Plenarrede: Joachim Paul zu Haushaltsgesetz 2013

Mittwoch, 20. März 2013

 

TOP 1. Haushaltsgesetz 2013, 3. Lesung

Drucksache 16/1400

Bericht und Empfehlung, A07
Beschlußempfehlung, Haushalts- und Finanzausschuss
Drucksache 16/2300 

In Verbindung mit

Finanzplanung 2012 – 2016 mit Finanzbericht 2013 des Landes Nordrhein-Westfalen

Bericht und Empfehlung, A07
Drucksache 16/2121 

Unsere Abstimmungsempfehlung: Ablehnung

Entschließungsantrag der Fraktion der CDU

Drucksache 16/2348

Unsere Abstimmungsempfehlung: Ablehnung

Entschließungsantrag der Fraktion der Fraktion der FDP

Drucksache 16/2347

Unsere Abstimmungsempfehlung: Ablehnung

 

In Verbindung mit

Gemeindefinanzierungsgesetz 2013, 3. Lesung

Drucksache 16/1402 
Bericht und Empfehlung, A07
Drucksache 16/2301 

Unsere Abstimmungsempfehlung: Enthaltung

Änderungsantrag der Fraktion der CDU

Drucksache 16/2349

Unsere Abstimmungsempfehlung: Ablehnung

 

In Verbindung mit

Gesetz zur Änderung des Wasserentnahmeentgeltgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen, 2. Lesung

Drucksache 16/1286

Beschlußempfehlung, A07
Drucksache 16/2294 

Unsere Abstimmungsempfehlung: Zustimmung

Belastungen für Verbraucher und Wirtschaft durch Wasserentnahmeentgeltgesetz reduzieren: Landesregierung muss Forderungen von Naturschutzverbänden, Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden umsetzen!
Antrag der Fraktion der CDU
direkte Abstimmung
Unsere Abstimmungsempfehlung: Ablehnung
Falsche Berechnung des Flächenansatzes im GFG – Die Landesregierung muss das GFG gesetzeskonform umsetzen
Antrag der Fraktion der CDU
direkte Abstimmung
Unsere Abstimmungsempfehlung: Enthaltung

Unser 1. Redner:  Joachim Paul

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf der Tribüne und daheim!
(Christian Lindner [FDP]: Im Stream!)

Wir alle wissen: Die konkreten Investitionen von heute sind im Ergebnis der gesellschaftli-che Reichtum von morgen. Hier sprechen wir insbesondere von notwendigen Ausgaben für die Zukunftsvorsorge, die sich mittelfristig selbst finanzieren, und hier würde es sicherlich auch Gemeinsamkeiten mit den beiden die Landesregierung tragenden Fraktionen geben.

Es ist klar, dass unsere Vorstellungen, auf die ich gleich noch näher eingehen werde, nicht kurzfristig in einem einzigen Haushaltsjahr zu verwirklichen sind. Aber Politik muss den An-spruch haben, in einer Legislaturperiode zu verändern und zu gestalten. Für diesen Ansatz müssen Schritt für Schritt Finanzierungswege erschlossen werden. Sonst kann Politik ihren Gestaltungsanspruch gleich aufgeben.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir halten auch nichts von den marktwirtschaftlichen Glücksphilosophen nach dem Motto: Der Markt ist gut, und der Staat ist schlecht. – Es ist ja klar, wie dort argumentiert wird. Man macht ein bisschen rhetorischen Oregano darüber und hofft dann, dass der Kuhfladen als Pizza durchgeht.

(Beifall von den PIRATEN)

Das stinkt und ist uns zu eindimensional.

Ich hatte es schon einmal gesagt. Die Moral und Ethik der Märkte beginnt bei uns selbst und in unserem sozialen Handeln. Die Länder müssen deshalb zur Erfüllung ihrer Aufgaben selbstverständlich mit ausreichender Finanzkraft ausgestattet werden.

