Frank Herrmann zu den Übergriffen auf Asylbewerber durch Sicherheitspersonal

Donnerstag, 2. Oktober 2014

Top 1.  Unterrichtung durch die Landesregierung

Übergriffe auf Asylbewerber durch Sicherheitspersonal in Unterbringungseinrichtungen des Landes

in Verbindung damit

Vernachlässigung und Misshandlung von Flüchtlingen in den Landesaufnahmen beenden – Die Landesregierung muss sich ihrer Verantwortung für Schutzsuchende in Nordrhein-Westfalen stellen

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der PIRATEN

Drucksache 16/6909

in Verbindung damit

Landesregierung versagt bei Aufsicht und lässt Kommunen allein: Misshandlung Asylsuchender in nordrhein-westfälischen Flüchtlingsunterkünften muss dringend aufgeklärt werden!

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der CDU

Drucksache 16/6910

in   Verbindung damit

Transparenz schaffen – Die Landesregierung darf sich nicht hinter den Aussagen von privaten Betreibern von Flüchtlingsunterbringungen verstecken

Eilantrag auf Antrag der Fraktion der   PIRATEN

Drucksache 16/6911

Unsere 2. Redner: Frank Herrmann
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Videomitschnitt der kompletten Debatte

Protokoll der Rede von Frank Herrmann:

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Lindner.  Als nächster Redner ist für die Piratenfraktion Herr Kollege Herrmann angekündigt. Bitte schön.

Frank Herrmann (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was haben wir nicht schon alles für ein Hin und Her gehört. Aber eines hat noch keiner gefragt, nämlich warum wir uns erst heute mit diesem Thema beschäftigen und nicht schon gestern, am ersten Plenartag. Hatte vorher niemand Zeit, oder wollten Sie warten, bis der Skandal vielleicht vorbei ist? Ich denke, so schnell geht das nicht.

(Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

Entschuldigung Frau Kraft, zu Ihrem Einwurf, die Unterrichtung vom Ministerium war für heute angemeldet: Das hätten wir auch gestern machen können, okay. Es ist für mich immer noch schwer vorstellbar, dass die Bilder mit den am Boden liegenden Menschen gerade einmal 100 km von hier, vom Landtag entfernt, aufgenommen worden sind. Das ist eine Schande für Nordrhein-Westfalen. So etwas dürfte es hier nicht geben. Wir müssen alles dafür tun, dass das nie wieder passiert.

(Beifall von den PIRATEN)

Damit kommen wir direkt zu einem Kernpunkt dieser Debatte, nämlich Verantwortung und Verpflichtung. Es ist nicht das erste Mal, dass wir hier im Landtag Nordrhein-Westfalen über Verantwortung sprechen. Sehr oft wird dann mit dem Finger auf die anderen gezeigt, die anderen Parteien, Fraktionen, auf den Bund, die Kommunen, private Unternehmen oder sogar die ganze Gesellschaft. Das führt dann dazu, dass Verantwortung hin- und hergeschoben wird und schließlich gar nicht mehr wahrgenommen wird. Herr Körfges, Sie haben einige exemplarische Beispiele dafür geliefert, Herr Minister ebenfalls.

Nun betrifft es eine ganz besonders schutzbedürftige Gruppe von Menschen. Das Ausmaß der Verantwortungslosigkeit ist erschreckend. In Burbach war es anscheinend an der Tagesordnung, dass Schutzbefohlene gequält, vernachlässigt, misshandelt und gedemütigt worden sind.  So ist der Informationsstand im Moment. So ist der Informationsstand im Moment. Um es klar und deutlich zu sagen: Die Misshandlungen werfen wir den Wachleuten vor. Aber die Vernachlässigung oder gar Schlimmeres  es kommt ja nur ein kleines Stückchen heraus  werfen wir der Landesregierung und den Verantwortlichen vor. Und wenn die Polizei und Beamte des Ministeriums oder der Bezirksregierung Arnsberg tatsächlich vorher etwas von den Vorfällen wussten, dann müssen die Verantwortlichen gehen, und zwar sofort. Alles andere wäre unerträglich.

