NRW muss das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen CETA ablehnen

Hier geht’s zum Beratungsverlauf mit Abstimmungsprotokoll

I. Sachverhalt

Die finale Fassung des europäisch-kanadischen Freihandelsabkommens CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) liegt nun nach mehrjähriger Beratungszeit unter Ausschluss der Öffentlichkeit vor. Das Abkommen soll nach Willen vieler europäischer Regierungen, darunter die deutsche Bundesregierung, zeitnah und ohne vorherige Zustimmung der Parlamente in Kraft gesetzt werden. Am 23. September 2016 will der EU-Rat in Bratislava darüber diskutieren, ob und ggf. in welchem Umfang CETA vorläufig Anwendung findet. Große Teile der in Deutschland lebenden Menschen stehen dem Abkommen überaus kritisch gegenüber. CETA gilt auch als Blaupause für das noch auszuhandelnde Freihandelskommen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Europa TTIP.

CETA sieht sich seit Jahren massiver Kritik aus Zivilgesellschaft, Politik und Wissenschaft gegenüber. Es heble demokratische Kontrolle aus und bevorzuge einseitig die Interessen internationaler Großkonzerne.

Der finale Abkommenstext bestätigt nun die Befürchtungen: Aufgrund unklarer Rechtsbegriffe und vager Formulierungen sowie der geplanten Schiedsgerichtsbarkeit (insbesondere Investor-Staat) muss davon ausgegangen werden, dass Maßnahmen und Auflagen der deutschen Bundesländer zum Grundrechte-, Menschenrechte-, Sozial-, Arbeits-, Verbraucher, Natur- oder Umweltschutz dem Risiko unüberschaubarer Schadensersatzforderungen ausgesetzt werden.

Die zentralen Kritikpunkte am CETA-Abkommen haben trotz oberflächlicher Reformbemühungen weiterhin Bestand:

  • Schiedsgerichtsverfahren zum privaten Investorenschutz sollen weiterhin angewendet werden. Auch dem nun vorgeschlagenen Investitionsgerichtshof liegt weiterhin die materiell-rechtliche Klagegrundlage für ausländischen Investoren zugrunde. Diese Schiedsverfahren zwischen demokratischen Rechtstaaten etablieren unnötigerweise eine doppelte Gerichtsbarkeit, da ausländische Konzerne gegen vermeintliche Beschränkungen gleichzeitig vor staatlichen Gerichten klagen und vor dem privaten Schiedsgericht Entschädigung fordern können. Dies stellt eine Bevorteilung ausländischer Investoren gegenüber inländischen Unternehmen dar.
  • Auch dort, wo das Abkommen den bestehenden Schutzstandards in Europa und NRW entsprechen soll, könnte es die gewählten Volksvertretungen an zukünftigen Änderungen hindern, etwa wenn Umwelt oder Verbraucher auf der Grundlage neuer Erkenntnisse oder einer neuen Bewertung besser geschützt werden sollen. Zudem bleibt zu befürchten, dass zahlreiche Landesregulierungen dem Abbau „nicht-tarifärer Handelshemmnisse“ geopfert würden.
  • CETA könnte eine schrittweise Abkehr vom „Vorsorgeprinzip“ hin zum „Risikoprinzip“ bedeuten. Insbesondere über Kooperationen im Bereich der Biotechnologien könnten gemeinsame Zulassungsverfahren dafür sorgen, den Risikoansatz zum allgemeinen Standard zu erheben.
  • Im Kapitel über „Rechte am geistigen Eigentum“ finden sich Ansätze des von der europäischen Öffentlichkeit und vom Europäischen Parlament mehrheitlich abgelehnten ACTA-Abkommens wieder. So soll etwa privaten Internetprovidern die Durchsetzung von Urheberrechten aufgebürdet werden, wodurch die Interpretation von Gesetzen privatwirtschaftlichen Firmen überlassen würde.

II. Der Landtag stellt fest

  1. Der Entstehungsprozess von CETA ist in höchstem Maße intransparent. Der Ausschluss von Parlamentariern auf EU-, EU-Länder, Bundes- und Länderebene ist zu verurteilen.
  2. CETA enthält zahlreiche unbestimmte Klauseln und Rechtsbegriffe und stellt daher Staat, Gesellschaft und heimische Wirtschaft vor ungewisse Risiken.
  3. Private Schiedsgerichtsverfahren sind in Abkommen zwischen demokratischen Rechtsstaaten unnötig.

III. Der Landtag fordert die Landesregierung dazu auf,

  1. auf allen politischen Ebenen darauf hinzuwirken, dass CETA in derzeitiger Form nicht in Kraft tritt.
  2. auf allen politischen Ebenen die Zustimmungspflicht aller EU-Mitgliedstaaten sowie insbesondere des deutschen Bundesrats zum CETA-Abkommen einzufordern.

Mitschnitt der Reden von Joachim Paul:

Mitschnitt der kompletten Debatte:

Protokoll der Reden von Joachim Paul:

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen lieben Dank. – Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauer! Mehr als vier Jahre ist es jetzt her, dass das hinter verschlossenen Türen ausgehandelte ACTA-Abkommen vom zivilen Widerstand in ganz Europa zu Fall gebracht worden ist. ACTA war gestern, aber heute sind die Abkommenzombies CETA und TTIP immer noch nicht tot.

