Freitag, 31. Januar 2014
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Protokoll der Rede von Frank Herrmann:
Frank Herrmann (PIRATEN): Vielen Dank. Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich weiß, es ist Freitagnachmittag, und Sie sitzen auf Ihren gepackten Koffern. Trotzdem würde ich mir wünschen, es wären noch ein paar mehr Parlamentarier anwesend, die diesem Thema etwas Aufmerksamkeit schenken würden.
„Nordrhein-Westfalens öffentlicher Raum: Haben wir schon eine flächendeckende Videoüberwachung?“ Das haben wir die Landesregierung in einer Großen Anfrage gefragt. Die Antwort lautet frei übersetzt: Das wollen wir gar nicht wissen.
Anstatt, wie in Bayern bei einer ähnlichen Anfrage geschehen, das Bestmögliche zu tun, um ein klares Bild der Lage zu erhalten 17.000 Kameras wurden in Bayern gezählt , hat die Landesregierung hier lieber viele Ausreden und juristische Spitzfindigkeiten gesucht, warum sie sich nicht bemühen muss, uns, den Bürgerinnen und Bürgern, eine Übersicht über das Ausmaß der Videoüberwachung zu geben. Meine Damen und Herren, 2.750 Kameras, die von Landesbehörden betrieben werden, hat die Landesregierung gezählt. 2.750! Wenn die Kameras in den Kommunen mit erfasst worden wären, hätte man leicht eine Null anhängen können. Denn 63 Kameras pro Kreis bzw. kreisfreier Stadt hätten dafür gezählt werden müssen.
Ich bin mir sicher, dass wir diese Zahlen leicht erreicht hätten. Die Kameras in Rathäusern, Schulen, Sportstätten usw. sind im Bericht gar nicht aufgelistet. Wollen Sie, die Landesregierung, das nicht wahrhaben, oder warum sträuben Sie sich gegen eine Bestandsaufnahme? Eine Bestandsaufnahme ist doch immens wichtig, um eine Bewertung der Situation vorzunehmen. Ist die Videoüberwachung in diesem Maß überhaupt notwendig, verhältnismäßig, gesellschaftlich erwünscht, sinnvoll und wirksam? Die Videoüberwachung ist heute omnipräsent. Schauen Sie sich in den Innenstädten, auf den öffentlichen Plätzen, in Geschäften, Bus und Bahn einmal um. Überall gucken Sie in diese Linsen, die jeden Schritt, den wir machen, festhalten und überwachen. Und es werden einfach immer mehr. Ohne Sinn und Verstand wird hier aufgerüstet. Die Deutsche Bahn will zig Millionen in die Überwachung von Bahnhöfen stecken. Kürzlich gaben die Kölner Verkehrs-Betriebe bekannt, alle Busse mit jeweils mehreren Kameras ausstatten zu wollen. Die Stadt Meschede und die Stadt Köln wollen die Videoüberwachung öffentlicher Plätze zur Bekämpfung von Vandalismus und Sprayern. Zigtausendfache Persönlichkeitsverletzung gegen die Möglichkeit, vielleicht Vandalismusschäden aufdecken zu können?
Die Verhältnismäßigkeit ist hierbei schon lange nicht mehr gegeben. Meine Damen und Herren, ich will hier keine Panik verbreiten oder Horrorszenarien beschreiben. Wir müssen aber realisieren, dass wir gerade einen technologischen Wandel erleben. Die Videoüberwachung heute hat nichts mehr mit der Pförtnerkamera von vor 20 Jahren zu tun. Die Kameras werden kleiner, machen hochauflösende Bilder und sind oft mit weit entfernt liegenden Leitstellen vernetzt. Wer einen durch diese Linsen anguckt, weiß man nicht.
Gesichtserkennung und Verhaltensmustererkennung werden übrigens auch in einigen Städten in NRW vermehrt eingesetzt, und zwar getarnt als Forschungsvorhaben. Wenn überhaupt, wird man durch ein kleines blaues Schild auf die Überwachung aufmerksam gemacht. Das reicht bei dieser neuen Technik jedoch nicht mehr aus.
Und die Wirksamkeit von Videoüberwachung wird seit jeher durch wissenschaftliche Forschungsergebnisse ganz klar in Zweifel gezogen. Bei der Prävention sagt uns die Forschung, dass oft Verdrängungseffekte in nicht überwachte Randgebiete stattfinden. Auch beim Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger zeigt sich, dass mehr Videoüberwachung das subjektive Sicherheitsgefühl nur kurzfristig steigert. Und überhaupt: Subjektives Sicherheitsgefühl bzw. gefühlte Sicherheit was heißt das denn? Noch vor Jahren hätte man jemanden, der einem gefühlte Sicherheit hätte verkaufen wollen, in die Wüste geschickt. Heute ist es das gängige Verkaufsargument, und wir zahlen viele Millionen Euro für dieses Gefühl.
Deshalb fordern wir eine Sicherheitspolitik auf der Basis von wissenschaftlichen Erkenntnissen und eine breite gesellschaftliche Debatte darüber. Denn als man anfing, Videoüberwachung einzusetzen, sollte diese nur in Ausnahmefällen erfolgen. Mehr als 40 Jahre ist das nun her. Was wir jetzt sehen, sind ein Gewöhnungseffekt und eine Normalisierung der Videoüberwachung. Unsere Gesellschaft gewöhnt sich daran, ständig überwacht und kontrolliert zu werden. Das steht im diametralem Kontrast zu unseren Rechten auf Freiheit und Selbstbestimmung. Gefühlte Sicherheit verspricht uns die Werbung. Gefühlte und tatsächliche Überwachung bekommen wir geliefert.
(Beifall von den PIRATEN)
Findet in Nordrhein-Westfalens öffentlichem Raum bereits Videoüberwachung statt? Wenn wir uns einmal umschauen, müssen wir diese Frage mit einem klaren Ja beantworten. Deshalb brauchen wir ein Bestandsregister, und wir brauchen neue Kennzeichnungen der Kameras. Denn ich möchte als Bürger wissen, ob ich dem Pförtner in die Kamera winken kann, damit er die Schranke öffnet, oder ob ich beim Blick in die Kamera mit einer Übertragung meiner Daten nach Wiesbaden, Washington oder Utah, einer biometrischen Erfassung und Datenabgleich rechnen muss.Darüber hinaus brauchen wir endlich Studien, die nicht von der Sicherheitsindustrie bezahlt werden und die die Frage beantworten, ob wir uns mit Videoüberwachung überhaupt Sicherheit einkaufen können. Danke schön.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Herrmann. Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Stotko.
Danke für das Video 🙂
Musste es mir einfach bis zum Schluss anschauen!
Ich weiß schon weshalb ich die Piraten gewählt habe, ich würde alles was er sagt so wie es ist unterschreiben.
Den Artikel übrigens auch 😉