Donnerstag, 16. Mai 2013
TOP 1. A k t u e l l e S t u n d e
Danke schön. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Liebe Bürgerinnen und Bürger hier auf der Tribüne und im Livestream! Wir sprechen heute auf Antrag der CDU-Fraktion über die Polizeiliche Kriminalstatistik 2012 des Bundes, die gestern von Herrn Innenminister Friedrich vorgestellt wurde. Meine Vorredner haben schon einiges über die konkreten Zahlen der PKS besprochen, auch dass der Vergleich der Kriminalitätsverteilung zwischen den Ländern kein gutes Bild für NRW zeichnet und die Aufklärungsquote mit 49,1 % niedriger ist als in anderen Flächenländern.
Ich finde es richtig und wichtig, über die Ursachen von Kriminalität und über die Probleme und Schäden zu sprechen, die durch die Straftaten und deren Nichtaufklärung entstehen. Dazu sagt die Statistik aber nichts. Besonders für die Opfer muss viel mehr getan werden, auch um das Dunkelfeld nicht angezeigter Straftaten aufzuhellen. Nur Menschen, die Vertrauen in die Behörden haben, melden sich und stellen Strafanzeige. Vielleicht ist aber genau das der Punkt. Die Menschen in NRW haben einfach großes Vertrauen in unsere Polizei, kommen mit ihren Problemen und stellen daher häufiger Anzeigen. Damit steigt die Zahl der erfassten Fälle. Das ist eine Hauptaufgabe der PKS. Gleichzeitig sinkt die Aufklärungsquote; denn es fallen nicht einfach mehr Beamte vom Himmel, die die zusätzlichen Fälle bearbeiten könnten. Das ist nur eine der Möglichkeiten die zeigt, warum die Aussagen der PKS mit Vorsicht zu genießen sind.
Lassen Sie mich an dieser Stelle etwas zu den Beamtinnen und Beamten der Polizei sagen: Ganz egal, wie die Statistik politisch verdreht und verwertet wird, bin ich sicher, dass Sie, liebe Beamtinnen und Beamte, mit den Ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen mit großer Sorgfalt und vollem Einsatz alles tun, um Nordrhein-Westfalen zu einem noch friedlicheren Ort zu machen, an dem sich jeder sicher fühlen kann. Danke dafür.
(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Zurück zur Statistik! Nicht zum ersten Mal werden Sie in diesem Hause hören, dass behördliche Statistikproduktionen ohne wissenschaftliche Betreuung und Ausarbeitung Mist sind. Ich will kurz zwei Beispiele ansprechen. In der letzten Woche hörten wir in der Anhörung zum Polizeigesetz Experten, die den von Innenministerium selbst erstellten Evaluierungsbericht zur Videoüberwachung stark kritisierten. Der Bericht wurde dem Innenministerium von den Experten geradezu um die Ohren gehauen.
(Thomas Stotko [SPD]: So war es nicht!)
Ich erinnere mich auch nur allzu gut an die Diskussion Anfang März in der Anhörung zum angeblich riesigen Sicherheitsproblem in der Fußballfanszene. Es wurde deutlich, dass sich die ZIS-Statistik überhaupt nicht eignet, um relevante Aussagen über Gewaltentwicklungen rund um Fußballspiele zu treffen. Die wissenschaftliche Kritik an der Erfassung der Verlaufsberichte der Polizei hat aber leider bis heute in der Landesregierung noch kein Gehör gefunden.