Im Grunde haben die Bundesländer keine nennenswerte Finanzautonomie, und sie sind auf den gemeinsamen Steuerverbund mit dem Bund angewiesen. Für durchgreifende Verbes-serungen auf der Einnahmeseite liegen bekanntermaßen die Entscheidungskompetenzen ausschließlich in den Händen der CDU/CSU-FDP-geführten Bundesregierung. Auf diesen Sachverhalt muss hier einmal klipp und klar hingewiesen werden.

Das Land Nordrhein-Westfalen schiebt große aufgelaufenen Schuldenberge in Höhe von rund 135 Milliarden € vor sich her. Die finanziellen Handlungsspielräume sind demzufolge immer enger geworden, und zwar in Sonderheit durch eine reichlich kurzsichtige Steuersen-kungspolitik auf Bundesebene. Die finanziellen Handlungsspielräume sind aber auch enger geworden durch den hier im Land zu verantwortenden Schuldenaufbau in den vergangenen Legislaturperioden.

Ich möchte hier und jetzt nicht einen Schuldigen für die Schulden suchen oder gar benen-nen. Aus unserer Sicht geht es darum, wie man es langfristig besser machen kann. Aus un-serer Sicht geht es vor allem darum, wie man systematisch und nachhaltig die Zukunft für die Menschen in Nordrhein-Westfalen verbessern kann. Denn die kurzfristigen Rezepte sind alle gescheitert, und mit großen Worthülsen verliert die Politik ihren letzten Rest an Glaub-würdigkeit.

Ich möchte an dieser Stelle erneut einige einfache Fragen stellen, deren Beantwortung eher kompliziert ausfallen würde:

Wer will eigentlich vorsätzlich und ohne Not Schulden machen? Wohl kaum jemand, den man unvoreingenommen befragt.

Warum haben wir dann in Nordrhein-Westfalen diese hohen aufgelaufenen Schuldenberge in Höhe von 135 Milliarden €? Aus Dummheit oder Sorglosigkeit im Umgang mit Geld?

Warum liegt der Bund bei einer Gesamtverschuldungsquote von etwa 80 % im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt? Aus Verschwendungssucht? Wer hat diese Schulden verursacht, und ist deren Höhe im Verhältnis zur jährlichen Produk-tion von Gütern und Dienstleistungen volkswirtschaftlich und gesellschaftlich eigentlich ver-tretbar?

Viele Politiker, die heute vehement und in der ersten Reihe den Abbau der Schulden for-dern, haben in der Vergangenheit lange Zeit in Abstimmungen immer wieder für eine Kredit-finanzierung der Länder und Bundeshaushalte votiert, auch hier in Nordrhein-Westfalen. Haben diese gewählten Politiker das leichtfertig und ohne triftigen Grund gemacht?

Wir als Piratenfraktion sind jedenfalls der Auffassung, die Pflicht zum Abbau von Schulden darf eine Entlastung der Bürger und neue politische Schwerpunktsetzungen zugunsten einer Gemeinwohlorientierung für alle nicht verhindern.

(Beifall von den PIRATEN)

Ein ausgeglichener Staatshaushalt kann jedoch kein Selbstzweck sein und sagt zudem überhaupt nichts aus über die allgemeine Wohlstandsentwicklung. Die Entstehung von Staatsschulden ist immer auch eine Folge wirtschaftlicher Entwicklungen oder politischer Entscheidungen. Starke konjunkturelle Krisen führten in Deutschland immer zu deutlichen Defiziten der öffentlichen Gesamthaushalte.

Ich möchte es hier einmal besonders betonen: Nicht nur eine verfehlte Ausgabenpolitik führt zu strukturellen Haushaltsdefiziten. In gleicher Weise ist auch eine verfehlte Einnahmenpoli-tik die Ursache für ein strukturelles Defizit.

Die Finanzierungsgrundlagen, die Steuer- und Abgabenpolitik rücken immer mehr in den Mittelpunkt der sozialen Auseinandersetzungen. Vor allem vor dem Hintergrund der Globali-sierung und der Entkopplung der Finanzmärkte von der Realwirtschaft stehen für die staatli-chen Ausgleichs- und Regulationsfunktionen immer weniger finanzielle Ressourcen zur Ver-fügung.

