Donnerstag, 30. April 2015
Top 8. „Operation Last Chance“ – Die letzten lebenden NS-Täter müssen ihrer strafrechtlichen Verfolgung zugeführt werden
Antrag der Fraktion der SPD der Fraktion der CDU der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Fraktion der FDP und der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/8445
Daniel Schwerd, Abgeordneter der Piratenfraktion:
„Die Morde der sogenannten Einsatzgruppen in Osteuropa sind längst noch nicht genügend gesühnt. KZ-Wächter und Kriegsverbrecher sind zu oft unbehelligt geblieben. Es ist spät, aber nicht zu spät, die verantwortlichen, noch lebenden Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Einen Schlussstrich unter diese Verbrechen darf es niemals geben. Die Mahnung an diese grausamen Taten ist wichtig und muss weitergelten.
Ich freue mich, dass sich alle Fraktionen unserem Antrag anschließen konnten und wir ein gemeinsames, starkes Zeichen setzen können, gerade auch angesichts wiederaufflackernder antisemitischer Taten in Deutschland und Europa.“
direkte Abstimmung
Unser Redner: Daniel Schwerd
Abstimmungsempfehlung: Zustimmung
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Protokoll der Rede von Daniel Schwerd
Daniel Schwerd (PIRATEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der deutschen Ostfront im Zweiten Weltkrieg folgte eine etwa 3.000 Mann starke Tötungsbrigade, die sogenannten Einsatzgruppen. Sie wurden aus Polizisten, SD, Gestapo und Waffen-SS zusammengesetzt. Aufgeteilt in vier Gruppen, bezeichnet mit A, B, C und D, waren sie seit Juni 1941 in Osteuropa im Einsatz. Sie sollten in den eroberten Gebieten Führungspersonal, Beamte, Intellektuelle, Kranke und Behinderte, mutmaßliche Partisanen, vor allen Dingen aber Juden töten.
Man umstellte die Opfer Männer, Frauen und Kinder und brachte sie außerhalb der Ortschaften. Dort wurden die Menschen erschossen und in Panzergräben, Steinbrüchen, Kiesgruben oder Schluchten verscharrt.
Mindestens eine Million Mal legten diese Einsatzgruppen das Gewehr an und erschossen einen Menschen. Das Unterkommando 4a der Gruppe C etwa, tötete allein am 29. Und 30. September 1941 in Zusammenarbeit mit der Wehrmacht und der Polizei in Kiew 33.771 Juden und verscharrte sie in der Schlucht von Babyn Jar.
Später kamen mobile Gaswagen zum Einsatz, damit die Massentötungen die Einheiten nicht zu sehr seelisch belasteten. Darin wurden die Opfer mit den Motorabgasen ermordet.
In den NS-Archiven liegen insgesamt 195 sogenannte Ereignismeldungen vor, insgesamt mehr als 4.000 Seiten Papier. In ihnen ist mit Datum, Ort und konkreten Umständen der Mord an mindestens 535.000 Menschen dokumentiert.
Im sogenannten Einsatzgruppenprozess 1947 und 1948 sollten diese Taten verfolgt werden. Insgesamt 24 Kommandeure standen vor Gericht, weil der Gerichtssaal über 24 Sitze für Angeklagte verfügte. Die meisten anderen Mitglieder der Einsatzgruppen blieben trotz der klaren Quellenlage unbehelligt. Das Gleiche gilt übrigens für viele und zahlreiche Täter in Konzentrationslagern, die sich später auf Befehlsnotstand beriefen. Leider hat unser Land eine lange Tradition, solche Täter weder gerichtlich zu belangen, noch sie dorthin auszuliefern, wo ihnen der Prozess gemacht würde.
Auch innerhalb NRWs gibt es solche unrühmlichen Beispiele wie den SS-General Heinz Lammerding, der die 2. SS-Panzerdivision „Das Reich“ so hieß diese gegen Partisanen kommandierte. Er wurde wegen des Massakers von Oradour in Frankreich zum Tode verurteilt. Unbesorgt vor einer möglichen Auslieferung oder Verurteilung im Inland war Lammerding nach dem Krieg als Bauunternehmer nur wenige Kilometer von hier im Norden Düsseldorfs tätig und genoss anschließend seinen Lebensabend am Tegernsee.
Ende 2013 startete das Simon Wiesenthal Center in Deutschland die Kampagne „Operation Last Chance“. Es legte dem Bundesinnenministerium eine Liste mit Namen von 80 heute möglicherweise noch lebenden Mitgliedern der Einsatzgruppen vor. Es ist spät, aber noch nicht zu spät, die verantwortlichen Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen nichts weniger fordern wir hier.
In einer aktuellen Umfrage der BertelsmannStiftung sagen 81 % der Deutschen, dass sie die Geschichte der Judenverfolgung gerne hinter sich lassen würden. 58 % der Befragten wollen einen regelrechten Schlussstrich unter dieses Kapitel der deutschen Geschichte ziehen. Doch einen Schlussstrich darf es unter diese Verbrechen niemals geben. Die Mahnung an diese Verbrechen ist wichtig und muss weiter gelten.
(Beifall von allen Fraktionen und der Regierungsbank)
Wer Geschichte vergisst, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen. Ich freue mich, dass sich alle Fraktionen unserem Antrag anschließen konnten und wir hier heute ein gemeinsames starkes Zeichen setzen können gerade auch angesichts wieder aufflackernder antisemitischer Taten in Deutschland und Europa.
Im ursprünglichen Antrag haben wir eine Holschuld des Justizministeriums für diese Listen formuliert. Leider wurde in der späteren Beratung diese Forderung etwas abgeschwächt. Ich erwarte, dass das Justizministerium sich auch ohne expliziten Beschluss dafür verantwortlich fühlt, alle relevanten Informationen zu beschaffen: beim Bundesjustizministerium, beim Innenministerium und beim Simon Wiesenthal Center selbst. Der vereinbarten Berichtserstattung durch die Landesregierung bis zum Ende des Jahres sehen wir gespannt entgegen.
Lassen Sie mich noch eine Bemerkung abseits meiner Notizen machen. Ich danke Ihnen sehr, dass Sie bei diesem Antrag mitgegangen sind. Für mich ist das bislang der bewegendste Moment, den ich persönlich hier erlebe. Ich weiß nicht, ob Sie das nachvollziehen können. Ich habe jedenfalls jetzt das Gefühl wenn 2017 dies alles einen anderen Weg nimmt , dass ich das getan habe, was ich tun konnte. Danke schön.
(Beifall von allen Fraktionen und der Regierungsbank)
Auch ich freue mich, dass sich alle Fraktionen diesem, aus meiner Sicht sehr wichtigen Antrag angeschlossen haben und damit ein wichtiges Zeichen gesetzt wurde.
Danke dafür.