Rot-Grün haben einen Antrag eingebracht: „Gesetzlicher Mindestlohn ist gut für die Beschäftigten und die Gesellschaft – Niedriglohnsektor und prekäre Beschäftigung weiter eingrenzen“. Mein Redebeitrag dazu:
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne
(Inge Howe [SPD]: Die dürfen nicht gegrüßt werden!)
und natürlich auch im Livestream! Lieber Uli Alda, was du zum Ende deiner regulären Redezeit gesagt hast: „Ja, was denn?“, hätte eigentlich die Überschrift deiner Rede werden müssen: Ja, was denn? – Keine Lösungen vonseiten der FDP, null!
(Beifall von den PIRATEN)
In den gesamten vier Jahren, in denen ich bisher im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales arbeiten durfte, ist vonseiten der FDP nicht einmal eine Lösung zur Integration von langzeitarbeitslosen Menschen auch nur angesprochen worden – nicht ein einziges Mal. Null!
(Zuruf von Christof Rasche [FDP])
Sich dann hierhinzustellen und mit Fingern auf andere zu zeigen, ist unredlich; das ist nicht richtig.
(Beifall von den PIRATEN)
Kommen wir zurück zum Antrag von Rot-Grün. Ich möchte dem Kollegen Preuß völlig recht geben: Ein bisschen ist das eine Feierstunde, und dass es überhaupt einen Mindestlohn gibt, ist tatsächlich ein kleiner Grund, um zu feiern.Man muss aber auch sagen: Rot-Grün hat vorher mit der Einführung des Hartz-IV-Systems eine Menge kaputt gemacht. Die Einführung eines Mindestlohns ist im Grunde eine Selbstverständlichkeit,
(Zuruf von der SPD: Selbstverständlich war das nicht!)
die man nicht unbedingt feiern muss, sondern das hätte eigentlich schon seit vielen Jahrzehnten die Regel sein müssen. Außerdem ist der aktuell existierende Mindestlohn nicht ausreichend. Aktuell verhindert er nicht, dass viele Menschen noch aufstocken müssen oder Mietwohnzuschüsse benötigen. All das funktioniert zurzeit noch nicht.Was wir wirklich brauchen, ist ein Mindestlohn, der Transferleistungen unnötig macht. Den haben wir zurzeit nicht, er wird sich im Bund wahrscheinlich auch nicht durchsetzen lassen. Das finde ich sehr schade; denn das müsste das Ziel sein, das müsste eine Selbstverständlichkeit sein.
Das Selbstverständnis dieser Republik müsste so aussehen: Jemand, der die gesamte Woche lang in Vollzeit arbeitet, muss von seinem Lohn leben können, ohne dass er irgendwo zusätzliches Geld erbetteln muss – egal, ob beim Staat oder bei irgendwem anders. Das geht so nicht.
(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Hinzu kommt, dass selbst der aktuelle Mindestlohn – der um mindestens 4 € pro Stunde zu niedrig angesetzt ist – noch nicht einmal flächendeckend kontrolliert wird. Ich beziehe mich dabei ausdrücklich nicht auf den WDR-Bericht, sondern auf Statistiken aus dem ersten Halbjahr 2015. Da fanden 25.000 Kontrollen durch die entsprechende Zollabteilung statt.Der Mindestlohn betrifft aber geschätzte vier bis fünf Millionen Menschen. Die Kontrolldichte in diesem Bereich ist weitaus geringer als bei sonstigen Regelungen. Egal ob beim Verkehr, bei der Gesundheit oder sonst wo – es gibt kaum irgendwo eine geringere Kontrolldichte. Das ist völlig unzureichend, das schafft keine Sicherheit beim Arbeitnehmer. Vielmehr lässt sich der Arbeitnehmer – weil er weiß, dass sowieso nicht kontrolliert wird – wieder auf Stundenlöhne ein, die noch unter dem Mindestlohn liegen. Ich kann Ihnen jederzeit diverse Anstellungsverhältnisse zeigen, bei denen 4 bis 5 € pro Stunde gezahlt werden – immer noch, in 2016, trotz Mindestlohn. Das müssen wir ändern.
Übrigens fanden dann im zweiten Halbjahr 2015 nicht noch einmal 25.000 Kontrollen statt, sondern – auf das ganze Jahr gerechnet – die Kontrollzahl ist insgesamt um 50 % zurückgegangen.
Da möchte ich Herrn Robert Feiger, Vorsitzender der IG Bau, zitieren:
„Diese viel zu geringe Kontrolldichte ist geradezu eine Einladung für betrügerische Betriebe, ihre Beschäftigten illegal im Lohn zu drücken.“
Das ist nicht nur schlecht für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern das „ist katastrophal für einen sauberen Wettbewerb in der Branche“. Genau zu dieser katastrophalen Wirkung auf den Wettbewerb würde es kommen, wenn wir weitere Ausnahmen hinzufügten, zum Beispiel eine Ausnahme für Geflüchtete. Schon die Ausnahme für Langzeitarbeitslose gehört nicht da hinein und muss weg.Schon seit Längerem ist versprochen, dass der Zoll insgesamt 1.600 Stellen mehr bekommt, um Kontrollen durchzuführen. Das ist bisher nicht passiert, und das wird wohl auch nicht passieren. Inzwischen spricht man schon – gering angesetzt – von fast 1 Milliarde € Schaden durch die illegale Beschäftigung und die Nichteinhaltung des Mindestlohnes. Das kann unser Ziel nicht sein. Wir müssen den Mindestlohn anheben. Wir müssen ihn durchsetzen. Die Ausnahmen müssen wegfallen.
Zum Vergleich: Wir haben derzeit einen Mindestlohn in Höhe von 8,50 €. Ich habe mir die Zahlen einmal herausgeschrieben; sie stammen aus dem Jahr 2011. Danach gilt bei einer 38-Stunden-Woche: Pfändungsfreigrenze: 8,62 € …
Präsidentin Carina Gödecke:Die Redezeit.
Torsten Sommer (PIRATEN): Ich komme sofort zum Ende, Frau Präsidentin.
… SGB-II-Bezug: 8,91 €, Armutsschwelle: 10,74 €. Die Europäische Sozialcharta spricht bereits 2011 von einem Mindestlohn von 12,24 € pro Stunde. Das ist fast 50 % über dem jetzigen gesetzlichen Mindestlohn. Hier besteht Handlungsbedarf. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN – Christof Rasche [FDP]: Warum nicht 20 €?)