

Bevor ich gleich zu den Schwerpunkten unserer Haushaltspolitik komme, möchte ich noch einige wichtige Aspekte unserer Politik insgesamt beleuchten:

Kreditklemme für kleine Unternehmen, Geldflut auf den Finanzmärkten, zweistellige Strafzinsen für Verbraucher bei Kontoüberziehung, astronomische Zinsen für Staatsanleihen, ständig neue Ratings für ganze Staaten – der normale Mensch und ebenso wir Politiker sind ohne Zweifel Getriebene der Märkte. Nie ist genug Zeit da, um zu verstehen und zu entscheiden. Nie ist genug Transparenz vorhanden, um Einblick zu bekommen. Verstehen benötigt nämlich Zeit, und das ist nicht gewollt. Die Finanzmärkte kennen keine Geduld; denn die kostet Geld. Es drohen Kursverluste. Intransparente Entscheidungszirkel und schnelles Handeln sichern Gewinn. Sogar jede Dopingkontrolle ist wirksamer als unsere Finanzregeln.

Wir als Piraten wollen die etablierten und in weiten Teilen gescheiterten Mechanismen der klassischen Entscheidungsträger im etablierten Wirtschaftssystem überwinden. Gerne greife ich auf die zentrale Kritik der sogenannten Freiburger Schule zurück, zu der ordoliberale Ökonomen wie Müller-Armack, Eucken, Rüstow, Miksch und Röpke gehörten. Sie alle warnten vor einer freien, unkontrollierten marktwirtschaftlichen Ordnung.

In einem von Eucken im Jahre 1946 verfassten Gutachten, dass erst 1999 veröffentlicht wurde, warnte er vor einer vermeintlich freien Marktwirtschaft. Ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident:

„Woran krankte die Freie Wirtschaft‘?

Die sogenannte Freie Wirtschaft war eine vermachtete Wirtschaft. … Die Bildung zahlreicher Monopole, Teilmonopole und Oligopole war die Folge der Freien Wirtschaft. …

Und als die Wirtschaft immer mehr von solchen Machtgebilden durchsetzt wurde, musste sie krisenanfällig und unstabil werden; Arbeitslosigkeit musste entstehen und soziale Kämpfe brachen aus.“

Auch Wilhelm Röpke schrieb 1958 im Hinblick auf eine freie marktwirtschaftliche Ordnung:

Die Gesellschaft als Ganzes kann nicht auf dem Gesetz von Angebot und Nachfrage aufgebaut werden. Mit anderen Worten, fuhr er fort: Die Marktwirtschaft ist nicht alles.

Ebenso stellte Alfred Müller-Armack, der geistige Vater der sozialen Marktwirtschaft, unmissverständlich klar:

„Das Zutrauen in die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft hat sich den Wirtschaftskrisen gegenüber nicht behaupten lassen. … Die Fehler und Unterlassungen der liberalen Marktwirtschaft liegen so letztlich in der Enge der ökonomischen Weltanschauung beschlossen, die der Liberalismus vertrat.“

Ganz schlicht zusammengefasst ist die ökonomische Botschaft dieser Aussagen: Marktwirtschaft braucht ein übergeordnetes Regulativ. Dies kann aber nur ein aktiver und vor allem ein präventiv handelnder Staat sein. Müller-Armack sah dabei die Rolle des Staates in einem Ausgleich zwischen ökonomischem Wettbewerb und sozialen Ansprüchen.

Die Piratenfraktion ist mit ihrer kritischen Haltung also in ziemlich guter Gesellschaft. Wir halten nichts von den marktwirtschaftlichen Glücksphilosophen nach dem Motto: Der Markt ist gut, und der Staat ist schlecht. – Das ist uns schlicht zu eindimensional. Die Moral und Ethik der Märkte beginnt bei uns selbst und in unserem sozialen Handeln. Das ist die Position der Piratenfraktion in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von den PIRATEN)

„I Have a Dream“, sagte einst Martin Luther King und führte dann aus, was er damit meinte: Hoffnung auf solidarischen Zusammenhalt der Gesellschaft ohne Diskriminierung nach Hautfarbe, Einkommen und Bildung – und natürlich religiöser Überzeugung.

