Schluss mit ‚gefühlter Sicherheit‘ – Keine Ausweitung der Videoüberwachung in NRW

Mittwoch, 27. Januar 2016, TOP 6, ca. 13.15 Uhr

Schluss mit ‚gefühlter Sicherheit‘ – Keine Ausweitung der Videoüberwachung in NRW

Drucksache 16/10785

Die Landesregierung soll Videobeobachtung unabhängig und wissenschaftlich evaluieren lassen. Der weitere Ausbau von Videobeobachtung ist zu unterlassen, solange nicht die Wirksamkeit der Maßnahme bewiesen ist.


Frank Herrmann, Sprecher der Piratenfraktion NRW im Innenausschuss:

Kameras sind kein Sicherheitskonzept. Sie sind ein Placebo. Mit Kameras wird suggeriert, man würde etwas für die Sicherheit tun. Aber das stimmt nicht. Im besten Fall tut man etwas für die Aufklärung der Taten. Aber den Opfern hilft das nicht.

 

Das Vorhaben der Landesregierung, die Videoüberwachung auszuweiten, ist purer Aktionismus. Die bisherige Evaluierung der Videobeobachtung genügt wissenschaftlichen Standards nicht und eine Wirksamkeit ist nicht belegt. Mehr Videoüberwachung ist keine Lösung für gesellschaftliche Probleme.

 

2016-01-27_Frank Herrmann Keine Ausweitung Videoueberwachung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Mitschnitt der kompletten Debatte:

Protokoll der Rede von Frank Herrmann:

Frank Herrmann (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Saal und zu Hause! Auch heute prägen die Ereignisse von Silvester wieder die Debatte hier im Hohen Haus. Man muss feststellen, dass das Jahr wirklich nicht gut angefangen hat.

Aber anstatt eine tiefergehende Analyse der eigenen Versäumnisse zu starten, wurde für das Sonderplenum vor zwei Wochen schnell ein 15-Punkte-Plan aus dem Hut gezaubert. Unter anderem wurde ein Ausbau der Videoüberwachung angekündigt. Etwas mehr Demut und die Übernahme der politischen Verantwortung wäre unserer Meinung nach das bessere Zeichen gewesen.

(Beifall von den PIRATEN)

Wann hört es endlich auf, dass immer dann, wenn Überfälle, Übergriffe, Anschläge irgendwo auf der Welt vorkommen, eine verstärkte Videoüberwachung im öffentlichen Raum gefordert wird? 80 Kameras am Kölner Hauptbahnhof: Haben die zu Silvester irgendetwas gebracht? – Nein. Die Menschen haben ihnen aber, haben der gefühlten Sicherheit vertraut.

Frau Kollegin Scharrenbach, zu den Angstträumen, die Sie eben angesprochen haben: Wir sind überzeugt, Videokameras helfen da nicht. Mit Kameras wird suggeriert, man würde etwas für die Sicherheit tun, aber das stimmt nicht. Im besten Fall tut man etwas für die Aufklärung der Taten. Aber das hilft den Opfern nicht.

Die Landesregierung plant jetzt, unter anderem auf dem Kölner Ring mehr Videoüberwachung einzusetzen. An keiner Stelle wurde bisher hinterfragt, wozu diese Maßnahme genau dienen soll und ob sie überhaupt geeignet ist, ein Ziel zu erreichen. Sie schreiben nur, dass Straftäter abgeschreckt werden sollen. Aber ich bitte Sie: Nennen Sie mir eine einzige Studie, die belegt, dass Videokameras eine abschreckende Wirkung auf Straftäter haben! Die gibt es nicht. Kameras verhindern eben keine Straftaten.

Wenn nachts Betrunkene Taten im Affekt begehen, dann macht die Kamera nichts. Die Kamera greift nicht ein, kommt nicht zur Hilfe, sie ist Zaungast und liefert die Bilder für die Schlagzeilen. Aber das darf nicht das einzige Ergebnis ihres Einsatzes sein. Kameras sind eben kein Sicherheitskonzept, sie sind weiße Salbe, sie sind ein Placebo.

(Beifall von den PIRATEN)

Meine Damen und Herren, die öffentliche Sicherheit von Straßen und Plätzen ist eine ureigene Aufgabe der Kommunen in Kooperation mit der Polizei. Die vielen kommunalen Präventionsprojekte können viel besser auf lokale Gegebenheiten und Bedürfnisse vor Ort eingehen, als das ein Kameraprogramm, zentral aus der Staatskanzlei gesteuert, jemals leisten könnte. Die sichere Gestaltung öffentlicher Plätze durch offene Räume und durch gute Beleuchtung verhindert Straftaten.

Wir wollen hier einmal mehr davor warnen, in der Videoüberwachung die Lösung von gesellschaftlichen Problemen und auch von Problemen bei der Strafverfolgung zu sehen. Mit jeder Kamera geben wir ein Stück Freiheit auf und gewinnen keine Sicherheit. Jetzt, wo die technischen Möglichkeiten da sind, viele Kameras zusammenzuschalten und zentral zu steuern, braucht es eine politische Richtungsentscheidung, damit wir uns auch zukünftig frei und ungehindert bewegen können.

Wenn jeder Schritt gefilmt wird, jeder Weg zum Arzt, zur Kirche, zur Moschee, zu Freunden und Bekannten, zu einer Demonstration oder zur Arbeit, wenn jeder Schritt überwacht wird, dann hat das einen Einschüchterungseffekt auf die Menschen zur Folge. Die aktuelle Situation der staatlichen Überwachung muss in ihrer Wirkung ganzheitlich und vollständig betrachtet werden.

Die kumulierten Grundrechtseingriffe durch die Vorratsdatenspeicherung, die Bestandsdatenauskunft und das Ausmaß der Videoüberwachung im öffentlichen Raum haben ein erschreckendes Maß erreicht. Hier muss gegengesteuert werden, und das machen wir bereits mit unserem Antrag zur Vorlage einer Überwachungsgesamtrechnung, der gerade im Innenausschuss behandelt wird.

Wir müssen dazu übergehen, Maßnahmen genau zu evaluieren und Kameras nur dann einzusetzen, wenn sie tatsächlich geeignet sind, zu helfen, und keine flächendeckende Überwachung gewährleisten. Die bisherige Evaluation der Landesregierung – das wissen Sie genau wie ich – ist mangelhaft. Sie ist mangelhaft durchgeführt worden und blieb ohne eine unabhängige wissenschaftliche Begleitung.

Mit unserem Antrag heute und hier wollen wir nicht mehr und weniger, als dass sie uns vor einem weiteren Ausbau der Videoüberwachung in Nordrhein-Westfalen belegen, dass die bisherigen Maßnahmen wirksam waren. Denn wir brauchen keine weiße Salbe, kein Globuli in Form von Videoüberwachung an jeder Ecke. Wir brauchen Polizistinnen und Polizisten, die erreichbar sind, auch auf der Straße, die helfen und eingreifen können, da, wo es sinnvoll und notwendig ist.

(Beifall von den PIRATEN)

Vor allem brauchen wir weniger Angstmacherei und keinen sinnlosen Aktionismus. Und wenn Sie das auch nicht wollen, dann stimmen Sie unserem Antrag zu und legen die Berichte vor, die wir fordern! – Danke.

(Beifall von den PIRATEN)

 

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