I. Sachverhalt
Am 17. März 2016 trat das „Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren“ in Kraft. Auch der Landtag NRW debattierte am 3. März aus Anlass des Piraten-Antrags „Schutzsuchende aufnehmen, nicht abwehren: NRW lehnt das Asylpaket II ab“ über das sogenannte Asylpaket 2. Die Fraktion der Piraten warnte neben vielen weiteren Verschlechterungen für Schutzsuchende insbesondere davor, dass die Einführung des Gesetzes dazu führen könne, dass die Zahl der Geflüchteten, die lediglich einen subsidiären Flüchtlingsschutz durch das BAMF erhalten, steige. Nicht zuletzt wurde von Rednern angemahnt, dass dies nicht zuletzt syrische Kriegsflüchtlinge treffen könne. Leider hat sich diese Annahme bewahrheitet, und immer mehr Menschen müssen die unerträgliche humanitäre Härte erleiden, dass sie getrennt von ihrer Familie leben müssen. Pro Asyl machte bereits im Mai auf die steigenden Fälle aufmerksam und schreibt: „Alleine im April wurden ca. 21.000 Entscheidungen zu Syrien getroffen, davon wurde in knapp 3.500 Fällen subsidiärer Schutz gewährt. Die aktuelle Tendenz zeigt, dass im Jahr 2016 mit deutlich mehr Entscheidungen über subsidiären Schutz zu rechnen ist als 2015. Die Folge: Betroffene SyrerInnen sind vom Familiennachzug Längerfristig ausgeschlossen.“ Im Jahr 2015 erhielten syrische Flüchtlinge hingegen in nahezu 100 Prozent der Fälle die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Seit April ist diese Zahl immer weiter gesunken: Im Juni 2016 erhielten 46 Prozent der syrischen Schutzsuchenden nur noch subsidiären Schutz und im August 2016 bereits rund 70 Prozent. Dabei hatte die SPD damals im Zusammenhang mit der Einführung des Gesetzes erklärt, dass syrische Flüchtlinge von diesem erheblichen Eingriff in das Grundrecht auf Familie nicht betroffen sein sollten.
Es ist daher kein Wunder, dass immer mehr Betroffene gegen die BAMF-Entscheidungen klagen: Bundesinnenminister Thomas de Maizière gab im Oktober 2016 bekannt, dass ca. 19.500 Klagen von Syrerinnen und Syrern bei den Verwaltungsgerichtsgerichten eingegangen seien. Bisher wurden erst rund 1.900 Entscheidungen bei den Gerichten zu diesen Klagen getroffen, und in 1.400 Fällen bekamen die Kläger Recht. Das VG Trier legte vor kurzem ausführlich dar, wieso das BAMF mit den Entscheidungen gegen Menschenrechte verstoßt. Trotzdem beharrt das Bundesinnenministerium auf der aktuellen Praxis des BAMF.
Eine weitere Schande stellt zurzeit die Missachtung des Aufnahmeabkommens von September 2015 dar. Von insgesamt 27.485 Asylsuchenden, deren Aufnahme Deutschland zugesagt hatte, sind nur 216 Personen angekommen: 20 aus Italien und 196 aus Griechenland. Das geht aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Kleine Anfrage der Grünen im Bundestag hervor.
II. Der Landtag stellt fest
- Im Sinne einer humanitären Flüchtlingspolitik ist es unumgänglich, dass zur Praxis des Jahres 2015 zurückgekehrt wird. Insbesondere der hohe Anstieg subsidiärer Schutzentscheidungen des BAMF bei syrischen und eritreischen Flüchtlingen muss kritisiert werden.
- Die derzeitige Entscheidungspraxis des BAMF belastet die nordrhein-westfälische Justiz und schafft Rechtsunsicherheit.
III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,
- sich auf allen Ebenen für die Rücknahme des § 104 Absatz 13 AufenthG einzusetzen.
- die vorhandenen Aufnahmekapazitäten des Landes dem Bund anzubieten, damit die vereinbarte Zahl an Schutzsuchenden aus Griechenland und Italien endlich nach Deutschland kommen kann.
Mitschnitt der kompletten Debatte:
Protokoll der Rede von Simone Brand:
Simone Brand (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Zuschauer! Rennen Sie nicht alle raus, es geht um Menschenleben!