Seit Wochen wird in der Presse der Umstand debattiert, dass das Wohnen in unseren Städten immer teurer und für einen wachsenden Teil der Bevölkerung zunehmend unbezahlbar ist. Der Deutsche Mieterbund geht davon aus, dass einkommensschwache Familien, von denen es immer mehr gibt, mehr als 45 % ihres Haushaltseinkommens für Wohnkosten aufbringen müssen.

Das überfordert nicht nur die finanzielle Leistungsfähigkeit dieser Menschen, sondern ist auch Gift für eine sozial nachhaltige Stadtentwicklung. Segregation ist die Folge. Denn hohe und steigende Mieten führen zu fortschreitender Ghettoisierung, zu einem Auseinanderfallen der Stadtgesellschaft. Gerade für das städtische Nordrhein-Westfalen ist das eine echte Bedrohung, eine Bedrohung für uns als Solidargemeinschaft insgesamt. Schon jetzt fehlen Hunderttausende Wohnungen bundesweit, Zehntausende in Nordrhein-Westfalen, und der Fehlbestand wird angesichts unzureichender Neubauaktivitäten weiter wachsen.

Daraus ergibt sich aufgrund der vom Angebot nicht bedienten Nachfrage die evidente Gefahr einer weiteren Preisspirale zulasten all derjenigen, die zur Miete wohnen.

Der Haushalt trägt diesem doppelten Problem, dass es nicht genügend viele und nicht genügend bezahlbare Wohnungen gibt, nur unzureichend Rechnung. Das Wohngeld für einkommensschwache Haushalte verharrt bei 330 Millionen €; die Hälfte davon kommt vom Bund. Gegenüber dem Haushaltsansatz 2010 bedeutet dies einen Rückgang um über 86 Millionen €, also um über 20 %. Vor dem Hintergrund der skizzierten dramatischen Situation ist das schlicht nicht nachvollziehbar.

Die Landesregierung ist über diese Entwicklung sehr gut informiert. Sie selbst erwartet in ihrem aktuellen Sozialbericht 2012 eine Verschlechterung der Chancen wohnberechtigter Haushalte auf eine Sozialmietwohnung. Angesichts des laufend zurückgehenden Bestands solcher Wohnungen und des faktisch nicht mehr stattfindenden Neubaus in diesem Bereich ist das keine besonders gewagte Aussage.

Doch was folgert man daraus? Außer frommen Aufrufen, die nichts kosten, und gegenseitigen Schuldzuweisungen nicht besonders viel. Seit 1990 ist dieser Bestand an Wohnraum mit Mietpreis- bzw. Belegungsbindung um über 50 % auf aktuell unter 600.000 Wohnungen zurückgegangen. Nur noch jede zwölfte Wohnung ist öffentlich gefördert.

Insgesamt werden so 800 Millionen € im Jahr 2013 für die Förderung des sozialen Wohnraums zur Verfügung gestellt, fürwahr eine gewaltige Summe. Allerdings sind es schon bei allgemeiner Betrachtung 50 Millionen weniger als im Haushaltsjahr 2012. Und immerhin 170 Millionen € sollen gar nicht für den Kernbereich der sozialen Wohnraumförderung ausgegeben werden, sondern für quartiersbezogene Maßnahmen und die Förderung studentischen Wohnraums. Das heißt, dass binnen Jahresfrist das Budget für die soziale Wohnraumförderung um 220 Millionen € gekürzt werden soll, also ein Minus von über einem Viertel.

Obwohl wir sehr wohl einsehen, dass studentisches Wohnen und stabile Quartiere unbedingt förderungswürdig sind und dafür auch Geld bereitzustellen ist, kann es doch nicht sein, dass dieses Geld gerade dort eingespart werden soll, wo es am dringlichsten gebraucht wird, nämlich bei der Förderung von Wohnraum für die Menschen, die sonst kaum eine Chance haben, sich am Markt adäquat mit Wohnraum zu versorgen.

(Beifall von den PIRATEN)

Natürlich wollen wir funktionierende Quartiere, natürlich wollen wir bezahlbaren studentischen Wohnraum. Beide Aspekte tragen zudem zur Stabilisierung städtischen Zusammenlebens bei, machen unsere Städte attraktiv. Aber wenn das Geld, das die Landesregierung dafür bereitstellt, bei denen weggenommen wird, die auf Unterstützung angewiesen sind, dann wird der Name „Soziale Wohnraumförderung“ geradezu auf den Kopf gestellt. Wohnen ist ein Grundrecht, keine Ware.