Für die Veränderungsnotwendigkeiten in Wirtschaft und Politik, zum Beispiel im Rahmen ei-ner Steuerung des Strukturwandels, einer regulativen Industrie- und Investitionspolitik, bleibt immer weniger Raum. Die Neujustierung der staatlichen Finanzen hat immer mehr zum Er-gebnis, dass die Sozialsysteme auf ein Niveau zurechtgeschnitten werden, das gerade noch ausreicht, um die politische Stabilität zu erhalten. Der Steuerzahler wird ständig zur Kasse gebeten.

Die systematische Verarmung der öffentlichen Kassen ist auf allen Ebenen unübersehbar. Wenn sich aber die Politik als unfähig erweist, diese in der Gesellschaft offensichtlichen Missstände zu beseitigen und nachhaltig zu lösen, wird sich der Unmut der Bürgerinnen und Bürger gegen die Politik insgesamt richten.

In diesem Zusammenhang sind wir der Auffassung, dass die zunehmende staatliche Ver-schuldung die Handlungsspielräume von Bund, Land und Kommunen einschränkt und da-her mittelfristig auf ein finanzwirtschaftlich vertretbares Maß reduziert werden muss. Aber es gibt Möglichkeiten, selbst in Zeiten verengter finanzieller Spielräume, und diese bemessen sich gerade nicht an der Höhe der Investitionen, sondern an deren Qualität.

Am Horizont ist ein Silberstreif – ich möchte sagen: ein Silberstreifchen – erkennbar. Wir sehen hier im Landtag von Nordrhein-Westfalen, dass unsere Vorschläge zumindest ernst-haft diskutiert werden.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir nehmen wahr – das sage ich in aller Bescheidenheit –, dass wir Piraten mit unseren Ideen gebraucht werden, und zwar um einen Beitrag zu leisten, unser Land zukunftsfähig zu machen.

(Beifall von den PIRATEN)

Kreativ und zukunftsorientiert – das sind die beiden Grundsätze, die unser Konzept zum ak-tuellen Haushalt am besten beschreiben, kreativ deshalb, weil wir einige neue Ideen in An-träge umgesetzt haben, und zukunftsorientiert, weil wir frischen Wind hineinbringen und uns nicht nur von der Vergangenheit leiten lassen wollen. Langfristigkeit ist der Königsweg zur Nachhaltigkeit. Es könnten, ja, es müssen jetzt die Weichen für eine Erneuerung, eine Wei-terentwicklung von Demokratie, Infrastruktur und kostenfreiem Zugang zu Wissen in Nord-rhein-Westfalen gestellt werden.

(Beifall von den PIRATEN)

Unsere Schwerpunkte liegen daher in diesem Jahr in den Bereichen Bildung, öffentlicher Personennahverkehr und Open Government. Wir setzen auf Modellprojekte.

Natürlich gibt es im Land noch viele weitere wichtige und auch große Themen. Aber wir ar-beiten das Stück für Stück ab und setzen dabei verschiedene Schwerpunkte.

Zunächst etwas Allgemeines zu unseren Haushaltsanträgen: Die quantitativen Grenzen ökonomischer und ökologischer Besonnenheit sind längst überschritten. Wir alle sind mit der Endlichkeit unserer materiellen Ressourcen konfrontiert. Geld allein ist kein Äquivalent mehr für einen gesellschaftlichen Wert. Wir haben es mit einer qualitativen Geldentwertung, mit einer Verselbstständigung des Geldes zu tun. Das Geld hat keine wirkliche Rückbindung mehr zu den realen Bedürfnissen der Menschen.