Großkonzerne und ihre politischen Gefolgsleute versprechen bedeutende Arbeitsplatzgewinne. Wir Kritiker warnen vor der Aushöhlung demokratischer Entscheidungsfindung, vor dem Absenken von Daten-, Verbraucher- und Arbeitnehmerschutzstandards sowie vor einer Manifestierung des dringend reformbedürftigen Urheberrechts.

Die kritische Zivilgesellschaft – und wir Piraten verstehen uns natürlich als Teil davon – hat es geschafft, einen öffentlichen Diskurs zu CETA und TTIP zu generieren und die Gefahren für Demokratie, die öffentliche Daseinsvorsorge und die kommunale Familie in den Mittelpunkt zu stellen – Gefahren, die etwaige positive Auswirkungen bei Weitem überwiegen. Wir Piraten lehnen CETA ab. Basta!

(Beifall von den PIRATEN)

CETA ist nämlich die Blaupause für TTIP und nichts anderes. Nur weil die Kanadier oftmals sympathischer daherkommen als die US-Amerikaner, darf man den teils gefährlichen Inhalt des Abkommens nicht unterschätzen. Denn CETA bedeutet einen Investorenschutz, der mit unklaren Rechtsbegriffen eine Sonderjustiz für multinationale Konzerne schafft. CETA bedeutet auch Einschränkungen legislativer Befugnisse von Landes- und nationalen Parlamenten über die Schaffung von Sondergremien. Und es bedeutet die schleichende Abkehr vom Vorsorgeprinzip beim Daten-, Verbraucher- und Umweltschutz. Vorsorgeprinzip, meine Damen und Herren– das sollten wir uns zu Gemüte führen – ist im Kern ein europäischer Wert. Europa läuft Gefahr, die eigenen Werte zu verraten.

(Beifall von den PIRATEN)

Das sage nicht nur ich, sondern das sagt auch der umweltpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dr. Matthias Miersch.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Hört, hört!)

Liebe SPD-Granden, wenn ihr nicht auf uns hört, dann hört doch wenigstens auf die eigenen Leute.

(Beifall von den PIRATEN)

Aber die SPD führt hier leider einen demokratiegefährdenden handelspolitischen Eiertanz auf. Sigmar Gabriel erklärt TTIP für tot, nur um CETA weiter künstlich zu beatmen. Er sagte Ende August im ZDF-Sommerinterview – ich zitiere – : „Die Verhandlungen mit den USA sind de facto gescheitert, weil wir uns den amerikanischen Forderungen natürlich als Europäer nicht unterwerfen dürfen.“ CETA aber könne man nicht in den gleichen Topf werfen. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller klingt da schon anders. Er sagte der „Berliner Morgenpost“ jüngst – ich zitiere – :

„Bei Ceta habe ich große Bedenken. Wenn es nicht in den nächsten Wochen noch dramatische Weiterentwicklungen und Verbesserungen gibt, kann ich mir nicht vorstellen, dass wir das aus Berlin unterstützen können.“ Diese Verbesserungen gibt es nicht, wird es nicht geben, weil nämlich der Vertrag längstausverhandelt ist. Auf dem Parteikonvent am kommenden Montag wird die SPD ihre Position zum CETA-Vertrag festlegen. Wie man so munkeln hört, ist die Mehrheit der Delegierten gegen den Kanada-Deal. Gut so. Alles heimliche Piraten.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir alle wissen, dass auch viele Abgeordnete hier im Haus größte Bedenken bei CETA haben. Ich wünsche mir wirklich zutiefst, dass die Delegierten frei und dem eigenen Gewissenfolgend abstimmen. Denn dann kann man CETA nur ablehnen. Die Menschen wollen CETA nicht. Der Mittelstand will CETA nicht, und die Kommunen wollen CETA nicht. Das Vertrauen in die eigenen Akteure von Bundes- und Landesregierung bis zur EU-Kommission ist zerstört. Darum gehen Tausende Menschen am Samstag in sieben deutschen Städten auf die Straße. Nordrhein-Westfalen muss CETA ablehnen. –

Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Protokoll der 2. Rede von Joachim Paul:

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank. – Lieber Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Niemand ist ernsthaft gegen Freihandel. Wenn ich allerdings höre, dass der Kollege von der FDP hier religiöse Ereiferung oder so etwas einwirft, dann muss man da einfach einmal korrigierend eingreifen.

(Henning Höne [FDP]: Mindestens der Kollege Schwerd!)

Sie wissen, auf wen dieses Konzept zurückgeht, nämlich Richard Cobdon und John Bright, 1811 bis 1899, „Theorie des Freihandels“. Wenn Sie dieses Papier einmal lesen, werden Sie sich über die religiösen Sprachformeln wundern, die dort drinstehen, und Sie mit Ihrem Turboneoliberalismus tuten natürlich genau in dieses Horn.

(Zuruf von Christof Rasche [FDP])

Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Der Amerikaner schreit in mir auf und auch der Kanadier in mir,

(Zuruf von der FDP)

wenn ich höre, wie Sie die USA und Kanada auf ökonomische Bezüge reduzieren. Das darf nicht hingenommen werden.

(Beifall von den PIRATEN)

Herr Kollege Töns hat bereits darauf verwiesen: Handelsgerichtshof.

(Henning Höne [FDP]: Das ist an Lächerlichkeit nicht zu überbieten!)

Das klingt für mich ungefähr so nach dem Motto: Wir bauen einmal ein Auto, fahren schon einmal los und gucken nachher, ob wir noch eine Bremse brauchen.– Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Heiterkeit und Beifall von den PIRATEN)

 

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