Top 1. Frank Herrmann zu den Ergebnissen der Ministerpräsidentenkonferenz NRW

Mittwoch, 24. Juni 2015

 

Top1.  Unterrichtung

Unser 1. Redner: Frank Herrmann
MdL Frank Herrmann/ Foto A.KnipschildAudiomitschnitt der Rede von Frank Herrmann anhören

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Protokoll der Rede von Frank Herrmann

Frank Herrmann (PIRATEN): Vielen Dank. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einen Kommentar zu den Ausführungen zum Bund-Länder-Finanzausgleich erspare ich mir jetzt. Es ist bisher nichts Sinnvolles dabei herausgekommen. So habe ich Sie zwischen den Zeilen verstanden. Ich werde mich daher auf den Bereich Asyl- und Flüchtlingspolitik beschränken.

Verehrte Frau Ministerpräsidentin, Ihnen wird nicht alles gefallen, was ich in meiner Rede ausführen werde. Ich möchte aber, dass Sie wissen, dass ich Sie nicht verantwortlich mache für die Versäumnisse der letzten fünf Jahre in Bezug auf die nordrhein-westfälische Flüchtlingsaufnahme. Die Verantwortung für den Bereich fällt dem Ministerium für Inneres und Kommunales zu. Teile meiner Kritik beziehen sich ausschließlich auf das Versagen dieser Aufsichtsbehörde und des Herrn Innenministers.

Wir begrüßen daher außerordentlich, dass Sie die Flüchtlingsaufnahme von Nordrhein-Westfalen zur Chefsache machen und uns über die Ergebnisse der Besprechung zwischen der Kanzlerin und den Regierungschefinnen und -chefs der Länder vom 18. Juni unterrichtet haben. Das bleibt aber hoffentlich keine Ausnahme.

Eine unserer Forderungen lautet ja schon länger, dass die Flüchtlingspolitik aus dem Innenressort herausgegliedert werden soll. Der Blickwinkel auf die Situation von Flüchtlingen sollte kein ordnungs- oder sicherheitspolitischer sein.

Wir schlagen deshalb abermals vor, dass, solange die Landesaufnahme in solch einem desolaten Zustand ist wie aktuell, die Staatskanzlei diesen Bereich vorübergehend übernimmt. Wenn ein Normalbetrieb ins Laufen gebracht worden sein wird, dann sollte Flüchtlingspolitik dem Integrationsressort angegliedert werden. Das ist übrigens in Rheinland-Pfalz schon der Fall. Ich werde später noch weitere Vorschläge für eine nachhaltige humane und an den Bedürfnissen der Flüchtlinge ausgerichtete Flüchtlingsaufnahme in ganz NRW unterbreiten. Zunächst möchte ich aber über das Treffen und die eben von Ihnen vorgestellten Beschlüsse vom 18. Juni sprechen.

Beachtlich ist immerhin, dass es überhaupt wenigstens einige konkrete Beschlüsse gibt. Denn trotz Zunahme der Taktung zwischen den Gesprächen wurde lange gezaudert und die Verantwortung immer wieder zwischen den Ländern und dem Bund hin und her geschoben. Flüchtlinge wurden übrigens noch zu keinem Spitzengespräch eingeladen.

Doch wer, verehrte Frau Kraft, kann denn besser aus dem Blickwinkel der Flüchtlinge die momentane Situation beschreiben, als die Flüchtlinge selbst? Deshalb haben wir im letzten Oktober nach den Misshandlungsvorfällen in Burbach, Essen und Bad Berleburg Flüchtlinge aus dem Opti-Park in den Landtag eingeladen, damit diese von ihren Erlebnissen erzählen. Leider hatte aber niemand von den anderen Fraktionen Zeit, die Menschen zu treffen, die von den Sicherheitsleuten in den Landesaufnahmeeinrichtungen drangsaliert worden sind.

(Zuruf)

Das war und ist mehr als bedauerlich.

Heute haben Sie aber noch einmal die Chance, die Perspektive von Flüchtlingen aus erster Hand zu erfahren. Um 14:00 Uhr wollen Sakker Almohamad, Fadi Khatib und Elhakam Sukhni aus Dortmund über ihre Flucht und die Situation in Nordrhein-Westfalen berichten. Sie sind hier im Landtag und freuen sich auf alle Interessierten. Herzlich willkommen!

(Beifall von den PIRATEN)

Meine Damen und Herren, mit den Beschlüssen vom 18. Juni 2015 hat die etablierte Politik nach mehr als fünf Jahren, in denen die Flüchtlingszahlen aufgrund von Kriegen und Krisen in und rund um Europa stetig gestiegen sind, endlich ein Stück weit reagiert. Das war ein zäher Prozess, der leider nur durch Katastrophen vorangetrieben wurde sei es der erste Flüchtlingsgipfel in Nordrhein-Westfalen als Folge der Misshandlungen von Burbach oder jetzt die Aktivitäten im Bund, weil man auch in Berlin bei den Dramen, die sich täglich im Mittelmeer abspielen, nicht mehr weggucken kann.