(Beifall von den PIRATEN)

Kommen wir nun in den Bereich der haushalterischen Teilchenphysik. Der Kulturetat ist das Elementarteilchen des Landeshaushalts. Dieses ist denkbar klein, gleichwohl hält es uns zusammen. Jedoch wollen einige dieses Bindeglied der Gesellschaft nur noch weiter schrumpfen, bis es so winzig ist, dass es selbst am CERN nicht mehr gefunden werden kann. Das ist jedenfalls unser Eindruck.

Lassen Sie bitte die Finger von der Kulturförderung!

(Zuruf von Martin Börschel [SPD])

Lassen Sie die Finger von den Musikschulen, den Künstlern, die sich für das Landesprogramm „Kultur und Schule“ zu oft zu erbärmlichen Löhnen mit Herzblut engagieren! Lassen Sie bitte die Finger von den Museen, Opern und Theatern, den Archiven und Bibliotheken! Und geben Sie den Bereichen, in denen Neues oder Andersartiges entsteht, entsprechend Raum zur Entwicklung!

(Zuruf von Martin Börschel [SPD])

– Nur so können wir, vielleicht auch rückblickend, feststellen, dass es uns gar nicht so schlecht geht, Herr Körfges.

(Heiterkeit von Hans-Willi Körfges [SPD] und Martin Börschel [SPD])

Ich appelliere an alle hier, dieses hohe Gut der Kultur in die Zukunft mitzunehmen. Wir brauchen sie jetzt und werden sie in Zukunft noch viel, viel nötiger haben.

(Beifall von den PIRATEN)

Leider ist Nordrhein-Westfalen, was nachhaltige Landwirtschaft betrifft, kein gutes Vorbild. Deutschlandweit belegen wir einen der hinteren Plätze in Sachen ökologische Landwirtschaft.

In unserem Bundesprogramm haben wir Piraten uns ganz deutlich zu einer nachhaltigen umwelt- und ressourcenschonenden Landwirtschaft bekannt. Die von uns geforderte Studie zum Medikamenteneinsatz in der industriellen Landwirtschaft ist daher nur als kleiner Anfang zu sehen. Da es in diesem Punkt offensichtlich Missverständnisse gab, sage ich es noch einmal ganz klar und deutlich: Antibiotika sind da bei Weitem nicht das einzige Problem.

Dass es zu der großen Palette weiterer Medikamente in der Tieraufzucht keine Daten gibt, ist für uns ein untragbarer Zustand. Hier ist es unvermeidlich, dass die Landesregierung zu ihrem Wort steht und die hundert versprochenen Stellen in der Umweltüberwachung auch wirklich schafft. Wir werden Sie da in den nächsten Jahren kritisch begleiten und auch immer wieder nachhaken. Nur wenn die diesbezüglichen schwarzen Schafe wirklich auffliegen, können sich die Bürger unseres Landes darauf verlassen, dass sie sichere und gesunde Lebensmittel bekommen.

Allerdings kann es bei der Umweltüberwachung allein nicht bleiben. Was ist mit der Hygiene- und Lebensmittelkontrolle? Die jüngsten Geschehnisse mit kontaminierten Früchten aus China zeigen, dass wir hier mit unseren Bemühungen nicht nachlassen dürfen. Das eigentliche Ziel aber muss es sein, in Nordrhein-Westfalen den Weg weg von der industriellen Intensivtierhaltung hin zu einer ökologischen und damit auch ethisch vertretbaren Landwirtschaft zu schaffen.

(Beifall von den PIRATEN)

Verbunden mit einer umfassenden Verbraucherbildung und mündigen informierten Bürgern kann der schwierige Weg zu gesunder und vernünftiger Ernährung gelingen. Davon sind wir fest überzeugt.

Wir selbst wollen für 2013 folgende Schwerpunkte setzen: Bus und Bahn/ÖPNV, Bildung, Hochschulpolitik und freier Zugang zu Wissen, Kommunen und Open Government. Das erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Schließlich muss der Haushaltsplan erst noch beraten werden.

