Gastbeitrag von Ulrich Kramer
Ouroboros, Burg von Ptuj, Slovenien // Foto: Johann Jaritz
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Editorische Einleitung: In den Medien und im Netz feiern so einige Oxymora fröhliche Urständ. Gemeint sind Begriffe, die plötzlich ihre Ergänzung durch das führende Adjektiv „kybernetisch“ erfahren, als reichen die Begriffe selbst nicht aus, um ihre Bedrohungspotentiale genügend zum Ausdruck zu bringen. Da muss die böse, „anti-aufklärerische Kriegswissenschaft Kybernetik“ (Precht) für eine dramatische Verstärkung der Gefahr herhalten. Von kybernetischem Kapitalismus ist da die Rede, von kybernetischer Überwachung, gar von kybernetischer Diktatur. Und das Silicon Valley pflege ein kybernetisches Menschenbild. Schwärzer kann man den Schimmel nicht mehr machen. Der wirklich anti-aufklärerische Effekt ist, dass ganze Interpretationsräume zum Begriff der Kybernetik einfach abgeschnitten werden. Die Verwendung als Adjektiv in den genannten Kombinationen schlägt auf den Begriff selbst zurück. Er wird diskreditiert. Und die sprachliche Präzision, die Strenge des Denkens, die Sprache gerade als Mittel der Aufklärung ist beim Teufel, ein Armutszeugnis für die so argumentierenden, meist Geisteswissenschaftler.
Ich hatte dazu reichlich verärgert aber sachlich geschrieben, hier, hier und auf Telepolis. Und Reaktionen erhalten, positive wie negative. Unter den negativen Reaktionen möchte ich nur die erwähnen, die sagten, dass das Adjektiv und der Begriff doch eher randständig seien und bestenfalls für eine Fussnote zur Fussnote reichten, es ginge doch um etwas Anderes.
Hmm, ja. Ökologie ohne Kybernetik? Nachhaltiges Wirtschaften ohne Kybernetik? Erkenntnistheorie ohne Kybernetik? No way.
Aber lassen wir das. Kybernetik ist eine Wissenschaft und gerade deshalb keine Heilslehre. Stattdessen möchte ich einen der wichtigeren Protagonisten kybernetischen Denkens in den Zeugenstand rufen, den Kybernetiker Gregory Bateson:
„Ich glaube, die Kybernetik ist der größte Bissen vom Baum der Erkenntnis, den die Menschheit in den letzten zweitausend Jahren zu sich genommen hat. Die meisten Bisse von diesem Apfel haben sich jedoch als ziemlich unverdaulich erwiesen – meistens aus kybernetischen Gründen. […] Soviel ist aber sicher, dass in der Kybernetik auch das Mittel angelegt ist, eine neue und vielleicht menschliche Weltanschauung zu erreichen, ein Mittel, unsere Philosophie der Macht zu verändern, und ein Mittel, unsere eigenen Dummheiten in einer größeren Perspektive zu sehen.“
Gregory Bateson, Ökologie des Geistes, 7. Aufl., Frankfurt a.M. 1999, S. 612f
Unter den konstruktiv-kritischen Reaktionen war auch die eines Ingenieurs. Ulrich Kramer leitete lange Jahre das Autolab an der Hochschule Bielefeld. Ein erster Kontakt entstand über das Institut für Kybernetik und Systemtheorie bereits in den Neunzigern. Er übersandte mir eine ganze Aufsatzsammlung zur Veröffentlichung „Miä Lääwaafn – Ungehaltene Reden aus nichtigem Anlass“. Miä Lääwaafn ist ein Ausdruck aus dem „Fränggischn“ und bedeutet in etwa soviel wie „Mein Leergerede“. Wie leer dieses Gerede wirklich ist, davon können sich die geschätzten Leser*innen im Folgenden überzeugen. Zum Einstieg gibt es hier einen Auszug aus der Aufsatzsammlung als Beitrag im Blog für schnelle Leser sowie als PDF zum Download mit dem Titel „Zum Ursprung der Kybernetik“. Der Beitrag stellt die Kybernetik in philosophische und wissenschaftshistorische Bezüge, die so manchen überraschen mögen. Mehr soll hier nicht verraten werden. Die gesamte Aufsatzsammlung „Miä Lääwaafn“ inklusive sämtlicher Literaturverweise steht ebenfalls hier zur Verfügung.