(Beifall von den PIRATEN)

Unerträglich sind aber auch die Zustände in den Landesaufnahmeeinrichtungen. Für diese Zustände tragen Sie, meine Damen und Herren, die Verantwortung. Ich meine damit nicht nur die Landesregierung in der Person von Herrn Jäger  das haben Sie richtig gehört , auch der Landtag NRW hat versagt.

(Zuruf von Marc Herter [SPD])

Dass die Flüchtlingszahlen steigen, die Zahl der Kriege und Krisenherde zunimmt, wissen wir nicht erst seit gestern. Das Land ist aber gesetzlich verpflichtet, die zugewiesenen Flüchtlinge menschenwürdig aufzunehmen. Und es hat sich darauf nicht ausreichend vorbereitet. Ich würde sagen: Es hat sich fast gar nicht darauf vorbereitet. Hier im Landtag ist seit mehr als zwei Jahren bekannt, dass die Flüchtlingsaufnahme in ganz NRW in einer Krise steckt. Das wurde im Plenum, in Ausschüssen, Veranstaltungen, Zuschriften, Positionspapieren, Anträgen, Briefen, Anhörungen und informellen Runden thematisiert. Jeder Abgeordnete in diesem Haus war informiert. Ich würde sagen: Sie sind sehenden Auges in die Katastrophe gesteuert.  Hier nun auch noch den Eindruck eines rasanten, überraschenden oder gar nicht zu bewältigenden Anstiegs von Flüchtlingszahlen zu kolportieren  was wir einige Male gehört haben , das ist mehr als armselig, es ist zudem auch noch gefährlich, und es fördert Ressentiments.

(Beifall von den PIRATEN)

Nein, unsere Fraktion zähle ich nicht dazu. Wir haben eine Neukonzeption der Flüchtlingsaufnahme mit verbindlichen Standards und Kontrollen und dezentraler, humaner Unterbringung gefordert. Wir fordern seit einem Jahr die Offenlegung aller Verträge und Vereinbarungen mit den Betreibern der Einrichtungen. Und wir forderten bereits im letzten Jahr mehr Personal für das Ministerium und die Bezirksregierung Arnsberg, damit das alles umsetzbar ist. Aber erst jetzt genehmigt der Herr Minister 23 Stellen. Das ist viel zu spät. In einem Interview mit der „Tagesschau“ am Montag erklärte Kay Wendel, der im Auftrag von Pro Asyl eine umfangreiche Studie zur Unterbringung von Flüchtlingen in Deutschland veröffentlicht hat, Folgendes  ich zitiere :

„Es gab von Politikern in NRW und in Brandenburg in der letzten Zeit Aussagen, dass angesichts des angeblichen Unterbringungsnotstands Mindeststandards nicht mehr berücksichtigt werden könnten, die könne man sich jetzt nicht mehr leisten.“ Ich weiß übrigens, welche Politiker aus NRW gemeint sind. Belege dafür finden der interessierte Mensch in den Plenarreden und Ausschussprotokollen der letzten Jahre. Herr Wendel führte weiter aus  ich zitiere noch mal mit Erlaubnis des Präsidenten: „Insofern ist es auch kein Wunder, dass Misshandlungsfälle jetzt auftreten und unseriöse Betreiber oder outgesourcte Wachschutzfirmen sich so etwas leisten.“ Das ist, wie ich finde, eine deutliche Warnung. Meine Damen und Herren, unserer Meinung nach hätte die Misshandlung von Flüchtlingen in den Flüchtlingsunterbringungseinrichtungen durch die Landesregierung verhindert werden können. Es gab genug Hinweise. Und ob die Polizei oder der Bürgermeister vorher informiert war, das wird sich noch herausstellen.

