Digitaler Wandel: Redeteil 2 zur Regierungserklärung – Michele Marsching

Piraten-Reden zu TOP 1: Regierungserklärung “Gestaltung des digitalen Wandels in Nordrhein-Westfalen”

in Verbindung damit

Die Digitale Zukunft Nordrhein-Westfalens benötigt ein eigenes „Internetministerium“ sowie einen „Internetausschuss“

Antrag der Piratenfraktion, Drucksache 16/7773

Es gilt das gesprochene Wort.


 

Alle drei Reden im PDF-Download

Redeteil 1: Joachim Paul, Fraktionsvorsitzender, Grundsätzliche Einordnung, Themen Breitbandausbau, Wirtschaft, Schutz der Privatsphäre und Datensicherheit, Gesundheit
Redeteil 3: Daniel Schwerd, Netz- und Medienpolitischer Sprecher, Forderung: Internetministerium NRW und Internetausschuss im Landtag NRW

 


 

 

Michele Marsching, Mitglied im Ausschuss für Schule und Weiterbildung

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

verehrte Zuschauer auf der Tribüne und zu Hausen,

sehr, sehr geile Sachen hier.

„Politik ist das lange und langsame Bohren dicker Bretter.“ Dieser Satz von Max Weber wird auch hier im Haus tagein, tagaus belegt.

Noch zu Beginn der Legislaturperiode war Ihnen – Frau Ministerpräsidentin – das Thema „Einsatz digitaler Medien an Schulen“ in Ihrer Regierungserklärung kein einziges Wort wert, auch Ministerin Löhrmann hat das Thema in Ihrer Erklärung im zuständigen Schulausschuss 2012 nicht mit einer einzigen Silbe erwähnt.

Heute aber ist ihnen der „Digitale Wandel in der Bildung“ plötzlich so wichtig, dass sie ihn sogar als Einstieg ihrer Regierungserklärung verwenden. Seit 2012 haben wir PIRATEN das Thema auf die Agenda gesetzt, haben zahlreiche Initiativen gestartet und freuen uns natürlich jetzt umso mehr, dass dieses dicke Brett endlich durchbohrt scheint und das Thema „Digitales Lernen“ bei den Zielen der Regierung vorne an steht. Der Raubmordkopie sei Dank. Supergeil!

Allerdings: Es wurde auch höchste Zeit! Denn die bisherige Regierungsbilanz in diesem Bereich ist einfach nur erbärmlich.

Denn – was haben sie schon gemacht?

Sie haben grafikfähige Taschenrechner verbindlich in der Oberstufe eingeführt, um den Beschluss der Kultusministerkonferenz „Medienbildung in der Schule“ umzusetzen. Grafikfähige Taschenrechner?! Technologie aus den achtziger Jahren des letzten Jahrtausends?! O’rly?!

Die Fachleute sind Sturm gelaufen, wir haben Ausnahmeregelungen erkämpfen müssen, um den Einsatz von Laptops und Tablets zu erlauben. Aber selbst diese scheinen untauglich zu sein, Fachleute haben die Ausnahmen bei der Anhörung zu unserem Antrag „Bildungsinnovation 2020“ als eines der größten Hemmnisse für ihre eigene IT-Arbeit bezeichnet. Supergeil!

Sie verzichten auf die EU-Fördermöglichkeiten aus dem Programm „Digitale Bildung öffnen“. Aber genau mit dieser Initiative will die EU-Kommission doch die digitale Kompetenz in der Schule fördern!

Sie wollen sich hier nicht auf Ziele für die gemeinsame Strategie mit dem Bund zum Digitalen Lernen festlegen. Vorauseilend versicherte uns Frau Ministerin Löhrmann, dass sich die Landesregierung doch ohnehin für die von uns formulierten Ziele einsetzt. Noch am 24. November konnten sie allerdings im Ausschuss keine Angaben zum Sachstand bei dieser gemeinsamen Strategie machen.

Man habe halt noch nichts gehört, aber trotzdem irgendwie die Befürchtung, dass im Rahmen der Digitalen Agenda das Digitale Lernen in den Hintergrund rückt. In Wahrheit aber hatte die Bundesbildungsministerin bereits Anfang November vermelden lassen, dass ein Expertengremium dazu seine Arbeit aufgenommen habe!

Da stellt sich mir doch die Frage, ob das Thema „Digitales Lernen“ bei dieser Landesregierung tatsächlich in den richtigen Händen liegt! Aber Frau Ministerin Löhrmann, das ist gar nicht böse gemeint: Das Schulministerium hat nun mal sehr viele Aufgaben und viele Fragen liegen weit verstreut auch bei anderen Ministerien.

Wo ich aber gerade bei ihnen bin Frau Ministerin: In der Pressekonferenz am 15. Januar haben sie angekündigt „zum gesamten Feld Digitales Lernen werde ich sie – wenn wir unsere Pläne konkretisiert haben – gesondert informieren.“

In meinen Ohren klingt das nur ein klitzekleines bisschen besser, als „die kontinuierliche Weiterentwicklung und Bearbeitung der fünf Handlungsfelder“, die sie bisher immer wieder beschworen haben. Doch damit ist es nicht getan! Konkretisieren sie endlich ihre Pläne, denn das tun sie in dieser Regierungserklärung nämlich wieder nicht!

