Plenarrede: Paul zur Hochschulfreiheit

Plenarsitzung 15 vom 29. November 2012

Joachim Paul zu TOP 1: Hochschulbevormundung statt Hochschulfreiheit

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der CDU, Drucksache 16/1545

In Verbindung mit:

Gesetz zur Stärkung der Wissenschaftsautonomie, Gesetzentwurf der Fraktion der PIRATEN, Drucksache 16/1255, erste Lesung

Und: Finger weg von der Hochschulautonomie – Positionspapier der Hochschulratsvorsitzenden nutzen, Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP, Drucksache 16/1190

Redeprotokolle der 1. und 2. Reden von Joachim Paul

1. Rede

Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen auf den Zuschauerrängen und im Netz! Herr Minister Jäger – leider ist er heute nicht da – hat gestern so etwas wie eine parlamentarische Initiative gestartet: Mehr Latein im Parlament. – Da sind wir Piraten dabei. Denn es gibt viele lateinische Zitate, die Bezüge zum Heute haben und vieles in seltener Schönheit und Klarheit zum Ausdruck bringen.

 

Frau Präsidentin, mit Ihrer Erlaubnis zitiere ich: „Entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem.“ Auf Deutsch: Die Dinge sollen nicht komplizierter gemacht werden als sie sind. – Das ist William von Ockham zugeschrieben. Das ist der berühmte Rasierer.

Der Name „Hochschulfreiheitsgesetz“ stellt in der Tat eine Verkomplizierung der strukturellen Verhältnisse dar, eine überflüssige Hinzufügung gepaart mit einer Verschleierung – oder vielleicht sollte ich sagen Klitterung. Das bestehende Hochschulfreiheitsgesetz hat mit der Freiheit der Hochschulen ebenso viel zu tun wie eine Milchkuh mit Bierbrauen. Eigentlich müsste es heißen: Hochschulratsfreiheitsgesetz.

Universitäten – das ist wohl unzweifelhaft, und ich denke, wir stimmen da alle überein – sind Einrichtungen der Gemeinnützigkeit, die dem Gemeinwohl dienen sollen und daher der Gesellschaft als einem Ganzen und dem Staat als seinem Gewährsträger verpflichtet sind.

Man kann im Zusammenhang mit dem bestehenden Gesetz fünf Problemfelder isolieren. Das erste Problemfeld möchte ich einmal mit „Sachkompetenz“ bezeichnen. Die Zusammensetzung der Hochschulräte weist ein Ungleichgewicht zugunsten von Unternehmensführern auf – vor allen Dingen von größeren Unternehmen. Schon allein aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten …

(Dr. Stefan Berger [CDU]: Reine Behauptung von Ihnen!)

– Herr Berger, das ist keine Behauptung. Das lässt sich belegen. In fast allen Fällen sind in den HR große Unternehmen überrepräsentiert. Dabei wissen wir doch heute, dass Innovation eigentlich aus der Garage kommt.

(Dr. Stefan Berger [CDU]: Rechnen Sie das mal nach!)

Ich möchte Ihnen ein Beispiel für die betriebswirtschaftliche Kompetenz im Erkennen von Innovationen und Marktpotenzialen geben: Als IBM vor einigen Jahrzehnten vor der Frage stand, die Xerox Corporation zu kaufen, gab es eine Beratungsanfrage an die älteste Unternehmensberatung der Welt, Arthur D. Little. Deren Urteil hieß: Finger weg! Der Markt für Fotokopierer weltweit beträgt etwa 5.000 Stück.

(Beifall von den PIRATEN)

Ich möchte wirklich nicht wissen, was in Baton Rouge auf den Vorstandsetagen los gewesen ist, als der Börsenwert von Xerox im Jahr 1974 3,4 Milliarden US-Dollar betrug. In Konsequenz dessen hat ein weiteres Großunternehmen – Sony – bei der Einführung des Walkman 1979 auf Marktanalysen verzichtet. So viel zum Thema Sachkompetenz. Ich denke, die Geschichte spricht ihre eigene Sprache.

Das Problemfeld Nummer zwei, das ich herausarbeiten möchte, ist „systemisch-strukturell“. Das Management über die Steuerung durch Hochschulräte entspricht einem veralteten Top-down-Konzept des Managements, mit dem sich komplexe Probleme der Zukunft nicht mehr lösen lassen werden. Empfohlen ist ja ein Konzept der Selbststeuerung. Das ist auch das, was wir unter Freiheit verstehen. Denn Freiheit nach Ihrer Auffassung ist eine Fremdsteuerung über den Markt.

