Plenarrede: Dirk Schatz zu Neuausrichtung des Verfassungsschutzes in NRW

Mittwoch, 19. Juni 2013

 

TOP 6. Gesetz zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes in Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf Landesregierung
2. Lesung
Block II
Unsere Redner: Dirk
Entwurf Landesregierung
Unsere Abstimmungsempfehlung: Ablehnung
Entwurf Piraten: ist zurückgezogen
Entschließungsantrag PIRATEN: Zustimmung

Neuausrichtung des Verfassungsschutzgesetzes / Drucksache 16/3320

Wir sehen in dem von der Landesregierung vorgelegten „Gesetz zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes in Nordrhein-Westfalen“ keine neue Regelung, die rechtsstaatlichen Erfordernissen genügt und die Grundrechte der Bürger angemessen beachtet. Das gesamte Gesetz ist mit der heißen Nadel gestrickt. Nicht einmal drei Monate hat man sich Zeit gelassen, um ein ordentliches Verfassungsschutzgesetz zu verabschieden.

Dirk Schatz, Innenpolitischer Sprecher der Piratenfraktion: „Es wird hier ein Gesetz verabschiedet, das in der vorliegenden Fassung in weiten Teilen verfassungswidrig ist, wie auch die Sachverständigen der Anhörung in großen Teilen feststellten. Eine entsprechende Klage gegen das Gesetz wird unsererseits bereits geprüft. Innenminister Jäger wollte mit großen Schritten voran gehen und den modernsten Verfassungsschutz Deutschlands etablieren. Das Einzige, das er mit diesem Gesetz geschaffen hat, ist ein Verfassungsschutz der nun alleine auf der Grundlage seines eigenen Ermessens noch mehr darf als vorher und das ohne eine ausreichende richterliche Kontrolle. Durch dieses Gesetz, darf der Verfassungsschutz nun sogar offiziell an unseren Schulen tätig werden und dort definieren, welche Gedanken er für verfassungswidrig hält und welche nicht. Wehe dem, der anders denkt.“

Frank Herrmann: „Wir vertreten die Auffassung, dass die politische Bildung nicht zu den Aufgaben eines Nachrichtendienstes gehört. Aufklären durch Information zum Extremismus müssen andere Organisationen und Einrichtungen. Der Verfassungsschutz sollte auch keine Ausstiegsprogramme für Rechtsextremisten und Salafisten anbieten. Zivilgesellschaftliche Programme sind erfolgreicher, und es besteht nicht die Gefahr, dass Ausstiegswillige als Informationsbeschaffer missbraucht werden. Eine externe und wissenschaftliche Kontrolle erlaubt zudem größtmögliche Transparenz. Auch aus diesen Gründen halten wir den gegenwärtigen konzeptionellen Ansatz des Verfassungsschutzes für falsch: Es fehlt ja bereits an der nachrichtendienstlichen Qualitätssicherung, da kann ein zusätzliches Aufgabenfeld eher zu Verstrickung und Verzettelung führen. Denn auch hier gilt: Weniger Aufgaben, aber die dann zumindest gewissenhaft.“

Abstimmungsergebnis: Der Antrag wurde mit den Stimmen von SPD, Grünen und CDU bei Enthaltung der FDP abgelehnt.

Wortprotokoll zur Rede von Dirk Schatz:

Dirk Schatz (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Zuschauer hier im Saal und zu Hause! Herr Orth, Sie haben es gerade angesprochen: Seit 2010 ist bekannt, dass ein neues Verfassungsschutzgesetz kommen sollte. Die Regierung wollte es vorlegen, hat es aber nicht getan.

Wenn ich mich richtig erinnere, war spätestens im Februar 2012, als das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes kam, klar, dass einige Vorschriften im Gesetz geändert werden müssen. Spätestens da hätten Sie anfangen müssen, einen Entwurf zu erarbeiten. Sie haben es nicht getan.

Wie dem auch sei: Sie haben es verschlampt und irgendwann erkannt, dass die Zeit nicht reicht. Also musste die Befristung im bestehenden Gesetz noch einmal verlängert werden, weil Sie ansonsten mit dem alten Gesetz nicht hätten vernünftig weiterarbeiten können. Dann hatten Sie noch einmal fast ein Dreivierteljahr Zeit, einen neuen Gesetzentwurf zu erarbeiten. Auch da haben Sie sich wieder Zeit gelassen und es nicht getan, sodass die Frist aktuell noch einmal bis Juni verlängert werden musste, um dann zum letztmöglichen Zeitpunkt – ich betone das –, um die Frist des Verfassungsgerichts einhalten zu können, dieses Gesetz durchzubringen.