Mobilität ist nicht nur teuer, sie wird immer noch teurer – für sich gesehen und im Vergleich zu den sonstigen Kosten des Lebens. Das heißt, dass die Gefahr besteht, dass ein zunehmender Teil der Menschen in unserem Land von der Mobilität ausgeschlossen wird, schlicht weil sie es sich nicht mehr leisten können. Aber Mobilität in einer modernen Gesellschaft muss ein Grundrecht sein. Nicht mobil zu sein, bedeutet, schnell von den gesellschaftlichen Aktivitäten ausgeschlossen zu sein.

Gesellschaftliche Aktivitäten sind mitnichten nur Freizeitunternehmungen. Ganz im Gegenteil sind Erwerbstätigkeit und Konsum zentral an Mobilität gebunden. Die Zahl der Pendler ist gerade im vernetzten Nordrhein-Westfalen besonders hoch. Es sieht auch nicht so aus, als ob sie absehbar sinken könnte. Das Gegenteil dürfte eher der Fall sein. Auch künftig ist ein großer und wachsender Teil der Menschen in diesem Land auf eine funktionierende Verkehrsinfrastruktur angewiesen.

Investitionen in diese Infrastruktur sind Investitionen auch in die wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Wer hier spart, spart falsch, weil er langfristig Kosten produziert, die mit Sicherheit weit höher liegen. Deshalb ist auch die Kürzung der Investitionsmittel im ÖPNV im novellierten ÖPNV-Gesetz von 150 Millionen auf 120 Millionen € falsch und kurzsichtig.

(Beifall von den PIRATEN)

Wenn aber CDU und FDP fordern, den Betrag bei 150 Millionen € zu belassen und dafür das Sozialticket, das genau mit dem Fehlbetrag im Haushalt steht, wieder abzuschaffen, dann ist das schlicht zynisch. Wir wollen beides: einen ticketlosen ÖPNV, der zudem zuverlässig und leistungsstark ist, wofür die bestandserhaltenden Investitionen eher noch erhöht werden müssten. Der ÖPNV muss das zentrale Rückgrat einer leistungsfähigen und zeitgemäßen Mobilität sein. Dafür ist Geld im Haushalt vorzusehen, auch wenn es schwerfällt, dieses Geld zu mobilisieren. Wir stehen zu der Aussage, dass ein zukunftsfähiges NRW ohne einen leistungsstarken ÖPNV nicht möglich ist.

Die Kosten des motorisierten Individualverkehrs hingegen werden nicht im Ansatz in den monetären Bilanzen abgebildet. Wenn Minister Groschek die Kosten eines ticketlosen ÖPNV mit 7,5 Milliarden € pro Jahr für die Bundesrepublik Deutschland annimmt und mit dieser überschlägigen Kalkulation ziemlich genau den Wert trifft, den wir selber kommunizieren, dann zeigt das, dass wir es zwar mit einem teuren, aber nicht unbezahlbaren Vorhaben zu tun haben.

Aber diese Zahl ist sowieso alt und muss dringend neu begründet werden. Daher haben wir schon im Haushalt 2012 einen Posten für die Beauftragung eines Gutachtens zur Finanzierung von Bussen und Bahnen in Nordrhein-Westfalen gefordert.

Zum Etat des Ministeriums für Schule und Weiterbildung! An dieser Stelle möchte ich – anders, als das sonst üblich ist – von der Opposition aus die Regierung einmal loben. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass die rot-grüne Koalition beabsichtigt, angesichts des doppelten Abiturjahrgangs die Ausgaben für die Hochschulen um 600 Millionen € gegenüber 2012 zu erhöhen. Natürlich darf aber nicht verschwiegen werden, dass dies zur Hälfte die Gelder für das Jahr 2014 sind. Verantwortungsvolle Politik sähe da auch ein wenig anders aus.

Der Etat des Ministeriums für Schule und Weiterbildung beträgt erstmals mehr als 15 Milliarden €, eine beeindruckende Summe. Das Schüler-Lehrer-Ver­hält­nis wird wieder etwas günstiger. Es liegt zurzeit bei etwa 15,53. Wir erkennen dies an als einen Schritt in die richtige Richtung. Ob hier noch mehr zu tun ist, muss geprüft werden.