Und nun, viel Spaß beim Lesen, Ihr Joachim Paul (Hg.)
Zum Ursprung der Kybernetik
Exitus acta probat.
(Ovid, Heroides)
Das Endziel, was immer es sei,
ist mir nichts, die Bewegung alles.
(Eduard Bernstein, 1898)
Es gibt eine Wissenschaft, die sich mit Vorliebe solch krauser Probleme wie des Radfahrens annimmt: die Kybernetik. Allerdings bekommt man auf die Frage, was Kybernetik genau sei, mindestens ebenso viele Antworten wie man Experten befragt. Auf der Internetseite der US-amerikanischen Gesellschaft für Kybernetik werden nicht weniger als siebzig davon aufgezählt. Die bekannteste stammt von dem Mathematiker Norbert Wiener, dem Begründer der Kybernetik, selbst. Im Titel seines gleichnamigen Buches von 1948 heißt es bündig: Kybernetik oder Regelung und Nachrichtenübertragung in Tieren und Maschinen.
Dem Vorwort dieses Buches entnehmen wir, womit sich Wiener in den Kriegsjahren vor der Veröffentlichung hauptsächlich zu beschäftigen hatte, nämlich mit der Verbesserung der Fliegerabwehrkanonen. Die Flugzeuge erreichten bereits damals im Vergleich zu den Geschossen der Kanonen beträchtliche Geschwindigkeiten. Wollte man treffen, mussten die Geschosse zu einem Punkt geführt werden, den die Flugzeuge in der Zeit während des Geschossfluges voraussichtlich erreichen würden. Das heißt, die Feuerleiteinrichtungen benötigten einen erheblichen Vorhalt, der zum einen von den Bewegungen von Flugabwehrkanone und Flugzeug, zum anderen aber auch von den Aktivitäten des Piloten im feindlichen Flugzeug und den Fertigkeiten des Richtkanoniers abhing. Es war also wichtig, die Charakteristiken jener „menschlichen Komponenten“ zu kennen und in die mathematische Beschreibung der Geräte einfließen zu lassen, wollte man die Trefferquote erhöhen.
Angeblich soll sein Schüler Claude Shannon, der Erfinder der Informationstheorie, Wiener geradezu gedrängt haben, sich für den Begriff Kybernetik als Bezeichnung dieser neuen wissenschaftlichen Disziplin zu entscheiden: „Norbert, nimm doch Kybernetik; da weiß niemand, was du meinst, und das bringt dir in Diskussionen nur Vorteile“. Der französische Mathematiker André-Marie Ampère, auf den Wiener bei seiner etymologischen Quellensuche für das Wort Kybernetik stieß, beschrieb 1834 in einer Untersuchung die „cybernétique“ als die Kunst des Regierens von Menschen.
In dieser Spannbreite zwischen Technik, Biologie und Gesellschaft bewegen sich auch all die unterschiedlichen Interpretationen und Denkansätze von Wieners Epigonen. Eine merkenswerte stammt von dem marxistischen Philosophen Georg Klaus; er definierte Kybernetik als Theorie möglicher Verhaltensweisen allgemeiner Maschinen, oder auch als Theorie der Zusammenhänge möglicher selbstregulierender Systeme mit ihren Untersystemen. Hiervon wird noch zu sprechen sein.