Man muss es sich vorstellen: Ein Gesetzentwurf, der so großartig angekündigt wurde und der schon vor seiner Veröffentlichung hoch gelobt wurde, bei dem die allerspäteste Deadline seit über einem Jahr bekannt war, der sicherlich zu einem der wichtigsten Gesetze in dieser Legislaturperiode gehört, wird zum letztmöglichen Zeitpunkt eingereicht, um ihn dann so schnell wie möglich, weil es geschehen muss, durchs Parlament zu jagen und eine vernünftige Diskussion nicht mehr zuzulassen.

Dass da nicht viel rauskommen konnte, war von vornherein vorprogrammiert. Das sieht man auch hier am aktuellen Gesetzentwurf. Daran ändern leider auch Ihre Änderungsanträge nichts.

Herr Körfges, ich erkenne wirklich an, dass Sie uns entgegengekommen sind, auch was die Regelungen im TKG und die Regelungen der G10-Kom­mission betreffen. Das waren unsere Vorschläge.

Ich stimme im Großen und Ganzen Herrn Biesenbach zu, dass sich am Status quo des Gesetzes auch durch diese Änderungen nicht viel geändert hat. In der Praxis wird da nicht viel anders laufen. Trotz der Änderungen, die gekommen sind, kann ich die massiven strukturellen und inhaltlichen Mängel nicht einfach übersehen. Ich möchte einen kleinen Teil nennen, weil die gesamte Kritik, die wir haben, nicht in die Redezeit passt.

Wir nehmen einmal die faktisch fehlende Benachrichtigungspflicht, die ein Grund ist, warum das Gesetz aus unserer Sicht verfassungswidrig ist. Damit hebeln Sie faktisch die Rechtsschutzgarantie aus Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz faktisch aus. Ich betone es immer wieder, weil es wahrscheinlich auch den Abgeordneten nicht bekannt ist: Die G10-Kommission überwacht den Verfassungsschutz in gewissem Maße, aber die G10-Kommission ist nur für Maßnahmen zuständig, die Artikel 10 Grundgesetz betreffen, zum Beispiel Abhörmaßnahmen.

Ich glaube, in dem Bereich funktioniert das sogar sehr gut. Wenn die Kommission zukünftig aus fünf Mitgliedern besteht und somit alles Konsenskandidaten sind, dann habe ich sogar noch mehr Vertrauen in diese Kommission. Aber bei allen anderen Maßnahmen, die Artikel 10 Grundgesetz nicht betreffen, die nicht der Kontrolle der G10-Kommission unterliegen, die in der Gesamtzahl der Maßnahmen, die der Verfassungsschutz tagtäglich durchführt, die weitaus größere Zahl ausmachen dürften, entscheidet der Verfassungsschutz nach eigenem Ermessen, und zwar ohne jegliche Kontrolle.

Jetzt können Sie natürlich sagen, gegen Maßnahmen des Verfassungsschutzes kann man klagen, zur Not auch im Nachhinein. Das stimmt, das ist richtig. Individualmaßnahmen des Verfassungsschutzes entziehen sich im Falle einer Individualklage trotz ihrer Geheimhaltung nicht der richterlichen Kontrolle. Das setzt aber voraus, dass derjenige, der klagen möchte, überhaupt weiß, dass er auch Betroffener einer Maßnahme war.

Da genau kommt das Problem, dass Sie zwar eine theoretische Benachrichtigungspflicht ins Gesetz einbauen, aber die Entscheidung darüber, ob benachrichtigt wird oder nicht, im Ermessen des Verfassungsschutzes lassen. Was dabei in der Praxis herauskommen dürfte und wie viele Benachrichtigungen tatsächlich durchgeführt werden, kann sich wahrscheinlich jeder selber denken.

Es wäre ganz einfach gewesen. Schauen Sie nur einmal in § 17 Abs. 6 unseres aktuellen Polizeigesetzes! Dort finden Sie eine wunderbar passende Regelung. Die hätten Sie im Prinzip nur anpassen und in das Gesetz einpflegen müssen. Dann wäre zumindest an der Front Ruhe gewesen.

Den einzigen Grund, den ich mir vorstellen kann, warum Sie sich so gegen eine richterliche Kontrolle sträuben, ist der: Sie wollen alles überwachen und kontrollieren, aber selbst verbitten Sie sich jedwede Kontrolle über sich selbst, vermutlich auch weil Sie wissen, dass viele Ihrer Maßnahmen vor einem Gericht keinen Bestand hätten, und weil Sie auch wissen, dass Sie vor einem Gericht aufgrund Ihrer Maßnahmen eine Klatsche nach der anderen bekommen würden. Damit hätten Sie in der öffentlichen Debatte noch mehr Probleme, den Verfassungsschutz als Institution überhaupt zu legitimieren.

Was noch zutage treten würde, ist, wie viele völlig unschuldige Menschen tagtäglich von Ihren Überwachungsmaßnahmen betroffen sind. Aber dass Regierungen auf Geheimabteilungen angewiesen sind, insbesondere auch um Ihre rechtwidrigen und damit illegalen Machenschaften zu verschleiern und somit die Rechtsstaatlichkeit im Prinzip geschickt zu umgehen, dürfte spätestens seit dem aktuellen Prism-Skandal jedem klar sein.

