Analyse der aktuellen Lage der Flüchtlingsaufnahme in NRW vor dem zweiten Flüchtlingsgipfel: Der angekündigten Paradigmenwechsel muss jetzt endlich umgesetzt werden

PegidaAm Mittwoch findet der zweite Flüchtlingsgipfel in NRW statt. Verschiedene Initiativen, die kommunalen Spitzenverbände, alle Fraktionen des Landtags und die Landesregierung setzen sich zusammen, um die verheerende Situation der Landesaufnahmen von Ende September 2014 weiter aufzuarbeiten und für Verbesserungen der nordrhein-westfälischen Flüchtlingsaufnahme zu sorgen. Der erste Gipfel war notwendig, um die lange Zeit vernachlässigte Flüchtlingsaufnahme in den Fokus der Arbeit der Landesregierung zu rücken, damit diese ihre Verantwortung wieder wahrnimmt. Der entstandene Schaden lässt sich aber nicht innerhalb von ein paar Monaten und mit einem Gespräch beheben. Daher ist jetzt der richtige Zeipunkt für einen weiteren Gipfel.

Wir Piraten erwarten am Mittwoch eine ehrliche Analyse der Landesregierung zum Zustand der Flüchtlingsaufnahme in ganz NRW. Hierbei dürfen die kommunalen Einrichtungen nicht außer Acht gelassen werden.
Nach Burbach, Essen, Bad Berleburg usw. hatte die Landesregierung versprochen, die Flüchtlingsaufnahme zur Chefsache zu machen. Beim zweiten Gipfel muss daher genau geschaut werden, wie weit die Landesregierung mit ihrem Paradigmenwechsel fortgeschritten ist. Frau Kraft hatte versprochen, dass die Flüchtlingsaufnahme in NRW zukünftig die Sicht der Flüchtlinge einnehmen würde. Aber es gab auch nach Burbach weitere Krisen, z.B. durch die immer wieder überfüllten Erstaufnahmen und massive Hygieneprobleme, z. B. in Kerken-Stenden.

Es muss jetzt überall Schluss sein mit maroden, schimmeligen und menschenunwürdigen Gemeinschaftsunterkünften – sei es in Kommunen wie z. B. in Marl oder in den Landesaufnahmen. Die Landesregierung hat sehr lange ihre Probleme mit der Landesaufnahme auf dem Rücken der Flüchtlinge und der Kommunen ausgetragen. Die Verweildauer in den Landesaufnahmen beträgt auch heute nicht einmal 14 Tage. Erst durch eine Erhöhung der Verweildauer in den Erstaufnahmen können die Kommunen entlastet und die Flüchtlinge adäquat beraten werden.

Wir Piraten erwarten von der Landesregierung, dass sie nicht nur kurzfristig denkt, sondern nun endlich für eine nachhaltige und humane Aufnahme sorgt. Die Umsetzung und Verantwortung liegt in ihrer Hand und darf nicht an Ehrenamtlichen und NGOs hängen bleiben. Auch in Zukunft werden wir mehr hilfesuchende Menschen unterbringen und versorgen müssen.

Die rot-grüne Landesregierung musste letztes Jahr bitter lernen, dass man Flüchtlinge nicht Menschen ohne Sicherheitsüberprüfungen überlassen darf. Deshalb sind dieser zweite Gipfel und eine ehrliche Analyse und Bestandsaufnahme eine Art Feuerprobe des Innenministeriums. Wir Piraten halten das MIK insgesamt für ungeeignet, eine humane Flüchtlingspolitk zu gestalten. Wir müssen weg vom System der Abschreckung, und das kann ein Ministerium, das auf der einen Seite nur an Sicherheit und Überwachung denkt und auf der anderen Seite den Kommunen keine Vorgaben machen will, nicht leisten. Hier fehlt die menschliche und soziale Sicht auf die Dinge. Das sehen wir auch bei der Diskussion um die Abschiebehaft. Der gesamte Flüchtlingsbereich muss aus dem Innenministerium raus. In dieser angespannten Lage sollte Frau Kraft wie angekündigt die Flüchtlingsaufnahme zur Chefsache machen. Das werden wir auf dem Gipfel einfordern. Perspektivisch sollte Flüchtlingspolitik Sache des Integrationsministeriums werden.

Wir werden vier weitere Kernforderungen in die Diskussion einbringen. Wir wollen, dass die dezentrale Unterbringung in Wohnungen in allen 396 Kommunen umgesetzt wird und für die wenigen restlichen Gemeinschaftsunterkünfte verbindliche Standards eingeführt werden. Standards in der Landesaufnahme sind wichtig. Standards in den Kommunen aber noch wichtiger, denn hier leben die Menschen im Schnitt bis zu vier Jahre in Gemeinschaftsunterkünften. Es ist bewiesen, dass Sammelunterkünfte teurer im Unterhalt sind. Außerdem werden Menschen und vor allem Kinder durch dauerhaftes Wohnen in Gemeinschaftsräumen krank. Sammelunterkünfte locken zudem Rechte an und verhindern Integration. Die gesellschaftlichen Folgekosten sind immens und vor allem unnötig.

