Dietmar Schulz zur Stärkung der Gewaltenteilung durch selbstverwaltete Justiz

Freitag, 28. März 2014

Top 5. Politisches Weisungsrecht gegenüber Staatsanwälten abschaffen – selbstverwaltete Justiz ermöglichen – Gewaltenteilung stärken

Antrag der Fraktion der PIRATEN

Drucksache 16/5281

Unser Redner: Dietmar Schulz

Abstimmungsempfehlung: Zustimmung

Audiomitschnitt der kompletten Debatte anhören

Audiomitschnitt der kompletten Debatte als Download

Protokoll der Rede von Dietmar Schulz

Ich eröffne die Aussprache. Für die antragstellende Fraktion spricht der Kollege Schulz.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer im Saal und zu Hause! Liebe Kolleginnen und Kollegen, die jetzt den Raum verlassen! Das ist sehr schade, denn es geht um ein hohes Gut in unserem Staate. Es wäre sehr schön, wenn Sie einfach beiwohnen würden. – Aber nun gut. Bleiben wir bei denen, die es interessiert.

Wir Piraten bringen heute einen Antrag ein, der erstens die Chance eröffnen soll, dass die Staatsanwaltschaften der Länder ihre Tätigkeit unabhängig von der Politik entfalten können, also unabhängig und fernab jeglichen externen Weisungsrechts durch die Politik respektive das Justizministerium oder andere Landesbehörden.

Zweitens soll in der Öffentlichkeit, dort, wo er besteht, jeder Anschein auch nur möglicher Einflussnahme beseitigt werden. Und er besteht, wie wir immer wieder in der Presse, in Nachrichten und Fernsehsendungen, Dokumentationen und dergleichen erfahren können.

Unser Antrag ist aber – das möchte ich ganz besonders betonen – fern von irgendwelcher Behauptung, von Anschuldigungen oder Verdächtigungen derart, dass wir sagen wollten oder könnten: Es finden, am Ende sogar permanent, irgendwelche Beeinflussungen seitens der Politik in Richtung der Arbeit oder Tätigkeit der Staatsanwaltschaften statt. – Gleichwohl, es geht um die Frage der Möglichkeit.

Christoph Frank, Vorsitzender des Deutschen Richterbundes, hat sich noch im Februar dieses Jahres zu der Problematik geäußert. Er hat auch gesagt: Allein der böse Schein ist geeignet, Entscheidungen zu diskreditieren, obwohl sie unbeeinflusst ergangen sind. – Ein sehr bemerkenswerter Satz eines wirklich sehr erfahrenen Praktikers! Wir sagen: Die Staatsanwaltschaften, die Staatsanwälte müssen ihre Tätigkeit unabhängig von der Politik entfalten können, zumal im Moment nach der Gesetzeslage Weisungen zum Beispiel nicht einmal dokumentiert werden müssen. Das sehen wir wie Christoph Frank, Vorsitzender des Deutschen Richterbundes.

Um vorzubeugen, dass uns hier möglicherweise entgegengehalten wird, wir würden den Eindruck erwecken, die Rechtswirklichkeit – ich erwähnte es eingangs – in Deutschland oder gerade in NRW sei eine andere: Nein, nicht wir erwecken den Eindruck, sondern der Deutsche Richterbund. Nicht wir erwecken den Eindruck, sondern zum Beispiel auch die Neue Richtervereinigung. Nicht wir erwecken ihn, sondern 83 % befragter Staatsanwaltschaften und der Richterschaft, indem sie genau dies äußern.

Sie alle wollen die Wende. Mich dem anschließend weiß ich von Staatsanwälten persönlich zu berichten, die es selbst so sehen. Dass allein der vorauseilende Gehorsam gegenüber einem vielleicht politisch als gewünscht empfundenen Ergebnis

(Sven Wolf [SPD]: Nennen Sie doch mal konkrete Beispiele!)

einen Einfluss auf die unabhängige Entscheidung in der Sache haben könnte, rechtfertigt eine breite Diskussion dieses Themas innerhalb der entsprechenden Kreise.

Deswegen müssen wir das Weisungsrecht gegenüber Staatsanwaltschaften, das es in anderen europäischen Staaten schon längst nicht mehr gibt, auch bei uns zu Grabe tragen. In Frankreich und in der Schweiz wird die Strafverfolgung durch unabhängige Untersuchungsrichter durchgeführt. In Portugal und Italien sind die Staatsanwälte noch unabhängiger als bei uns die Richter.

Es wird Zeit, dass wir uns dieser Problematik auch strukturell annehmen; denn das Gerichtsverfassungsgesetz, ein Reichsjustizgesetz aus dem Jahre 1877, welches in NRW durch die Verordnung zur einheitlichen Regelung der Gerichtsverfassung von 1935 ergänzt worden ist, hat nicht nur seinen Lebenszenit erreicht, sondern ihn in einer modernen, völlig anders politisierten Gesellschaft, als dies noch im 19. und Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts der Fall war, überschritten. Das Gerichtsverfassungsgesetz ist ein Relikt aus einer anderen Zeit. Juristen unter uns wissen das. Gleichwohl findet es natürlich auch aktuell überall Anwendung, und manches davon ist ja auch gut.

