Monika Pieper zu finanziellen Auswirkungen der schulischen Inklusion

Donnerstag, 10. April 2014

 

Top 12. Unterrichtung durch die Landesregierung

Ergebnis der Verhandlungen mit den kommunalen Spitzenverbänden über einen Ausgleich möglicher finanzieller Auswirkungen einer zunehmenden schulischen Inklusion im Zuge der Umsetzung des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes
Unsere Rednerin: Monika Pieper

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Protokoll der Rede von Monika Pieper

Monika Pieper (PIRATEN): Vielen Dank.  Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herzlichen Dank, Frau Ministerin Löhrmann, dass wir heute erfahren, wie es in dieser wichtigen Frage weitergeht.

Der Streit um die Finanzierung der Investitionen für den Ausbau der gemeinsamen Inklusion war lang und heftig. Wir haben in der Frage immer eine klare Position vertreten. Wir waren die Einzigen, die schon im Gesetzgebungsverfahren und in der Beratung des Haushalts 2014 genau das gefordert haben, was jetzt eingetreten ist. Hätte man uns damals nicht belächelt, sondern auf uns gehört, wären wir heute viel weiter.

(Beifall von den PIRATEN)

Klar ist, dass wir es im Grundsatz begrüßen, dass sich die Koalition und die kommunalen Spitzenverbände geeinigt haben. Mit Blick auf das Ergebnis denke ich, dass das in Ordnung ist. Ich muss Herrn Kaiser recht geben: Es hat zu lange gedauert; es hätte schneller gehen können.  Aber es reicht, wenn ich das einmal sage.

(Heiterkeit und Beifall von den PIRATEN und der SPD)

Betrachtet man das Ergebnis der Verhandlungen, so zeigt sich: Jetzt kommt doch die Anerkennung der Konnexität durch die Hintertür. Ab 2017 soll das Konnexitätsprinzip für die Leistungen von Korb I, also zum Beispiel Investitionen an Schulbauten, angewandt werden. Wir haben jetzt also nach monatelangem Tauziehen eine Übergangslösung bis 2017. Danach wird dann doch das Konnexitätsprinzip angewandt. Die Koalition hat die Konnexitätsrelevanz bei der Gesetzgebung immer vehement abgestritten. Nun zeigt sich ganz deutlich:

Das 9. Schulrechtsänderungsgesetz wird de facto als konnexitätsrelevant behandelt. Auf die Kostenfolgeabschätzung zu verzichten, war definitiv falsch. Rot-Grün hat die Kosten aufseiten der Schulträger viel zu lange viel zu klein geredet. Darüber verstrich Zeit. Aber jetzt gilt es, nach vorne zu schauen. Es ist noch so viel für die schulische Inklusion zu regeln, und zwar auf allen Ebenen. Ich möchte hierzu  das hatte hier schon jemand erwähnt  auf die Bonner Erklärung zur inklusiven Bildung in Deutschland hinweisen. Ich glaube, das waren Sie, Frau Löhrmann.

Meine Damen und Herren, aktuell stellt sich für mich die Frage, wie die Unterstützung der Schulträger jetzt umgesetzt wird. Wann genau stehen denn die Mittel zur Verfügung, und wie werden sie verteilt? Wenn ich das richtig verstanden habe, sollen die Mittel nach Schülerzahlen verteilt werden. Da frage ich mich  im Grunde ist es ein Gießkannenprinzip , ob man sie nicht treffsicherer verteilen kann, nämlich insbesondere dort, wo Inklusion einen Anschub braucht. Man sollte nicht einfach sagen: Egal, wie weit sie sind und was sie gerade machen, wir streuen die Mittel übers Land. Ich glaube, man sollte sich noch mal überlegen, was da genau Sinn macht.

