Vorratsdatenspeicherung: Ein schwarzer Tag für die Bürgerrechte

Die Brisanz liegt im Thema selbst – aber mindestens auch im Hintergrund: Während die Grünen sich seit Jahren ihrerseits gegen eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung positionieren, hat die NRW-Fraktion der Grünen dennoch nicht unserem Antrag zugestimmt. Begründung: Man sei ‚parlamentarischen Zwängen‘ ausgesetzt und könne mit Rücksicht auf den Koalitionspartner dem Piratenantrag nicht zustimmen. Ist das gelebte Demokratie?

Schlussendlich haben 179 Abgeordnete von SPD, Grüne und CDU in der 43. Plenarsitzung des Landtags NRW (27.11.13) gegen ein Verbot der Vorratsdatenspeicherung gestimmt. Lediglich FDP und Piraten stimmten mit 38 Abgeordneten dafür, sich auf allen politischen Ebenen gegen die Vorratsdatenspeicherung einzusetzen.

Daniel Schwerd, Abgeordneter der Piratenfraktion im Landtag NRW:

“Haben das die Bürger im Land verdient? Wurden die 237 Abgeordneten in den Landtag gewählt, um sich parlamentarischen Zwängen zu unterwerfen? Oder erleben wir hier nicht gerade den Politikstil, der die Bürger des Landes so politikverdrossen macht?

Wir treten für Themen an. Wir setzen uns für Menschenrechte ein. Dazu zählt die Unschuldsvermutung. Diese gilt es zu schützen. Mit allen Mitteln.

Doch die ‚parlamentarischen Zwänge’ der rot-grünen Koalition haben dies an dieser Stelle klar verhindert.

Dies ist eine umso größere Farce, als dass die Grüne-Fraktion in Schleswig-Holstein einem gleichlautenden Antrag zugestimmt hat. Dort sind die Grünen in Koalition mit SPD und SSW. Der Antrag wurde von SPD, Grünen, SSW und Piraten gemeinsam einge­bracht und gegen die Stimmen der CDU beschlossen.

In ihrer Rede erläuterte Verena Schäffer von den Grünen ihre Abneigung gegenüber einer anlasslosen Vorratsdatenspeicherung. Die Menschenrechte würden beschnitten, die Menschen würden bevormundet, alle Bürger würden unter Generalverdacht gestellt, nur weil manche darunter gefährlich sein könnten. Inhaltlich eine Kopie des Wahlprogramms der Piraten. Aber dann bei der Abstimmung nicht den Mut zu haben, zu seiner Überzeugung zu stehen, ist beschämend für die Partei, nicht zuletzt aber auch für die oft zitierte Würde des Hohen Hauses. Schöne und wahre Worte, nur die Taten fehlen.

Hintergrund:

Privatsphäre und Unschuldsvermutung werden durch die Vorratsdatenspeicherung für einen zweifelhaften Nutzen abgeschafft, nämlich für die Hoffnung, damit ein höheres Maß an Sicherheit zu gewinnen.

Die anlasslose Vorratsdatenspeicherung betrifft zum einen den digitalen Raum, zum anderen auch das echte Leben: Bewegt man sich im Internet, wird lückenlos erfasst und gespeichert, wann man wo gewesen ist. In der Realwelt wird durch das Speichern der Verbindungsdaten von Mobiltelefonen eine lückenlose Überwachung erreicht. So kann der Staat erfahren, wer – wann – wo – war. Ohne jeden Anlass, ohne jeden Verdacht.

Mit einer Einführung der Vorratsdatenspeicherung ist zwangsläufig verknüpft, das jede elektronische Kommunikation in Zukunft überwacht wird. Die gespeicherten Kontakt- und Bewegungsprofile sind dabei gleichwertig als Verlust der Privatsphäre zu werten wie das Abhören von Telefonaten oder lesen fremder Emails. Zugriffe auf die gespeicherten Daten sind auch schon in vielen Spezial-Gesetzen geregelt, z.B. im Gesetz zur Bestandsdatenauskunft, im Polizeigesetz NRW usw. Das entstehen des Überwachungsstaates ist damit gesetzlich festgelegt.

Wird man sich künftig noch trauen, im Internet seine Meinung zu äußern? Können Journalisten ungestört recherchieren? Wie ist es mit der ärztlichen Schweigepflicht, dem Beichtgeheimnis? Kann man es sich leisten, mit dem Mobiltelefon in der Tasche an einer Demo vorbeizugehen?

Was ist, wenn die Daten in die falschen Hände geraten? Was ist mit dem Risiko von Erpressung – zum Beispiel auch bei Politikern? Wirtschaftsspionage? Das Missbrauchs­potential ist enorm. Nirgendwo sind Daten vollkommen sicher, auch nicht bei staatlichen Stellen.

Während sich jeder harmlose „Normalo“ stets fragen muss, ob er sich gerade verdächtig macht, werden echte Kriminelle selbstverständlich entsprechende Technik einsetzen, um ihre Identität zu verschleiern. Fangen kann man mit der Vorratsdatenspeicherung höchstens ein paar Dumme. Der Preis: Die Totalüberwachung der digitalen und realen Bewegungen der Bevölkerung.

Nicht zuletzt: Die Totalüberwachung, die wir bei der NSA anprangern, würden wir mit der Vorratsdatenspeicherung auf eigenem Boden selbst einführen. Die Vorratsdaten­speicherung ist der Einstieg in den Überwachungsstaat.

Doch SPD, Grüne und CDU haben sich gegen diese Bedenken ausgesprochen. Seitens der Grünen wird uns Showpolitik vorgeworfen. Wir wollen angeblich die Koalition spalten. Abgesehen davon, dass es absurd ist, die kleinste Oppositionspartei könne in dieser Frage die Koalition spalten – der Antrag ist bewusst vollkommen kurz und klar formuliert, und enthält eine deutliche Handlungsaufforderung. Keine Show. Man kann den Piraten nicht vorwerfen, ihrem Antrag nicht zugestimmt zu haben, wenn man es aber eigentlich gerne gewollt hätte und es sich nicht traut. Es ist der traurige Versuch, uns als Antragsteller in die Schuhe zu schieben, dass der Antrag abgelehnt wurde. Es wurde die einmalige Chance verpasst, ein weiteres Bundesland zum Einsatz gegen die Vorrats­datenspeicherung auf allen Ebenen zu verpflichten.

Wir werden uns jedenfalls weiter auf allen Ebenen gegen die Vorratsdatenspeicherung einsetzen.“

 

Antrag: 2013-11-28 VDS Antrag

Wortprotokoll: 2013-11-28 VDS Auszug aus Wortprotokoll

"Politik aus Notwehr". Manchmal muss man was tun, wenn sich was ändern soll. Meine Schwerpunkte sind die "klassische" Netzpolitik, das Internet, Urheberrecht, Medien, Wirtschaft, und darin die Leitlinien der Transparenz, Partizipation und Plattformneutralität. Geek, zerstreut und niemals erwachsen.

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