Donnerstag 06. November 2014
Top 1. A k t u e l l e S t u n d e
Erst Bürokratie-, jetzt Datenmonster – NRW muss PKW-Maut stoppen. Keine Totalüberwachung in NRW!
Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/7213
in Verbindung damit
Interessen von Nordrhein-Westfalen werden übergangen – Pkw-Maut schadet Tourismus, Gastronomie und Einzelhandel
Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der FDP
Drucksache 16/7214
Unser 1. Redner: Oliver Bayer
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Protokoll der Rede von Oliver Bayer
Oliver Bayer (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Besucher hier, am Stream und auf den Autobahnen! Die Zuhörer auf den Autobahnen sind vielleicht ein bisschen mehr als sonst, ein kleiner Vorgeschmack. Denn an Tagen wie heute merken wir, wie wichtig die Verkehrsinfrastruktur für uns ist und wie sehr wir darauf angewiesen sind, dass Bus, Bahn und Straße funktionieren und verantwortungsvoll gestaltet werden auch für die, die da am Eingang stehen.
Wir wissen, dass unsere Infrastruktur marode ist. Denn Sie haben leider total vergessen, in die Instandhaltung zu investieren. Wir haben alle Milliardenbeträge ausgerechnet, die uns bei Straße, Bahn und ÖPNV jährlich fehlen. Doch Minister Dobrindt fordert von der Bahn weiter höhere Dividenden, und den Bedarf beim ÖPNV ignorieren Bund und Land komplett. Unserer Patientin, der Verkehrsinfrastruktur, geht es nicht gut.
Jahrzehnte falscher Verkehrspolitik haben sie stark geschwächt. Was tun? Umstellung der Ernährung, Prioritäten anders setzen, Verkehrspolitik nachhaltig ändern das wäre gut, aber leider ist das nicht der Fall , weiter so mit dem Raubbau und uralten Verkehrskonzepten, aber dann wenigstens eine starke Medizin? Nein, das ist zu teuer. Wir müssen in dieser Legislaturperiode das Geld zusammenhalten, sagt der Bund, nicht in der nächsten. Also hat CSU- und Stillstandsminister Dobrindt eine tolle Idee, ein Placebo, die Pkw-Maut, ein Placebo mit Nebenwirkungen, Ja, es juckt und nervt fürchterlich, schadet dem kleinen Grenzverkehr, der Wirtschaft, dem Tourismus, bringt keine Lenkungswirkung, keine wirklichen Einnahmen und macht keinen Sinn. Im Gegenteil: Der Euro aus der Kfz-Steuer fließt in die Verwaltung der Pkw-Maut und demnächst garantiert nicht mehr in die Infrastruktur.
Wir haben ein Placebo, die Pkw-Maut, das zuverlässig wirksame Lösungen gegen den Verfall der Infrastruktur blockiert. Das wollen wir nicht. Damit sind wir in NRW nicht einverstanden. Im September-Plenum waren wir uns einig das ist gut , aber was ist seitdem bei den Verhandlungen passiert? Die Pkw-Maut bleibt eine City-Maut. Bundestraßen führen auch durch Städte, die B1 führt direkt zum Landtag.
(Unruhe bei der CDU)
Sie können mir ruhig gerne zuhören! Das ist wichtig!
(Beifall von den PIRATEN)
Das gilt auch für Herrn Laschet, weil er daran beteiligt war. Einen Wirkstoff konnte nämlich Herr Laschet der Pkw-Maut nicht hinzufügen. Die Pkw-Maut bringt der Infrastruktur weiterhin gar nichts. Auch eine Maßnahme, die die Symptome lindern oder grundsätzlich weiterhelfen könnte, etwa eine zusätzliche Kraftstoffabgabe oder Ähnliches, hat man nicht vereinbart. Doch das Placebo ist jetzt trotzdem kein Placebo mehr. Herr Minister Dobrindt und Armin Laschet haben der Pkw-Maut etwas beigemischt, sodass einem richtig übel wird, nämlich die Totalüberwachung.
(Beifall von den PIRATEN)
Jetzt muss man sich Folgendes vorstellen, das bei jeder Fiktion übertrieben wäre, in der Realität jedoch machbar ist: Statt etwas Sinnvolles zu tun und alte Fehler gutzumachen, schaffen es CSU, CDU und SPD, an etwas völlig Sinnfreiem so lange herumzubasteln, bis zwei Hände für ein Facepalm nicht mehr reichen und der Kopf durch die Tischplatte bricht.
