Plenarrede: Frank Herrmann zu Reform der Datenerfassung der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS)

Donnerstag, 11. Juli  2013

 

TOP 7.  Realistische Erfassung von Sicherheitsproblemen – Reform der  Datenerfassung und –auswertung der Zentralen   Informationsstelle  Sporteinsätze (ZIS)

Antrag der Fraktion der  PIRATEN

Drucksache 16/3438

Block I

Unsere Abstimmungsempfehlung: Zustimmung zur Ausschussüberweisung
Unser Redner: Frank Herrmann

 

 

 

 

 

Audiomitschnitt der Rede von Frank Herrmann

Pressetext zum Antrag:

Seit 20 Jahren hat die ZIS die Aufgabe, die Sicherheitslage rund um Sportveranstaltungen zu bewerten. Dafür sammelt sie Informationen und Daten vor allem über Fußballfans und tauscht diese mit den beteiligten Behörden, aber auch Vereinen und Reiseunternehmen aus. Aufgrund der Auswahl der Grunddaten, des bidirektionalen Austauschs von Daten über alle Fans, der unwissenschaftlichen Auswertung der Verlaufsberichte und der Aufbereitung der Informationen für die Jahresberichte geriet die ZIS in den letzten Monaten vermehrt in Kritik. Die ZIS ist nicht in der Lage, Fragen nach einem Gewaltproblem bei Fußballveranstaltungen fundiert zu beantworten. Wir fordern daher, dass die Landesregierung eine Arbeitsgruppe aus Statistikexperten, Kriminologen, Fanvertretern, Datenschutzexperten und den zuständigen NRW-Behörden einsetzt. Diese soll die Verlaufsberichte, die Vorauslagen und den Erfassungsbogen der ZIS überarbeiten. Außerdem fordern wir die Landesregierung auf, bei der Informationsbeschaffung strikt die Persönlichkeitsrechte sowie das Prinzip der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen.

Frank Herrmann, Sprecher der Piratenfraktion NRW im Innenausschuss: „Die Innenminister der Länder tragen die ZIS-Jahresberichte wie eine Monstranz vor sich her. Minister Jäger zieht sie als Rechtfertigung für die tausendfache Verletzung der Bürgerrechte in Fußballstadien heran. Er verschanzt sich hinter dieser Statistik, lässt keine vernünftigen Argumente mehr an sich heran und erklärt immer wieder, dass die Statistik ein Alarmsignal sei. Sie belege, dass es Jahr für Jahr mehr Ausschreitungen und Gewalttaten im Umfeld von Fußballspielen gebe. Für solche Rückschlüsse sind die Berichte der ZIS völlig ungeeignet. Wir brauchen endlich eine verlässliche, unpolitische Analyse.“

Abstimmungsergebnis: Der Antrag wurde an den Innenausschuss (federführend) und den Sportausschuss überwiesen.


 

Wortprotokoll zur Rede von Frank Herrmann

Frank Herrmann (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Bürgerinnen und Bürger im Saal und im Stream! Lassen Sie mich mit einem Zitat beginnen:
Verurteilungen sind nur ein Beleg dafür, wie gut die Beweisführung der Täterschaft gelun-gen ist.
Diese Aussage unseres Innenministers über die Nutzung der ZIS-Daten zeugt von einem sehr gewagten Rechtsverständnis. Herr Minister Jäger, es soll auch Fälle geben, in denen sich der angebliche Tatverdacht in Luft auflöst oder aber das Gericht die tatsächliche und rechtliche Lage ganz anders einschätzt.
Lassen Sie mich auch an Ihre Lateinstunde von gestern anknüpfen: „In dubio pro reo“, also „Im Zweifel für den Angeklagten“, muss auch im Kontext der Sicherheitslage rund um Fußballspiele endlich wieder Geltung verschafft werden.
Derzeit finden massive Grundrechtsverletzungen rund um Fußballspiele statt. Da stehen An- und Abfahrtswege und ganze Blöcke im Stadion unter Videodauerbeobachtung. Da wird Software zur Verhaltenserkennung von Fußballfans getestet. Da werden Sonderzüge oder Busse zur Feststellung der Personalien aller Reisenden stundenlang festgehalten.
Begründet wird diese hundert- und tausendfache Verletzung der Bürgerrechte immer wieder mit den ZIS-Jahresberichten. Diese Jahresberichte tragen die Innenminister der Länder wie eine Monstranz vor sich her. Sie verschanzen sich hinter dieser Statistik, die belegen soll, dass es Jahr für Jahr mehr Ausschreitungen und Gewalttaten im Umfeld von Fußballspielen gäbe. Unser Eindruck nach Spielbesuchen und nach vielen Treffen und Gesprächen mit Fans ist ein anderer.