(Beifall von den PIRATEN)

Die Investitionen von heute sind der Wohlstand von morgen. Gesamtgesellschaftlich ist zu beobachten, dass der Wachstumsbegriff und seine Grenzen kontrovers diskutiert werden. Bei Wissen und Bildung zum Beispiel ist Wachstum nicht begrenzt. Aber dieses Wachstum ist nicht ausschließlich in monetären Kategorien zu fassen. Es vermittelt sich nicht über den Markt. Das heißt, wir können hier von einem qualitativen Wachstum sprechen.

Die Qualität eines Antrags bemisst sich nach unserer Auffassung daher folgerichtig nicht nur an der Höhe der Ausgaben. Interessant ist hingegen die Wirkung, die eine Ausgabe erzielen kann, die Qualität jedes einzelnen investierten Euros.

Teilhabe ist das Stichwort für den ersten Bereich – Open Government. Hier machen wir ei-nen Aufschlag mit dem Projekt „Kommune 2.0″. Damit wollen wir Lösungen aufzeigen, wie wir gemeinsam mit den Bürgern Demokratie erneuern und erneut zum Leben bringen kön-nen. Wir verbinden dabei mehrere bereits existierende Softwarelösungen, um die Kommunikation zwischen Verwaltung, Politik und Zivilgesellschaft zu stärken. Das ist nicht nur Poli-tik für die Bürger, das ist Politik mit den Bürgern.

(Beifall von den PIRATEN)

Ein weiterer Schwerpunkt ist Bildung. Dazu gehört der kostenfreie Zugang zu Wissen. Bil-dung ist für uns keine Ware. Sie ist vielmehr ein Grundbedürfnis und darüber hinaus das wesentliche Element für qualitatives Wachstum. Ob während der Schule, der Ausbildung oder der Hochschule: Zu jedem Zeitpunkt muss Wissen frei zugänglich sein.

(Beifall von den PIRATEN)

Gerade diese Anträge erscheinen im Vergleich zum Gesamthaushalt betrachtet sehr klein. Aber genau hierin liegt ein enormes gesellschaftliches Potential versteckt, das unser Land zu bieten hat. Unser Kapital in Nordrhein-Westfalen sind die Menschen, die hier leben. Ihnen müssen wir Zugang zu Bildung bieten.

Wir wollen dazu beitragen, dass die Menschen in Nordrhein-Westfalen auch mehr am ge-sellschaftlichen Leben teilhaben können. Daher machen wir uns Gedanken zu einem ganz neuen Mobilitätskonzept der Zukunft. Gegenstand ist der öffentliche Personennahverkehr. Wir betrachten Mobilität als ein Grundrecht. Zugleich ist Mobilität Voraussetzung für gesell-schaftliche Teilhabe. Deswegen ist der fahrscheinlose öffentliche Personennahverkehr ein weiterer Schwerpunkt. Wir brauchen zudem neue Wege, die nachhaltig und sparsam mit unseren Ressourcen umgehen. Wir sprechen nicht vom kostenlosen ÖPNV. Der Bürger soll sehr wohl mit einer pauschalen Umlage an den Kosten für Bus und Bahn beteiligt werden.

Es ist auch klar, dass so weitgehende Konzepte nicht von heute auf morgen umgesetzt werden können. Aber wir wollen, dass die Bürger noch in diesem Jahr spürbare und konkre-te Maßnahmen erfahren. Die Menschen dürfen mit Recht Lösungen für die zukunftsfähige Gestaltung unseres Gemeinwesens erwarten. Jetzt ist es an der Zeit, anzupacken. Weitere Maßnahmen müssen folgen. Daher sind unsere Anträge als beispielhaft zu betrachten. Uns geht es nämlich auch um eine Veränderung des politischen Blickwinkels. Unsere Anträge führen nicht zu einer zusätzlichen Neuverschuldung. Politik muss ihre Handlungs- und Ge-staltungsspielräume effektiv nutzen.

Wir haben Haushaltsänderungsanträge gestellt, die beispielhaft aufzeigen, wie Schritte in eine zukunftsweisende Politik eingeleitet werden können. Die Änderungsanträge beziehen sich auf die genannten drei Bereiche Open Government, Bildung und Infrastruktur.