Allerdings ist mitnichten alles rosig. Auch im Bildungsbereich gibt es unangenehme Wahrheiten, die gesagt werden müssen. Die Landesregierung verweist immer wieder auf sogenannte Demografiegewinne, also auf Minderkosten infolge der schrumpfenden Schülerschaft. Weniger Schüler brauchen weniger Lehrer. So weit, so gut.

Aber den Demografiegewinnen steht eine gewaltige demografische Hypothek entgegen. Die stärksten Jahrgänge in der Lehrerschaft erreichen das Pensionsalter. Schaut man sich die aktuelle Altersverteilung der Lehrkräfte an den verschiedenen Schulformen an, kann einem leicht schwindelig werden. In den nächsten fünf Jahren werden in manchen Schulformen mehr als 20 % der Lehrer in den wohlverdienten Ruhestand wechseln. Jetzt schon ist die Versorgung der Lehrer der öffentlichen Schulen sowie ihrer Hinterbliebenen mit über 4 Milliarden € das Kapitel im Haushalt mit den höchsten Ausgaben. Gegenüber dem Vorjahr wird hier ein Plus von über 200 Millionen € veranschlagt. Während die Gesamtsumme für den Einzelplan um gerade einmal um 1,3 % steigt, werden bei den Versorgungsleistungen rund 5 % mehr eingeplant.

Wie will die Landesregierung mit dieser Demografiehypothek umgehen? Wie will sie dabei Gestaltungsspielräume für qualitative Verbesserungen in der Bildung erhalten? Wir meinen, in dieser Situation muss als Erstes das unselige Kooperationsverbot abgeschafft werden. Wir werden uns ja noch darüber unterhalten.

Im Haushaltsplan des Ministeriums für Schule und Weiterbildung sehen wir aber auch Posten, bei denen mit zeitgemäßen Lösungen viel Geld gespart werden kann. Für Schulbücher wird pro Schüler mit 36 bis 78 € pro Schuljahr geplant. Bei rund 2,7 Millionen Schülern kommt da einiges zusammen. Die öffentliche Hand übernimmt zwei Drittel der Kosten. Mit Lernmitteln unter freien Lizenzen könnte man ein Gutteil dieser Ausgaben vermeiden. In anderen Ländern wie Polen und Kalifornien gibt es dazu bereits erfolgreich umgesetzte Projekte.

Auf unseren Antrag hin beschäftigt sich jetzt auch unser Landtag mit diesem zukunftsweisenden Thema. Wir wollen, dass Nordrhein-Westfalen beim Einsatz freier Lernmaterialien eine Vorreiterrolle in Deutschland übernimmt.

(Beifall von den PIRATEN)

In anderen Bereichen sehen wir Einsparungen, die wir weder gutheißen noch nachvollziehen können. Im Bereich der Schulentwicklungsprojekte etwa und der Medienberatung wird der Rotstift angesetzt. Es geht dabei um nicht einmal ein Promille des Landesetats. Doch gerade in diesem Bereich wäre das Geld sehr, sehr gut angelegt.

Hier kann mit vergleichsweise wenig monetärem Einsatz sehr viel erreicht werden. Denn die Kommunen allein werden nicht in der Lage sein, mehr Mittel dafür aufzubringen. So nähern wir uns der paradoxen Situation, dass zum Beispiel mit den Medienportalen learn:line und Edmond NRW eine vorbildliche und kosteneffiziente Infrastruktur für die Nutzung und Verbreitung didaktischer Medien aufgebaut wurde. Den Content allerdings gilt es auszubauen. Dabei dürfen wir die Kommunen nicht allein lassen.

Zusammenfassend ist festzuhalten: Aus Demografiegewinnen alleine werden die Herausforderungen im Bildungsbereich nicht bewältigt werden können. Die Landesregierung muss hier Antworten finden, wie mit der Demografiehypothek umgegangen werden kann. Das werden wir einfordern und sie gegebenenfalls dabei unterstützen.

Zeitgemäße Lösungen bergen auch Einsparpotenziale. Diese werden wir aufzeigen.

Schaut man sich die Finanzierung der nordrhein-westfälischen Hochschulen an, so ist es erfreulich, dass erneut ein Rekordeinzelplan vorgelegt wird. Dass die Mittel aus dem Hochschulpakt II, die vorgezogen wurden, uns in den nächsten Jahren eventuell auf die Füße fallen werden, müssen wir in den Haushaltsberatungen sicherlich prüfen. Hier muss die Landesregierung auch berechtigte Kritik ertragen.