Was ist nun genau das Problem mit solchen Statistiken? Was sind die Gründe dafür, warum sie alle nur mit Vorsicht zu genießen sind? Ein wichtiger Punkt ist die Frage, wer aus welchen Gründen eine Statistik macht. Die PKS wird vom Bundeskriminalamt erstellt. Dazu verwertet das BKA die von den 16 Landeskriminalämtern gelieferten Landesdaten. Die Daten werden kommentiert, interpretiert und aufbereitet. Damit ist klar, das Innenministerium hat ebenso wie das BKA selbst natürlich einen Einfluss auf die Bewertung der Statistik und deren Zusammenstellung. Die PKS ist vor allem eine Statistik der polizeilichen Tätigkeit auf dem Gebiet der Strafverfolgung. Das heißt, sie dient als polizeilicher Arbeitsnachweis. In der PKS selbst steht, dass die Erfassung der realen Kriminalität schlicht nicht ihre Aufgabe sei. Hinzu kommt, dass die genauen Details der Erfassungsprozedur je nach Bundesland unterschiedlich sind.
Was findet keine Berücksichtigung in der Statistik? Viele Einflussfaktoren finden keine Berücksichtigung. So gibt die PKS selbst an, dass sich das Anzeigeverhalten – zum Beispiel unter Versicherungsaspekten –, die polizeiliche Kontrollintensität, die statistische Erfassung, die Änderungen des Strafrechts und die echte Kriminalitätsänderung in den Bundesländern nicht in der Statistik niederschlagen. Ich zitiere einen Leitsatz aus der Statistik:
„Die PKS bietet folglich kein getreues Spiegelbild der Kriminalitätswirklichkeit, sondern eine je nach Deliktsart mehr oder weniger starke Annäherung an die Realität.“
Wir diskutieren hier also über die Annäherung der Realität und tun so als wären es Fakten.
Durch die Statistik gewinnt man zum Beispiel den Eindruck, dass es vielmehr Kriminalität im Norden als im Süden gibt. Dieser Vergleich ist gar nicht statthaft. Der Kriminologe Christian Pfeiffer sagte dazu, das Risiko überfallen zu werden, sei im Norden und Süden gleich hoch. Nur die Fallzahlen unterscheiden sich. Zudem ist es eigentlich ein Skandal, dass das Armutsgefälle keine Berücksichtigung findet. Im Süden gibt es zum Beispiel mehr Menschen, die sich gut gesicherte Häuser leisten können. Es gibt auch weniger Anzeigen, weil die Polizei in Bayern eine Wirtshausschlägerei eher als Gaudi abtut, während in Norddeutschland schneller das SEK vor der Tür steht.
(Zuruf von der CDU: Mann, Mann!)
Der Titel „Unstatistik des Monats“ wurde schon mehrfach erwähnt. Den hat sich die Polizeiliche Kriminalstatistik redlich verdient. Am besten wäre es, ganz auf diese Statistik zu verzichten. Sinnvoller wären raumbezogene und lokale Kriminalitätsanalysen. Hier würden geografische Räume mit ihren jeweiligen Strukturen, Institutionen und Bewohnern berücksichtigt. Besonders die Sozialstruktur würde dabei nicht vernachlässigt. Auch die CDU kann nicht bestreiten, dass es dort mehr Kriminalität gibt, wo die Menschen ärmer sind. Aber um Inhalt geht es hier gar nicht, eher um Wahlkampf. Deswegen mache ich jetzt den Ring frei für die nächste Runde. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den PIRATEN)
Das Wortprotokoll zur 2. Rede von Frank Herrmann:
Frank Herrmann (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch Grüße an die neu hinzugekommenen Bürgerinnen und Bürger auf der Tribüne und im Livestream! Ich möchte jetzt doch noch etwas zu den CDU-Vorwürfen sagen, Rot-Grün in NRW vernachlässigte die Kriminalitätsbekämpfung. – Das ist ganz schlimmes Wahlkampfgetöse! Werden wir jetzt weiter in jeder Plenarwoche und in allen Innenausschusssitzungen über dieses Thema sprechen? Ich befürchte das. Ich sage Ihnen auch, warum. Die SPD hat die CDU beim Thema „Sicherheit“ rechts überholt, und die CDU sieht ihre Felle davonschwimmen.