Weiterhin wollen wir, dass die Landesregierung sich nicht mehr hinter schön klingenden Begriffen versteckt, sondern transparente und ordentliche Verfahren zur Überprüfung ihrer Fortschritte einführt. Zurzeit arbeit das Innenministerium mit einer Checkliste, die sehr ungenau, schematisch und undifferenziert ist sowie soziale Qualitätsmerkmale und Hygienestandards außer Acht lässt. Weiterhin ist uns wichtig, dass die Vorschläge der Flüchtlingsinitiativen umgesetzt werden, denn nur das garantiert, dass die Perspektive der Flüchtlinge Berücksichtigung in der Neukonzeption finden. Aber auch die Nöte der Kommunen müssen ernstgenommen werden. Beides kann nur eine unabhängige Instanz, z. B. ein Flüchtlingsbeauftrager, garantieren. Und last but not least muss die Landesregierung eine öffentliche Kampagne zur Sensibilisierung der Bevölkerung für die Lebenssituation von Flüchtlingen initiieren, denn dass Tröglitz kein Einzelfall ist, wissen wir in NRW leider schon länger. Diese Form von Rassismus nimmt im erschreckenden Maße zu.
https://fraktion2012.piratenpartei-nrw.de/2015/02/fluechtlingsfeindliche-aktionen-erfordern-neue-konzepte-der-landesregierung/
Leider gibt es bundesweit Probleme, daher muss endlich über Verantwortung geredet werden. Das heißt, auch die Bürgerinnen und Bürger müssen über ihre Verantwortung aufgeklärt werden. Um uns herum herrschen Kriege, und da dürfen wir nicht wegsehen.

Apropos Verantwortung und Kosten: “Der Bund solle mehr Geld an Länder und Kommunen für die Versorgung von Flüchtlingen vergeben”, wird in der aktuellen Debatte oft gefordert. Ja, das ist grundsätzlich richtig, denn viele Gesetze und Verfahren, die die Versorgung von Flüchtlingen langwierig und teuer machen, sind Bundesgesetze: das AsylBLG, die fehlenden Arbeitserlaubnisse, die langen Verfahrensdauern (um nur einige zu nennen). Wenn jedoch die Forderung nach Geld aus anderen Taschen nicht erfolgreich ist, darf das nicht dazu führen, dass hier in Nordrhein-Westfalen Flüchtlinge nicht menschenwürdig behandelt werden. Und auch wenn einige Kommunen eine gute Versorgung gewährleisten, muss das Land endlich Regeln und Vorgaben für die Versorgung und Unterbringung von Flüchtlingen definieren. Weitere Gelder an die Kommunen sollen daher zweckgebunden werden, damit die Mittel auch bei denen ankommt, für die sie gedacht sind.

Seit mehr als zwei Jahren unterbreiten wir konkrete Vorschläge für eine Neukonzeption der Flüchtlingsaufnahme in NRW und bieten auch weiterhin unsere Mitarbeit an. Am kommenden Mittwoch wird daher zusätzlich zum zweiten Flüchtlingsgipfel in einem Sachverständigengespräch im Landtag über unsere Vorschläge für eine überregionale Ombudsstelle – einen Flüchtlingsbeauftragten -, einen Heim-TÜV und Standards für die Flüchtlingsaufnahme beraten.

Terminhinweis zum Sachverständigengespräch:
http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/GB_I/I.1/Tagesordnungen/WP16/1100/E16-1168.jsp

Stellungnahme des Beauftragten für Flüchtlings-, Asyl- und Zuwanderungsfragen des Landes Schleswig-Holstein bei dem Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Landtages.
http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMST16-2687.pdf?von=1&bis=0

Stellungnahme von Martin Gillo, ehemaliger Ausländerbeauftragter in Sachsen: Der Sächsische „Heim-TÜV“ zur menschenwürdigen Unterbringung von Flüchtlingen in Gemeinschaftsunterkünften
http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMST16-2667.pdf?von=1&bis=0

Stellungnahme des Flüchtlingsrates NRW: http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMST16-2346.pdf?von=1&bis=0

Stellungnahme der Diakonie Rheinland-Westfalen Lippe: http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMST16-2707.pdf + http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMST16-2343.pdf?von=1&bis=0

Antrag “Flüchtlinge in NRW brauchen einen Flüchtlingsbeauftragten und verbindliche Standards”:
http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD16-7152.pdf?von=1&bis=0

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