Dass allerdings der Bund in der Bildungsfinanzierung wieder ins sprichwörtliche Boot genommen werden muss, steht für uns fest. Sie haben ja auch morgen die Gelegenheit, die Forderung nach Aufhebung des Kooperationsverbots zwischen Bund und Ländern zu bekräftigen. Wir finden, das sollte im Interesse aller Fraktionen sein.

Wer staatliche Bildungsangebote nicht gebührenfrei anbietet und Zugang zu Bildung immer noch vom sozialen Status abhängig sein lässt, der versündigt sich an ganzen Generationen.

(Beifall von den PIRATEN)

Bei aller Freude über die vielen Mittel, die an die hiesigen Hochschulen fließen: Wie die Mittel verausgabt werden, ist in großem Umfang unbekannt. Die Hochschulen haben auch gemäß aktueller Gesetzgebung keine Auskunftspflicht dem größten Finanzier gegenüber. Bei der Vorstellung der Eckpunkte zum neuen Hochschulgesetz hat sich Frau Wissenschaftsministerin Schulze für mehr Transparenz ausgesprochen. Das ist löblich, aber wir sind gespannt.

Was allerdings zu einer großen Intransparenz führt, sind die Globalhaushalte der Universitäten. Da wird ein Sack Geld an die Hochschule gebracht, und ab dann verliert sich die Spur hinter den Mauern derselben. – Das kann und darf nicht sein. Das hat nichts mehr mit modernem Management und verantwortlichem Regieren zu tun.

(Beifall von den PIRATEN)

Das Land trägt die Verantwortung für die Hochschulen und muss zumindest verlässliche Rahmen für sie setzen. Es fehlt gänzlich die Infragestellung der sogenannten leistungsorientierten Mittelvergabe aus der Grundfinanzierung heraus. Würden die Mittel on top zu 100 % Grundfinanzierung bereitgestellt, wäre der Wettbewerbslogik unter den Hochschulen immer noch Rechnung getragen.

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Die allgemeine Daseinsvorsorge ist eine zentrale Stelle der Haushaltspolitik des Landes, aber vor allem der Kommunen. Die Bürger leiden unter dem Sparzwang jener Kommunen, die nun am Stärkungspakt teilnehmen, um ihre Haushalte zu konsolidieren.

Aber was heißt „konsolidieren“? – Investitionen in die Zukunft abbauen? Grundsteuer B erhöhen und das Wohnen so teuer wie nie zuvor machen? Unsere Sicht der Probleme beim Wohnraum wurde bereits differenziert ausgeführt.

Das Entgegenkommen von Minister Jäger in Bezug auf die Veröffentlichung von Bilanzdaten der Kommunen kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Bürger momentan keinen Überblick über die wirkliche finanzielle Lage der Kommunen erhalten geschweige denn durch Vergleiche feststellen kann, ob in der eigenen Kommune Geld verschwendet wird.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir Piraten wollen eine Lösung für die Kommunen, die wieder Handlungsspielraum zur Ausgestaltung der kommunalen Selbstverwaltung schafft. Alle Stellungnahmen der kommunalen Spitzenverbände sprechen eine deutliche Sprache, aber noch viel einhelliger geht die Begründung der Forderung aus einem Gutachten hervor, das die Landesregierung selbst in Auftrag gegeben hat. Die Professoren Junkernheinrich und Lenk haben das sehr eindrucksvoll zu Papier gebracht. Da spielt es auch keine Rolle, wer welche Daten falsch geliefert oder eventuell falsch berechnet hat.

Die Verteilungskämpfe zwischen den Kommunen nähmen zudem ab. Damit würden wir dem im Ländervergleich höchsten Grad der Kommunalisierung Rechnung tragen und eine Konnexität gewährleisten, die es unseren Kommunen endlich wieder ermöglicht, ihr verfassungsmäßiges Recht auf kommunale Selbstverwaltung frei auszugestalten.

