Top 2. Oliver Bayer zum EU-Vertragsverletzungsverfahren bei der Pkw-Maut

Freitag, 26. Juni 2015

 

Top 2. A k t u e l l e  S t u n d e

EU-Vertragsverletzungsverfahren:Bundesregierung muss sich von Plänen für die Pkw-Maut endlich verabschieden, statt sie zu verschieben
Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/9061

Oliver Bayer MdL  | Foto Tobias M. EckrichUnser 1. Redner: Oliver Bayer
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Protokoll der Rede von Oliver Bayer:

Oliver Bayer (PIRATEN): Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Auch wenn wir keine Stimme im Präsidium haben und zum Beispiel bei der Auswahl der Aktuellen Stunden beraten können, ich habe eine Stimme am Rednerpult, und die hatte ich auch am 11. September 2014 hier im Plenum. Ich zitiere mich einmal selbst, was ich dort gesagt habe: „Ich möchte, dass wir nicht abwarten, bis die EU die Mautpläne kippt.“

Nun sind wir bereits bei Plan B, und Abwarten ist keine Option mehr. Wir müssen jetzt die Gelegenheit zur modernen Verkehrswende nutzen. Für diesen Aufbruch in eine neue Verkehrspolitik ist es eigentlich auch egal, wie die Dobrindt-Maut am Ende bewertet wird, ob es ausreicht, dass Nichtstaatsbürger in Deutschland auch ein Auto anmelden können. Die Pkw-Maut ist sowieso kein ernstgemeintes Finanzierungsinstrument, sondern ein gefährliches, diskriminierendes Marketinginstrument, und das wird 2017 hoffentlich nicht mehr eingesetzt.

Wir Piraten werden jedenfalls alles daransetzen, dass die Dobrindt-Maut keinen Schaden mehr anrichten kann, nicht im Alltag des Grenzlands, nicht durch Geldverschwendung, nicht durch Totalüberwachung der Autofahrenden oder einer Straßenvorratsdatenspeicherung. Die Dobrindt-Maut darf aber auch nicht weiter die echten Maßnahmen blockieren, die Nordrhein-Westfalen dringend benötigt. Die politische Debatte selbst verträgt eine Pkw-Maut in dieser Form nicht. Daher müssen wir uns von der Dobrindt-Maut verabschieden.

(Beifall von den PIRATEN)

Herr Voussem, diese Dobrindt-Maut oder Pkw-Maut wegzuschieben, hätte natürlich Herrn Dobrindt selbst einfallen können, aber Sie haben natürlich auch recht, was die Debatte betrifft.

Die Verkehrspolitik selbst braucht nun unsere ganze Aufmerksamkeit, denn sie befindet sich in einer Sackgasse. Ansonsten gäbe es gar nicht diese gigantischen Instandhaltungsprobleme. Was wir gar nicht brauchen, ist jetzt die nächste durchs Dorf getriebene CSU-Sau.

Private Investitionen in Autobahnen, die den Finanzsektor fördern und die selbst auferlegte Schuldenbremse aushebeln, aber die Probleme der Verkehrspolitik und die generelle Unterfinanzierung nicht lösen, brauchen wir jetzt nicht. Das wäre die nächste Ablenkung. Mit diesen Public-private-Partnerships entscheiden schon wieder Dritte über das Schicksal der Verkehrspolitik, nämlich die, die neue Anlagemöglichkeiten suchen. Kein Wunder, dass die Verkehrspolitik seit Jahrzehnten im Stillstand verharrt.

Herr Minister Groschek will eine zweite Bodewig-Kommission. Herr Klocke hat sie auch angesprochen. Das ist gut, aber passen Sie darauf auf, dass daraus keine zweite Fratzscher-Kommission wird und dort die Probleme einseitig aus Sicht des Finanzmarkts beleuchtet werden.

Ich mag den Antrag zu dieser Aktuellen Stunde, da er nicht nur die Debatte auf die Pkw-Maut lenken möchte, sondern die Debatte um verkehrspolitische Perspektiven anmahnt. Mich irritieren allerdings Sätze wie: „Wenn diese Probleme nun weiterhin vom Bund nicht angegangen werden, wird sich der Schaden für Menschen, Umwelt und Wirtschaft noch vergrößern.“

Wir sind ja in Nordrhein-Westfalen und in einem NRW-Landesparlament. Der Bund muss seinen Beitrag leisten, und zwar einen sehr großen –finanziell und auch, was die Politik betrifft. Aber Sie reden im Antrag anscheinend allein von Bundesfernstraßen und gleichzeitig von nachhaltiger Verkehrspolitik. Das passt so nicht zusammen.

