Plenarrede: Lukas Lamla zu Einzelplan 15 – Gesundheit, Pflege und Alter

Mittwoch, 27. Februar 2013

TOP 1. Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplans des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2013   (Haushaltsgesetz 2013)

Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 16/1400

Beschlussempfehlung und Bericht des Haushalts- und Finanzausschusses

Drucksachen 16/2100 bis 16/2107, 16/2109 bis 16/2115 und 16/2120

2. Lesung

und

Finanzplanung 2012 bis 2016 mit   Finanzbericht 2013 des Landes Nordrhein-Westfalen

Drucksache 16/1401

Beschlussempfehlung und Bericht des Haushalts- und Finanzausschusses

Drucksache 16/2121

in Verbindung damit

Gesetz zur Regelung der   Zuweisungen des Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und   Gemeindeverbände im Haushaltsjahr 2013 (Gemeindefinanzierungsgesetz 2013 –   GFG 2013)

Gesetzentwurf der Landesregierung

Drucksache 16/1402

Beschlussempfehlung und Bericht des Haushalts- und Finanzausschusses

Drucksache 16/2117

2. Lesung

Unser Redner: Lukas Lamla

Unsere Abstimmungsempfehlung: Ablehnung

Audiomitschnitt der Rede von Lukas Lamla

Videomitschnitt der Rede von Lukas Lamla

Das Wortprotokoll zur Rede von Lukas Lamla:

Lukas Lamla (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In meiner letzten Rede zum Gesundheitshaushalt 2012 habe ich Ihnen die Geschichte von Frau Koch erzählt; vielleicht erinnern sich einige von Ihnen noch daran. Frau Koch ist die Mutter eines unserer Mitarbeiter, lebt in einer Altenpflegeeinrichtung und ist dement.

Ich möchte die Geschichte jetzt nicht überstrapazieren, aber Frau Koch hat einen Pfleger, der gelernter Kinderpfleger und auch Altenpfleger ist. Außerdem ist er aktiver Blogger. Das ist ganz interessant. Denn dies ermöglicht uns den direkten Einblick in sein Arbeitsumfeld. Ich denke, es ist an dieser Stelle tatsächlich angebracht, mal aus seinem Blog zu zitieren. Denn kaum jemand kann die Probleme in diesem Sektor besser beschreiben als die Betroffenen selbst. Ich hoffe, ich verstoße damit nicht gegen das Leistungsschutzrecht oder Dergleichen.

Herr Frustig schreibt in der Ich-Form – seien Sie insofern bitte nicht verwirrt –:

Doppeldienste. Tagelanges Durcharbeiten ohne frei. Hetzen über die Flure, und das im Dreischichtensystem. Immer die zermürbende Frage im Hinterkopf: Bekomme ich die Arbeit heute geschafft? Mein Arbeitgeber hat sogar verlangt, dass ich mir einen Anrufbeantworter anschaffe, damit ich ständig erreichbar bin. Das heißt: Habe ich mal ein freies Wochenende, so muss ich meinem Arbeitgeber die Möglichkeit bieten, doch zum Wochenenddienst zu kommen. Und das ist auch so passiert. Wenn ich an einem freien Wochenende ans Telefon gegangen bin, dann war es vorbei. Dann war das Wochenende vorbei. Die Zeit für mich und meine Kinder konnte ich nicht mehr in Anspruch nehmen. Das Ende vom Lied war Streit in der Familie, Streit mit der Frau bis hin zu Trennungsreden.

Schlimm an dieser Einspringerei am Wochenende sind auch die Schichteneinteilungen: samstags Spätdienst bis 22 Uhr und am Sonntag Frühdienstbeginn offiziell um 6:30 Uhr. Da man am Wochenende nur mit zwei Pflegekräften arbeitet, bedeutet das, dass man eine Stunde früher kommen muss. Das heißt, Ende 22 Uhr und der nächste Frühdienst beginnt im schlimmsten Fall um 5:30 Uhr. Von Arbeitsschutzgesetz und Ruhezeiten keine Spur.

Zitat Ende

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das geht überhaupt nicht!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, alle Bemühungen und Lippenbekenntnisse der Landesregierung, die Situation in der Pflege in den Griff zu bekommen, laufen gerade scheinbar ins Leere. Die Probleme sind weitreichend und auch sehr komplex; das muss man zugestehen. Renditeorientierte Personalführung im Pflegebereich scheint eines der Hauptprobleme zu sein. Anerkennung und Wertschätzung von Pflegekräften sollten viel stärker ein Thema sein als je zuvor. Es reicht nicht, nur ein bisschen Geld in die Ausbildung von Pflegekräften zu investieren, es ist vor allem notwendig, die akuten Probleme von heute mit enormer Entschlossenheit anzugehen, damit sie nicht in eine Katastrophe von morgen münden.