Dabei fing eigentlich alles ganz harmlos an. Zu Beginn, vor bald fünfundsiebzig Jahren, im Oktober des Jahres 1943, erschien in der Zeitschrift „Philosophy of Science“ ein Artikel von Norbert Wiener, den er zusammen mit dem Physiologen Roberto Rosenblueth und dem Ingenieur Julian Bigelow unter dem Titel „Behavior, purpose, and teleology“ verfasst hatte. In ihm äußerte er sich erstmals öffentlich zu Gemeinsamkeiten im Verhalten von Lebewesen und Maschinen. Inmitten des Zweiten Weltkriegs, in dem es wie in jedem Krieg (und auf allen Seiten) um Vaterland, Ehre, Tapferkeit und Ruhm gehen sollte, musste eine solche Fragestellung reichlich frivol erscheinen.
Unter Verhalten verstanden die drei Wissenschaftler von MIT und Harvard jedwede beobachtbare Veränderung eines beliebigen Objekts in Abhängigkeit von dessen jeweiliger, mit geeigneten Sensoren erfassbaren Umgebung. Mit einem solchen Ansatz lösten die Herren einige Irritation aus, weil sie, von der als uneinnehmbar geglaubten Bastion des Behaviorismus ausgehend, den Begriff Verhalten kurzerhand von der Binnenwelt der Psychologie in die Außenwelt der Maschinen übertrugen. Damit nicht genug: um die Verhaltensweisen von Lebewesen, inklusive derer des Menschen, klassifizieren zu können, adaptierten sie in umgekehrter Richtung gewisse Eigenschaften wie die der Zweckmäßigkeit, die nach damaligem gängigem Verständnis eigentlich als spezifische Aspekte von Maschinen hätten gelten sollen. Sie wollten damit ganz allgemein Verhaltensweisen oder Handlungen kennzeichnen, die auf ein Ziel hin gerichtet sind. Unter unzweckmäßigem Verhalten verstanden sie dementsprechend Handlungen, die nicht zielgerichtet sind.
Wiener und seine Koautoren widersprachen ganz entschieden der Auffassung, alle Maschinen seien zweckmäßig. Sie begründeten dies zum einen damit, dass durchaus Maschinen, das Roulette etwa, denkbar seien, die grundsätzlich nicht zielgerichtet und somit auch nicht zweckmäßig sind, ja noch nicht einmal so konzipiert sein dürfen, sollen sie ihrer Bestimmung gemäß funktionieren. Zum anderen behaupteten sie, selbst wenn man einen Mechanismus für einen bestimmten Zweck konstruieren würde, sei es denkbar, dass die sich hieraus ergebende Maschine bei Ausführung dieses Zwecks keinem bestimmten Endzustand zustrebe und deshalb nicht als zielgerichtet gelten könne. Es handele sich dann im Umkehrschluss auch nicht um eine zweckmäßige Maschine. Die Uhr sei dafür ein besonders weit verbreitetes Beispiel.
Ferner gebe es Maschinen, beispielsweise Gewehre, die zwar dafür vorgesehen seien, ein Ziel zu treffen, denen aber dieser Zweck, sofern er nicht fest eingebaut sei, abgesprochen werden müsse, weil man damit ebenso gut ziellos in der Gegend herumschießen könne. Mit anderen Worten, Maschinen verhielten sich zweckmäßig im engeren Sinne nur dann, wenn ihnen ein zielführender Mechanismus innewohne und in ihnen wirksam sei, mit dem sie sich selbsttätig in ein Ziel steuern können. Als Beispiele für diese Kategorie Maschinen führten Wiener und seine Koautoren Torpedos an. In diesem Sinne dürfe man natürlich auch Lebewesen zweckmäßiges Verhalten attestieren, soweit dieses zielgerichtet ist.