Doch was gibt es konkret? Wenn man sich die Beschlüsse in Bezug auf die finanzielle Hilfe ansieht, dann gibt es da nicht viel Neues. Dort steht, dass die pauschale Hilfe für Länder und Kommunen in Höhe von 500 Millionen € aus dem Jahr 2016 auf das Jahr 2015 vorgezogen wird. Ansonsten ist nur schwammig von einer dynamischen und strukturellen und dauerhaften Beteiligung des Bundes in Zukunft die Rede. Ob diese Beteiligung aber auch substantiell sein wird, das steht da nicht.

Addieren wir die 500 Millionen € zu den 500 Millionen € von diesem Jahr, dann haben wir die 1 Milliarde €, die uns schon zum dritten Mal verkauft wird: Flüchtlingsmilliarde haben Sie es eben genannt. Es ist also kein neues Geld, sondern die Milliarde, die wir schon aus den Haushaltsberatungen im Dezember kennen. Woher die kommt, sollten wir auch nicht vergessen. Für diese 1 Milliarde € haben Sie nämlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, im Bundesrat der Novellierung des Asylbewerberleistungsgesetzes zugestimmt. Dabei ist die Abschaffung dieses unsäglichen und diskriminierenden Sondergesetzes eigentlich Bestandteil des rot-grünen Koalitionsvertrages und elementarer Bestandteil grüner Flüchtlingspolitik.

(Beifall von den PIRATEN)

Seit Jahren vertrösten Sie uns alle in Bezug auf die Standards für die Flüchtlinge und mehr Geld für die Kommunen mit der Forderung nach der Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Herr Mostofizadeh hat es eben wieder vorgebracht. Dann dieser Deal mit der Bundesregierung! Das ist unglaublich!

(Beifall von den PIRATEN)

Frau Ministerpräsidentin, mit den auf der Ministerpräsidentenkonferenz gefassten Beschlüssen etablieren Sie ein Zweiklassenasylsystem. Zukünftig soll das Asylrecht und sollen weitere Flüchtlingsrechte den Schutzsuchenden nicht mehr unterschiedslos zur Verfügung gestellt werden. Auf der einen Seite bekommen die Kommunen und das Land Zuckerbrote in Form von Geld, aber nur unter der Bedingung, dass sie ordentlich die Peitsche gegen Flüchtlinge aus den angeblich sicheren Herkunftsstaaten schwingen.

Mit dem Aktionsplan der Bundesregierung und der Länder sollen die Asylverfahren von Westbalkanflüchtlingen noch weiter beschleunigt werden, die Aufenthaltsdauer verkürzt und die Abschiebung direkt aus den Landesaufnahmen heraus erfolgen. In Nordrhein-Westfalen wird das sogar schon seit Anfang des Jahres gemacht. Es ist gelebte Praxis für Flüchtlinge aus dem Kosovo. Sie werden in Abschiebezentren festgehalten und gar nicht erst in die Kommunen verteilt.

Ich finde das verachtenswert. Dieses Vorgehen bringt die ganzen Verfahrensabläufe noch mehr durcheinander, und andere Asylbewerber müssen darunter leiden.

Der Kosovo ist übrigens kein sicherer Herkunftsstaat. Dass die Landesregierung dies durchaus weiß, ist durch den Sensibilisierungserlass vom 21.09.2010, der im letzten Dezember aktualisiert wurde, auch dokumentiert. Trotzdem hat die Landesregierung in den letzten Monaten für das geplante massenhafte Abschieben und das Inhaftierungsprogramm der Bundesregierung genannt: Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und zur Aufenthaltsbeendigung aufgerüstet. Mit allen Mitteln und allen rechtlichen und humanen Widerständen und Einwänden zum Trotz hat man den größten Abschiebeknast Europas wieder ans Laufen gebracht.

Das ist schäbig und keine humane Flüchtlingspolitik.

(Beifall von den PIRATEN)

Eine der ganz wenigen positiven Nachrichten ist, dass Bund und Länder sich nun dafür einsetzen wollen, dass junge Asylsuchende und Geduldete in Ausbildung eine Rechtssicherheit hinsichtlich ihres Aufenthalts für die Dauer ihrer Ausbildung erhalten sollen. Schleswig-Holstein und Niedersachsen haben sofort gehandelt und Erlasse zur Sicherung der Duldung während der Ausbildung herausgegeben. Wann folgt NRW? Bisher Fehlanzeige.

Meine Damen und Herren, natürlich begrüßen wir angesichts der desolaten Kassenlage der NRW-Kommunen jeden Geldsegen für das Land und die Kommunen. Es fällt jedoch auf, dass in den Beschlüssen die Belange der Flüchtlinge nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen. Das Wort „Standards“ für die Unterbringung und Versorgung der Schutzsuchenden fällt kein einziges Mal.

