Plenarrede: Joachim Paul zu Hochschulautonomie

Donnerstag, 24. Januar 2013

TOP 2. Hochschulautonomie zukunftsgerecht weiterentwickeln – Demokratische Strukturen stärken, Verantwortung des Landes wahrnehmen

Block I

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, Drucksache 16/1898

Sowie

Entschließungsantrag der Fraktion der PIRATEN
zum o.g. Antrag: “Ein neues Hochschulgesetz für NRW anstatt eine Weiterentwicklung des Hochschulfreiheitsgesetzes”, Drucksache 16/1962

 

Unser Redner: Joachim Paul

Unsere Abstimmungsempfehlung: Zustimmung zur Überweisung

Audiomitschnitt der Rede von Joachim Paul

Videomitschnitt der Rede von Joachim Paul

 

Das Wortprotokoll zur Rede von Joachim Paul:

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Das war gerade eine beeindruckende Vorstellung. Beim Lesen von Anträgen sollte man immer darauf achten, welche Brille man aufhat; manchmal verzerrt sie vielleicht die Wirklichkeit, Herr Hafke und Herr Berger.

(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)

Der hier vorliegende Antrag von Rot-Grün – ich sage das einmal so lax – ist nach unserer Auffassung in sich ein wenig schwammig formuliert, sodass nicht ganz klar wird, worauf die Regierungskoalition überhaupt hinaus will.

Nach unserem Dafürhalten fehlt ein neuer Ansatz in der Hochschulpolitik in Nordrhein-Westfalen. In Ihrem Antrag dominiert hingegen ein Ansatz des Im-Prinzip-weiter-So.

Wenn Sie beispielsweise schreiben, dass die von der Rüttgers/Pinkwart-Regierung neu ein-geführten Hochschulräte die offene Flanke des Rückzugs der staatlichen Verantwortung nicht schließen konnten, dann ist es doch ganz eindeutig, dass diese Art des Gremiums sich nicht bewährt hat und daher abgeschafft werden kann. Man kann sie doch in Beiräte um-wandeln. Das war doch immer unser Reden.

Frau Seidl, an Ihre Adresse: Wir wollen die Rückführung in den Landesdienst prüfen lassen. Das steht in unserem Antrag. Wir wollen uns nicht direkt dafür aussprechen, sondern das Ganze aus Sorge bezogen auf das akademische Prekariat, das sich herausgebildet hat, prüfen.

Was in den letzten Jahren geschehen ist, hat nichts mit Hochschulautonomie zu tun. Hier muss klargestellt werden – da sind sich wohl alle Fraktionen einig –, dass eine Hochschul-autonomie installiert werden muss, in gewissem Sinn erhalten werden muss. Die Frage ist nicht das Ob, sondern das Wie. Und was geschehen ist, ist eine Multiplikation eines veralteten Managementkonzepts nach Gutsherrenart mit der Anzahl unserer Hochschulen. Aus einer großen Verwaltungspyramide wurden durch Herrn Pinkwart klack, klack, klack 37 kleine Pyramiden gemacht. Strukturell ist damit erst einmal gar nichts gewonnen. Unsinn mal 37 ist immer noch Unsinn.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir wünschen uns von Ihnen und von der Landesregierung, Frau Ministerin Schulze, etwas mehr aktiven Gestaltungswillen. Denn die entscheidenden Fragen lauten doch – ich will jetzt gar nicht auf die sozialen Implikationen eingehen –: Wie kann sich Wissenschaft am besten entfalten? Was sind die Bedingungen für ein Maximum an Innovationen?

Ich sage vorweg, dass besonders der inter- und transdisziplinäre Kooperationsgedanke das richtige Salz in der Suppe ist und das weit mehr als das Wettbewerbselement. Dafür gibt es nämlich einige wenige, dafür aber umso beeindruckendere Beispiele aus der jüngeren Geschichte, die wir uns gemeinsam mal ansehen sollten. Mit der Wissenschaft ist das nämlich so eine Sache. Wenn man vorne Geld reinschiebt, kommt hinten selten bis gar nicht das raus, was man sich ursprünglich gewünscht hatte. Aber es kommt immer was raus, wenn man es richtig gemacht hat.

Ich möchte hier an das von 1958 bis 1974 in den USA existente Biological Computer Laboratory an der Universität von Urbana in Illinois erinnern, das von der Air Force und von der Navy finanziert wurde vor dem Hintergrund des damals erfolgten Sputnik-Schocks. Was da 1974 herausgekommen ist, waren 11.000 Seiten Papier, Theorien, Konzepte, Parallelrechnerarchitekturen, Gedanken zur Hirnforschung, der Konstruktivismus, der bei uns in Deutschland in der Pädagogik eine Rolle spielt, Ansätze zur Neuroinformatik, Innovationen zuhauf, nur leider nichts waffentechnisch Verwertbares, was mir persönlich als ein doch weitergehender Beweis für die Intelligenz der Geschichte dient.

Das Ding hat weltweite Wellen geschlagen, unter anderem auch in die Bielefelder Schule zu Niklas Luhmann und seiner Systemtheorie und zu den Rechtswissenschaften von Gunther Teubner.

So ganz nebenbei hat man dort auch versucht, mit der Trennung von Geistes-, Natur- und Ingenieurwissenschaften radikal Schluss zu machen im Sinne einer trans- und interdisziplinären Kooperation.

Innovationen werden auch durch den rot-grünen Vorschlag für ein Hochschulzukunftsgesetz nicht gefördert, da Sie am System der unternehmerischen Hoch-schule und an der Mängelverwaltung nicht rütteln wollen.

Deshalb haben auch wir in unserem Entschließungsantrag die Anregung zu einer unabhängigen inter- und transdisziplinären Expertenkommission aufgestellt, die das aktuelle Hochschulfreiheitsgesetz evaluieren soll, so wie es in diesem Gesetz selbst drin steht und wie es mal sein sollte.

Der vielgepriesene offene, mit allen und nicht nur mit den Hochschulrektoren und -räten zu führende Dialogprozess ist dann dabei der wichtigste Mosaikstein.

Schauen wir uns mal die Strukturen an, die nachweislich in der Vergangenheit richtig viele Innovationen produziert haben, und versuchen, die im Sinne eines skalierbaren Managements auf unsere Universitäten abzubilden. Einen Sputnik-Schock brauchen wir nicht mehr. Der heißt bei uns heute Klimawandel und globale Krisen. Wir sollten unsere Hochschulen so gut wie möglich aufstellen. Wir freuen uns auf eine konstruktive Diskussion mit Ihnen im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Dr. Paul. –

Veröffentlicht unter Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie (A10), Reden, Reden

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