Zur Erläuterung des dritten Begriffs in der Überschrift des Artikels, der Teleologie, muss ich etwas weiter ausholen. Obgleich die Teleologie als philosophischer Begriff erst relativ spät, nämlich 1728, von Christian Wolff eingeführt worden ist, gehört er zu jener Klasse von Kategorien, in denen gewissermaßen die gesamte zweieinhalbtausendjährige europäische Philosophiegeschichte aufscheint. In ihm konzentrieren sich vor allem die Kontroversen zwischen Mechanismus und Vitalismus, bei denen es um die Abgrenzung belebter von unbelebter Materie geht, also darum, worin Lebewesen sich von toter Materie unterscheiden. Wohingegen es gerade erklärtes Ziel des besagten Artikels war, Gemeinsamkeiten im Verhalten von Lebewesen und aus toter Materie hergestelltem technischen Gerät herauszuarbeiten.
Bis ins 17. Jahrhundert hinein galt die von Aristoteles, dem Urheber des teleologischen Prinzips, stammende und durch die Kirche sanktionierte Doktrin, Leben sei der von der Form geprägte Stoff. Das formende Prinzip des Lebens nannte Aristoteles Entelechie (entelés vollständig, échein besitzen), um auszudrücken, dass das Leben sein Ziel vollständig in sich trage. Das stoffliche Prinzip bezeichnete er als dýnamis, als Möglichkeit des Stoffes nämlich, Einwirkungen zu erleiden; energeĩa (lat. Actus) stand in diesem Zusammenhang für die Einwirkung als Veränderung des Möglichen in die von der Entelechie vorgegebenen Richtung.
Mechanische Materialisten des 17. Jahrhunderts wie Pierre Gassendi oder Thomas Hobbes wollten in der gesamten Natur als Veränderungen nur mechanische Bewegungen gelten lassen, die durch Wirkursachen hervorgerufen werden: Corpus non moveri nisi impulsum a corpore contiguo et moto. Hiergegen wandten sich die Vitalisten, allen voran die Cambridger Neuplatoniker Henry More und Ralph Cudworth, die für Veränderungen in der belebten Natur besondere Lebenskräfte und plastische Naturen verantwortlich machten.
In der Auseinandersetzung mit ihnen wies Gottfried Wilhelm Leibniz die beiden sich bekämpfenden, weil einander ausschließenden Erklärungsansätze für Veränderungen, den Vitalismus wie den Materialismus, zurück. Er hielt nichts von der von Vitalisten behaupteten Allbeseeltheit der Welt, die selbst Felsbrocken oder Wasser noch eine Seele zuzusprechen gewillt waren. Aber er erachtete auch die Argumentation der Materialisten als unvollständig und zu grobschlächtig. Vielmehr wies er darauf hin, dass die Monaden als seelische Substanzen in all ihren Abstufungen überall verteilt seien und mit den gänzlich unbeseelten Substanzen in prästabilierter Harmonie existierten, in der sie trotz ihrer unterschiedlichen Qualitäten – nach Art synchron laufender Uhren verschiedener Bauart – gleichwohl alle denselben Veränderungen unterworfen seien. Auf dieser Grundlage fällte er in seinen „Betrachtungen über die Lebensprinzipien und über die plastischen Naturen“ von 1705 sein wahrhaft salomonisches Urteil:
„Es sind gewissermaßen zwei Reiche vorhanden, das der wirkenden und das der Zweckursachen, von denen jedes für sich und als wenn das andere gar nicht existierte, genügt, um im Einzelnen von allem Rechenschaft zu geben. Aber keines von beiden genügt für sich allein, wenn man auf ihren allgemeinen Ursprung sieht; denn beide gehen aus einer Quelle hervor, in der sich die Macht, die die wirkenden Ursachen zustande bringt, und die Weisheit, die die Zweckursache regelt, vereinigt finden.“
Immanuel Kant wollte dies so nicht gelten lassen und charakterisierte in der „Kritik der Urteilskraft“ (1790) Zielstrebigkeit und Zweckmäßigkeit als lediglich „regulative Prinzipien“ der reflektierenden Urteilskraft. Als „konstitutive Prinzipien“, mit denen ihre Produkte aus ihren Ursachen abgeleitet werden könnten, fielen sie ohnehin nicht mehr unter die reflektierende, sondern unter die bestimmende Urteilskraft. Eine äußere Zweckmäßigkeit könne man nur unter der Bedingung annehmen, dass etwas für sich selbst Zweck der Natur ist. Dies aber ließe sich allein auf der Grundlage von Naturbeobachtungen nicht erschließen.