(Beifall von den PIRATEN)
Es wird also eine umfangreiche Überwachungsinfrastruktur aufgebaut. Nicht nicht nur die Hardware, die Mautbrücken, bietet die rein technische Möglichkeit der Überwachung, nein, zusammen mit dem Zentralen Infrastrukturregister und den gesetzlichen Regeln zum Betrieb wird die Überwachung sehr konkret. Es ist nicht so, dass die Pkw ebenso wie die Lkw Transponder hätten und die Daten sofort gelöscht würden, wenn kein Verstoß vorliegt. Nein, im Gegenteil: Der Gipfel ist die Speicherung der Fotos und genauen Daten aller deutschen Autofahrer für 13 Monate, und zwar ohne Optout, ohne Möglichkeit für deutsche Autobesitzer, dem zu widersprechen und sich dem zu entziehen. Will ich keine Bundesfernstraßen nutzen, werde ich erst recht überwacht. Denn im Nachhinein muss bewiesen werden, dass ich diese Straßen nicht genutzt habe.
Zielgruppe, Speicherung und Umfang stellen die Möglichkeiten der Lkw-Maut und aller bisherigen Überwachungsstrukturen in Deutschland deutlich in den Schatten. Die Qualität ist dann eine völlig neue. Was wir also bekommen, ist eine Vorratsdatenspeicherung für Bewegungsprofile, der sich niemand entziehen kann. Das können wir nicht ernsthaft wollen. Es handelt sich um sehr attraktive Vorratsdaten, perfekt aufbereitete Daten, Big Data der Extraklasse, die natürlich Begehrlichkeiten wecken. Im Jahr 1 nach der Enthüllung durch Edward Snowden können wir das nicht einfach ignorieren und mit der Aussage „Die Daten sind sicher“ abtun.
(Beifall von den PIRATEN)
Sind solche praktischen Überwachungsinfrastrukturen vorhanden, werden sie mit und ohne Wissen und Billigung der Öffentlichkeit zur Totalüberwachung der Bevölkerung eingesetzt. Die Überwachungsinfrastruktur kann zudem ohne Zustimmung des Bundesrates ausgeweitet werden. Das betrifft die Ausweichstrecken für Gäste zum Beispiel aus den Niederlanden. Dadurch werden entweder die Anwohner belastet, oder es darf nach Belieben bemautet werden, wenn es sich um Ausweichstrecken handelt. Dem Ausbau sind somit kaum Grenzen gesetzt. Das betrifft auch die Ausweitung der Lkw-Maut. Wenn diese eingeführt wird, dann wird auch die Pkw-Maut ausgeweitet.
In diesem Zusammenhang möchte ich SPD und Grüne hier im Saal fragen: Nehmen Sie dabei die Überwachungsinfrastruktur in Kauf schließlich wollen Sie die Ausweitung der Lkw-Maut , oder treten Sie im Hinblick auf die Bewegungsprofilvorratsdatenspeicherung von Ihren Forderungen zurück? Wie werden Sie in dieser Hinsicht handeln? Herr Minister Groschek tut die Pkw-Maut als Murks-Maut ab. Das ist ein schöner Zungenbrecher und klingt ganz nett, aber er selbst hat die Verschlimmbesserung durchaus forciert, indem er gefordert hat, statt Toll Collect und Papiervignetten das System einzusetzen, das nun geplant ist. Die Pläne schaffen ein teures und ineffektives Bürokratie- und Datenmonster und bieten keine Lösung für die Verkehrsprobleme. Der Patientin Infrastruktur ist damit nicht geholfen, zudem liegen auch noch Privatheit und Datenschutz neben ihr auf der Intensivstation.
Kann man da noch einen draufsetzen? Ja, man kann. In diesem Fall bedeutet dies Organentnahme, das heißt Privatisierung. Zu irgendetwas muss die Pkw-Maut doch gut sein, und eine schöne Überwachungsinfrastruktur für eine Pauschalabgabe ist reichlich überdimensioniert. Abgesehen davon, dass wir sowieso mehr zahlen werden müssen …
Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Oliver Bayer (PIRATEN): … schließlich ist die Kfz-Steuer-Entlastungsgrenze noch nicht darin enthalten; ich komme zum Schluss , bietet diese Überwachungsinfrastruktur eine ideale Abrechnungsmöglichkeit für private Fernstraßen. An dieser Stelle kann Herr Lindner gleich anknüpfen und die Überwachungsinfrastruktur mit der Privatisierung in Zusammenhang bringen.
Mir ist es wichtig, dass wir uns in dieser Hinsicht nicht darauf verlassen, dass entweder die EU die Maut kippt oder dass wir die Überwachungsinfrastruktur mit Klagen kippen. Vielmehr sollten wir jetzt zusammen etwas dagegen tun und die Reißleine ziehen. Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Bayer. Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Lindner.
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