Am 7. März dieses Jahres fand anlässlich der Debatte über Gewalt im Fußball eine öffentli-che Anhörung im Landtag statt. Die Experten kritisierten die skandalisierende Rolle der Poli-tik deutlich und forderten eine Versachlichung der Debatte. Man kann verstehen, dass der Fußball auch für Innenpolitiker wichtig ist. Er ist für alle Politiker eine ausgezeichnete Bühne. Deshalb werden ja Sportereignisse wie selbstverständlich von Spitzenpolitikern besucht. Aber in den letzten Jahren haben Innenpolitiker mit ihrer aufgeheizten Rhetorik dem Sport doch sehr geschadet. Leider wurden sie medial mit Artikeln wie „Fußball: Polizei-Statistik zeigt enorme Zunahme von Fan-Gewalt“ oder „ZIS-Zahlen: Mehr Gewalt, Verletzte und Po-lizei“ proaktiv begleitet.
Die Fans haben reagiert und gegen diese Kriminalisierung und die pauschale Vorverurteilung durch die Politik und gegen immer härtere Überwachungs- und Verfolgungsmaßnah-men protestiert. Innerhalb weniger Tage haben mehr als 70.000 Fans die „Ich fühl‘ mich sicher“-Kampagne unterstützt. Die von den Ultras angestoßene Kampagne „12:12 – Ohne Stimme, keine Stimmung“ hat für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Zwölf Minuten lang herrschte Stille in den Stadien, eine gespenstische Demonstration war das.
Doch neben den Protesten ist auch das Misstrauen gegenüber der Politik noch mehr ge-wachsen. Die Fans verschließen sich und werden damit noch schwieriger erreichbar. Das ist nicht gut, aber verständlich und wird den Fanprojekten noch viel Arbeit machen.
Wir haben seit September letzten Jahres versucht, diese neue Mauer des Misstrauens zu durchbrechen und treffen uns seitdem regelmäßig mit den Fans und hören dabei immer wieder, wie stark die Gewalt in den letzten Jahren zurückgegangen ist.
Ehe jetzt Herr Hegemann, den ich gerade nicht sehe, oder Herr Lohn aufschreit, sage ich: Natürlich gibt es auch Gewalt bei Stadionbesuchen, so wie es Gewalt überall in der Gesellschaft gibt.
(Minister Ralf Jäger: Ich dachte schon, es wäre alles friedlich!)
Die muss auch verfolgt werden. Wir brauchen verlässliche und wissenschaftliche Erkenntnisse über das Ausmaß, die Struktur und Entwicklung der Sachlage. Nur wenn wir diese haben, können geeignete präventive und sonstige Maßnahmen eingeleitet werden. Nur bei richtiger Einschätzung der Gewaltsituation kann auch der polizeiliche Aufwand an Personal und Material richtig eingeschätzt und möglicherweise auch reduziert werden.
Die ZIS-Statistik liefert all diese Daten nicht. Stattdessen werden unschuldige, also nicht durch ein Gericht verurteilte Fans erfasst und erhalten bundesweite Stadionverbote. Un-schuldige Fans dürfen aber nicht in die ZIS-Statistik und dürfen nicht als Sicherheitsproblem dort auftauchen, und schon gar nicht dürfen sie in der Datei „Gewalttäter Sport“ beim BKA erfasst werden. „In dubio pro reo“ muss auch für die Erfassung und Verwertung der persön-lichen Daten der Fans gelten.
Mit unserem Antrag zur Reform der ZIS-Statistiken wollen wir an Ihrer aller Vernunft appel-lieren, an die Vernunft, dass eine Statistik, auf deren Grundlage viele, teils grundrechtsrelevante Entscheidungen getroffen werden, auch ein wissenschaftliches Fundament braucht. Wir fordern eine unpolitische Statistik für die Sicherheitsanalyse rund um Fußballspiele. Ich freue mich auf die Beratung im Ausschuss. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Herrmann. –

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