Daneben schlagen wir vor, dass die privaten Eigentümer des Atomkraftwerks Hamm-Uentrop vollständig für die Finanzierung des Rückbaus aufkommen und damit das Land im aktuellen Haushalt um 4 Millionen € und zukünftig um 32,2 Millionen € entlasten.

(Beifall von den PIRATEN)

Heute stellen wir beispielhaft noch einmal einige unserer Anträge im Plenum zur Abstim-mung.

Ich möchte mit dem Bereich Open Government beginnen. Wir wollen, dass das Land einen Wettbewerb für die „Kommune 2.0″ ausschreibt. Warum? – Wir denken, dass Open Government in der Demokratie der Kommune seinen Ursprung hat. Hier treffen Politiker direkt auf den Bürger. Die Probleme sind sehr konkret, und Anliegen sind leichter kommuni-zierbar.

Zudem liegt ein Großteil des nordrhein-westfälischen Datenschatzes bei den Kommunen selbst. Genau deshalb kann man die Potentiale des Open Government am besten auf kommunaler Ebene erschließen und den Bürgerinnen und Bürgern den Mehrwert verdeutli-chen. Die „Kommune 2.0″ setzt dabei die ganze Bandbreite von Open Data – offenen Daten – und Open Government ein. Das ist eine Investition in die Zukunft der Demokratie.

(Beifall von den PIRATEN)

Wer aber wie die Bundesregierung Daten im Netz unter einer neuen Deutschlandlizenz ver-öffentlich, dabei bestehende Standards ignoriert und zusätzlich vergisst, die neue Deutsch-landlizenz in weitere Sprachen zu übersetzen, der hat das Internet bis heute nicht verstan-den,

(Beifall von den PIRATEN)

mehr noch, der hat Zukunft nicht verstanden.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir möchten die Landesregierung bitten, diesen Fehler nicht auch zu begehen. Setzen Sie die international bereits anerkannten Creative-Commons-Lizenzen ein und versuchen Sie nicht, das Rad neu zu erfinden.

Ein weiteres Zukunftsthema sind digitale Bildungsmedien. Letzte Woche hatten wir eine sehr interessante Expertenanhörung zu unserem Antrag zu freien Lernmaterialien. Der Te-nor war ganz klar: Digitale Medien sind aus der Bildung nicht mehr wegzudenken. – Mit der Bildungssuchmaschine des Landes „learn:line NRW” hat das Land schon ein gutes Angebot eingerichtet. Hier sind tausende hochwertige digitale Lernmaterialien verzeichnet, die für alle Schulen des Landes kostenlos zur Verfügung stehen. Um die Suche in dieser Vielfalt zu er-leichtern, wollen die Entwickler in diesem System das sogenannte Social Tagging und Open Review implementieren. Das heißt, die Nutzer dieser Medien, die Lehrerinnen und Lehrer, können Bemerkungen dazu machen, welche Unterrichtserfolge sie damit erzielt haben. Konkret ist die Suchmaschine damit auch eine Kommunikationsplattform, ein Vernetzungs-instrument für die 160.000 Personen große Lehrerschaft in diesem Lande.

Außerdem wäre es dann leicht möglich, zusätzliche Informationen zum Beispiel zur Urhe-berschaft – diese sind wichtig sind, wenn man die Medien nutzen will – und zu den Heraus-gebern der Lernmedien zur Verfügung zu stellen. Das bedeutet ein Mehr an Transparenz im Einsatz von Bildungsmedien. Diese Idee gefällt uns sehr gut. So nutzt man die Möglichkei-ten des Internets und die viel beschworene Schwarmintelligenz. Man gibt den Nutzern die Möglichkeit, am Angebot mitzuwirken. So werden Nutzbarkeit und Funktionalität insgesamt gemeinsam verbessert. Deshalb haben wir noch einen Änderungsantrag zum Einzelplan 05 gestellt. Wir wollen, dass diese Mittel zur Verfügung gestellt werden, um das Projekt umzu-setzen. Es geht dabei um 100.000 € im diesjährigen Haushalt und um eine Verpflichtungs-ermächtigung von 50.000 € für den Haushalt 2014.