(Beifall von den PIRATEN)

Die Doktrin des New Public Management ist auf Hochschulen nicht zu übertragen und mit der grundgesetzlichen Freiheit von Forschung und Lehre nicht in Einklang zu bringen. Das Hochschulfreiheitsgesetz ist Teil dieser Strategie des New Public Managements. Es geht von der Gleichheit – oder doch großen Ähnlichkeit – von Staat und privatem Sektor aus. Das ist weder inhaltlich noch systemisch gegeben. Hier werden Äpfel zu Birnen gemacht. Unis sind keine Unternehmen!

(Beifall von den PIRATEN)

Das Problemfeld Nummer drei beschäftigt sich mit „Pluralität und Legitimation“. Wir haben durch das aktuelle Gesetz eine Verschiebung der Verantwortung zulasten der klassisch-parlamentarischen Repräsentation der gesellschaftlichen Interessen und zu Ungunsten der Selbstverwaltung. Was heißt eigentlich „Freiheit der Hochschulen“ erlebt? Die marktkonforme Hochschule nach aktuellem Hochschulgesetz hat mit Demokratie und Wissenschaftsfreiheit nichts zu tun.

Das Problemfeld Nummer vier bezeichnet die „Intransparenz der Hochschulhaushalte“. Diese sind vor dem Hintergrund der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung der Hochschulen ein politisch und gesellschaftlich untragbarer Zustand.

(Beifall von den PIRATEN)

Das Problem Nummer fünf ist ein Verstoß gegen das Grundgesetz, und zwar gegen die Wissenschaftsfreiheit, die im Grundgesetz in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 verankert ist. Das betrifft vor allen Dingen die in § 17 Abs. 3 Satz 2 des Hochschulgesetzes NRW normierte Möglichkeit des Hochschulrates, die vom Senat versagte Zustimmung für die Wahl der Hochschulleitung mit einer Zweidrittel- bzw. Dreiviertelmehrheit zu ersetzen. Ich verweise hier auf das Rechtsgutachten von Thomas Horst. Im Übrigen noch einen schönen Gruß von Ihrem Genossen Wolfgang Lieb, den ich sehr schätze und der natürlich auch in der Anhörung dabei war!

Eine Alternative zur Aufhebung dieser Verwerfung bietet unser Gesetzentwurf zur Stärkung der Wissenschaftsautonomie, zu wirklicher Wissenschaftsautonomie. Ich sage es ganz deutlich: Die Wirtschaft darf und soll mitreden – jawohl –, aber bitte in einem Beirat.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Von den Grünen hieß es im Update-Programm zur Landtagswahl 2012 – ich zitiere –:

„Wir wollen das Hochschulgesetz novellieren und damit landesweite Regelungen für mehr Mitbestimmung und Partizipation in Arbeit und Studium an den Hochschulen umsetzen… Die Hochschulräte wollen wir abschaffen.“

Bei der SPD hieß es im Wahlprogramm 2010:

„Wir stehen für lebendige Hochschulen“.

– Wir Piraten übrigens auch. – Weiter im SPD-Wahlprogramm:

„Für uns ist dabei die demokratische Selbstverwaltung Ausdruck der Wissenschaftsfreiheit. Deshalb werden wir die Hochschulräte wieder abschaffen.“

Jetzt muss ich mir doch die Frage stellen, liebe rot-grüne Parlamentarier, liebe Landesregierung: Fehlt euch der Mut? Frau Schulze, wovor haben Sie Angst? Vor der Rektorenlobby, vor den Medien? Sprechen Sie einmal mit Leuten im Mittelbau. Die würden Ihnen in Scharen hinterherlaufen, wenn Sie die Hochschulräte abschafften.

(Beifall von den PIRATEN)

Fest steht auch: Der Versuch, das Modell des Aufsichtsrates eines Unternehmens eins zu eins auf Hochschulen zu übertragen, hat sich in der Praxis nicht bewährt. – Das ist eine Aussage von Frau Schulze.

(Dr. Stefan Berger [CDU]: Das ist eine Behauptung!)

– Herr Berger, ich bitte Sie. Diese verbalen Stützkorsette aus Gütersloh – was bringt denn das?

(Beifall von den PIRATEN)

Die Konsequenz muss einfach sein: Das aktuelle Hochschulgesetz ist ein versalzenes Bananensoufflee. Es war ein netter Versuch, hat sich nicht bewährt, wird daher nicht gebraucht und kann in die Mottenkiste. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von den PIRATEN)

 

2. Rede von Joachim Paul

 

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Raum und im Netz! Im Antrag zu dieser Aktuellen Stunde der Kolleginnen und Kollegen von der Union hieß es, Hochschulen brauchen Verlässlichkeit und Freiräume.