(Beifall von den PIRATEN)

Eine höhere Besteuerung derjenigen, die sich finanziell keine großen Sorgen machen müssen, ist nicht nur vertretbar, sondern auch aus Gerechtigkeitsgründen geboten. Für uns als Piratenfraktion geht es deshalb auch darum, die Ungleichheit in unserem Land aktiv zu bekämpfen. Das hätte vor allem steuerrechtliche Konsequenzen, denn über das Steuersystem wurde die Ungleichheit am gröbsten verschärft.

Veränderungen müssen bei der Wiedereinführung der Vermögensteuer ansetzen, einer deutlich höheren Erbschaftsteuer, und natürlich muss endlich eine Finanztransaktionssteuer eingeführt werden. Konjunkturell wären diese Veränderungen bei der Besteuerung in keinem Fall schädlich. Auch der Spitzensteuersatz sollte wieder etwas angehoben werden.

Die Finanz‑ und Wirtschaftspolitik in Deutschland ist, ganz generell gesprochen, nicht auf der Höhe der Zeit. Sie läuft den Krisenentwicklungen hoffnungslos hinterher. Die ethische Grundposition der deutschen Wirtschaftspolitik ist: Man muss hart zu den Menschen sein. Wirtschaftlich vernünftig ist, wer hart zu den Leuten ist.

Das ist eine Herangehensweise, die unserem, dem Piraten-Verständnis von Politik völlig zuwiderläuft. Wir sind ganz ausdrücklich dafür, dass man finanzpolitisch vernünftig agiert. Es geht nicht darum, dass der Staat möglichst viel Geld aus dem Fenster wirft. Wir wären im Gegenteil wesentlich härter, was Steuersenkungen anbelangt, als es die Wirtschaftspolitik der letzten zehn, 15 Jahre war. Wir sind auch gegen unspezifische Ausgabenprogramme.

Die Piratenfraktion ist vor allem dafür, dass die Wirtschaftspolitik endlich eines erkennt: Das Wirtschaftssystem ist aus sich heraus instabil. Es bedarf eines gemeinwohlorientierten politischen Gegenparts, um das System insgesamt stabil halten zu können. Wenn dieser Gegenpart nicht in hinreichender Stärke da ist, dann bleibt es bei den krisenhaften Entwicklungen, wie wir sie heute in Europa und in Nordrhein-Westfalen vorfinden.

Zur Vermögensteuer gab es letzte Woche eine Anhörung von Sachverständigen im Haushalts‑ und Finanzausschuss. Sie hat uns gezeigt, dass es entgegen der vorgefertigten Meinung mancher hier im Parlament vertretenen Parteien mit relativ geringem Aufwand möglich ist, sie zu erheben.

Herr Lehmann, Vorsitzender der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, sagte: In Nordrhein-Westfalen wären zur Erhebung der Vermögensteuer 600 neue Finanzbeamte notwendig. – Das entspricht Ausgaben von weniger als 30 Millionen €. Dem stehen Einnahmen für Nordrhein-Westfalen in Höhe von 3 bis 4 Milliarden € gegenüber, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung Berlin errechnet hat. Damit betragen die Verwaltungskosten etwa 1 % des Steueraufkommens. Auch das DIW bestätigt diese Zahlen. Sie sind damit um Größenordnungen kleiner, als von der Industrie‑ und Handelskammer behauptet, die ohne Beleg von 40 % Verwaltungskosten ausgeht.

Nach Auskunft der Deutschen Steuer-Gewerkschaft in NRW können Mehreinnahmen für Stadt, Land und Bund in Milliardenhöhe erzielt werden, wenn entsprechende Stellen bei den Finanzämtern, insbesondere zu Betriebsprüfungen, geschaffen würden. Leider ist es kurzfristig nicht möglich, entsprechende Experten einzustellen; sie müssen ja erst ausgebildet werden. Die Ausbildung dauert normalerweise Jahre.

Daher fordern wir, dass nicht zulasten der Zukunft an der Ausbildung neuer Finanzbeamter gespart wird, sondern sie im Gegenteil zur Sicherung der finanziellen Basis des Staates ausgebaut wird. Wir als Piraten stehen für den Rechtsstaat. Das bedeutet auch, dass Steuergesetze durchgesetzt werden.

