Plenarrede: Frank Herrmann zu Salafistenproblematik

Freitag, 22. März 2013

TOP 1. Aktuelle Stunde

Ursachen und Erscheinungen des verfassungsfeindlichen Salafismus in NRW konsequent bekämpfen

Antrag der Fraktionen der SPD/GRÜNE
Unser Redner: Frank Herrmann

Audiomitschnitt der Rede von Frank Herrmann

Videomitschnitt der Rede von Frank Herrmann

Das Wortprotokoll zur Rede von Frank Herrmann

Frank Herrmann (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-gen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Das Verbot der drei salafistischen Organisationen durch Herrn Bundesminister Friedrich und die Festnahme von vier Personen in Nordrhein-Westfalen, die mutmaßlich einen Mordanschlag verüben wollten, sind schon ausreichend erwähnt worden. Diese beiden Ereignisse zeugen von der hervorragenden Arbeit der Ermittlungsbehörden, auch unserer Polizei. Sie zeigen zudem, dass unsere Demokratie gut geschützt ist.

Meine Damen und Herren, religiöse Fanatiker sind ein Problem. Sie verteilen beispielsweise Ratgeberbroschüren, in denen sie sich für Körperstrafen, also Züchtigungen, aussprechen. Sie trennen nicht zwischen Politik und Religion. Sie nehmen für sich in Anspruch, als Einzige den wahren Weg zum Glauben an Gott gefunden zu haben. Die Ehe ist für sie die einzig legitime Form des Zusammenlebens zwischen Mann und Frau. Den Frauen gestehen sie lediglich eine Rolle im Haus und in der Kindererziehung zu. Sie legen ihre Heilige Schrift wörtlich und fundamentalistisch aus und versuchen Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung zu nehmen. Sie vertreten damit ein unserem Grundgesetz entgegenstehendes Weltbild.

Ich sollte erwähnen, dass ich mit diesen Worten die Evangelikalen beschrieben habe, die in einigen Orten Deutschlands einen solchen christlichen Fundamentalismus praktizieren. Auch die Evangelikalen gewinnen in Deutschland wie weltweit immer mehr Anhänger und wollen Einfluss auf die Politik nehmen.

Mit eben genannten Kriterien wird auch – nach Angaben des Innenministeriums – die Beobachtung der Salafisten gerechtfertigt. Sollte das also nicht auf alle religiösen Fanatiker angewandt werden, unabhängig davon, welcher Religion sie angehören?

Die politische Auseinandersetzung mit religiösem Fundamentalismus ist wichtig und richtig. Aber man muss dabei sehr vorsichtig sein, nicht in Pauschalismen abzugleiten. Zu schnell benutzen Populisten die Argumente, um die ganze Glaubensrichtung verächtlich zu machen. Das ist dann besonders ärgerlich, wenn die Medien noch dabei mithelfen. Es war nur schwer erträglich, wie der Chef der rechtsextremistischen Pro NRW den Verdacht eines Anschlags auf ihn ausnutzte, um sich in den Medien zu profilieren und sich als „Retter“ einer angeblich drohenden Islamisierung aufzuspielen.

In Deutschland leben rund 4 Millionen Muslime. Etwa 1 Promille davon – 4.500 nach den neusten Zahlen – wird zu der Gruppe der Salafisten gerechnet. In Nordrhein-Westfalen leben davon etwa 1.000.

Das Innenministerium räumt dazu auf seiner Webseite ein – und das steht im Widerspruch zu Ihren Angaben, Herr Sieveke –, dass nicht alle politisch tätig sind und der weit überwiegende Teil friedlich ist. Der Anteil der gewaltbereiten Salafisten in Nordrhein-Westfalen wird auf ca. 100 Personen geschätzt, 20 davon besonders aktiv.

Zum Vergleich: Herr Minister Jäger geht gleichzeitig von 400 bis 600 gewaltbereiten Rechtsextremisten in NRW aus. Damit möchte ich das Problem nicht kleinreden, aber in Relation setzen.

In Ihrem Antrag zu dieser Aktuellen Stunde schreiben Sie, verehrte Kolleginnen und Kolle-gen von SPD und Grünen, dass der Landtag NRW eindeutig gegen den verfassungsfeindlichen Salafismus Stellung beziehen muss.