Die Kommunen werden für zusätzliche Mittel dankbar sein, aber ob das Geld zu einer humanen, nachhaltigen und an den Bedürfnissen der Schutzsuchenden orientierten Versorgung und Unterbringung in den Kommunen führen wird, bleibt mehr als fraglich. Die Gelder sind nicht zweckgebunden. Warum sollten die Kommunen freiwillig für Qualitätsstandards sorgen, wenn sie vom Land vorgelebt bekommen, wie Unterversorgung geht?

Wenn Sie an einer echten Neukonzeption interessiert wären, dann wäre hier und jetzt die Zeit zu handeln und Standards für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen in ganz NRW zu definieren. Vorschläge dazu auch von uns liegen auf dem Tisch.

Meine Damen und Herren, in weniger als vier Wochen läuft die Frist ab, die EU-Aufnahmerichtlinie für Flüchtlinge in deutsches Recht umzusetzen. Aber auch hier gibt es weder im Bund noch im Land besondere Anstrengungen, die geforderten Regelungen zu definieren. Die Leidtragenden werden wieder die Kommunen und noch mehr die Flüchtlinge sein. Die Richtlinie verlangt, die besondere Schutzbedürftigkeit von Traumatisierten, Schwangeren, Kranken und minderjährigen Kindern zu erkennen und die Menschen entsprechend zu versorgen.

Die Stadt Köln hat auf eine Anfrage der Piratengruppe im Rat dazu Folgendes geantwortet:

„Im Rahmen der (kurzfristigen) Zuweisungen von Asylbewerbern durch die Bezirksregierung Arnsberg werden in der Regel keine verwertbaren Informationen zur Schutzbedürftigkeit und den besonderen Bedürfnissen der Antragsteller mitgeliefert.“

Statt die Versorgung der Schutzbedürftigen in der Landesaufnahme vorzubereiten, wird also der Aufwand auf jede einzelne Kommune abgewälzt. Das ist eine Ressourcenverschwendung, die wir uns nicht leisten können.

Dass wir in NRW noch weit entfernt sind von der Umsetzung der Aufnahmerichtlinie, wurde auch in den Anhörungen zum Nachtragshaushalt durch Experten massiv angeprangert. Dort wurden übrigens noch weitere Kosten für die Unterbringung und Versorgung erwähnt, die ebenfalls von der Landesregierung auf die Kommunen abgewälzt werden. Ich denke, dass mein Kollege Dietmar Schulz dazu noch bei der Haushaltsdebatte einige Anmerkungen machen wird.

Ich komme zum Schluss: Durch die von Journalisten aufgedeckten Misshandlungen und Übergriffe auf Schutzsuchende in Burbach fand überhaupt erst ein Umdenken statt. Dennoch sind wir von einer nachhaltigen und humanen Flüchtlingsaufnahme noch sehr weit entfernt. Die Umsetzung der EU-Aufnahmerichtlinie überlassen wir dem Budget der freiwilligen Leistungen der Kommunen und verursachen damit Kürzungen an anderer Stelle immer zum Nachteil der Menschen.

Das von uns Piraten direkt nach Burbach geforderte Beschwerdemanagement lässt auf sich warten. Insgesamt hat die Landesregierung, was die psychologische, medizinische, soziale und rechtliche Betreuung der Flüchtlinge angeht, gerade einmal aufgeholt, was sie in den letzten Jahren sträflich versäumt hat. Unter massivem Druck aufgrund mangelnder Vorsorge und Vorbereitung entstanden in den letzten Jahren Dutzende neuer Aufnahmeeinrichtungen aber ohne Qualitätsstandards. Viele dieser Einrichtungen beherbergen mehr als 500 Menschen. Das widerspricht den eigenen Ansprüchen der Landesregierung. Und auch wir Piraten bevorzugen über das Land verteilte Einrichtungen für 300 bis maximal 500 Personen.

Die Landesregierung sucht weiterhin unter Hochdruck neue Standorte. Es gibt immer noch Probleme mit rassistischen Sicherheitsdiensten, wie das Beispiel der Erstaufnahmestelle in Köln zeigt.

Bisher kann also von einer Entwarnung in der Versorgung von Flüchtlingen überhaupt gar keine Rede sein. Im Gegenteil, mit Ihren Aktivitäten zur Schaffung eines Zweiklassenasylsystems beschädigen Sie das Vertrauen der Menschen und untergraben die Hilfsbereitschaft der vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer.

Wir stimmen sicher darin überein, dass die Fluchtgründe in den Herkunftsländern beseitigt werden müssen. Niemand verlässt freiwillig und ohne Not seine Heimat. Aber Sie und wir wissen, dass unsere Möglichkeiten als Bundesland da eher beschränkt sind. Unsere Aufgabe hier ist es, die Menschen, die bei uns Schutz und Hilfe suchen, unterzubringen und zu versorgen, und zwar unabhängig von ihrer Herkunft. Wir dürfen Menschen nicht ausgrenzen, nur weil sie im falschen Land geboren sind. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

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