Am 06.03.2012 hieß es zum NRW-Haushalt in der „WAZ“:

„Drei Wochen vor der Entscheidung im Landtag über den Haushalt 2012 hat die CDU-Opposition ein eigenes Sparkonzept vorgelegt. Das sieht neben Stellenstreichungen auch die Wiedereinführung von Studiengebühren und den Wegfall … vor.“

Am 02.04.2012 hieß es bei „RP-Online“:

„Die CDU will nach einem Sieg bei der Landtagswahl keine neuen Studiengebühren in Nordrhein-Westfalen einführen. Das versicherte ihr Landesvorsitzender Norbert Röttgen am Montag in Düsseldorf.“

Liebe Kollegen von der CDU, nennen Sie das verlässliche Politik?

(Beifall von den PIRATEN und von Karl Schultheis [SPD])

Liebe Frau Seidl, ich kann Ihnen auch nicht durchgehen lassen, dass Sie sagen, wir wollten das mit unserem Gesetzentwurf wieder zerschlagen. Und auch Herr Schultheis sprach im Ausschuss von einer Rolle rückwärts. Darum geht es nicht. Wir sind Piraten, und unser zweiter Vorname heißt Wissenschaftsautonomie. Das ist so.

(Lachen von der CDU und der FDP – Beifall von den PIRATEN)

Frau Ministerin Schulze, ich konnte am vergangenen Montag einer beeindruckenden Veranstaltung beiwohnen – noch einmal Danke für die Einladung –: Drei Kolleginnen und Kollegen haben den Innovationspreis des Landes Nordrhein-Westfalen erhalten. Und mich als Naturwissenschaftler hat besonders gefreut, dass einer der Preise an eine Geisteswissenschaftlerin ging. Positiv gesprochen: Die Spitze des Eisbergs der wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit unseres Landes.

Mir geht es aber auch um diejenigen, die in den Fachbereichen harte Kärrnerarbeit in der Lehre und in der Forschung leisten, die gar nicht damit rechnen, dass es vielleicht irgendwann einmal einen Preis gibt. Ich kann auch nicht verstehen, Herr Hafke, dass Sie und auch Frau Freimuth immer von „die Hochschulen“ sprechen. Wer sind denn „die Hochschulen“? Das sind nicht nur die Hochschulräte. Das ist auch der Mittelbau. Ich frage mich wirklich, warum ich mehrere Dutzend Professoren persönlich kenne, die beim aktuellen Gesetz vor Wut aus der Hose springen.

Es geht um Selbststeuerung von Hochschulen, um Autonomie und nicht um Fremdsteuerung. Das kann doch nicht sein, dass man eine Fremdsteuerung, nämlich die des Staates, durch die des Marktes ersetzt. Das ist vom Regen in die Traufe. Deswegen muss an diesem Gesetz etwas geändert werden.

(Beifall von den PIRATEN und Karl Schultheis [SPD])

Ich möchte noch konstruktiv hinzufügen: Ich freue mich auf die Diskussion in den Ausschüssen.

Wir leben in einer Zeit, in der es möglich ist, dass didaktisch aufbereitete Medien und Informationen zu jeder Zeit und an jedem Ort verfügbar sind. Wenn Sie mich jetzt fragen, was die größte Bildungseinrichtung des Landes Nordrhein-Westfalen ist, dann muss ich Ihnen sagen: Das Land Nordrhein-Westfalen selbst ist diese Bildungseinrichtung. Und wir müssen in Zukunft über Vernetzung nachdenken.

(Beifall von den PIRATEN)

Das hat auch mit Autonomie zu tun.

Es gibt allerdings ein paar Umstände, die ich nicht so ganz verstehe. Vielleicht bin ich ja zu blöd dazu, das weiß ich nicht. Ich verstehe zum Beispiel nicht, warum der erfolgreiche Karstadt-Manager Middelhoff in Münster im Hochschulbeirat – Freud‘sche Fehlleistung; das ist genau das, wo wir hin wollen –, im Hochschulrat sitzt. Das ist mir unerklärlich.

Mir ist auch nicht erklärlich, dass man hier immer nur von „den Hochschulen“ spricht, wo es darum geht, großunternehmensgeleitete Interessen in die Hochschulen hineinzubringen. Das soll so sein, aber bitte in ausgewogenem Maße. Deswegen fordern wir wieder mehr Mitbestimmung und vor allen Dingen Autonomie, wirkliche Autonomie der Hochschulen und nicht die Autonomie derjenigen, die das, was in Hochschule geschieht, von außen bestimmen wollen.

Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

 

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