Ich möchte heute mit einem Zitat von Tucholsky beginnen:„Recht kann man nur in bedrohten Lagen erkennen. Wenn es da nicht gilt, dann taugt es nichts. Im Alltag, wo nichts vor sich geht, kann jeder ein Rechtsbewahrer sein.“
Genau das erleben wir gerade. Rechte werden gebeugt und so weit verstümmelt, dass sie faktisch nicht mehr gelten. Insbesondere unser Asylrecht wurde in den letzten Jahren so oft geändert und verschärft, dass sich jetzt nur noch wenige Experten mit dem Schutz für Asylsuchende auskennen. Mittlerweile sind wir so weit, dass wir nicht einmal mehr politisch Verfolgten Asyl nach Art. 16a Abs. 1 Grundgesetz gewähren. Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns hier und heute im Landtag von Nordrhein-Westfalen diesem Anliegen widmen und uns mit echtem Schutz für politisch Verfolgte beschäftigen. Sie können Ihr Totschlagargument ruhig in der Schublade lassen: Dieses Thema läuft auf Bundesebene, das gehört nicht auf Landesebene. Zeitgleich mit uns bringen die rot-grünen Kollegen von Ihnen in Schleswig-Holstein einen ähnlichen Antrag ein, weil auch sie, genau wie wir, erkannt haben, wie wichtig es ist, dass man sich auf allen Ebenen gegen dieses Unrecht einsetzt.
Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren wurde eine zweijährige Wartefrist für den Familienzuzug für subsidiär geschützte Menschen eingeführt. Damals hieß es von seiten der SPD, dass diese Neuregelung nur ganz wenige Menschen betreffen würde. Wir Piraten lehnten das gesamte sogenannte Asylpaket II ab. Es ist inhuman, und es bedeutet eine Pervertierung des Asylrechts. Das machten wir auch hier im Landtag deutlich. Sie erinnern sich sicherlich an die Debatte. Insbesondere die rot-grünen Abgeordneten beteuerten, dass sie das Asylpaket II ebenfalls in großen Teilen ablehnen würden, aber doch leider nichts machen könnten, da es sich bei dem Gesetz lediglich um ein Einspruchsgesetz handle.
Seit Inkrafttreten des Gesetzes gewähren die Entscheider des BAMFT ausenden Schutzsuchenden aus Eritrea, dem Irak und Syrien nicht mehr den vollen, sondern nur noch den subsidiären Flüchtlingsschutz. 2015 wurde noch bei nahezu 100% der syrischen Geflüchteten eine echte Flüchtlingseigenschaft anerkannt, im April 2016 noch bei 84%, im Juni bei 54%, im August nur noch bei 30%. 30% der syrischen Flüchtlinge – das heißt, 70% können ihre Familien nicht nachholen. Was steckt denn hinter dieser nackten Zahl? Das sind doch Menschen!
Viele von uns wissen, wie Menschen in Flüchtlingslagern außerhalb von Europa untergebracht sind, und über diejenigen, die sich in Kriegsgebieten aufhalten – davon gibt es sehr viele–, möchte ich gar nicht nachdenken. Sie sitzen nämlich nicht mit einem Schirmchen-Drink in der Hand im Tanga am Strand und warten darauf, dass sie geholt werden, sondern sie befinden sich in lebensbedrohlichen Situationen, in Todesgefahr – und das jeden Tag. Und diese Menschen lassen wir jetzt schon zwei Jahre warten.
Genau davor haben wir damals schon gewarnt. Meine Damen und Herren, Sie beteuern, Sie können dafür nichts, es war ja kein Gesetz, beidem eine Entscheidung des Bundesrats gewollt war, nur ein Einspruchsgesetz, weil es sich angeblich nicht auf die Länder auswirkt. Wir sehen: Das ist Quatsch. Und Sie haben noch nicht mal Einspruch erhoben; dafür sollten Sie sich schämen! Jetzt schlagen sich unsere Verwaltungsgerichte mit den Tausenden von Klagen von verzwei- felten Syrern um, allein 700 Klagen sind
beim Verwaltungsgericht Münsteranhängig. Die Verwaltungsgerichte geben den Menschenrecht und erkennen den grundsätzlichen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft an, zumal viele von ihnen bei einer Rückkehr nach Syrien auch mit politischer Verfolgung durch das Assad-Regime rechnen müssen.
Das Bundesinnenministerium musste im Oktober 2016 bekannt geben, dass ca. 19.500 Klagen von Syrerinnen und Syrern bei den Verwaltungsgerichten eingegangen seien. Bisher wurden erst rund 1.900 Entscheidungen bei den Gerichten getroffen; davon bekamen 1.400 Kläger recht. Die aktuellen Zahlen von heute aus Berlin zeigen: Die Gerichte werden auf Jahre hin komplett blockiert sein, weil sie Entscheidungen zu treffen haben und nicht hinterher kommen – und das alles wegen diesem unsäglichen
(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)
–ich komme zum Ende –§104 Abs. 13 AufenthG. Deshalb bitte ich Sie: Setzen Sie sich mit uns auch auf dieser Ebene dafür ein, diese unselige Vorschrift abzuschaffen. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
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