(Beifall von den PIRATEN)

Frau Ministerin Löhrmann, Sie haben in der Debatte hier im Haus im Februar gesagt, die Koalition habe angeboten, dem Landtag noch vor Inkrafttreten des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes am 1. August entsprechende Gesetzentwürfe zuzuleiten, um all die Maßnahmen rechtlich leistungsmäßig abzusichern. Da erwarte ich jetzt, dass das relativ zügig passiert.

Heute berichten zahlreiche Zeitungen vom „Datenreport Inklusion“ der Bertelsmann Stiftung. Dabei wird auf einen paradoxen Effekt hingewiesen. Im Zuge des Ausbaus des gemeinsamen Lernens steigt die Zahl der Schülerinnen und Schüler mit festgestelltem Förderbedarf  ein Effekt, den man auch in den Niederlanden beobachten konnte, wo bei der Finanzierung der sonderpädagogischen Förderung vor ein paar Jahren umgesteuert werden musste. Der Effekt wird so erklärt, dass Eltern, die ihr Kind an der allgemeinen Schule lassen können und trotzdem sonderpädagogischen Sonderbedarf fordern können, sehr viel eher bereit sind, das einzufordern, als wenn damit ein Schulwechsel verbunden ist. Wenn sich das hier bestätigt, dann sind die Berechnungsgrundlagen für den Inklusionsprozess im Grunde falsch und können noch sehr viel höher ausfallen, als sich das im Moment abschätzen lässt.

Die Entwicklung der Schulangebote in den Städten und Kreisen werden wir sehr genau in den Blick nehmen. Werden die Kommunen von der Möglichkeit, Förderschulen im Bereich der Lern- und Entwicklungsstörungen zu schließen, Gebrauch machen? Viele sind besorgt, dass eine große Zahl von Förderschulen bald von der Landkarte verschwinden wird. Da stimme ich Frau Gebauer eindeutig zu. Das ist etwas, was wir nicht möchten, was wir auch immer gesagt haben. Wir möchten die Wahlfreiheit erhalten. Wir möchten, dass Förderschulen bestehen bleiben, sodass Eltern entscheiden können, was sie für ihr Kind für am besten halten. Da sind wir uns einig. Werden die anderen schulischen Lernorte für sonderpädagogische Förderung im Bereich emotionale und soziale Entwicklung tatsächlich eingerichtet?  Von all diesen Fragen wird es abhängen, ob der Ausbau der schulischen Inklusion noch eine Erfolgsgeschichte wird.

Ich muss mich aber auch fragen, welche Motive die anderen Fraktionen hier haben und wie ernst es einigen hier mit der Inklusion ist. Als ich vor knapp zwei Jahren hier in den Landtag kam, war das erste Thema, das wir hier besprochen haben, Inklusion. Damals waren wir noch alle der Meinung, dass wir das hier konsensual gemeinsam konstruktiv besprechen wollen. Da war ich voller Euphorie. Wenn ich sehe, wo wir jetzt angekommen sind, dann zeigt sich: Es ist ein Politikum geworden, bei dem es wieder in erster Linie ums Geld geht und nicht um diesen gemeinsamen Willen, tatsächlich etwas für die Schülerinnen und Schüler zu tun. Herr Kaiser, Sie stellen sich hierhin  aber außer Bashing der Landesregierung kann ich nix sehen, keinen Vorschlag, nix.

(Beifall von den GRÜNEN)

Konkrete Vorschläge, was im Verfahren genau zu tun ist, habe ich nicht gesehen. Sie stellen sich hierhin und bashen die Landesregierung.

(Zurufe von Lutz Lienenkämper [CDU], Josef Hovenjürgen [CDU] und Klaus Kaiser [CDU])

Dass Sie länger da dran sind, heißt ja nichts. Das heißt ja nicht, dass Sie besser sind.

(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)

Sie stellen sich hierhin und machen hier einen auf Robin Hood. Sie kommen mir immer so ein bisschen vor wie der Herr Kaiser von der Hamburg-Mannheimer, der nix im Koffer hat.