Lieber Herr Biesenbach, Sie sind richtig sauer, dass Rot-Grün mittlerweile eine schärfere Sicherheitspolitik betreibt als die Union. Da bleibt Ihnen nichts mehr. Sie laden ja schon sozialdemokratische Ordnungsdezernenten zu CDU-Klausurtagungen ein, damit diese Ihnen Nachhilfe in Sachen Sicherheit erteilen – so letztens in Oberhausen bei der dortigen CDU-Fraktion geschehen.
(Beifall von den PIRATEN und der SPD)
Und Achtung! Herrn Minister Jäger können Sie nun wirklich nichts mehr vorwerfen. Er hat es ja dank gruseliger Märchen und aufgebauschter Warnungen vor Islamisten und Terroristen geschafft, dass zukünftig schon bei Ordnungswidrigkeiten sämtliche Bestandsdaten von Behörden und Nachrichtendiensten abgerufen werden können.
(Beifall von den PIRATEN)
Das bedeutet, dass Telekommunikationsanbieter Adressen, PINs und Passwörter herausgeben müssen. Falschparker werden damit auf eine Stufe mit Terroristen gestellt. Dank Herrn Jägers Einsatz haben wir keine Kontrolle mehr darüber, was mit unseren persönlichen Daten passiert und wer uns im Internet über die Schulter schaut. Das, liebe Kollegen von der CDU, können auch Sie nicht mehr überbieten.
(Beifall von den PIRATEN)
Ich möchte den Rest meiner Redezeit nutzen, um über die Kriminalitätsprävention zu sprechen, dazu kurz auf Ihre Einlassungen, Herr Körfges und Herr Bolte, einzugehen und Lösungswege vorzuschlagen, die wir beschreiten sollten.
Zunächst einmal: Nachhaltige Kriminalitätsbekämpfung ist gleichbedeutend mit Armutsbekämpfung. Da der Armutsbericht der Bundesregierung, wie wir alle wissen, geschönt wurde, beziehe ich mich lieber auf die Studie des Paritätischen Gesamtverbands. Laut dessen Bericht ist die Armutsgefährdung seit 1990 stetig gestiegen. 15,1 % der Bevölkerung in Deutschland ist armutsgefährdet. Das sind 12,4 Millionen Menschen, jeder Sechste. Das ist ein Negativrekord. Im Bericht heißt es, dass Berlin und das Ruhrgebiet in der mehrjährigen Betrachtung die mit Abstand besorgniserregendsten Regionen in Deutschland darstellten.
Ich zeige Ihnen hier eine Grafik über die Armut nach Bundesländern aufgeschlüsselt.
(Der Redner hält ein Blatt hoch.)
Ich sehe hier ein Nord-Süd-Gefälle. Dieses Nord-Süd-Gefälle muss auch berücksichtigt werden, wenn wir über die Kriminalitätsbekämpfung sprechen. Was wir wirklich brauchen, ist ein Sofortprogramm gegen die wachsende Armut.
(Beifall von den PIRATEN)
Zum Schluss möchte ich anhand des Bereichs Jugendkriminalität Lösungsansätze skizzieren.
In Nordrhein-Westfalen gibt es einige positive Ansätze dazu, die es zu intensivieren gilt. Zum Beispiel steht den Jugendkontaktbeamten der Dortmunder Polizei seit 2011 ein aus Landesmitteln finanzierter Pädagoge zur Verfügung. Hier scheint man langsam zu lernen: Nur wenn die Sozialarbeit mit der Polizeiarbeit integrativ zusammenarbeitet, werden langfristig Straftaten verhindert und nicht nur verfolgt.
(Beifall von den PIRATEN)
Viele Probleme lassen sich gerade nicht durch Repressionen lösen. Denn was die Polizei zu Gesicht bekommt, ist meist nur die Spitze des Eisbergs einer Vielzahl von sozialen Problemen. Diese lassen sich eben nicht mit polizeilichen Mitteln lösen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den PIRATEN)
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