Zum sechsten Mal haben wir uns am Montag mit Fußball-Fans getroffen, um Ihnen die Möglichkeit zu geben, aus ihrer Sicht die Situation in Fußballstadien und die aktuellen Probleme bei Fußballspielen darzustellen. Gestern ging es um die Konsequenzen der Ausschreitungen beim Revierderby, um Stadionverbote und den Einfluss von Rechtsextremen auf den Fußball.
Revierderby am 26.10.13 auf Schalke
Alle Beteiligten stimmten darin überein, dass beim letzten Revierderby Grenzen überschritten wurden und dass es jetzt noch schwieriger sein wird, gegen polizeiliche Repression zu argumentieren und das Thema Fanrechte in der Öffentlichkeit und in Gremien positiv zu besetzen. Das unkontrollierte Abfackeln von Pyrotechnik, in diesem Fall durch Anhänger des BVB, beim Revierderby war unverantwortlich, und es ist begrüßenswert, dass die Fanprojekte, die BVB-Förder- und Fanabteilungen, der Verein und auch Ultra-Gruppen schnell reagiert haben und diese Aktionen verurteilten. Kontrovers wurde darüber diskutiert, ob die Polizei rund um das Derby Fehler gemacht hatte. Auch über die Situation in Essen, als Fans, auf dem Weg zum Derby, auf das Gleisbett gelaufen sind, wurde diskutiert: Hätte es Maßnahmen der Polizei bedurft, hätte sie die Leute festhalten oder stärker kontrollieren müssen? In den Bussen der Polizei, in denen die Fans zum Spiel gebracht wurden, ist im Gegensatz zur Presseberichterstattung übrigens nichts kaputt gegangen, und es wurden auch keine Notfallhämmer geklaut. Die kleinen Hämmer, mit denen die Bereichssicherung eingeschlagen wurde, stammten somit nicht aus den Polizeibussen. Hier lautete schließlich das Fazit, dass die Polizei einiges richtig gemacht habe. Die Presseberichterstattung wurde kritisiert: Erstens seien die Berichte nicht objektiv, und zweitens heizten die vielen Artikel die Stimmung im Vorfeld von Risikospielen noch zusätzlich an. Die Selbstreinigung der Fußballfanszene wurde gefordert, was prompt zur Forderung nach einer Selbstreinigung der Polizei führte: In der Polizei herrsche z. B. ein Korpsgeist und viele würden sich selbst als unfehlbar betrachten. Der Polizei mangele es nicht nur an einer öffentlichen Fehlerkultur, sondern es gebe auch intern keine Möglichkeit, Hinweise und Beschwerden über schlecht organisierte Einsätze oder fehlerhaftes Verhalten von z. B. Kollegen oder Vorgesetzten an eine interne Ermittlungsbehörde zu richten. Im Februar wird unser Antrag zum Whistleblowerschutz in NRW in einem Sachverständigengespräch erörtert. Wir erhoffen uns viel Input, wie man in NRW Hinweisgeber besser schützen kann – auch innerhalb des Polizeisystems.
Zurück zum Derby: Viele Teilnehmer erklärten, dass die Fans mit dem vermehrten Abbrennen von Pyrotechnik auf die verstärkte Repression der Polizei, des DFB und der Vereine reagierten.Das Zünden von Pyrotechnik wird in den Fanszenen oft auch als „unübersehbarer Stinkefinger“ Richtung der Ordnungsbehörden verstanden, um zu demonstrieren, was sie von Kollektivstrafen, Überwachungsmaßnahmen mit militärischen Mitteln, Ausspionierung und Verletzung der Persönlichkeitsrechte halten. Statt besonnen zu reagieren, militarisiere die Polizei die Fanüberwachung. Und das beträfe nicht nur die Ultras, sondern alle Fans. Und hier liegt doch gerade das Problem: Pauschal stehen alle Fans unter Verdacht. Es wird nicht mehr differenziert, nach gezielten Lösungsansätzen und Maßnahmen gesucht. Es fehlt die Verhältnismäßigkeit.
(Anmerkung: Gerade ist mit SiKomFan! ein Forschungsprojekt der Bundesregierung mit Beteiligung des „Who is who“ der Überwachungstechnologie-Forschung wie z.B. der Firma Cassidian gestartet. http://www.sikomfan.de/). Im nächsten Fanhearing werden wir uns mit der technischen Überwachung in und rund um die Stadien beschäftigen.
Fazit der meisten Anwesenden: Die Fans der beiden Revierclubs müssen abrüsten. Die Polizei und Innenminister Jäger wurden auch aufgefordert, ihre Strategie zu überdenken. Wir empfehlen Herrn Jäger, sich ein Beispiel an seinem Amtskollegen in Niedersachsen zu nehmen. Boris Pistorius hatte sich im Vorfeld des Niedersachsenderbys dem Dialog mit Fans gestellt und zu einem Runden Tisch geladen. Es gab dann zwar auch dort in der Summe viel zu viel Fehlverhalten, aber es wurde ein Anfang gemacht, aufeinander zu zugehen.