Der Bericht über die aktuelle Situation in den Einrichtungen aus dem letzten Innenausschuss am 18. September wurde schon erwähnt. Den hatten wir bestellt; ich muss das leider noch mal betonen. Vor genau zwei Wochen also hatten Herr Jäger und seine Beamten den Auftrag, die aktuelle Situation aufzuarbeiten. Von den jetzt bekanntgewordenen Zuständen ist im Bericht und in den Erklärungen im Ausschuss aber kein Wort zu finden. Im Gegenteil: In der Sitzung und im Bericht wurde lediglich stark beschwichtigt, sämtliche Kritik vom Tisch gewischt. Nun ist offensichtlich, dass die Opposition belogen wurde oder das Ministerium völlig ahnungslos war. Ich weiß nicht, was schlimmer ist. Wir werden das auf jeden Fall aufklären müssen.

Dass die Kritik, das System der Aufnahme sei kollabiert, von Ihnen, Herr Jäger, in der Sitzung harsch zurückgewiesen wurde, ist umso krasser, weil damals sogar Busse mit Flüchtlingen unangemeldet und unversorgt nach Hessen in die dortige Aufnahme verschleppt wurden. Das haben wir damals angesprochen, und ich weiß ehrlich gesagt nicht, welches andere Wort man nehmen sollte als „kollabiert“. Sie hätten spätestens da handeln müssen, Herr Jäger. Das haben Sie nicht getan. Im Übrigen haben wir vor zwei Wochen ebenfalls vorgeschlagen, dass sich der Innenausschuss ein eigenes Bild von den Aufnahmeeinrichtungen macht. Das wurde von allen anderen Fraktionen abgelehnt. Vor zwei Wochen!

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Unglaublich!  Weitere Zurufe von den PIRATEN: Aha! Oho!) Wir müssen also festhalten: Die Opposition war falsch oder gar nicht informiert. Die Landesregierung und Abgeordnete von SPD und Grünen beschwichtigen und beschönigen die Situation immer wieder.

Ich finde all das sehr bemerkenswert, vor allen Dingen, wenn man bedenkt, dass nach dem Zusammenbruch der Landesaufnahme in Dortmund vor anderthalb Jahren, im Herbst 2012, eine Riesenprojektgruppe eingerichtet wurde. Im Mai dieses Jahres hat sie einen Projektbericht zur Unterbringung von Asylbewerbern in NRW-Einrichtungen vorgelegt. Im Bericht steht nichts über Sicherheitsüberprüfungen oder mehr Aufsicht und Kontrolle. Aber es wird angekündigt, Aufnahmeeinrichtungen stärker als bisher in privatwirtschaftliche Hände zu geben, um die Aufnahme effizienter und wirtschaftlicher zu organisieren. Die Projektgruppe selbst gibt dazu zu bedenken, dass der Bericht eine administrative Handschrift trägt und die Perspektive von Flüchtlingen unterbelichtet erscheint.  Was für ein Hohn! Wir erwarten, nein: wir verlangen, dass der Bericht gemeinsam mit Experten aus der Flüchtlingsarbeit komplett überarbeitet wird.

(Beifall von den PIRATEN)

Die Projektgruppe hat für den Bericht übrigens ein ganzes Jahr gebraucht. In der Zeit haben sich die Flüchtlingszahlen nahezu verdoppelt. Für eine Verbesserung des Systems ist aber nichts passiert; man hat nur an dem Bericht gearbeitet.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Scheindebatte!)

Ist das vorausschauende Politik? Ich denke nicht. Nun ist die Landesregierung auch noch in einen Misshandlungsskandal in den Aufnahmeeinrichtungen verwickelt. Solche Dinge stellt man sich nicht mal in Albträumen vor. Die Vorfälle haben international für Schlagzeilen gesorgt. Burbach ist nun weltweit in einem Atemzug mit Guantanamo und Abu Ghraib genannt. So etwas haben auch wir uns niemals vorstellen können.