Zwar würden wir von den Piraten uns wünschen, dass der Landtag generell gegen jede Art von religiösem Fundamentalismus Stellung bezieht, aber selbstverständlich gehen wir bei dieser Formulierung mit.

Was mir aber Sorgen macht, ist der Teilsatz, ich zitiere:

„Die dauerhafte Bekämpfung des Salafismus ist daher gleichermaßen angewiesen auf das entschiedene Vorgehen der Sicherheitsbehörden …“

Wir sehen die Rolle der Sicherheitsbehörden in der Verhinderung und Verfolgung von Straf-taten und nicht so sehr in der Bekämpfung einer fundamentalistischen Ideologie. Insofern sehe ich diese Formulierung sehr skeptisch. Wir wollen nicht, dass am Ende neue Überwachungsmaßnahmen stehen, die mit der vermeintlichen oder tatsächlichen Gefahr des Salafismus begründet werden. Davor kann ich nur warnen.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir werden uns erweiterten Überwachungsmaßnahmen und der Einschränkung von Bürger-rechten entschieden entgegenstellen.

Wie Frau Schäffer schon erwähnt hat, will Bundesinnenminister Friedrich bei der Innenministerkonferenz im Mai einen Gesetzentwurf vorlegen, der schnelle Abschiebungen erlaubt. Wir fordern die Landesregierung hiermit auf, einen solchen Gesetzesentwurf entschieden abzulehnen.

(Beifall von den PIRATEN)

So sehr fundamentalistisch-religiöse Ideologien auch abzulehnen sind, so ist die Abschiebung der Personen, die sie vertreten, doch keine Lösung des Problems – ganz abgesehen davon, dass, wie schon erwähnt, Deutsche, die eine zentrale Rolle in der salafistischen Szene spielen, schlecht abgeschoben werden können.

Nein, restriktive Gesetze, Überwachung und Einschränkung der Bürgerrechte können nicht die Antwort einer freiheitlichen Demokratie auf Bedrohung durch Fundamentalismus sein. In einer freiheitlichen Demokratie setzen wir auf Ursachenforschung, Aufklärung und Bildung.

Dazu gehört unserer Meinung nach auch ein qualifiziertes Aussteigerprogramm, wie es zum Beispiel von EXIT für ausstiegswillige Rechtsextremisten angeboten wird. Die sichere und langfristige Finanzierung solcher preisgekrönten und renommierten Projekte halte ich für extrem wichtig.

Ein Aussteigerprogramm, das vom Verfassungsschutz organisiert wird, ist an der Stelle falsch, schon allein deswegen, weil es dabei zu Interessenkonflikten kommen muss. Ein wirkungsvolles Aussteigerprogramm kann nur unabhängig von Behörden agieren.

Wie kommt es, dass der Salafismus überhaupt Zulauf – gerade von jungen Menschen – erhält? Der Extremismusforscher Dr. Straßner erklärt den Zulauf mit der Suche nach Orientierung. Der Verein Sekten-Info Nordrhein-Westfalen gibt zu bedenken, dass – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin – Jugendliche mit Ausgrenzungserfahrungen sich von der Teilha-be an der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen und Halt suchen.

Der Verweis auf diese Ausgrenzungserfahrungen zeigt, dass auch die Integrationspolitik ein großes Stück Mitverantwortung trägt. Vieles wurde in der Vergangenheit falsch gemacht. Es hat sich in den letzten Jahren zwar einiges gebessert, es gibt Programme – aber es gibt im Bereich der Integration und der Inklusion von Migranten noch immer viel zu tun. Ein Beispiel ist das Wahlrecht für Migrantinnen und Migranten. Ein anderes Beispiel ist die unselige Optionspflicht, die endlich abgeschafft gehört.

(Beifall von den PIRATEN)

Wenn wir es schaffen, dass sich junge Menschen aufgrund ihrer ethnischen und/oder sozialen Herkunft nicht mehr ausgegrenzt fühlen, dann ist das ein viel größerer Erfolg gegenüber verfassungsfeindlichen Ideologien, als es restriktive Gesetze und repressive Maßnahmen je sein können. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Herrmann.

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