Andererseits berechtige die relative Zweckmäßigkeit zu keinem absoluten teleologischen Urteil. Als Naturzweck könne ein Ding nur existieren, wenn es von sich selbst Ursache und Wirkung wäre, was hieße, ein organisches Produkt der Natur sei das, in welchem alles Zweck und wechselseitig auch Mittel ist (Teleologie als System). In der Existenz der Natur als ganzer aber einen Zweck suchen zu wollen sei abzulehnen, weil dies über die Natur hinaus ins Metaphysische führe, auf das Kant gar nicht gut zu sprechen war.
Im Jahre 1807 erschien die „Phänomenologie des Geistes“ von Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Er pflichtete zunächst der Auffassung von Kant bei und bestätigte, für das beobachtende Bewusstsein sei der Zweckbegriff nur jene äußerliche, teleologische Beziehung, von der auch Kant spricht. Aber:
„Indem es (das Organische) sich in der Beziehung auf Anderes selbst erhält, ist es eben dasjenige natürliche Wesen, in welchem die Natur sich in den Begriff reflektiert, und die an der Notwendigkeit auseinandergelegten Momente einer Ursache und einer Wirkung, eines Tätigen und eines Leidenden, in eins zusammengenommen.“
Kurz gesagt, der Zweckbegriff könne nicht einfach wegdiskutiert werden, sondern gehöre bei einer umfassenden Weltbetrachtung ganz einfach mit dazu.
In der zwischen 1812 und 1816 erschienenen „Wissenschaft der Logik“ wie auch in der „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften“ von 1817 führte Hegel den Zweck neben Mechanismus und Chemismus als etwas Drittes ein, das mit jenen beiden anderen die objektive Welt ausmache. Der Zweck habe eine objektive, mechanische und chemische Welt vor sich, auf die sich seine Tätigkeit als auf ein Vorhandenes beziehe. Er sei innerhalb der Sphäre der Objektivität anzusiedeln, wenngleich immer noch „von der Äußerlichkeit als solcher affiziert“. Hiervon ausgehend gelangte Hegel zu der revolutionären Einsicht, dass es die menschlichen Tätigkeiten seien, die mechanische und chemische Technik nämlich, durch die der Zweck zum objektiven Faktum werde. Denn der Zweck schließe sich durch ein Mittel mit der Objektivität und in dieser mit sich selbst zusammen. Das Mittel aber sei die äußerliche Mitte des Schlusses, welcher die Ausführung des Zweckes ist. Im Griechischen heißt méchos Mittel, derer sich der Mensch dabei bedient, indem er Werkzeuge, Geräte, Apparate, Maschinen verfertigt. Der Begriff Maschine hängt eng mit diesem griechischen Wort zusammen.
In der Enzyklopädie schreibt Hegel im Paragraphen 209: damit „der subjektiv gesetzte Zweck sich außer den Prozessen, worin das Objektive sich aneinander abreibt und aufhebt, halten und das in ihnen sich Erhaltende bleiben könne“, sei die „List der Vernunft“ vonnöten. Weil das Wichtigste bei Hegel oft in den kommentierenden Zusätzen steht, soll dieser (nicht in allen Enzyklopädie-Ausgaben abgedruckte) Zusatz vollständig wiedergegeben werden:
„Die Vernunft ist ebenso listig als mächtig. Die List besteht überhaupt in der vermittelnden Tätigkeit, welche, indem sie die Objekte ihrer eigenen Natur gemäß aufeinander einwirken und sich aneinander abarbeiten lässt, ohne sich unmittelbar in diesen Prozeß einzumischen, gleichwohl nur ihren Zweck zur Ausführung bringt.“
Man muss sich vergegenwärtigen: diese Überlegungen sind Bestandteil einer Logik, wenngleich der Hegelschen Logik. Es mutet zunächst befremdlich an, zweckmäßiges Handeln des Menschen als logisches Schließen, also als Teil einer subjektiv geistigen Leistung präsentiert zu bekommen. Denn tatsächlich soll es sich Hegel zufolge um einen Prozess handeln, der den „distinkt als Begriff existierenden Begriff“ in die Objektivität übersetzt. Hegel, für den das Zusammenfallen des Begriffs mit dem Objekt identisch mit der Idee der Wahrheit ist, gelangt, provokant formuliert, vom subjektiven Begriff und vom subjektiven Zweck zur objektiven Wahrheit.