(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)

Frau Löhrmann hat das hier auch ganz deutlich gesagt. Wir haben immer konstruktiv mitgearbeitet, Vorschläge gemacht und uns beteiligt. Aber außer Kritik ist von Ihnen nichts gekommen. So, Herr Römer:

(Heiterkeit)

Sie haben ja gerade gesagt, Sie hätten bei den Kommunen „geworben“. Werben stelle ich mir anders vor. Ende März haben Sie den Kommunen gedroht, nicht geworben.

(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP)

Sie sagen, ohne Einigung bis Ostern gibt es gar nix; dann gibt es gar kein Geld. Das hat mit „Werben“ nix zu tun. Ich finde, das war kein guter Stil. Das muss man nicht tun. Denn ich gehe mal davon aus  das hat gestern Herr Walter-Borjans hier auch gesagt , dass Sie von sich selber glauben, dass Sie glaubwürdig sind. Das glaube ich auch. Wenn ich Ihre Aussage ernst nehme, heißt das doch: Es gibt kein Geld für Kommunen für die Schulen für die Inklusion, wenn die kommunalen Spitzenverbände nicht mitspielen.  Dafür habe ich kein Verständnis.

Der Ausbau des gemeinsamen Lernens stellt die Schulen und uns alle vor große Herausforderungen. Ich habe riesengroßen Respekt vor allen, die sich dieser Herausforderung stellen, den Kommunen, den Schulen, den Lehrern, den Eltern, wer immer daran beteiligt ist, und auch vor uns hier im Landtag. Wir hier im Landtag haben die Aufgabe, wirklich gute Rahmenbedingungen zu schaffen, damit jetzt alle erfolgreich diesen Inklusionsprozess umsetzen können.

Zum Entschließungsantrag von Rot-Grün: Ihr Anliegen ist nachvollziehbar, die Ergebnisse der Verhandlungen jetzt mit einem Landtagsbeschluss zu adeln. Unser Problem damit ist, dass wir die verlässliche Grundlage für den weiteren Prozess der Inklusion, die der Antrag feststellt, so im Moment nicht sehen. Wir haben im Gesetzgebungsverfahren eine Reihe von Punkten genannt, die uns immer noch Sorge bereiten. Diese Sorge haben wir in weiten Teilen weiterhin.

Das betrifft zum Beispiel die Möglichkeit der Schulträger, Förderschulen im Bereich LES auch dann zu schließen, wenn die Mindestgröße vorhanden ist. Wie wird sich das auf das Schulangebot auswirken? Wieder: Wo bleibt da die Wahlmöglichkeit der Eltern? Auch die Ausstattung des gemeinsamen Lernens mit Sonderpädagogen halten wir immer noch für unzureichend. Die Verschlechterung der Bedingungen im Vergleich mit den integrativen Lerngruppen haben wir schon mehrfach kritisiert.

Auch die Stellenbudgets für LES überzeugen uns immer noch nicht. So berichten Schulträger von privaten Ersatzschulen, dass diese Budgets keineswegs ausreichend sind, wenn in den privaten Förderschulen die Schülerschaft nicht zurückgeht. Dabei gehen Schulträger von Privatschulen davon aus, dass eine wachsende Nachfrage nach privaten Förderschulen wahrscheinlich ist, wenn die öffentlichen Förderschulen schließen.

So erkennen wir zwar an, dass mit den kommunalen Spitzenverbänden ein Kompromiss gefunden wurde, der für Schulträgeraufgaben und nicht lehrendes Personal Verbesserungen bringt, aber für eine Zustimmung reicht uns das nicht. Der Entschließungsantrag der CDU ist hier gerade erst vorgelegt worden. Ich weiß es nicht. Da werden wir uns enthalten.

Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin.  Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Löhrmann das Wort.

 

 

Veröffentlicht unter Monika Pieper, Reden

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