Kein Blanko-Scheck für eine ‚Infrastrukturgesellschaft Verkehr‘ – NRW muss drohender Privatisierung der Autobahnen jetzt einen Riegel vorschieben!

I. Sachverhalt

Kürzlich haben sich Bund und Länder nach jahrelangen Verhandlungen auf eine grundsätzliche Neuordnung ihrer künftigen Finanzbeziehungen verständigt (“Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystems ab 2020”). Im Rahmen der Neuregelung des Finanzausgleichs wurde auch die Einrichtung einer Infrastrukturgesellschaft des Bundes, auch Bundesautobahngesellschaft genannt, mitverhandelt.

Der Beschluss vom 14. Oktober 2016, dem alle Regierungschefinnen und Regierungschefs von Bund und Ländern zugestimmt haben, hält unter Spiegelstrich B.) 1.) “Infrastrukturgesellschaft Verkehr” fest: “[…] Es soll eine unter staatlicher Regelung stehende privatrechtlich organisierte Infrastrukturgesellschaft Verkehr eingesetzt und das unveräußerliche Eigentum des Bundes an Autobahnen und Straßen im Grundgesetz festgeschrieben werden. Dazu entsprechende Ermächtigungen in Art. 90 GG. Eckpunkte für die Ausgestaltung sind festzulegen (u.a. Zeitplan, Regelungen in der Übergangsphase, Übergang von Personal-, Pensions- und Sachmitteln). Dabei sollen die Interessen der Beschäftigten hinsichtlich Status, Arbeitsplatz und Arbeitsort beachtet werden. Die Personalvertretungen werden eingebunden.”

Gegenstand der Vereinbarung waren darüber hinaus mehrere andere Themenfelder angefangen von der Stärkung der Rechte des Bundes bei der Steuerverwaltung über eine Ausweitung des Unterhaltsvorschusses bis hin zur Schaffung der besagten Infrastrukturgesellschaft Verkehr auf Bundesebene. Auch wenn man bei einem solchen vielschichtigem und komplexen Verhandlungspaket schwerlich abschätzen kann, welche konkreten Vereinbarung letztlich herauskommen werden, ist es umso wichtiger, jetzt schon den Verhandlungskorridor an akzeptablen Verhandlungslinien festzulegen. Denn das Land NRW hat als Transitland Nr. 1 in Deutschland ein virulentes Interesse daran, eine gut erhaltene und für jedermann zugänglich Autobahn – und Bundesfernstraßeninfrastruktur vorzuhalten.

Eine Infrastrukturgesellschaft des Bundes würde die Zuständigkeit für alle Bundesautobahnen (opt out für übrige Bundesfernstraßen) hinsichtlich Pflege, Planung, Bau, Sanierung und Finanzierung auf den Bund übertragen – und somit sämtliche Aufgaben der Straßenbaubehörden der Länder, wovon mit rund 6.000 Mitarbeitern “Straßen.NRW” die größte ist, übernehmen. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) und andere Politiker und Interessengruppen werben seit längerem für die Einrichtung einer Bundesautobahngesellschaft. Obwohl seitens des SPD-geführten Bundeswirtschaftsministeriums öffentlich beteuert wird, dass es zu keiner Vollprivatisierung der Bundesfernstraßen in Deutschland kommen wird, gehen viele Rechtsexperten davon aus, dass genau dies durch die nun getroffene Regelung möglich wird.

Denn eine “unter staatlicher Regelung stehende privatrechtlich organisierte Infrastrukturgesellschaft” kann sowohl eine AG als auch eine GmbH bedeuten. Diese Rechtsformen stehen im Gegensatz zur Anstalt öffentlichen Rechts (AöR), bei der der Bund 100-prozentiger Eigentümer wäre. Somit gibt es laut Beschlusstext keinerlei Schutz vor einem Verkauf der Anteile an der Infrastrukturgesellschaft durch den Bund.

Privatisierungstendenzen spiegeln sich ebenfalls im Beschlusssatz “[…] das unveräußerliche Eigentum des Bundes an Autobahnen und Straßen [soll] im Grundgesetz festgeschrieben werden”. Bezieht man dies allein auf den privatrechtlichen Eigentumsbegriff, hieße das, dass lediglich der Bund noch formal als Eigentümer im Grundbuch stehen muss. Sämtliche Kompetenzen der öffentlichen Bundesfernstraßenverwaltung an private Investoren zu übertragen, wird keinesfalls verhindert.

