Joachim Paul zur Hochschulfreiheit

Freitag, 20. März 2015

 

Top 4. Hochschulfreiheit a. D. – Landesregierung regelt nun auch bürokratisch die Anwesenheitspflichten von Studierenden

Antrag der Fraktion der CDU
Drucksache 16/8115
direkte   Abstimmung
Joachim Paul MdL/Foto A.KnipschildUnser Redner: Joachim Paul
Abstimmungsempfehlung: Ablehnung
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Protokoll der Rede von Joachim Paul

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank. Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Saal und daheim! Heute ist rhetorisch mehrfach die partielle Sonnenfinsternis bemüht worden. Ich habe mir für den Einstieg auch so etwas erlaubt. Aber ich weiß jetzt schon, das wird mir nicht gelingen, denn hochschulpolitisch herrscht in der Unionsfraktion eine permanente totale Finsternis.

(Beifall von den PIRATEN Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Sagen Sie mal, Herr Dr. Berger: Wo sollen eigentlich die Generalisten, die interdisziplinären, die transdisziplinären Problemlöser von morgen herkommen, wenn jetzt ein Gesetz auftaucht, das vorsieht in dem Punkt stimmen wir mit der Landesregierung und dem Gesetzentwurf überein , genau das zu entregeln, was vorher geregelt war? Haben Sie damals in Dialektik nicht aufgepasst?

(Zurufe von der CDU: Oho!)

Sie waren offensichtlich nicht da! Es kann doch wohl nicht wahr sein, dass man etwas ablehnt, was … Sie werfen der Landesregierung vor, sie würde den Lehrenden nicht vertrauen.

(Dr. Stefan Berger [CDU]: Tut Sie auch nicht!)

Ich werfe Ihnen vor: Sie vertrauen den Lernenden nicht. Denn in deren Hoheit liegt es letztlich, was von der Anwesenheit im Endeffekt übrigbleibt.

Ich will Ihnen mal einen Schwank aus meinem Leben erzählen. 1976 war in der Studienordnung der Ruhr-Universität Bochum für das Fach Physik die allgemeine und anorganische Chemie prüfungsrelevant.

(Hendrik Schmitz [CDU]: Damals!)

Ich bin in dieser Vorlesung zweimal physisch anwesend gewesen. Das ist bestimmt nicht dem großartigen Kollegen Hermann Specker geschuldet, dass ich da nicht mehr hingegangen bin, sondern das lag daran, dass ich einen fantastischen Chemielehrer hatte den hat nicht jeder, das weiß ich, dafür bin ich auch nach wie vor außerordentlich dankbar , mit dessen Unterlagen aus dem Gymnasium es mir möglich war, locker durchs Vordiplom in Chemie zu kommen.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das passiert nicht wieder!)

Die Frage ist jetzt: Was habe ich mit der freien Zeit angefangen? Ich habe ein bisschen bei den Philosophen herumgeschnüffelt und bei den Medizinern Physiologie gehört. Wollen Sie tatsächlich, dass unsere Studenten so in ihrer Freiheit beschnitten werden, dass so etwas Interdisziplinäres, Transdisziplinäres nicht mehr rauskommt?

Der US-amerikanische Unternehmens- und Organisationsforscher Russell Eckhoff hat mal sinngemäß gesagt: Wir sollten endlich aufhören, so zu tun, als seien Natur und Universum so organisiert wie die Fakultäten einer Universität.

Das Fächerübergreifende, die Generalisten, das geht alles den Bach runter, wenn wir die Studienordnungen durchregulieren wie in der Schule. Das liegt in der Verantwortung der Lernenden. Bitte lassen Sie es auch da! Wir sind zumindest in dem Punkt froh, dass die Landesregierung den Schritt unternommen hat, dass zu entregulieren.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Berger?

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Aber natürlich. Gern!

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Dr. Berger, bitte schön.

Dr. Stefan Berger (CDU): Vielen Dank, Herr Dr. Paul. Es war auch schon früher so, auch zu meiner Zeit, dass prüfungsrelevante Punkte in Vorlesungen angesprochen wurden das war der überwiegende Teil , in denen keine Anwesenheitspflicht vorgesehen war.

Meinen Sie nicht, dass es auch eine bestimmte Form von Unterricht und Vorlesungen des universitären Lebens gibt, zum Beispiel Seminare, die nur über Anwesenheit und Zwischenspiel von Lehrenden und Lernenden erfolgen können, und dass eine Anwesenheit für den Erfolg dieser Veranstaltung dort zwingend erforderlich ist?

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Aber natürlich, Herr Berger. Ich stimme Ihnen völlig zu. Nur, die Lernenden wissen das auch, und die werden dann da sein.

Was Sie hier mit Ihrem Antrag vorschlagen, ist ein Zurück in die Steinzeitpädagogik mit Anwesenheitspflichten. Im Mittelalter dienten Vorlesungen und Seminare dazu, die Ausführungen der Professoren schriftlich zu verlegen, weil es noch keine Druckkunst gab. Wir befinden uns aber im digitalen Zeitalter, im Internetzeitalter.

(Beifall von den PIRATEN)

Da wollen Sie tatsächlich Anwesenheitspflichten regulieren? Das sollte man wirklich den Lernenden selbst überlassen!

(Beifall von den PIRATEN)

Ich weiß, auf die Union ist hochschulpolitisch Verlass. Ich nehme es jetzt mal so, dass dieser Antrag Folge 1 von Staffel 1 von „Fifty shades of Hochschulfreiheitsgesetz“ ist. Vielen Dank.

(Heiterkeit und Beifall von den PIRATEN)

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