Plenarrede: Nico Kern zu Vertragsverletzungsverfahren gegen Großbritannien im Zusammenhang mit „Tempora“

Mittwoch, 10. Juli 2013

 

TOP 7. Britisches Überwachungsprogramm „Tempora“   ist unionsrechtswidrig:   Vertragsverletzungsverfahren gegen Großbritannien   einleiten!

Antrag der Fraktion der   PIRATEN

Block I

Unsere Abstimmungsempfehlung: Zustimmung zur Ausschussüberweisung

 

 

 

 

 

Audiomitschnitt der Rede von Nico Kern

Wortprotokoll zur Rede von Nico Kern

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Saal und zu Hause! Der Auftrag der Stasi im Unrechtsstaat DDR war simpel: alles zu wissen – die Totalüberwachung aller gesellschaftlichen und politischen Abläufe.

Dabei wähnte man sich natürlich im Recht. Ich zitiere: „Wir haben versucht, nach der Ver-fassung und den bestehenden Gesetzen einwandfrei zu arbeiten.“ Das sagte einst Stasi-Chef Erich Mielke über die Arbeit seines Ministeriums.

Was wir bislang nur befürchteten und wofür wir belächelt wurden, ist nach den Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden nun bittere Gewissheit: Die Totalüberwachung und Kontrolle des öffentlichen und privaten Lebens ist kein vergangenes Horrorszenario aus „Das Leben der Anderen“; es ist tagtägliche Realität, auch hier bei uns.

Auch heute behauptet man, nach Recht und Gesetz und nur zum Schutze der Bevölkerung zu handeln. Dabei sind die Kontrollmechanismen im digitalen Zeitalter noch viel perfider. In effizienter Arbeitsteilung unterstützen sich die nationalen Geheimdienste gegenseitig. Amerikaner und Briten überwachen großflächig, die Deutschen nutzen munter die dabei anfallenden Daten zur Bespitzelung der eigenen Bevölkerung.

Das Ganze wird so organisiert, dass nie ein politischer Entscheidungsträger jemals für die massive Missachtung der Grundrechte Verantwortung übernehmen muss. Das ist nichts anderes als globaler Kontrollterrorismus.

(Beifall von den PIRATEN)

Der größte Datenstaubsauger findet sich gleich nebenan: das Programm des britischen Geheimdienstes GCHQ namens Tempora. Durch das Anzapfen von Internetknotenpunkten und Glasfaserkabeln kann Tempora den weltweiten Telekommunikations- und Internetdatenverkehr überwachen.

Nicht nur die Verbindungsdaten, nein, auch der komplette Inhalt von E-Mails und Telefona-ten wird gespeichert, allein bis zu 600 Millionen Telefonverbindungen täglich. Auch Tempora basiert selbstverständlich auf geltendem britischem Recht. Mielke wäre stolz gewesen.

Im Gegensatz zu Prism und den USA, die sich seither erfolgreich der internationalen Gerichtsbarkeit entziehen, handelt es sich bei Tempora um das EU-Mitglied Großbritannien. Ganz offensichtlich hat Großbritannien mit den Überwachungsaktivitäten gegen geltendes EU-Recht sowie gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen.

Im Sinne der europäischen Grundrechte müssen ein solch eklatanter Verstoß geahndet und alle Sanktionsmöglichkeiten ausgeschöpft werden. Dazu zählt auch die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens durch die EU-Kommission.

(Beifall von den PIRATEN)

Denen, die behaupten, die Geheimdienste unterlägen nicht den Regelungen des Unionsrechts, muss man einfach entgegenhalten: Die Aushebelung der europäischen Grundwerte und die Installierung eines Kontrollstaates sind unserer Ansicht nach jedenfalls nicht mit der europäischen Rechtsordnung vereinbar.

(Beifall von den PIRATEN)

Was hier geschieht, geht ganz klar über die Grenzen geheimdienstlicher Tätigkeiten hinaus. Wer das nicht einsieht, ist auf einer Linie mit Erich Mielke.

Millionen von Euro gibt die Europäische Union jährlich für große Hochglanz-Imagekampagnen aus, in der vagen Hoffnung, so die Menschen in Europa von gemeinsamen Werten und Idealen überzeugen zu können. Doch Sie können noch so viel buntes Papier bedrucken – wenn die Einhaltung der eigenen Grundrechte nicht endlich durchgesetzt wird, sind alle Bekenntnisse zu einer wertebasierten EU zynisch und verlogen. Ich kann die Menschen verstehen, die von einem wertelosen Europa nichts mehr wissen wollen.

Ich komme zum Schluss. – Wir Piraten bleiben dabei: Die Entwicklung der Geheimdienste hin zu einer internationalen Stasi mit Fernbedienung bekämpfen wir aufs Schärfste. Denn Überwachung ist wie Radioaktivität: Man merkt nichts – erst mal. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Abstimmungsergebnis: Der Antrag wurde an den Ausschuss für Europa und Eine Welt überwiesen.

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