Eine nachhaltige Verkehrspolitik sieht das ganze Straßennetz, also Wasserwege, Schiene, Bus und Bahn, Radverkehr, Fußverkehr als Gesamtorganismus. Die Verantwortung, selbst wenn es um Fernstraßen geht, einfach Richtung Bund wegzuschieben und sich komplett wegzudrücken, das passt nicht zu NRW. Wir in NRW wollen gerne Logistikstandort Nummer eins sein, Transitland, Ballungsraum für Millionen Menschen, Wirtschaftsmittelpunkt in vielen Bereichen. Dann können wir in NRW auch Verantwortung übernehmen und selbst anpacken.

NRW ist von der Instandhaltungskatastrophe bei Straßen, Brücken, Stadtbahntunneln und Bahntrassen besonders betroffen. Gleichzeitig sind wir in NRW ein Land, das sich gerne neu erfindet, das den Wandel lebt und auch schon mehrmals große Verantwortung über seine Grenzen hinaus übernommen hat. Wir sind das Land, das den Verkehr und die Menschen bewegt, und wir können auch die Verkehrspolitik bewegen. Dabei hilft uns der Landeshaushalt, aber noch viel mehr der politische Wille, Vorbild zu sein und das Richtige zu tun.

Wir brauchen eine Verkehrspolitikwende. Sie müssen erkennen, dass die Politik der letzten Jahrzehnte zur Instandhaltungskatastrophe geführt hat und die Verkehrspolitik trotzdem weiter im Kirchturmdenken und in alten Konzepten verharrt. Wir brauchen eine Verkehrswende, und zwar nicht nur, um unseren sozialen und klimapolitischen Zielen gerecht zu werden. Wir brauchen die Verkehrswende aus einer finanziellen Notwendigkeit heraus. Je schneller wir handeln, umso weniger wird sie kosten. Unbezahlbar ist nur keine Verkehrswende.

Jetzt haben wir dreifach die Gelegenheit. Die Pkw-Maut lässt eine Lücke für den Aufbruch notwendiger politischer Debatten. Große Innovationen im Verkehrsbereich mit vor einigen Jahren noch undenkbaren Entwicklungen kommen auf uns zu. Wir in NRW haben die Probleme nicht nur erkannt, wir sind ein starkes Land und können den politischen Willen aufbringen, den Weg einzuschlagen.

Der Landtag hat die Enquetekommission zur Finanzierung, Innovation und Nutzung des öffentlichen Personenverkehrs eingesetzt. Das ist ein hervorragender Anfang. Die Landesregierung hat mit ihren Absichtserklärungen zu Radschnellwegen, zu „Erhalt vor Neubau“ und zur Nahmobilität zumindest gezeigt, dass sie politischen Willen aufbringen könnte.

Das zeigt sich aber nicht in der Konsequenz des Handelns. Minister Groschek und sein Ministerium müssen beim Sparen helfen. Es gibt im Landeshaushalt für die Verkehrspolitik keinen Spielraum für Prioritätensetzung und die Umsetzung verkehrspolitischer Ziele.

Durchaus sehr große, nicht nur verkehrspolitische Ziele werden an allen Ecken und Enden vorgegeben. Die Landesregierung hat durch die ÖPNV-Zukunftskommission einen Bericht erstellen lassen, in dem 50 bis 100 % mehr öffentlicher Nahverkehr für notwendig gehalten werden; aber man verfolgt die Ziele nicht. Sie präsentieren einen Klimaschutzplan; aber in der Verkehrspolitik ist das nicht sichtbar. Es fehlen ein Konzept und der politische Wille, die selbst gesteckten Ziele zu erreichen. Es fehlt – noch – der Mut, einmal wirklich neue Wege zu gehen und alte Verkehrspolitik auch zurückzulassen.

Dabei könnten wir in NRW diesen Mut aufbringen. Lassen Sie uns bei dieser Sache die Ersten sein und nicht die Letzten. Lassen Sie uns Bayern und die anderen Bundesländer einmal überraschen, und lassen Sie uns später einmal sagen – damit komme ich auch langsam zum Schluss –:

Wir haben auf eine intelligente und neue Verkehrspolitik gesetzt, als die Zeit dafür noch günstig war. Wir haben Bus und Bahn in den Mittelpunkt des Pendlerverkehrs gestellt, auch im ländlichen Raum. Dafür haben wir neue Verkehrskonzepte genutzt, die durch den technischen Fortschritt erst möglich wurden. Wir haben auf die Schiene und die Binnenschifffahrt gesetzt, und wir haben unsere Straßen so weiterentwickelt, dass sie auch den politischen Zielen gerecht werden.

Das können wir in NRW schaffen – gerade um Bewegung im Bund zu erreichen und mehr Geld für Bus, Bahn, Wasser, Schiene und Straße zu bekommen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

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