Wir Piraten wollen Nordrhein-Westfalen noch schöner, noch attraktiver und noch lebenswer-ter machen, als es sowieso schon ist. Wir wollen auch dafür sorgen, dass es so bleibt. Dazu haben wir verschiedene Anträge im Bereich Infrastruktur entwickelt, die alle gemeinsam ha-ben, dass sie umsetzbar sind, wenn wir uns nur darauf verständigen.

So haben wir unter anderem den öffentlichen Personennahverkehr identifiziert. Ein leis-tungsstarker öffentlicher Personennahverkehr ist für uns die Grundbedingung für ein zu-kunftsfähiges Nordrhein-Westfalen. Mit unserem Antrag zur Auslobung eines Ideenwettbe-werbes „Fahrscheinlose Kommune” wollen wir ein Zeichen setzen – ein Zeichen, dass wir eine kreative Umsetzung der Zukunftsaufgabe nachhaltige und faire Mobilität brauchen und dass dies auch möglich ist.

(Beifall von den PIRATEN)

Mit fahrscheinlosem Personennahverkehr meinen wir nicht etwa eine Art elektronisches Ti-cket. Wir meinen damit, dass die Benutzung des öffentlichen Personennahverkehrs gänzlich ohne Fahrschein möglich sein soll und Bus und Bahn finanziert werden über eine Umlage, die von allen Bürgern getragen wird. Wir nennen es nicht „kostenlos”, weil wir den Bürgern gegenüber ehrlich sind. Bus und Bahn können nicht kostenlos sein, aber fahrscheinlos.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir wollen darüber hinaus Bedingungen für eine nachhaltige und faire Mobilität schaffen, über die Erarbeitung kreativer Ideen für einen öffentlichen Personennahverkehr für alle Menschen und über die planerische und gegebenenfalls technische Vorbereitung der Ver-kehrsinfrastruktur für einen leistungsfähigen Bus- und Bahnverkehr.

Wer heute sagt, dass das nicht geht, darf sich in 20 Jahren nicht beschweren, wenn wir im-mer noch alle im Stau stehen – dann vielleicht nicht mehr auf zwei oder drei Spuren, son-dern auf vier oder fünf. Verlierer sind die Menschen, die Umwelt und die Wirtschaft. Wir Pi-raten positionieren uns hier eindeutig zugunsten des öffentlichen Personennahverkehrs. Der Wert des öffentlichen Personennahverkehrs ist seine gesellschaftliche Nachhaltigkeit, nicht seine Exklusivität.

(Beifall von den PIRATEN)

Neben den geschilderten Mehrausgaben wollen wir Piraten nicht, dass der Staat Subventio-nen für Atomanlagen zahlt. Bei diesem Antrag geht es konkret um die Entsorgung des Atomkraftwerks THTR-300 in Hamm-Uentrop. Im Moment laufen die Verhandlungen über die sogenannte dritte Ergänzungsvereinbarung, in der das Land zu konkreten Zahlungen verpflichtet wird. Der Verhandlungsrahmen wird vorgegeben von einem entsprechenden Rahmenvertrag. Die Piratenfraktion hat die Landesregierung gebeten, den Rahmenvertrag und alle Ergänzungsvereinbarungen zu veröffentlichen. Das ist bis heute nicht geschehen. Die rot-grüne Landesregierung hat im aktuellen Haushalt 4 Millionen € eingestellt und holt sich gleichzeitig die Ermächtigung vom Parlament, in den kommenden Jahren insgesamt weitere 32,2 Millionen € für das Atomkraftwerk zu zahlen. Ob es dabei bleibt, ist auch noch die Frage. Gerade bei Verträgen mit derartiger Reichweite sind wir Piraten nicht bereit, die Katze im Sack zu kaufen.