Nicht nur wäre bei einer privatrechtlichen Organisation die demokratische Kontrolle der Gesellschaft über die Parlamente massiv eingeschränkt, auch bestätigte der Bundesrechnungshof in der Vergangenheit, dass über private Investoren finanzierte Autobahnprojekte (oft in Form von öffentlich-privaten Partnerschaften, ÖPP) am Ende für die Allgemeinheit meistens teurer sind.

Um eine Privatisierung auszuschließen, muss die Gesellschaft zu 100 Prozent Eigentum des Bundes bleiben. Das Land Thüringen hatte zu diesem Zwecke im Rahmen der Beschlussverhandlungen gefordert, auch die Rechtsform einer Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) für eine Bundesinfrastrukturgesellschaft zu prüfen. Das Land  Niedersachsen führte in seiner Protokollerklärung zum Beschluss vom 16.10.2016 sogar aus, dass „eine grundlegende Neuordnung der Aufgaben beim Bundesfernstraßenbau nicht geboten [sei]“.

Ein weiteres Problem: Eine Privatisierung der Autobahnen überträgt die Kontrolle der gesamten Infrastruktur der Lkw-Maut, und möglicherweise einer zukünftigen Pkw-Maut, privaten Investoreninteressen. Somit verfügen diese über ein großflächiges Überwachungsinstrument, welches fernab der Kontrolle durch Parlamente und Regierungen für eigene privatwirtschaftliche Zwecke, beispielsweise der Autoversicherungsindustrie, missbraucht werden kann.

Zudem ist die Einrichtung einer Infrastrukturgesellschaft des Bundes ein weiterer Schritt hin zu einer bürgerfernen Zentralisierung wichtiger Staatsaufträge.

Letztendlich ist die Einrichtung einer privatrechtlich organisierten Verkehrsinfrastrukturgesellschaft ein Vehikel zur Finanzierung der Auftragsverwaltung für die Bundesfernstraßen über den Kapitalmarkt, am regulären Staatshaushalt vorbei. Somit entstünde ein weiterer intransparenter Schattenhaushalt jenseits der parlamentarischen Haushaltskontrolle. Für Hedgefonds, Großbanken oder Versicherungskonzerne würde eine neue attraktive Investitionsmöglichkeit geschaffen mit einer Rendite, die sich am Kapitalmarkt aufgrund des derzeitigen Nullzins-Umfeldes nicht realisieren ließe. Diese erhöhte Rendite müssten letztlich die Nutzer der Autobahnen und Bundesfernstraßen zahlen. Also der weitaus überwiegende Teil der Menschen in Deutschland – mehr oder weniger jeder.

II. Der Landtag stellt fest:

  1. Die Einrichtung einer Verkehrsinfrastrukturgesellschaft auf Bundesebene öffnet die Tür zu einer Teil- bzw. Vollprivatisierung der Bundesfernstraßen, inklusive der Etablierung einer Finanzierungspraxis über ÖPP.
  2. Es darf keinen Privatisierungs-Blankoscheck geben. Es ist essentiell, bereits jetzt klarzustellen, dass eine Voll- oder auch Teilprivatisierung des Autobahn- und Bundesfernstraßennetzes nicht in Frage kommt und auch nicht Gegenstand von faulen Kompromissen sein kann.
  3. Mit der Übertragung der Auftragsverwaltung für die Bundesfernstraßen auf eine Bundesinfrastrukturgesellschaft könnte eine Überwachungsinfrastruktur (Lkw- bzw. Pkw-Maut) unter die Kontrolle privater Investoren gelangen.
  4. Die Einrichtung einer Infrastrukturgesellschaft auf Bundesebene stellt einen weiteren Schritt hin zu einer bürgerfernen Zentralisierung wichtiger Staatsaufträge dar.
  5. Der Landesbetrieb Straßenbau Nordrhein-Westfalen (“Straßen.NRW”) und seine knapp 6.000 Mitarbeiter würden überproportional von der Einrichtung einer Infrastrukturgesellschaft des Bundes in Mitleidenschaft gezogen.

