Monika Pieper zu Schule und Weiterbildung in der Haushaltsdebatte 2013

Mittwoch, 27. November 2013

Rede im Rahmen der Haushaltsdebatte 2013

 

IV. Einzelplan 05
a) Ministerium für Schule und Weiterbildung
Unsere Abstimmungsempfehlung: Ablehnung
Änderungsantrag von Robert Stein (fraktionslos)
in Verbindung mit
Bildungsinnovation 2020 –   Chancen der Digitalisierung für die Bildung nutzen
Antrag der Fraktion der PIRATEN
Unsere Abstimmungsempfehlung: Zustimmung zur Ausschussüberweisung
in Verbindung damit
Erste   Konsequenz aus den   schlechten Ergebnissen Nordrhein-Westfalens in  der  IQB-Vergleichsstudie zu   mathematischen und  naturwissenschaftlichen  Kenntnissen ziehen – zusätzliches    Fortbildungsprogramm zur  Unterstützung der Lehrerinnen und Lehrer  auflegen
Antrag der Fraktion der FDP
Direkte Abstimmung
Unsere Abstimmungsempfehlung: Ablehnung
Unsere Rednerin: Monika Pieper

Wir fordern die Umsetzung umfangreicher Maßnahmen zur Bildungsinnovation bis 2020. Dafür schlagen wir unter anderem die Förderung von Lernmitteln unter freier Lizenz, den Ausbau der Lehreraus- und Lehrerfortbildung und die Zusammenfügung von digitalen Lehr- und Lernmaterialien aus den Bundesländern in einem offenen Bildungsportal vor.

Monika Pieper, Sprecherin im Ausschuss für Schule und Weiterbildung:
„Medienkompetenz ist eine Aufgabe, die in der Bildung immer wichtiger wird. Wer in Zukunft Digitalmedien ausschließlich zur Unterhaltung nutzen kann, dem bleiben wichtige Bereiche des gesellschaftlichen Lebens verschlossen. In unserem Antrag nehmen wir dieses Thema auf. Die EU wird in den nächsten Jahren innovative Bildungsprojekte fördern. Die Koalitionsverhandlungen zeigen, dass man in Berlin mittlerweile verstanden hat, wie wichtig das Thema ist, um den Anschluss an internationale Entwicklungen nicht zu verlieren. Auch Nordrhein-Westfalen muss jetzt endlich die Bedeutung der digitalen Medien anerkennen und die Zukunft im Bildungsbereich aktiv gestaltet.“

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Protokoll der Rede von Monika Pieper:Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Zuschauer! Die meisten Baustellen sind in den vorherigen Redebeiträgen schon benannt worden. Trotzdem möchte ich sie noch einmal kurz erwähnen. Die wichtigsten sind: Schule und Schulleiter, Inklusion, das Burnout von Lehrern, schlechte Zeugnisse in Leistungsvergleichsstudien.

Man muss wahrlich kein Bildungspolitiker sein, um zu erkennen: Es gibt viele offene Baustellen. Von einer zufriedenstellenden Gesamtsituation sind wir im Moment noch meilenweit entfernt.

Der Prozess hin zur inklusiven Schule ist meiner Meinung nach dabei die größte Herausforderung und wird es auch in den nächsten Jahren bleiben. Deshalb möchte ich dazu von dieser Stelle aus noch einmal ein paar Worte verlieren. Ich kann Frau Gebauer nur zustimmen, dass das ganze Verfahren wirklich nicht optimal gelaufen ist. Die Verabschiedung des Gesetzes hat bei den Betroffenen kaum Klarheit gebracht. Die Verunsicherung und Besorgnis sind bei Eltern, Lehrern und in den Rathäusern vor Ort immer noch sehr groß. Auch die Bürger in NRW sind zunehmend skeptisch, wie es eine aktuelle Meinungsumfrage zeigt.

Im Gesetzgebungsprozess ist es der Landesregierung und Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot und Grün, leider nicht gelungen, bei den Betroffenen Vertrauen in den Prozess zu wecken. Das scheint mir bei vielen Projekten, die von der Landesregierung angestoßen werden, ein Problem zu sein.

Das konnte aber auch nicht funktionieren, denn Sie haben in den öffentlichen Debatten zum Thema sachliche Kritik weitgehend unkommentiert ignoriert. Wir haben einige Kritikpunkte, die eine große Zahl Sachverständiger in Stellungnahmen dargelegt haben, zu Änderungsanträgen gemacht. Ihre Reaktion in der Ausschusssitzung am 8. Oktober? – Praktisch keine! Da wird die liebe Sigrid Beer plötzlich überraschend wortkarg. Die liebe Frau Hendricks kommt in der Ausschusssitzung in einem Beitrag zur Debatte zu dem Angebot, mir unter vier Augen zu erklären, warum die Anträge nichts taugen. Dazu muss ich sagen: Herzlichen Dank! Aber das hätte ich dort gerne öffentlich erklärt bekommen.