Richtlinie zur einheitlichen Behandlung von Stadionverboten
Das zweite Thema des Abends war das leidige Thema Stadionverbote. Der DFB wird in den nächsten Tagen seine neuen Richtlinien zur einheitlichen Behandlung von Stadionverboten vorstellen. In der Presse wurde nun schon vorab berichtet, dass durch die Richtlinie mit Verlängerungen von Stadionverboten zu rechnen sei. In der gestrigen Runde war es strittig, ob die überarbeitete Richtlinie Verbesserungen für die von Stadionverboten betroffenen Fans ermöglichen wird. Zumindest wird den Bezugsvereinen ein bisschen mehr Mitspracherecht bei der Vergabe von bundesweiten Stadionverboten eingeräumt. Zukünftig sollen sie um eine Stellungnahme gebeten werden. Auch der Stellungnahme von Betroffenen soll ein größeres Gewicht zukommen. Insgesamt haben sich ein paar Kann- in Soll-Vorschriften geändert. Erst die Praxis wird zeigen, ob es Verbesserungen für die Betroffenen gibt. Denn es kommt vor allem auf die Umsetzung vor Ort an. Hier braucht man auch qualifiziertes Personal, dass die richtige Prognosen erstellt, damit nicht noch mehr Jugendliche schlechte Erfahrungen mit der Obrigkeit machen. Das System der Stadionverbote muss auch noch einmal komplett aufgerollt werden. Denn im Moment werden oft auch Unschuldige mit einem Stadionverbot belegt. Erst nach einer rechtskräftigen Verurteilung sollte ein Stadionverbot verhängt werden können und nicht schon bei Verdacht oder bei Bagatelldelikten. Die Fans äußerten ihre Vermutung, dass die Polizei bei den Vereinen Stadionverbote anrege, weil sie mit den eigenen strafrechtlichen Mitteln, die mit sehr viel höheren rechtsstaatlichen Hürden verknüpft sind, nicht weiterzukommen glaube.
Fazit: Es ist zumindest nicht schlimmer geworden. Wir bleiben bei dem Thema am Ball. Dieser Blogpost ist zum Lesen empfohlen: http://www.fankultur.com/bolzplatz/spielfeld/hintergrund/1628-die-neuen-stadionverbotsrichtlinien-was-hat-sich-geaendert.
Rechtsextremismus und Rassismus
Zu Recht wurde von Teilnehmern angemerkt, dass den Themen „Rassismus“ und „Rechtsextreme, -offene und -orientierte Fans“ mehr Bedeutung zukommen müsse. Hier geht es nämlich nicht um Böller, Bengalos und Sachbeschädigung, sondern um Gewalt von Neonazis gegen offene und tolerante Fangruppierungen. Seit 1,5 Jahren engagiert sich zum Beispiel die „Kohorte Duisburg“ und wird seither von rechtsorientierten Fans der Duisburger Szene unter Druck gesetzt, keine Zeichen gegen Rassismus und für Vielfalt zu setzen, sowie bedroht und angegriffen. Erschreckend war die Aussage, dass im Moment nur die Polizei ein professionelles Verhalten in Duisburg an den Tag lege. Der Verein stritt zunächst ab, dass es in Duisburg überhaupt Probleme gebe. Durch massiven Druck auch von Seiten der Presse nahm der Verein diese Aussage jedoch zurück und bemüht sich seither um Schadensbegrenzung. Die Vereine und die Gesellschaft müssen bemerken, dass diese Ultra-Gruppen einen Gewinn darstellen, weil sie aufklären und sich aktiv für Vielfalt einsetzen.
Jahrelang ignorierten und leugneten viele Vereine, dass es Probleme mit Rechtsextremen in der Kurve gibt. Das führt nun u.a. zu Solidarisierungseffekten der Anhängerschaft mit den Rechten. So war es auch bei Alemannia Aachen: Hier besuchen die Aachener Ultras das Stadion nicht mehr, weil sie keine Unterstützung gegen die Rechtsextremen Mitglieder der „Karlsbande“ erhielten, von denen sie regelmäßig angegriffen worden waren.
Auch die Fanprojekte beobachten das Roll-Back der Rechtsextremen mit Sorge: Das Problem gab es zwar immer, aber die Rechten hätten sich aufgrund der Vormachtsstellung der Ultras lange nicht mehr offen geäußert. Durch die Repression gegen die Ultras, z. B. durch Stadionverbote, haben sie nun wieder mehr Gelegenheit, die Stimmungsoberhand zu bekommen. Die Befürchtung der Teilnehmer ist, dass es in Zukunft vermehrt zu diesen Problemen kommen wird, weil die Rechtsextremen sehen, dass sie mit dieser Taktik Erfolg haben.
Was kann nun aktiv getan werden? Wir brauchen echte Präventiv-Programme, und zwar nicht nur für Jugendliche. Plakative Good-Will-Aktionen wie die „Rote Karte gegen Rassismus“ bringen nichts konkretes. Sie sind reine Alibi-Veranstaltungen und können am Ende sogar kontraproduktiov wirken. Die Erwachsenenprävention kommt beim Thema Rassismus viel zu kurz. Insgesamt sind die Vereine große Akteure der Stadtgesellschaft und haben ein großes Potential, positiv auf ihre Anhänger einzuwirken. Es ist daher notwendig, dass die Vereine sich Hilfe von außen holen. Z. B. lässt sich Borussia Dortmund gerade von Wissenschaftlern beraten und macht sehr gute Erfahrungen. Einige Vereine wie Bremen und Schalke leisten sehr gute Arbeit. Hier sollten sich andere Vereine einiges abschauen. Die Teilnehmer regten auch an, dass das Innenministerium eine Studie bei der KOS über Rassismus und Bedarfsanalysen in den einzelnen Vereinen in Auftrag gibt.
Wir bedanken uns herzlich für eure Teilnahme und die vielen Anregungen. Uns hat das Hearing sehr viel Spaß gemacht und wir hoffen, dass es im nächsten Jahr munter weitergeht. Ein Thema haben wir für das nächste Fanhearing ja schon gesetzt. Wenn ihr Infos und Anregungen habt, dann schreibt doch bitte an: marie.kuster@landtag.nrw.de
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