(Beifall von den PIRATEN)

Deshalb lehnen wir auch die Ausgaben für die Entsorgung des Atomkraftwerks ab. Erlauben Sie mir an dieser Stelle noch einen kleinen Hinweis auf den Koalitionsvertrag der Regierungsfraktionen. Auch darin ist festgeschrieben, dass – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten – „insbesondere im Hinblick auf die ungeklärte Finanzierung des Rückbaus des THTR” die Eigentümer in die finanzielle Verantwortung genommen werden sollen. Das steht im rot-grünen Koalitionsvertrag auf Seite 41.

So weit zu konkreten Einzelheiten der Landespolitik.

Das heißt aber nicht, dass wir die Augen vor großen Zusammenhängen verschließen. Wir können mit unserem wachstumsfixierten Wirtschaftsmodell die gesellschafts- und finanzpoli-tischen Probleme schon lange nicht mehr nachhaltig lösen. Die quantitativen Grenzen des Wachstums mögen ja noch nicht erreicht sein, dagegen ist die Grenze der ökonomischen und ökologischen Besonnenheit schon lange überschritten.

Was bedeutet es eigentlich, wenn wir davon sprechen, dass die Wirtschaft wächst? Was wächst da eigentlich konkret? Ursprünglich war der Begriff „Wirtschaften” einmal eingebettet in ein soziales Umfeld. Das kann man von der heutigen Wirtschaft schon lange nicht mehr behaupten. Wirtschaft und Wachstum sind ohne das synthetische Medium Geld nicht denk-bar. Alles wird vermittelt über die Märkte. Wirtschaften vollzieht sich über Kaufen und Ver-kaufen. Jenseits der Märkte befindet sich Niemandsland. Geld ist der alleinige Maßstab. Das in Geld ausgedrückte Wirtschaftswachstum einer Volkswirtschaft, dass Bruttoinlands-produkt – auch BIP genannt –, sagt immer weniger darüber aus, ob und in welcher Weise sich die Lebensbedingungen der Menschen verbessert haben. Geld hat in unserer Gesell-schaft aber nur dann eine sinnvolle Funktion, wenn es jeden Einzelnen in die Lage versetzt, damit das zu erwerben, was man zum Leben braucht. Wenn Geld dazu missbraucht wird, sich selbst zu vermehren, stiftet es Unheil und führt auch zu gesellschaftlicher Unzufrieden-heit.

Wir haben es deshalb auch mit einer zunehmenden Skepsis in der Gesellschaft zu tun, ständig neue Wachstumsrekorde erzielen zu wollen. Es gibt ein sehr weit verbreitetes Un-behagen in der Bevölkerung, dass die Versprechen, die mit wirtschaftlichem Wachstum ver-bunden waren, nämlich dass es einen sozialen Ausgleich gibt, dass wir unsere Umweltprob-leme damit lösen werden, nicht mehr geglaubt werden, weil sie sich de facto als Illusion er-wiesen haben.

Wir brauchen ein tragfähiges Zukunftskonzept für ein solidarisches Gemeinwesen und für den inneren Zusammenhalt in Nordrhein-Westfalen. Dafür stehen wir Piraten.

(Beifall von den PIRATEN)

Solidarität ist jedoch nur herstellbar durch eine gerechte Lastenverteilung und eine Verbes-serung der Einnahmenseite, damit die öffentliche Daseinsvorsorge, die öffentlichen Res-sourcen und die Versorgungsstandards gepflegt, verbessert und auch finanziert werden können. Für uns ist die marktkonforme Demokratie und die viel beschworene Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit eben nicht Leitbild des politischen Handelns.

Immer wieder wird die Formel gepredigt, dass Wachstum und Konsolidierung der Staatsfi-nanzen Hand in Hand gingen und auf diese Weise das Vertrauen zurückgewonnen werden müsse. Da drängt sich schnell die Frage auf, um wessen Vertrauen es eigentlich geht. Geht es um das Vertrauen der Märkte, oder geht es um das Vertrauen der Menschen? Geht es um den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen? Geht es um eine gerechte Verteilung des in unserer Gesellschaft produzierten Wohlstandes?