III. Der Landtag beschließt:

  1. Die Landesregierung wird aufgefordert, sich auf allen politischen Ebenen für den Fortbestand der aktuellen Auftragsverwaltung für die Bundesfernstraßen und somit für den vollumfänglichen Fortbestand des Landesbetriebs Straßen.NRW einzusetzen.
  2. Die Landesregierung wird aufgefordert, sich bei den Bund-Länder-Verhandlungen
    gegen eine Privatisierung der Bundesfernstraßen auszusprechen und keiner Regelung zuzustimmen, die eine sofortige oder zukünftige Privatisierung zulässt.
  3. Der mögliche weitere Ausbau der Überwachungsinfrastruktur im Verkehrswesen in Form eines elektronischen Mautwesens auch für PKW und deren Übertragung an private Investoren muss unterbunden werden.

Mitschnitt der beiden Reden von Nico Kern:

Mitschnitt der Rede von Oliver Bayer:

Mitschnitt der kompletten Debatte:

Protokoll der 1. Rede von Nico Kern:

Nicolaus Kern (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident! – Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Zuschauer hier im Saal und zu Hause!

Am 14. Oktober 2016 haben sich der Bund und die Länder also auf einen neuen Länderfinanzausgleich für die Zeit ab 2020 geeinigt. Im Wesentlichen hat die Neuordnung eine Abschaffung des horizontalen Finanzausgleichs zur Folge. Durch ihn wurde bislang – das haben wir schon gehört – ca. ein Viertel der Einnahmen aus der Umsatzsteuer von den reichen an die armen Länder verschoben und der Rest anhand der jeweiligen Bevölkerungsanzahl verteilt. Damit entfällt nun auch der Umsatzsteuervorwegausgleich, und somit wird eine zentrale Forderung von NRW erfüllt.

Es ist nämlich so, dass NRW seit 2014 fast 2,3 Milliarden € zum Umsatzsteuervorwegausgleich beisteuerte und beim nachgeschalteten Länderfinanzausgleich nur gut 900 Millionen € zurückerhielt. Mit der Neuregelung gewinnt unser Land also ab 2020 voraussichtlich 1,4 Milliarden € dazu.

Für sich alleine genommen ist dieser Teil der Einigung aus finanzieller Perspektive durchaus zu begrüßen. Außerdem ist NRW endlich die Negativbezeichnung „Nehmerland“ los. Das ist gut für die verletzte Eitelkeit der rot-grünen Landesregierung – aber wie hoch ist der Preis für diese punktuelle Genugtuung? Alle Bundesländer werden nun finanziell entlastet, da der Bund künftig rund 9,5 Milliarden € in das neue System einspeist. Somit ist die finanzielle Besserstellung Nordrhein-Westfalens nicht auf das individuelle Verhandlungsgeschick der Landesregierung zurückzuführen, sondern es war praktisch ein Ding der Unmöglichkeit, am Ende der Verhandlungen nicht mit mehr Geld in der Landeskasse dazustehen, Frau Kraft; da haben meine Vorredner recht.

(Beifall von den PIRATEN)

Ob das neue System so, wie es angepriesen wird, tatsächlich viel transparenter und nachvollziehbarer für die Öffentlichkeit ist, bleibt erst einmal abzuwarten. Das alte System der Bund-Länder-Finanzbeziehungen war maximal intransparent und kompliziert – das stimmt. In Deutschland haben es vielleicht 20 Menschen in seiner Komplexität völlig verstanden. Ein Blick in die Pressemitteilung der Bundesregierung zu der Neuordnung des Länderfinanzaus- gleichs lässt aber nicht gerade auf einen Transparenzgewinn hoffen. Bei der Einigung zwischen Bund und Ländern ging es jedoch nicht nur um den Finanzausgleich; das haben Sie auch so dargestellt. Vielmehr handelt es sich um ein kaum nachvollziehbares, alles miteinander vermischendes Verhandlungspaket. Es ist, um es ganz klar zu sagen, ein fauler Deal, der die Neuordnung von Finanzströmen mit der

Verlagerung von Kompetenzen der Länder auf den Bund verknüpft. Frau Ministerpräsidentin, ich stimme Ihnen zu, dass eine Ausweitung des Unterhaltsvorschus- ses dringend notwendig ist – aber das kann und sollte man auch tun, ohne gleichzeitig die Autobahnen zu privatisieren. Das geht!

(Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Das habe ich doch gesagt, wie das gehen soll!) –Ja, ja.

– Das ist unser Hauptkritikpunkt. Die Bundesländer haben einen zu hohen Preis für ihre finanzielle Besserstellung gezahlt, nämlich die Abgabe zahlreicher Gestalt ungskompetenzen an den Bund – oder anders gesagt: Kohle gegen Kompetenz. Das ist eine schlecht Nachricht für das Land NRW!

(Beifall von den PIRATEN)

So werden unsere Demokratie und unser Föderalismus in finanzielle Geiselhaft genommen. Die Politik der schwarzen Null führt dazu, dass der Bund den Ländern und Kommunen nicht genügend Haushaltsmittel zur Bewältigung ihrer steigenden Aufgaben bereitstellt. Die Infrastruktur in unserem Land, die Schulen und Straßen zerfallen, während Schäuble im Bund das Geld zus ammenhält. Gleichzeitig wird im Bundestagswahlkampf schon mal mit Steuersenkungsversprechen gewedelt. Ist das die Generationengerechtigkeit, von der Sie sprechen? Hat man die unteren Ebenen des föderalen Systems durch diese finanzielle Austrocknungspolitik erst mal ausreichend in Haushaltsnotlage gebracht, steigt zwangsläufig die Bereitschaft der Länder, für zusätzliche finanzielle Mittel weitere Gestaltungskompetenzen an den Bund abzugeben – und das alles bei einer immer stärker drücken den Schuldenbremse.

Herr Laschet, wie Sie das mit den Worten Ihres Parteikollegen Herrn Lammert in Einklang bringen und hier loben können, ist mir schleierhaft. Das bekommt von der Logik her kein normaler Mensch übereinander.

(Beifall von den PIRATEN)

Die finanziellen Zugeständnisse der Bundesregierung im Zuge der Neuordnung des Länderfinanzausgleichs sind daher kein Ausdruck von Großzügigkeit – im Gegenteil. Die Einigung ist kein guter Deal für die Länder. Mit der Abgabe von immer mehr Kompetenzen an den Bund stirbt jedes Mal ein Stückchen Föderalismus in Deutschland. Wenn Sie so weitermachen, fällt bald der letzte Vorhang für die föderale Demokratie. Frau Kraft, das ist das genaue Gegenteil Ihrer Ankündigung von vorhin, die föderale Struktur bewahren zu wollen.

Meine Damen und Herren, schwerwiegende Folgen für die Menschen in NRW wird die Neustrukturierung des Länderfinanzausgleichs im Bereich „Verkehr“ haben. Es ist wie bei Ihren Handy-Verträgen: Das Wichtigste steht im Kleingedruckten. Zentraler Bestandteil des Finanzausgleichs ist die Schaffung einer Bundesautobahngesellschaft oder „Infrastrukturgesellschaft Verkehr“, wie es im Text heißt. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und die Autolobby liebäugeln seit Langem mit dem Zugriff auf die Kompetenzen der Bundesfernstraßenverwaltung. Was heute noch in Länderhand ist, soll nun laut Beschluss vom 14. Oktober 2016 auf Bundesebene zentralisiert werden. Das heißt, die Infrastrukturgesellschaft würde die Zuständigkeit für alle Bundesautobahnen und potenziell auch für die übrigen Fernstraßen für Pflege, Planung, Bau, Sanierung und Finanzierung übertragen bekommen. Die 6.000 Mitarbeiter von Straßen NRW– der größte Landesbetrieb seiner Art in Deutschland–stehen dann selber auf der Straße.

(Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Quatsch!)

Die Abgabe von Gestaltungskompetenzen an den Bund hat also unmittelbar drastische Konsequenzen für die Landesbediensteten in NRW. Das ist nicht im Landesinteresse. Viel dramatischer ist eine Bundesautobahngesellschaft,

(Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Das ist Populismus!)

die der Voll- oder Teilprivatisierung der Autobahnen Tür und Tor öffnet. Im Beschluss vom 14. Oktober 2016 ist eindeutig festgelegt, dass die Infrastrukturgesellschaft privatrechtlich organisiert sein wird; das hat der Kollege von den Grünen sogar selbst hier angeführt.

