Frank Herrmann zur Einführung einer anonymen Krankenkarte für Flüchtlinge

Donnerstag, 11. September 2014

Top 4. Anonyme Krankenkarte einführen – Medizinische Versorgung für Flüchtlinge in Nordrhein-Westfalen sicherstellen

Antrag der Fraktion der PIRATEN

Drucksache 16/6675

Unser Redner: Frank Herrmann

Abstimmungsempfehlung: Zustimmung zur Überweisung

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Protokoll der Rede von Frank Herrmann

Vizepräsident Oliver Keymis: Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion Herrn Kollegen Herrmann das Wort.

Frank Herrmann (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Bürgerinnen und Bürger im Saal und im Stream!

(Unruhe  Glocke des Präsidenten)

Danke schön.

Das Thema unseres Antrages ist nicht neu. Der Anspruch auf medizinische Versorgung ist jedoch ein Grundrecht, welches sich aus der im Grundgesetz verankerten Garantie der Menschenwürde, dem Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit ableitet.

Leider ist es mit der medizinischen Versorgung der Flüchtlinge in Deutschland nicht zum Besten bestellt. Asylsuchende müssen sich nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erst im Sozialamt melden, um sich einen Krankenschein zu holen. Dort wird zunächst geprüft, ob der Asylsuchende wirklich dringender Hilfe bedarf  wohlgemerkt, nur dringender medizinischer Hilfe , denn Asylsuchende haben nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nur einen eingeschränkten Anspruch auf medizinische Hilfeleistung.

Stellen Sie sich bitte einmal vor, Sie müssten, wenn Sie krank sind, zunächst mit öffentlichen Verkehrsmitteln quer durch die Stadt zum Amt fahren, dort hoffen, dass Ihnen der Sachbearbeiter einen Schein gibt. Und erst dann können Sie zu einem Arzt gehen. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mit meinen Vorstellungen von Menschenwürde ist das kaum zu vereinbaren.

(Beifall von den PIRATEN)

Noch schwerer trifft es Menschen ohne Papiere. Zwar haben auch diese Menschen einen grundsätzlichen Anspruch auf die reduzierte Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz; aber in der Praxis ist es ihnen kaum möglich, medizinische Dienste in Anspruch zu nehmen. Zu groß ist die Angst, dass sie durch Meldungen von Personendaten entdeckt und schließlich abgeschoben werden.

Seit 2009 besteht zwar der sogenannte verlängerte Geheimnisschutz, nach dem abrechnendes Krankenhauspersonal und auch die Mitarbeiter in den Sozialämtern der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen, wenn Daten von Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus zum Zwecke der Leistungsabrechnung übermittelt werden, aber die Zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer weist darauf hin, dass dies den zuständigen Behörden immer noch weitgehend unbekannt ist, weshalb Patienten weiterhin damit rechnen müssten, nachträglich gemeldet und dann gegebenenfalls ausgewiesen zu werden. Die Angst vor Entdeckung ist also weiterhin begründet. Das dürfen wir nicht zulassen.

(Beifall von den PIRATEN)

Aus diesen Gründen hat Rot-Grün in Niedersachsen einen Antrag eingebracht, der die medizinische Versorgung für Flüchtlinge dort verbessern soll. Wir Piraten begrüßen diesen Antrag. Denn er zeugt von dem in Niedersachsen schon seit einiger Zeit propagierten Paradigmenwechsel in der Flüchtlingspolitik hin zu einer Willkommenskultur und zu Verantwortung für Flüchtlinge.

Obwohl in Nordrhein-Westfalen ebenfalls Rot-Grün regiert, ist hier von einem solchen Paradigmenwechsel leider wenig zu spüren. Zuletzt konnte man im Fall der Abschiebehaftanstalt Büren sehen, dass NRW flüchtlingspolitisch ein vergleichsweise rückständiges Bundesland ist. Im Vergleich dazu sind sogar manche Bundesländer mit einer konservativen Regierungsbeteiligung weiter. Ich erinnere daran, dass der Bundesgerichtshof hier die Nutzung der Abschiebehaftanstalt verbieten musste; vorher gab es kein Einsehen.

Wir wollen jedoch nach vorne blicken und diesen Umstand zusammen mit Ihnen ändern. Aus diesem Grund haben wir den Antrag von Rot-Grün aus Niedersachsen adaptiert und hier eingebracht.

(Thomas Stotko [SPD]: Adaptiert? Kopiert!)

Adaptiert, natürlich. Wie wir aus Gesprächen mit Flüchtlingsinitiativen wissen, gab es auch in NRW Gesprächsrunden mit Abgeordneten. Doch scheint es, dass nach der letzten Wahl mal wieder nichts mehr passiert ist. Die medizinische Flüchtlingshilfe Bochum, die Düsseldorfer Flüchtlingsinitiative STAY! sowie das MediNetz in Bonn legten ein Konzept für ein Pilotprojekt zur medizinischen Versorgung für Menschen ohne gültigen Aufenthaltsstatus in NRW vor. Doch auch dieses Konzept scheint in den Schubladen verschwunden zu sein.

Meine Damen und Herren, wenn wir hören, dass Leute vom OP-Tisch geholt werden, weil das Sozialamt die Versorgungsleistungen versagt, oder dass es zu Fehlgeburten kommt, weil sich Schwangere nicht zum Arzt trauen, dann besteht dringender Handlungsbedarf. Wenn Menschen nicht zum Arzt gehen, besteht die Gefahr der Verschlimmerung und Chronifizierung von Krankheiten und schließlich sogar Lebensgefahr. Darüber hinaus ist im Fall unbehandelter Infektionskrankheiten auch die Bevölkerung insgesamt gefährdet. Allein aus gesundheitspolitscher Sicht muss in dieser Hinsicht etwas getan werden.

Ich möchte Sie daher dringend bitten, das Thema in den Ausschüssen mit dem angemessenen Ernst und der angemessenen Dringlichkeit zu behandeln. Lehnen Sie den Antrag nicht allein deswegen ab, weil wir Piraten ihn eingebracht haben. Schließlich stammt das Original noch nicht einmal von uns.

Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss und danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Herrmann.  Für die SPD-Fraktion spricht nun Herr Kollege Stotko.

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Veröffentlicht unter Frank Herrmann, Integration (A19), Reden

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