(Sven Wolf [SPD]: Nennen Sie doch mal ein Beispiel!)

– Die Aufhebung der Aufsichts- und Leitungsfunktion, verehrter Herr Kollege Wolf, der Landesjustizverwaltung über die Staatsanwaltschaften bewirkt die Entflechtung von Strafverfolgung und Politik und fördert damit zugleich die öffentliche Akzeptanz der Justiz sowie durchgreifend der Politik alleine vor dem Hintergrund des Umstands, dass wir stets den Aspekt der Gewaltenteilung sehr genau im Auge behalten sollten und müssen.

Obgleich formelle Einzelfallanweisungen in der Praxis nur selten zum Einsatz kommen bzw. kommen sollen

(Sven Wolf [SPD]: Aha!)

– das habe ich eingangs erwähnt, Herr Kollege Wolf –, ist schon eine informelle Bitte um ein bestimmtes Vorgehen vonseiten des weisungsberechtigten Ministeriums – nicht nur auf der Führungsebene, sondern auch darunter – kaum ohne Auswirkungen. Diese Weisung oder Bitte wird für den Empfänger immer unter Beachtung der möglicherweise folgenden formellen Weisung, auch wenn diese nicht kommt, zu verstehen sein. Somit liegt der politische Einfluss bereits auf der niedrigschwelligsten Ebene und statistisch praktisch nicht erfassbar vor.

(Beifall von den PIRATEN – Dagmar Hanses [GRÜNE]: Sie unterschätzen unsere Staatsanwältinnen und Staatsanwälte!)

Aber auch die Akzeptanz der Justiz im Bereich der Strafverfolgung wird immer wieder durch den Vorwurf politischer Einflussnahme in herausragenden Fällen geschmälert.

(Dagmar Hanses [GRÜNE]: Nein!)

– Doch, wird sie. Wenn man das Ohr an die Bevölkerung hält, Frau Kollegin Hanses, dann erfährt man, dass das so ist.

Wenn Sie fragen, ob denn Fälle bekannt sind, in denen das so geschehen ist, so verweise ich zum einen auf den Teil meiner vorangegangenen Ausführungen zur eher informellen und nicht erfassbaren niederschwelligen Ebene und zum anderen auf exponierte Fälle, in denen – das ist das Entscheidende – in der Öffentlichkeit zumindest der Verdacht geäußert wurde.

(Dagmar Hanses [GRÜNE]: Welche denn?)

– Ich denke zum Beispiel an den Fall der Hypo-Gruppe in Bayern, bei dem immer noch die Frage im Raume steht, warum in dieser Angelegenheit bis heute kein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist. Ich denke aber auch ganz speziell an einen bekannten Fall aus Bayern, in dem die Justizministerin des Freistaats Bayern die Staatsanwälte vor zwei Jahren angewiesen hat, das Verfahren im Fall Gustl Mollath wieder aufzunehmen. Das war eine ganz klare Weisung, die nichts mit Unabhängigkeit zu tun hatte. Dass sie am Ende für den Betroffenen, Gustl Mollath, gut ausgegangen ist – doch, doch, Herr Justizminister, das war so –, spielt an dieser Stelle überhaupt keine Rolle.

Fakt ist: Es geht darum, die Einflussnahme der Politik, wie sie auch hier im Hause vertreten ist, auch in Person des Herrn Justizministers, den ich um Gottes willen von allen etwaigen, wie ich es eingangs schon sagte, Unterstellungen oder dergleichen ausnehmen möchte, unmöglich zu machen. Das bezieht sich sowohl rein auf die Funktion, die Amtsträgerschaft und das Mandat als auch auf die Tatsache, dass der Justizminister praktisch durch sich selbst kontrolliert wird. Das ist förmlich mit der obersten Aufsicht über die Staatsanwaltschaften verquickt. Deshalb geht es darum, das zu entflechten.

Es ist eine gute Errungenschaft unserer Demokratie und insoweit in unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung verfasst, dass diese Säulen des Staates, nämlich Legislative, Exekutive und Judikative, ganz klar voneinander getrennt sind. Dies sollten wir beachten. Deswegen freue ich mich ganz besonders auf eine fraktionsübergreifende Debatte und die Diskussion im Ausschuss.

Ich darf an dieser Stelle sagen: Der Antrag ist von der CDU-Fraktion in Schleswig-Holstein eingebracht worden.

Vizepräsident Daniel Düngel: Die Redezeit, Herr Kollege.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Er ist nach anfänglicher Gegenwehr vom Fraktionsvorsitzenden der FDP, Herrn Kubicki, schließlich doch – zumindest nach einer Pressemitteilung im Januar dieses Jahres – für gutgeheißen worden; jedenfalls gilt das für die Debatte. Wir werden dies gerne mit der uns im Rechtsausschuss bekannten Seriosität und Sachlichkeit behandeln. Deshalb freue ich mich darauf. – Danke schön.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Herzlichen Dank, Herr Kollege Schulz. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Ganzke.

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Wir kennen ihn auch als sachlich!)

Veröffentlicht unter Dietmar Schulz, Rechtsausschuss (A14), Reden

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

*

*