(Beifall von den PIRATEN)

So geheimnisvoll kann das nicht gewesen sein.

Wenn so mit sachlichen Einwänden umgegangen wird, braucht man sich nicht darüber zu wundern, wenn sich die Menschen in diesem Land mit Grauen von der Politik abwenden. Ich befürchte mit vielen anderen Verbänden und Betroffenen, dass uns der so von Ihnen eingestielte Prozess der Inklusion in absehbarer Zeit auf die Füße fallen wird. Dabei will ich gar nicht in Abrede stellen, dass Sie im Ansatz richtige Reformprojekte auf den Weg bringen. Es ist aber typisch, dass diese guten Projekte aufgrund von Kleinmut im Desaster enden.

Im Hinblick auf die anstehenden Herausforderungen stimmt uns das sehr nachdenklich. Die Krise im öffentlichen Bildungssystem ist ein Dauerzustand. Die Probleme sind lange bekannt und werden durch jede Studie erneut bestätigt: zu viele Schulabgänger ohne Abschluss, zu wenig Studienanfänger, zu starke soziale Selektion, überlastete Lehrer und so weiter und so fort.

An dieser Stelle muss ich mit großem Bedauern feststellen, dass die von Rot-Grün und uns geforderte Aufhebung des Kooperationsverbots leider keinen Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden hat. Das wird zu weiteren Problemen führen, wenn wir keine ausreichende Finanzierung des Bildungssystems in NRW haben.

Frau Zentis hat es gerade schon angedeutet: Die Situation an den Schulen entspricht immer der Wertschätzung, die man den Schulen entgegenbringt. In NRW zeigt sich allerdings ein Mangel an Wertschätzung. Der zeigt sich vor allem in der Ausstattung von Schulen und dem Unterricht. Es wird an der falschen Stelle gespart. Das MSW ist die falsche Stelle, Geld einzusparen.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir haben von dieser Stelle aus schon öfter auf die beschämenden Fakten hingewiesen: NRW gehört bei den Ausgaben pro Schüler zu den Schlusslichtern. Wir haben im bundesweiten Vergleich mit die größten Klassen. Zum Unterrichtsausfall im Land gibt es seit Jahren keine Daten.

Wie äußern Sie sich, werte Kolleginnen und Kollegen, zum Beispiel in der Debatte zu den besorgniserregend schwachen Ergebnissen in der IQB-Länderstudie? – Brav wird der Ansage der Kultusministerkonferenz gefolgt und vor allem über die Verbesserung der Lehrerfortbildung gesprochen. Aber auch dort macht man aus Lehrern keine Zauberer.

Jetzt machen Sie sich als Landesregierung auf den Weg, die Versäumnisse der Vergangenheit auszugleichen. Sie wollen kein Kind zurücklassen. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Dazu werden umfangreiche Reformprojekte angestoßen, die wir auch vom Grundsatz her für richtig halten. Finanzieren wollen Sie das aus sogenannten Demografiegewinnen, die Sie im System belassen wollen. Das wird sicherlich nicht reichen.

Das sagt auch Professor Klemm in seinem Gutachten „Perspektiven und Chancen“ vom Sommer dieses Jahres. Wenn jetzt jemand denkt, das habe er nur für die Gewerkschaften geschrieben, möchte ich denjenigen herzlich bitten, einmal öffentlich und nachvollziehbar dazu Stellung zu nehmen. Bisher war das MSW im Haushaltsverfahren dazu nicht bereit.

Bis dahin sagen wir: Ihre Reformprojekte sind unterfinanziert!

(Widerspruch von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

In Ansätzen zeigen sich die absehbaren Schwierigkeiten bereits im vorliegenden Haushalt. Die Lehrerstellenversorgung ist nicht ausreichend. Das gilt für alle Schulformen, insbesondere aber für die Gesamtschulen. Dort wächst die Kienbaum-Lücke.