Ich möchte zu einem weiteren Kritikpunkt kommen. Im neuen Gesetz ist zum Beispiel in § 1 nun auch eine ausdrücklich gesetzlich verankerte Aufgabenzuweisung und damit auch eine Legitimation verankert, das gesellschaftliche Bewusstsein zu stärken, was in der Praxis nichts anderes bedeutet, als dass der Verfassungsschutz bzw. dessen Mitarbeiter als Referenten in Schulen oder in der Lehrerfortbildung eingesetzt werden. Damit hätte der Verfassungsschutz die Möglichkeit, mit seiner speziellen Interpretation dessen, was er für verfassungsgemäß hält und was eben nicht, maßgeblich auf den öffentlich Diskurs Einfluss zu nehmen und sich und seine Handlungen selbst zu legitimieren.

Das ist aber nicht die Aufgabe des Verfassungsschutzes, sondern das ist Aufgabe des Parlamentes und der Gesamtgesellschaft. Der Verfassungsschutz hat das zu schützen, was das Parlament für schützenswert hält. Er hat nicht die Aufgabe, derart auf den öffentlichen Diskurs Einfluss zu nehmen, dass er sozusagen selbst definiert, was er für schützenswert hält und sich somit seine Aufgaben selbst zuweist.

Ein weiterer Kritikpunkt waren die V-Leute. Hierzu haben Sie geschrieben, dass V-Leute, die Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen, automatisch von der Mitarbeit ausgeschlossen sind und den Behörden weitergemeldet werden. Das ist gut. Das ist ein Fortschritt gegenüber dem Vorherigen, aber es reicht noch nicht. Aufgrund der Kritik, die von einigen kam, haben Sie ausdrücklich hineingeschrieben, dass V-Leute, die keine Straftaten von erheblicher Bedeutung – aber trotzdem halt Straftaten – begehen, nicht von der Strafverfolgung ausgeschlossen sind. Damit haben Sie eigentlich nichts geändert, denn das war vorher auch schon so. Das war eigentlich völlig klar.

(Zuruf von Verena Schäffer [GRÜNE])

Das ändert jedoch nicht das Problem, dass Sie weiterhin mit Straftätern zusammenarbeiten, von denen Sie wissen, dass sie Straftäter sind – und zwar ohne jegliche Meldepflichten oder Pflichten zur Beendigung der Zusammenarbeit.

Ich möchte klarstellen, dass, wenn man sich für V-Leute entscheidet, nicht jede Beleidigung oder jede Schwarzfahrt gleich zur Beendigung der Mitarbeit führen kann. Das ist völlig klar. Die Frage ist nur: Wo ziehen Sie die Grenze? – Genau die Beantwortung der Frage, wo Sie die Grenze ziehen, fehlt. Was ist denn die Grenze: zweimal schwarzfahren, zehnmal Schwarzfahren oder 50 Diebstähle? – Das Festlegen dieser Grenze gehört genau nicht in das Ermessen des Verfassungsschutzes, sondern das ist Aufgabe des Gesetzgebers.

(Zuruf von Verena Schäffer [GRÜNE])

In mehreren Pressemitteilungen haben wir bereits angekündigt, dass wir das Gesetz für verfassungswidrig halten – unter anderem aufgrund der Tatsache, die wir gerade genannt haben, aber auch aufgrund der Übermittlungspflichten, die Sie gerade selber angesprochen haben. Eine Klage dagegen prüfen wir bereits. Ob wir diese Klage einreichen, werden wir nach dem Ergebnis der Prüfung entscheiden. Wir möchten Sie aber allein schon deswegen bitten, unseren Entschließungsantrag anzunehmen und ein neues Gesetzgebungsverfahren anzustoßen. Wir wissen, dass Sie jetzt natürlich aufgrund der Frist des Bundesverfassungsgerichtes zeitlich gebunden sind. Das ist uns klar. Das heißt aber nicht, dass Sie jetzt nicht noch ein neues, verfassungsgemäßes Gesetz beschließen könnten. – Ich bedanke mich.

(Beifall von den PIRATEN)

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Veröffentlicht unter Dirk Schatz, Innenausschuss (A09), Reden
Ein Kommentar auf “Plenarrede: Dirk Schatz zu Neuausrichtung des Verfassungsschutzes in NRW
  1. Ute Plass sagt:

    Die Einlassungen der Pirat-innen zur sog. Neuausrichtung d.Verfassungschutzes in NRW sind zu begrüßen, wiewohl sich die grundsätzliche Frage stellt, wozu es dieser sog. Verfassungsschutz-Geheimdienste bedarf?
    Warum plädieren die Pirat-innen nicht für die Abschaffung dieser undemokratischen Geheimbünde?

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