Mit Blick auf diese Merkwürdigkeit notierte Wladimir Iljitsch Lenin in seinem 1914 verfassten „Konspekt zu Hegels Wissenschaft der Logik“ jedenfalls hocherfreut:
„Zur Idee als Wahrheit kommt Hegel über die praktische, zweckmäßige Tätigkeit des Menschen. Ganz nahes Herankommen daran, dass der Mensch durch seine Praxis die objektive Richtigkeit seiner Ideen, Begriffe, Kenntnisse, seiner Wissenschaft beweist.“
Doch kehren wir ins Jahr 1943 zurück. In ihrem Aufsatz klassifizierten Wiener, Rosenblueth und Bigelow das Verhalten beliebiger Entitäten wie im eingangs gezeigten Diagramm angedeutet. Als „teleologisch“ charakterisierten sie zweckmäßig kontrolliertes Verhalten eines aktiven Systems mit Rückkopplung (feedback), nicht ohne hervorzuheben, sie hätten dabei mit den klassischen Konnotaten der Teleologie wie „zweckgeführte Kausalität“, „Determiniertheit“, „Freiheit und Notwendigkeit“ usw. nichts im Sinn. Vielmehr würden sie damit die Vorstellung verbinden, dass es sich um zweckmäßige Reaktionen handele, die durch einen Mechanismus zur Fehlerkorrektur (negatives feedback) zu jeder Zeit auf einen gewünschten Endzustand hin, interpretiert als das Ziel des Vorgangs, gesteuert würden.
Bravo, ist man versucht zu rufen: nicht anders beschrieb Hegel, wie vor ihm bereits Kant, wenn er von der teleologischen Tätigkeit sagt, dass in ihr das Ende der Anfang, die Folge der Grund, die Wirkung die Ursache ist, auf dass sie ein „Werden des Gewordenen“ sei. Man muss kein Genie sein oder über besondere detektivische Fähigkeiten verfügen, um darin recht unverhohlen in sich geschlossene Wirkschleifen rückgekoppelter Regelkreise beschrieben zu sehen.
Kann aber als Genie gelten, wer die Philosophiegeschichte der letzten paar hundert Jahre kurzerhand ignoriert?
Ja, das geht. Norbert Wiener ging als Urheber der Kybernetik in die Annalen der Geschichte ein. In seinem gleichnamigen Buch erkor er Leibniz zum Schutzpatron seiner schönen neuen Wissenschaft, offenbar nicht ahnend, dass dessen Philosophie um weit mehr kreiste als nur um die beiden von ihm zitierten, miteinander engverwandten Begriffe einer universellen Symbolik und des Kalküls der Vernunft. Niemand anderer als Leibniz hatte, wie gezeigt, tatsächlich die bis Anfang des 20. Jahrhunderts immer wieder aufgewärmte und letztlich auch von Wiener aufgegriffene Kontroverse zwischen Materialismus und Vitalismus fast zweihundertfünfzig Jahre davor bereits „to the limbo of badly posed questions“ verwiesen.
Aber erst Kant und Hegel haben es verstanden, das Wesen der Selbstorganisation lebendiger Organismen sowie das Zusammenwirken von Mensch und Maschine auf den Punkt zu bringen. Sie waren die eigentlichen Begründer von Wieners Kybernetik – und wieder mal hat’s keiner gemerkt.