Die Landesregierung ist stets bemüht, den Eindruck zu erwecken, an der Verbesserung der Lehrerversorgung zu arbeiten. Faktisch wird die Lehrerversorgung an den Gesamtschulen im nächsten Jahr aber schlechter. Im neuen Jahr werden an den Gesamtschulen 690 Stellen fehlen, 40 mehr als im laufenden Haushaltsjahr. Diese Stellen müsste es mehr geben, um das vorgesehene Unterrichtsangebot zu gewährleisten. Die Folgen sind klar: Unterrichtsausfall und Belastung der Lehrer nehmen zu. Die Qualität des Unterrichts wird leiden – und das bei einer Schulform, die bei der Inklusion schon sehr weit ist.

Auch bei den anderen Schulformen klafft eine große Lücke. Den Gymnasien fehlen weiter 1.000 Stellen, den Berufskollegs sogar 1.470. Was können wir tun? Wir brauchen kleinere Klassen, individuelle Förderung muss wirksam werden. Immer noch erlauben wir es, dass viel zu viele Schüler weit unter ihren Möglichkeiten bleiben. Schulen und Lehrer müssen durch die Gesellschaft entlastet werden, um die Inklusion und andere steigende Anforderungen an Bildung zu bewältigen. Das heißt, liebe CDU, wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Lehrer.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir wissen, dass Lehrer nicht auf Bäumen wachsen. Die Anzahl der Stellen muss Schritt für Schritt hochgefahren werden, und es müssen jetzt ambitionierte Pläne gemacht und Maßnahmen eingeleitet werden, die den Lehrerberuf wieder attraktiv machen. Die Lehrer müssen einen sicheren Arbeitsplatz mit vielfältigen Aufgaben haben, die auch bewältigt werden können, ohne die eigene Gesundheit zu gefährden oder gar zu ruinieren.

Mit unseren Anträgen wollen wir an einigen Stellen eine Verbesserung der Lage vor Ort vorantreiben. Wir brauchen eine Soforthilfe für Schulträger beim Ausbau des gemeinsamen Lernens. Inklusion beginnt nicht erst im Sommer 2014. Der Prozess läuft, und viele Schulen – insbesondere die Grundschulen, die jetzt flächendeckend umstellen – bereiten sich jetzt vor, um sich im nächsten Sommer gut ausgerüstet auf den Weg zu machen.

Wir brauchen die finanzielle Unterstützung der Landesregierung und fordern, dass Kommunen und andere Schulträger, die einen Inklusionsplan vorlegen und sinnvolle Bedarfe ausweisen, bei diesen Investitionen so schnell wie möglich unterstützt werden. Das wäre ein erster erforderlicher Schritt. Durch die Übernahme von Mitverantwortung könnte hier ein Teil des verloren gegangenen Vertrauens zurückgewonnen werden.

Daneben fordern wir nicht zum ersten Mal den konsequenten Einstieg in Lernmittel unter freier Lizenz. Das, liebe Frau Zentis, ist keine gut gemeinte Idee, die an der Realität vorbeigeht. Vielleicht geht sie an Ihrer Realität vorbei, vielleicht auch an der Realität der Grünen, die 1987 in ihrem Wahlprogramm zum Boykott von Informations- und Kommunikationstechnologien aufgerufen haben.

(Beifall von den PIRATEN)

Nun aber haben wir das Jahr 2013, und wir sollten gemeinsam aktiv die Zukunft gestalten. Ziemlich sicher wird im Koalitionsvertrag „Schulbücher unter freien Lizenzen“ stehen. Diese Realität sollten Sie jetzt anerkennen. NRW darf hier den Anschluss an internationale Entwicklungen nicht verpassen. Die Bedeutung von Medienkompetenz und Digitalmedien für die Bildung brauche ich, glaube ich, heute nicht auszuführen. Da sind wir uns relativ einig.

Wir nehmen das Thema in unserem Antrag „Bildungsinnovation 2020“ auf. Jetzt ist der richtige Moment, um in diesem Haus die Modernisierung der Bildung mit Digitalmedien anzustoßen.

Auch die Europäische Kommission legt dafür ein Programm auf und stellt Fördermittel zur Verfügung – nicht nur für Schulen, sondern auch für die Weiterbildung und die Hochschulen. Das begrüßen wir.

Wir regen an, dass wir gemeinsam in den Ausschüssen schauen, was wir dabei in NRW auf den Weg bringen können. Ich bin zuversichtlich, dass wir beim Zugang zur Bildung die Chancengleichheit verbessern können.

Sachlich und lösungsorientiert die Probleme unserer Zeit anzugehen – das ist unser Stil. Wir haben das versprochen, und so machen wir das. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von den PIRATEN)

Veröffentlicht unter Haushalts- und Finanzausschuss (A07), Monika Pieper, Reden, Schule und Weiterbildung (A15)

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