Im Klartext heißt das: Es läuft entweder auf eine AG oder eine GmbH und gerade nicht auf eine Anstalt öffentlichen Rechts hinaus, bei der der Staat immer zu 100 % Eigentümer wäre. Anders, als Sigmar Gabriel und auch die Ministerpräsidentin hier behaupten, wird eine Privatisierung der Autobahnen auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass man im gleichen Atemzug – ich zitiere – „das unveräußerliche Eigentum des Bundes an Autobahnen und Straßen im Grundgesetz festschreiben will“; denn bezieht man dies auf den privatrechtlichen Eigentumsbegriff, hieße das lediglich, dass der Bund zwar noch formal als Eigentümer im Grundbuch steht, aber, wie gesagt, können Planung, Bau, Finanzierung und Erhalt der Bundesfernstraßen trotzdem komplett an private Investoren übertragen werden. Das ist kein Widerspruch. Deswegen ist da auch keine Grenze von Ihnen eingezogen worden.

Um eine Privatisierung der Autobahnen in Deutschland auszuschließen, müsste die Infrastrukturgesellschaft zu 100% im Eigentum des Bundes bleiben. Der Bund kann aber problemlos 100% der Gesellschaftsanteile an private Investoren verkaufen. Mit bewusst schwammigen Passagen im Beschlusstext – das haben Sie selbst eingestanden – wird ein zukünftiger Verkauf der Anteile an der Infrastrukturgesellschaft durch den Bund erst ermöglicht. Da reicht es nicht, Frau Ministerpräsidentin, dass man sich den Text der Vereinbarung im Nachhinein noch mal genauer anschauen und prüfen möchte. Das muss man bitte schön vorher machen, bevor man eine Vereinbarung unterschreibt!

(Beifall von den PIRATEN)

Sie ärgern sich über SANIFAIR an deutschen Raststätten? Warten Sie ab, bis die Investoren Gebühren für die Autobahnparkplätze an den Raststätten verlangen werden. Dann wird es lustig! Heuschrecken und Renditejäger werden zu Asphaltjunkies. Dann leben wir bald auch in einer SANIFAIR-Demokratie.

(Beifall von den PIRATEN)

Herr Finanzminister, ich frage Sie: Warum hat sich nicht auch NRW gegen eine drohende Autobahnprivatisierung gestemmt, wie es zum Beispiel Thüringen ausweislich der Protokollerklärung getan hat? Es ist entscheidend, schon jetzt den Verhandlungskorridor an akzeptablen Verhandlungslinien festzulegen. Es darf nicht sein, dass NRW einen Blankoscheck für Privatisierungen der Autobahnen erteilt. Genau das aber besagt die Vereinbarung, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen. Wir wissen doch alle: Die Einrichtung einer privatrechtlich organisierten Verkehrsinfrastrukturgesellschaft ist auch ein Vehikel zur Finanzierung der Auftragsverwaltung für die Bundesfernstraßen über den Kapitalmarkt. Für Hedgefonds, Großbanken oder Versicherungskonzerne werden neue, attraktive Investitionsmöglichkeiten geschaffen. Alle anderen müssen mit dem Nullzinsdiktat der EZB leben, samt Negativzinsen auf ihrem Tagesgeldkonto und Gebühren am Geldautomaten. Wann hat dieser Privatisierungswahn endlich ein Ende?

Das sind alles Hirngespinste, sagen Sie? Auf keinen Fall. Der Abnicker der EU-Kommission zur Dobrindt-Maut zeigt es doch: Die Autobahnprivatisierung ist näher denn je. Alles, was in Sachen Privatisierung und Liberalisierung des Allgemeinwesens irgendwie rechtlich möglich ist, wird über kurz oder lang auch durchgesetzt. Verlassen Sie sich darauf.

Maut, sondern auch Wegzoll privater Investoren. Dabei wird sich die fehlende soziale Komponente bei einer Investorenmaut noch gravierender auswirken. Sie muss einkommensunabhängig gezahlt werden. Jeder, unabhängig von seiner Einkommenslage und seinen Vermögensverhältnissen, wird voll zur Kasse gebeten. Das führt zu einer weiteren gesellschaftlichen Spaltung. Das ist ein weiterer Schritt weg vom Grundrecht auf Mobilität. Nicht mit uns Piraten, nicht in unserem Namen!