Herr Frustig hat auch – das kann man schön nachlesen – überlegt, wieder in die Kinderkrankenpflege zu wechseln und sich dort zu bewerben. Aber es ist hinlänglich bekannt, dass es auch im Bereich der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen Probleme gibt; denn in den letzten fünf bis zehn Jahren hat sich die Situation bundesweit und auch in NRW verschlechtert. Es wird immer wieder darauf hingewiesen, dass ein dramatischer Anstieg von somatischen und psychischen Störungen, Störungen der Emotionalität, des Sozialverhaltens und der motorischen Leistungsfähigkeit stattfindet. Von der Landesregierung kommt, nun ja, mal hier eine Pressemitteilung, mal da ein Versprechen auf einer Podiumsdiskussion; aber sonst herrscht bei ihr irgendwie Ratlosigkeit.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Ratloser als Sie können wir nicht werden!)

Natürlich ist es am besten, erst überhaupt nicht krank zu werden. Sollte es allerdings doch einmal passieren, ist es wichtig, dass ein zuverlässiges und qualitativ hochwertiges Gesundheitssystem da ist und einen auffängt. Bisher hatten wir das in NRW auch. Zu einem Gesundheitssystem gehören auch der Zugang zu Arzneimitteln und die Arzneimittelsicherheit. Im Haushalt setzt die Landesregierung circa 2 Millionen € für den Gesundheitsschutz bei Arzneimittel und Medizinprodukten und weitere 800.000 € für die Ausbildungsförderung von Technisch-Pharmazeutischen Assistenten an – noch! Diese PTAs arbeiten später im Interesse einer guten Gesundheitsversorgung in den Krankenhäusern, in den Apotheken, in der Industrie und sogar in der Verwaltung und ermöglichen eben die hohe Zuverlässigkeit in diesem Bereich für die Allgemeinheit. Die Landesregierung will jedoch diese Ausbildungsförderung für die PTAs komplett einstellen. Damit würden die Auszubildenden, die im Sinne aller arbeiten, selbst auf ihren Ausbildungskosten sitzen bleiben. Mal ehrlich: Was soll das, wieso werden überhaupt solche Ideen geäußert?

In der Vergangenheit hat Frau Ministerin Steffens auf die Wichtigkeit der Arzneimittelsicherheit für den Patienten hingewiesen. Die Gefahr unerwünschter Neben- und Wechselwirkungen bei gleichzeitiger Einnahme mehrere Medikamente hat das Ministerium erkannt. Das ist gut, und das halte ich für sehr unterstützenswert. Frau Ministerin hat als treibende Kraft auch den Wirtschaftsstandort NRW für die technischen Innovationen im Bereich der modernen Medizin immer wieder hervorgehoben. Daran ist auch nichts auszusetzen. Aber mal ganz ehrlich: Ich zweifele ein bisschen an der Glaubwürdigkeit von Frau Ministerin, wenn sie im selben Atemzug esoterische Heilverfahren und medizinische Lehren unterstützt, deren Wirksamkeit noch nicht einmal wissenschaftlich belegt ist. Frau Ministerin, Homöopathie ist unterlassene Hilfeleistung.

(Beifall von den PIRATEN)

Wie wollen Sie das Vertrauen der Bürger erlangen, wenn Sie mit solchen Gedanken an die Öffentlichkeit gehen? Das verstehe ich einfach nicht; das ist ein Riesenfehler.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in nächster Zeit werden wir im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales noch die Anhörung zum Krankenhausrahmenplan haben. Die neuen Qualitätskriterien des Krankenhausrahmenplans basieren auf Leitlinien unsere Empfehlungen von einzelnen medizinischen Fachgesellschaften. Die Auswirkungen dieser Vorgehensweise sind allerdings nicht wirklich bekannt. Also könnte beispielsweise Folgendes passieren: Eine Klinik im ländlich geprägten Raum, die bisher nur drei Intensivbetten vorgehalten hat, weil eben auf dem Land ein größerer Bedarf nicht da ist, muss, um die neuen Qualitätskriterien zu erfüllen, in Zukunft acht Betten vorhalten. Wer bezahlt die Vorhaltekosten für die unbenutzten Betten? Ich weiß nicht, was passiert, wenn eine Abteilung nicht mehr wirtschaftlich arbeitet; das weiß niemand so richtig. Mit vielen solcher diffusen Ideen haben wir es dort zu tun. Ich hoffe, dass wir nach den Anhörungen entsprechend die Kurve kriegen.

Noch einmal zurück zu dem Blog-Eintrag von Herrn Frustig: Vergleicht man die Worte der Landesregierung zum Haushalt 2012 mit den Taten zum Haushalt 2013, kann sich jeder eigentlich selbst ein Urteil fällen: Viel Bewegung ist da nicht zu erkennen; aber ich hoffe stark, dass der Druck von außen irgendwann so groß wird, dass sich die regierenden Parteien endlich bewegen müssen.

Meine Damen, meine Herren, liebe Frau Ministerin, es ist eigentlich gar nicht meine Art, alles schlechtzureden; denn irgendwie sitzen wir alle hier in einem Boot und haben Verantwortung für Millionen von Menschen in diesem Land. Aber in nicht allzu weiter Ferne sehe ich tatsächlich einen Eisberg immer näher an uns herankommen. Ich hoffe wirklich inständig, dass wir es gemeinsam schaffen, den Kurs zu ändern, um eine Kollision zu vermeiden. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Lamla.

Getagged mit:
Veröffentlicht unter Arbeit, Gesundheit, Soziales (A01), Reden

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

*

*