Management nach Gutsherrenart an NRW-Hochschulen

Also es ist schon seltsam. Aber eigentlich auch wieder nicht.

Da sammelt das Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes NRW aufgrund einer Anfrage der Piratenfraktion vom 21.11.2012 Informationen von den Hochschulen u.a. bezgl. der Gehälter der Hochschulrektoren ein. In einigen Fällen musste bis zu 17 mal nachgefragt werden, d.h., die kleine Anfrage konnte nicht im Rahmen der für kleine Anfragen vorgesehenen Vierwochenfrist beantwortet werden. Die Antwort der Landesregierung erschien dann am 24.01.2013 und die Informationen zu den Rektorengehältern wurden entsprechend der aktuellen Gesetzeslage aus Datenschutzgründen entpersonalisiert und auf der Grundlage von Besoldungsdurchschnitten dargestellt.

Nun tauchen diese Bezüge nach Hochschulen aufgeschlüsselt auf den von Wolfgang Lieb, einem ehem. Staatssekretär im Wissenschaftsministerium, herausgegebenen und recht bekannten politik-kritischen Nachdenkseiten auf. Das Ministerium sieht sich aufgrund dessen veranlasst, erstens eidesstattliche Erklärungen der mit dem Vorgang befassten Ministeriumsmitarbeiter einzuholen und zweitens gleichzeitig die Staatsanwaltschaft zu Ermittlungen einzuschalten.

Bislang ist nicht bekannt, ob die auf den Nachdenkseiten veröffentlichten Daten, wie von den Oppositionsfraktionen von CDU und FDP angenommen, tatsächlich aus dem Ministerium heraus geleakt wurden, es steht lediglich fest, dass die Daten zutreffend sind. Und es ist hier auch nicht die Aufgabe, darüber zu spekulieren, woher genau die Daten in die Öffentlichkeit gelangt sind.

Weitaus interessanter ist die politische Dimension dieses Vorgangs und der veröffentlichten Daten.

In der für den 26. Februar auf Antrag der CDU-Fraktion anberaumten Sondersitzung des Hochschulausschusses erhob der hochschulpolitische Sprecher der Union, Dr. Stefan Berger schwere Vorwürfe gegen die Ministerin Svenja Schulze und konstruierte gleich eine Verschwörungstheorie der Marke „Erich von Däniken“. Hiernach soll das Ministerium mit dem ehemaligen Staatssekretär und Herausgeber der Nachdenkseiten, Wolfgang Lieb, gemeinsame Sache machen, um das unter Rüttgers und Pinkwart verabschiedete Hochschulfreiheitsgesetz zu diskreditieren und den neuen Referentenentwurf zum Hochschulzukunftsgesetz der Landesregierung in der Diskussion zu befördern. Marcel Hafke von der FDP stieß in dasselbe Horn und auch Angela Freimuth argumentierte lediglich bezogen auf die Gehälter-Indiskretion. Das ist nicht nur absurd, es ist billige Stimmungsmache und darüber hinaus schlicht dummes Zeug!

Erstens nutzt dem Ministerium der wie auch immer zustande gekommene Leak der Gehälter in der Diskussion um den Referentenentwurf gar nichts, im Gegenteil. Und zweitens ist Herr Dr. Lieb von dem neuen Gesetz im Grunde ebenso wenig begeistert, wie von dem alten.

Das alles soll über den eigentlichen Skandal und die ihm zugrundeliegenden Missstände hinwegtäuschen, denn:

1. seit 2004 wurden die Bezüge der Hochschulrektoren bis zu über 50% angehoben, Vergleichbares gilt für einige Kanzler. Fachhochschulrektoren liegen wesentlich niedriger, jedoch noch deutlich oberhalb der 10%.

2. Im vergleichbaren Zeitraum stiegen die Bezüge der anderen Hochschulangehörigen knapp unter 10%.

3. Im vergleichbaren Zeitraum nahm die Anzahl der prekären Beschäftigungen an den Hochschulen des Landes erheblich zu, zur Zeit sind 80% der Arbeitsverträge befristet.

4. Über die Zulagen der Hochschulrektoren entscheiden allein die Vorsitzenden der Hochschulräte, die zu etwa 50% aus Führungskräften der Wirtschaft zusammengesetzt sind.

5. Im Gegensatz dazu entscheidet über die Grundbezüge aller Professoren immer noch das Ministerium.

Wir von der Piratenfraktion fragen:

1. Was bedeutet es für die Innovationskraft und die Forschungslandschaft in NRW, wenn die Bezüge des Hochschulmanagements überproportional gegenüber denen der Forscher und Spitzenforscher angehoben worden sind? Forschen etwa die Rektoren hier noch selbst und ausschließlich?

2. Was bedeutet es für die Forschungslandschaft in NRW und für unsere Demokratie, wenn über die Bezüge der Hochschulleitungen die Vorsitzenden der nicht demokratisch gewählten Hochschulräte entscheiden, über die Professorenbezüge und die anderer Mitarbeiter jedoch das Ministerium? Kann man da vielleicht von einer institutionalisierten Doppelmoral sprechen?

3. Was bedeutet es für unsere Demokratie, wenn die Hoheit über die Verwendung von Steuergeldern – denn über nichts anderes sprechen wir hier – an nicht demokratisch gewählte Gremien übergeben wird? Kann man dann von Selbstbedienung sprechen?

Unser Fazit: Die gängige Praxis des Festlegens der Bezüge der Hochschulrektoren ist nach unserer Auffassung eine Form von innovationsfeindlichem Management nach Gutsherrenart und dokumentiert aktuell das völlige Scheitern des neoliberalen Konzepts der unternehmerischen Hochschule. Universitäten und Fachhochschulen sind keine Unternehmen. Sie sollen jedoch auch genügend unabhängig von stattlicher Weisung sein dürfen. Es geht um Wissenschaftsautonomie, um die gesetzlich garantierte Freiheit von Forschung und Lehre, um nichts weniger! Und um das Recht der Steuerzahler, über staatliche Ausgaben transparent informiert zu werden. Das aktuell gültige, sogenannte Hochschulfreiheitsgesetz hat sich gerade selbst diskreditiert.

Und wer hier jetzt von einer Neiddebatte spricht, hat das Problem nicht verstanden.

Einen schönen Karneval noch,

Joachim Paul

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