(Beifall von den PIRATEN)

Hier schließt sich der Kreis. Zuerst wird durch die Politik der schwarzen Null und der Schuldenbremse die Infrastruktur in unserem Land kaputtgespart. Dann kauft der Bund den Ländern mit dem neuen Länderfinanzausgleich elementare Gestaltungskompetenzen ab. Bald werden wir erleben, dass der Bund diese neuen Kompetenzen an private Investoren in Form einer ÖPP-Konstruktion weiterreicht.

Begründung: Es gebe ja nicht ausreichend öffentliche Mittel, die Infrastrukturinstand zu halten. Für dieses perfide Konstrukt wurde einst der Begriff „Kuhhandel“ erfunden.

Ich komme zum Schluss. Wir Piraten fordern in unserem Antrag, dass die Landesregierung jetzt einer drohenden Privatisierung der Autobahnen einen Riegel vorschieben muss. Es darf keinen Blankoscheck für eine „Infrastrukturgesellschaft Verkehr“ geben. Die Landesregierung muss den vollumfänglichen Fortbestand des Landesbetriebes Straßen.NRW mit seinen 6.000 Mitarbeitern garantieren. Genau das besagt unser Antrag. Stimmen Sie ihm zu! Er ist sehr gut. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

 

Protokoll der 2. Rede von Nico Kern:

Nicolaus Kern (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie müssen gut zugehört haben, um festzustellen, dass weder der Finanzminister noch der Verkehrsminister noch die Minderpräsidentin in der Sache die Anwürfe hier widerlegen konnte, sondern nach wie vor im Raum steht – das wurde sogar vom Koalitionspartner, den Grünen, bestätigt–, dass über das Gleis schon entschieden ist. Der Waggon fährt in Richtung Privatisierungsgesellschaft. Denn sonst wäre es überhaupt nicht nötig gewesen, eine private Rechtsform zu wählen. Das konnte hier überhaupt nicht entkräftet werden. Der verbale Ausfall hier von Ihnen, Frau Ministerpräsidentin, zeugt eigentlich auch nur davon, dass Sie in der Sache falsch spielen und die Argumente nicht entkräften können.

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Da ging es um etwas ganz anderes!)

Das haben Sie hier auch noch an genau dem Tag abgelassen, an dem in den USA gewählt wurde. Außerdem leben wir in Zeiten des Brexit. Wenn Sie trotz der Tatsache, dass in denen in mehreren Landesparlamente tatsächlich Rechtspopulisten eingezogen sind, ausgerechnet uns als Ihren politischen Gegner für Populismus und Sonstiges identifizieren, kann man nur noch fragen: Wo ist bitte Ihre politische Zielrichtung? Wo ist da Ihre Zielvorrichtung? Sie scheint nicht mehr zu funktionieren.

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Wer behauptet, dass die Leute auf der Straße stehen, ist populistisch!)

Das, was Sie gesagt haben, kann man nur noch als rhetorische Inkontinenz abtun.

(Zurufe)

Damit sollten Sie lieber zu Sanifair gehen und nicht hier in den Landtag. –Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN – Zurufe)

Protokoll der Rede von Oliver Bayer:

Oliver Bayer (PIRATEN): Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur Verkehrsinfrastrukturgesellschaft erst etwas zu unterzeichnen und nachher zu prüfen, ob es wirklich Autobahnprivatisierung heißt bzw. überhaupt dafür gedacht ist, ist nicht nachvollzieh- bar. Dass Frau Kraft hier eben die CDU angeschrien hat, nachdem sie erst gesagt hat, alles wäre toll, und Sie seien für den Dings– Mist darf ich nicht sagen – verantwortlich, zeigt, dass das Ganze ja wohl ein großer Fehler war. Was bedeutet diese Autobahngesellschaft des Bundes? Sie ist doch nur für die Privatisierung da. Ansonsten braucht man sie überhaupt nicht.