In diesem Zusammenhang erlaube ich mir eine Empfehlung abzugeben: reden sie doch mal mit progressiven IT-Experten, die keine unmittelbaren wirtschaftlichen Interessen vertreten. Reden Sie mit dem Chaos Computer Club, den Initiativen für offene Lernmittel und mit Open Source-Communities. Wenn sie mögen, dann stehen sogar wir zu diesem Thema zur Verfügung! Wir álle würden uns über ihre Fragen freuen!

Bisher präsentiert die Landesregierung laufende Programme wie den „Medienpass“ als die Antwort auf die Herausforderungen beim „Lernen mit Medien“. Nichts gegen den Medienpass, er hat durchaus gute Seiten, aber das Angebot ist nun mal unverbindlich! Und so bleibt es jeder Schule selbst überlassen, ob der Medienpass zum Einsatz kommt oder nicht! Wie soll ein solches Angebot denn bitte helfen, die riesige Aufgabe zu erfüllen, dass jede Schülerin und jeder Schüler IT als Arbeitsmittel in der Schule wie selbstverständlich einsetzen kann?

Ganz ehrlich? Das ist so, als wenn man ein Glas Wasser in die Luft hält und ruft „Hier! Jetzt können alle schwimmen lernen!“

Und dann schmücken sie sich mit fremden Federn: Die Weiterentwicklung der learn:line geht auf unsere Initiative zurück! Ihr Vorzeigeprojekt „Logineo“ wird von den Landschaftsverbänden entwickelt und bereitgestellt! Jetzt anzukündigen, dass man in der sowieso geplanten Novellierung der Lehrerausbildung dem Thema „Medienbildung“ mehr Gewicht verleihen will?

Das ist doch keine politische Großtat! Das sind die Vorgaben der Kultusministerkonferenz, die dies ohnehin erforderlich machen!

Und es ist auch kein Ruhmesblatt, wenn die Ministerin bei der Vorstellung der ICILS-Studie feststellt (die computer- und informationsbezogene Kompetenzen von Schülern untersucht), dass nicht das Land, sondern die Schulträger bei der Ausstattung der Schulen zuständig seien. Das mag zwar nach den Buchstaben des Gesetzes richtig sein, aber sich hinzustellen und zu sagen „da können wir jetzt auch nicht viel machen“ ist einfach … supergeil!

Der Erziehungsauftrag der Schule beinhaltet nach §2 SchulG auch: „Schülerinnen und Schüler werden befähigt, verantwortlich am sozialen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, beruflichen, kulturellen und politischen Leben teilzunehmen und ihr eigenes Leben zu gestalten.“

Dazu gehört aber mehr und mehr die Fähigkeit, webbasierte Medien nutzen zu können. Informationen, die im Internet verfügbar sind einzuordnen und verarbeiten zu können. Im selben Paragraphen steht deshalb auch: „Die Schülerinnen und Schüler sollen insbesondere lernen (…) 9. mit Medien verantwortungsbewusst und sicher umzugehen.“

Die Verantwortung, hierfür geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen liegt beim Land! Um aus dem Mittelalter bei der technischen Ausstattung von Schulen (wie es der Verband Bildung und Erziehung formuliert) herauszukommen, ist es jedoch gar nicht notwendig, die Finanzierung der Schulträgeraufgaben auf den Kopf zu stellen.

Wenn der politische Wille vorhanden wäre, stünde der Entwicklung nichts im Wege, wenn das Land auf die Schulträger zuginge. Aber was findet sich dazu in ihrer heutigen Erklärung? Nicht ein Wort! Supergeil!

Kollege Klaus Kaiser (Ehre, wem Ehre gebührt) hat in der Anhörung zur „Bildungsinnovation 2020“ die durchaus berechtigte Frage gestellt: „Was sollte für die Landespolitik in diesem Zusammenhang oberste Priorität haben?“ und die kommunalen Spitzenverbände haben geantwortet: „das Auflegen einer Strategie“, sowie „ein Vorgehen mit alle Beteiligten“. Den Startschuss dafür hatten wir uns nach der Studie erhofft! Was kommt von ihnen? Nichts! Supergeil!

Die Koordination der Entwicklung einer solchen Strategie und deren Umsetzung, das sind Aufgaben eines Internetministeriums! Übrigens genauso wie die beständige Förderung der Entwicklung einer offenen Infrastruktur aus Open-Source-Software, offenen Standards, Dateiformaten und Inhalten unter freier Lizenz.

Und wer eine Regierungserklärung abgeben könnte, die sich nicht anhört wie aus Zeiten, in denen wir noch per Akkustikkoppler ins Netz gegangen sind, würde auch verstehen, wenn ich sage:

„Oh hier, eine Regierungserklärung, die ist aber weich! Sehr, sehr geil!“

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