Die Betroffenheit der Landesregierung aber ist durchaus glaubhaft. Doch wenn man darüber nachdenkt, fragt man sich: Sind diese Taten wirklich so unvorstellbar gewesen, dass niemand so etwas in einem Land hätte erwarten können, in dem ständig über angebliche Belastungen geredet wird, die durch Flüchtlinge entstehen, wo Asylsuchende immer noch weitgehenden Restriktionen ausgesetzt sind und wo einer großen Gruppe von Verfolgten per Beschluss pauschal der Flüchtlingsstatus aberkannt wird, indem die Herkunftsländer wider besseres Wissen als sicher erklärt werden? Jetzt bräuchte es ein starkes Zeichen, damit dieser Makel der Fremdenfeindlichkeit nicht an uns haften bleibt.

(Beifall von den PIRATEN)

Aber eben noch präsentierte Herr Minister Jäger seinen untauglichen Sieben-Punkte-Plan. Keiner der Punkte ist funktional geeignet, die Lage für die Flüchtlinge zu verbessern. Es soll den Betreibern zukünftig untersagt werden, Subunternehmen für Security zu engagieren, Personal ohne Sachkundeprüfung und polizeiliches Führungszeugnis einzustellen. Eine obligatorische Sicherheitsprüfung durch Polizei sowie Verfassungsschutz soll nun erfolgen.  Ich bin übrigens gespannt, auf welcher Rechtsgrundlage dies geschehen soll. Das soll der Plan sein? Wo bleibt das strukturelle Konzept? Ich komme zum Schluss.

(Beifall von Michael Hübner [SPD])

Es ist unglaublich, dass diese Prüfungen bisher nicht gemacht wurden. Gerade in diesem sensiblen Bereich hätte niemals passieren dürfen, dass dort solche Kriminellen, Nazis oder Gewalttäter eingesetzt werden. Frau Düker, Sie haben darüber bisher offensichtlich nicht nachgedacht. Das ist traurig. Da sie zu einer Regierungspartei gehören, ist das, wie ich finde, sogar ein Skandal. Und ob der Verfassungsschutz nun die geeignetste Stelle ist, Nazis auszusortieren, sei mal dahingestellt.

Herr Jäger, Sie haben es aber immer noch nicht verstanden. Es ist einfach per se unglaublich und völlig inakzeptabel, dass es bisher so war und anscheinend weiter möglich sein soll, dass sich Wachleute neben der Essensausgabe aufstellen, dass Wachleute in Uniform auf dem Gelände herumrennen und Menschen einschüchtern, dass Wachleute neben den Leitern oder Mitarbeitern der Betreiber stehen, während Flüchtlinge ihr Anliegen vorbringen. Die Menschen, die hier Schutz suchen, suchen diesen nicht einfach so. Sie haben meist traumatische Erfahrungen gerade mit Personen in Uniform hinter sich. Diese Menschen brauchen kein Gefängnis. Dass man so etwas überhaupt diskutieren muss, macht mich einfach sprachlos.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, Sie kommen zum Schluss, bitte.

Frank Herrmann (PIRATEN): Ich komme zum Schluss, ja.  Wir brauchen Einrichtungen, die Menschen auffangen und ihnen Versorgung garantieren. Das Gefühl der Schutzlosigkeit muss ihnen genommen werden. Stattdessen haben Sie ein System der Abschreckung etabliert, bei dem es anscheinend normal ist, Menschen, die nichts getan haben, mit Zäunen und Wachleuten weit draußen einzusperren. Das ist einfach widerlich. Und dass Ihr Sieben-Punkte-Plan daran nichts ändern wird, potenziert die Schande ins Unermessliche. Herr Minister Jäger, wir fordern Sie auf, eine Neukonzeption der Flüchtlingsaufnahme im Land zu machen, damit wir baldmöglichst wieder menschenwürdige Zustände in den Unterbringungen haben und das Wort „Willkommenskultur“ nicht nur eine Prospektüberschrift bleibt. Vorschläge dazu haben wir bereits genug geliefert.

Ein letztes Wort zu unserem Eilantrag: Alle Forderungen, die hier erhoben wurden, stehen darin. Ich erwarte Ihre Zustimmung dazu.  Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN) Vizepräsident Oliver Keymis: Für die Landesregierung hat sich Herr Minister Jäger zu Wort gemeldet.

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