Herr Römer, ich möchte Sie jetzt einmal ansprechen. Sie haben vorhin den Satz gesagt: Sozial ist, was Arbeit schafft.

(Zuruf von der SPD: Gute Arbeit!)

– Gute Arbeit, ja. Vor 15 Jahren hätte ich das noch unterschrieben. Wir müssen in einen Diskurs kommen und umdenken. Nach unserer Auffassung ist sozial, was Teilhabe schafft.

(Beifall von den PIRATEN – Widerspruch von der SPD)

Das ist eine längerfristige Diskussion; das ist völlig klar. Wir müssen darüber aber in einen Diskurs kommen. Wenn man sich die weltweiten Steigerungen der Produktivitätsraten an-sieht, kann man schnell auf die Idee kommen, dass wir uns eigentlich in der Übergangspha-se von einer Arbeitsgesellschaft in eine Tätigkeitsgesellschaft befinden. Und dann geht es um den Wert der Tätigkeit und nicht mehr um den Wert der Arbeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Wollen wir mit ungebremstem Wachstum die regionalen Gerechtigkeitsdefizite ausgleichen, oder müssen wir uns nicht andere Wege erschließen? Wir brauchen darüber hinaus eine wesentlich stärkere Verbindung von technischen Innovationen mit sozialen Innovationen. Technik trifft auf Kultur, und Kultur trifft auf Technik – eine wirklich innovative Mischung.

Eine höhere Besteuerung derjenigen, die sich finanziell keine großen Sorgen machen müs-sen, ist nicht nur vertretbar, sondern nach unserer Auffassung aus Gerechtigkeitsgründen geboten. Für uns als Piratenfraktion geht es deshalb auch darum, die Ungleichheit in unse-rem Land aktiv zu bekämpfen. Das hätte vor allem steuerrechtliche Konsequenzen. Denn über das Steuersystem wurde die Ungleichheit am gröbsten verschärft. Veränderungen müssen bei der Wiedereinführung der Vermögensteuer ansetzen, einer höheren Erbschafts-teuer, und natürlich muss endlich eine wirkliche Finanztransaktionssteuer eingeführt werden – und nicht dieses EU-Merkel-Ding, dieser steuerpolitische Rohrkrepierer.

(Beifall von den PIRATEN)

Konjunkturell wären diese Veränderungen der Besteuerung in keinem Falle schädlich. Die Finanz- und Wirtschaftspolitik in Deutschland ist ganz generell gesprochen nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Sie läuft den Krisenentwicklungen hoffnungslos hinterher. Wir sind si-cherlich dafür, dass man finanzpolitisch vernünftig agiert. Es geht also nicht darum, dass der Staat möglichst viel Geld zum Fenster hinauswirft. Im Gegenteil: Wir wären wesentlich här-ter, was Steuersenkungen anbelangt, als es die Wirtschaftspolitik der letzten zehn bis 15 Jahre war. Wir sind auch gegen unspezifische Ausgabenprogramme.

Die Piratenfraktion ist aber vor allem dafür, dass die Wirtschaftspolitik endlich eines erkennt: Das Wirtschaftssystem ist aus sich heraus instabil. Es bedarf eines gemeinwohlorientierten politischen Gegenparts, um es insgesamt stabil zu halten. Wenn dieser Gegenpart nicht in hinreichender Stärke vorhanden ist, bleibt es bei genau den krisenhaften Entwicklungen, wie wir sie heute in ganz Europa und auch hier in Nordrhein-Westfalen vorfinden.

Ich möchte nicht schließen, ohne einen Appell an die regierungstragenden Fraktionen von Rot-Grün zu richten, die wenigen von uns gestellten Anträge – insbesondere zu Open Government, zum ÖPNV und zur Bildung – mitzutragen. Geben Sie sich doch einfach mal einen Ruck! Gegebenenfalls wären wir dann unsererseits vielleicht auch bereit, den Haus-halt mitzutragen.

(Lachen von der SPD)

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Paul.

 

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