Das durch die Piratenfraktion in Nordrhein-Westfalen geforderte Transparenzgesetz leistet einen entscheidenden Beitrag zur Bereitstellung und Nutzung von Informationen für alle Bürgerinnen und Bürger des Landes. Unsere beiden Anträge „NRW braucht ein Transparenzgesetz!“ und „Gelebtes Open Government: Öffentliche Debatte zum Landeshaushalt!“ sind ein erster Schritt in Richtung einer umfassenden Strategie des Open Governments.

Die Piratenfraktion beabsichtigt, weitere Initiativen auf den Weg zu bringen, die zu einer Erneuerung der demokratischen Willensbildungs‑ und Entscheidungsprozesse führen sollen. Auf diesem Weg soll die repräsentative Demokratie durch systematische Verfahren der direkten Demokratie ergänzt werden. Dabei ist es unser Ziel, die Anwendung basisdemokratischer Prinzipien bei allen Beteiligungs‑ und Entscheidungsprozessen auf der lokalen und regionalen bzw. Landesebene in überschaubarer Form sicherzustellen.

Wenn Partizipation eine gesellschaftliche Wirkung entfalten soll, sind qualifiziertes Personal, Sachmittel und Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Die Umsetzung solch komplexer Verfahren und die Mobilisierung der Bürgerinnen und Bürger macht nur Sinn, wenn eine wirkungsvolle Beteiligung prozessrelevant ist und an den zentralen Fragen der Haushaltspolitik ansetzt. Die Haushalte auf Bundes‑, Landes‑ und Kommunalebene sind die wichtigsten Instrumente für die politischen Richtungsentscheidungen.

(Beifall von den PIRATEN)

Die Open-Government-Strategie führt zu einer Stärkung der Zivilgesellschaft und erstreckt sich in ihren Beteiligungs‑ und Kommunikationsstrukturen auf alle Politikfelder, um auf diese Weise eine Verbesserung der öffentlichen Leistungen und der Lebensqualität zu erreichen. Gleichzeitig werden Lobbyismus und Korruption zurückgedrängt.

Es geht hier keineswegs nur um Informationsveranstaltungen oder konsultative Maßnahmen. Wir als Piratenfraktion stehen für mitbestimmende und eigenständige Bürgerbeteiligung. Die öffentlichen Finanzressourcen als zentraler Gestaltungsansatz stehen dabei im Mittelpunkt der Betrachtungen. Der Open-Government-Anspruch ist nur einlösbar durch eine ganzheitliche Beteiligung an allen Entscheidungsprozessen, die die Verteilung, Aufbringung und Verwendung der finanziellen Ressourcen betreffen.

(Beifall von den PIRATEN)

Gegenstand der Beteiligung sind zum Beispiel die Investitionspolitik, der öffentliche Nahverkehr, infrastrukturelle Maßnahmen sowie die inhaltliche Ausrichtung der Wohn‑, Bildungs- und Umweltpolitik. Die Bürgerinnen und Bürger sollen deshalb an der Erarbeitung, Entscheidung und Kontrolle der Haushalte in den Gemeinden, Städten und Landkreisen sowie auf Landesebene beteiligt werden.

Es soll schrittweise eine demokratische Einflussnahme ermöglicht werden, die sowohl die Ausgaben- als auch die Einnahmeseite der Haushaltspolitik einschließt. Das geht nicht von heute auf morgen; das ist uns klar.

(Beifall von den PIRATEN)

Auf unserer Homepage www.piratenfraktion-nrw.de kann ab sofort jeder Bürger direkt seine Fragen zu einzelnen Haushaltsposten stellen.

(Marc Herter [SPD]: Werden die auch beantwortet? – Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])

– Abwarten! Ich bin noch nicht fertig, Herr Körfges. – Wir werden diese Fragen sammeln und an die Landesregierung weitergeben.

(Beifall von den PIRATEN – Zurufe von der SPD)

Ein ähnliches Angebot hat übrigens in Schleswig-Holstein dazu geführt, dass sich innerhalb von zwei Wochen mehrere Hundert Bürger bei den Piraten gemeldet haben. Das ist ein Anfang; aber immerhin! Das Interesse in der Bevölkerung scheint also da zu sein. Wir wollen hier wirklich Zeichen setzen und Bürgernähe nicht nur als Phrase in unsere Reden einbauen, sondern aktiv auf die Bevölkerung des Landes zugehen und sie anregen, sich am politischen Prozess aktiv zu beteiligen. – Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall von den PIRATEN)


 

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