(Beifall von den PIRATEN)

Es gibt doch ein Gesamtkonzept mit der Pkw-Maut. Die Pkw-Maut, die ansonsten keine Einnahmen bringt, macht doch nur Sinn, wenn man nachher die Infrastruktur nutzt, um entsprechend abrechnen zu können. Das ist ein Gesamtkonzept, das der Infrastruktur nicht zugutekommt, sondern, wie Herr Klocke schon gesagt hat, dem Finanzwerk. Denn als Fazit der Bodewig-II-Kommission, die auch erwähnt wurde, kam heraus, dass die Privatisierung an sich und die Finanzmittel, die man damit erzielen kann, völlig irrelevant sind, um die Infrastruktur zu erhalten bzw. auszubauen. Das macht man mit anderen Mitteln.

Die Fratzscher-Kommission wiederum hat gesagt: Die Finanzmärkte brauchen das, weil sie Anlagemöglichkeiten benötigen, um entsprechende Renditen mit wenig Risiko zu erzielen. Das ist der Grund der ganzen Sache. Insofern kann man nicht sagen: Die Verkehrsinfrastrukturgesellschaft des Bundes machen wir einmal so, und dann gucken wir nachher, was wir genau damit machen und ob überhaupt die Kompetenz innerhalb dieser Bundesgesellschaft entstehen kann.– Denn wir wissen alle: Straßen.NRW hat ein Problem, überhaupt entsprechende Ingenieure zu finden. Wie soll das denn die Bundesgesellschaft machen, wenn sie nicht unsere Ingenieure auch noch abzieht? Das geht natürlich zu weit. So etwas darf nicht passieren.

(Beifall von den PIRATEN)

Abgesehen von der Privatisierung, ist es natürlich auch verkehrspolitisch völlig dan eben, diese Autobahn aus dem Straßengesamtnetz und damit auch aus dem Gesamtnetz aller Verkehrsmittel herauszuziehen und in eine eigene Gesellschaft zu packen. Das geht doch völlig entgegen der Richtung, die wir eigentlich einschlagen sollten, nämlich regional zu prüfen, wie das Verkehrsnetz insgesamt aufgebaut ist, und zu gucken, wie die Verkehrssysteme ineinandergreifen. Jetzt werden sogar bei den Straßen in NRW – und das ist besonders katastrophal, weil die Autobahnen auch für die Pendler wichtig sind und nicht nur für den Fernverkehr nach München oder nach Kiel – die Autobahnen aus dem Straßennetz herausgezogen. Das ist verkehrspolitisch völlig ungeschickt.

Herr Klocke hat auch recht, wenn er auf die Bahn verweist und sagt, das sei kein Best-Practice-Beispiel und zeige nicht gerade, dass ein Bundesunternehmen genau das tut, was man verkehrspolitisch gerne erreichen möchte. Alle vier Parteien – das muss man an dieser Stelle sagen – haben Straßen.NRW personell geschwächt. Aber sie haben auch die Infrastrukt ur hier so an die Wand gefahren, dass wir jetzt dieses Problem haben, nämlich eine zerfallene Infrastruktur, bei der wir nicht daran gedacht haben, dass wir sie noch instand halten müssen, nachdem wir sie jahrzehntelang ein- fach nur gebaut haben. Das wird jetzt mit dieser Autobahngesellschaft auch noch zementiert.

Herr Rasche, Sie haben gesagt, es gehe darum, möglichst schnell baureife Projekte zu schaffen, um sie in der Schublade zu haben, wenn plötzlich irgendwo einmal Geld da ist. Man kann zwar nachvollziehen, dass man an diese Geldtöpfe heranwill. Natürlich muss NRW da auch etwas tun. Aber man sollte sich verkehrspolitisch auch nicht Bayern als Vorbild nehmen und sagen: Wir müssen nur irgendetwas bauen; Hauptsache, das Geld wird verbaut. Immer nur zu gucken, ob plötzlich irgendwo Geld auftaucht, weil man politisch einmal ein Zeichen setzen möchte und irgendwo einen Leuchtturm hinsetzen möchte, den man dann ganz schnell bauen muss, führt doch nicht dazu, dass wir nachher eine gute Infrastruktur haben. Das ist mit Blick auf die Bundespolitik also ein ganz falscher Weg. –

Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

 

 

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