Plenarrede: Monika Pieper zu Problem des Analphabetismus

Mittwoch, 16. Oktober 2013

 

TOP 7.   Breites Bündnis gegen Analphabetismus in Nordrhein-Westfalen

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Unsere Rednerin: Monika Pieper
Audiomitschnitt der Rede von Monika Pieper anhören

Audiomitschnitt der Rede von Monika Pieper als Download

 


Protokoll der Rede von Monika Pieper:

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Ich kann mich zunächst den Ausführungen der Kolleginnen anschließen. Auch ich finde es richtig, dass wir uns endlich diesem sehr wichtigen Thema im Landtag widmen.

14,5 % der erwerbsfähigen Menschen in Deutschland können nicht richtig schreiben und lesen. Obwohl wir das im Grunde wissen, schockiert einen diese Zahl doch wieder. Der Begriff „Bildungswüste Deutschland“ bekommt bei den Zahlen eine ganz neue Dimension. Jeder siebte Erwachsene ist nicht in der Lage, die Tageszeitung oder auch nur ein Straßenschild zu lesen, über Wahlzettel oder Arbeitslosengeld-II-Anträge möchte ich lieber gar nicht erst nachdenken.

Man muss sich einmal die Dimension der Situation vor Augen halten. Da ist zum einen die persönliche Dimension. Wie sieht es in der Realität aus? Eine Kollegin berichtete mir, dass Schüler der Klasse 8 an einer Gesamtschule zwar die Anweisung auf einem Päckchen Puddingpulver mühsam vorlesen können, sie jedoch nicht sinnentnehmend lesen, geschweige denn in Handlung umsetzen können. Wie sollen diese Schüler den Alltag in einer immer komplexer werdenden Welt bewältigen?

Daneben – das ist gerade mehrfach gesagt worden – steht die gesellschaftliche Dimension. Wer in unserer Gesellschaft nicht lesen kann, ist von sozialer, kultureller und wirtschaftlicher Teilhabe so gut wie ausgeschlossen. Das können und dürfen wir uns nicht leisten.

Das ist aber nicht von heute auf morgen gekommen, sondern es war eine schleichende Entwicklung, auf die wir jetzt viel zu spät reagieren. Es hat Ansätze gegeben, es wurde etwas getan, aber bei Weitem nicht genug. Insofern begrüße ich es, dass jetzt Aktivität entsteht.

Wenn wir in NRW tatsächlich bis zu 1,5 Millionen Erwachsene mit erheblichen Lese‑ und Rechtschreibschwächen haben, dann reicht es nicht, festzustellen, dass dies zusätzliche Anstrengungen erfordert. Es reicht nicht, sich nur zu Gesprächen mit gesellschaftlichen Akteuren zu verabreden.

Der vorliegende Antrag ist ein erster guter Schritt, eine offensichtliche Willensbekundung, dem Thema endlich die Aufmerksamkeit zu widmen, die es verdient. Ich erwarte aber jetzt – da stimme ich Frau Gebauer zu – konkrete Aussagen, was die Landesregierung genau unter einem bedarfsgerechten Ausbau der Angebote versteht. Wie stellen Sie sich die Erleichterung des Zugangs zu den entsprechenden Weiterbildungsmöglichkeiten genau vor? Viele der betroffenen Erwachsenen schämen sich und haben sehr ausgefeilte Mechanismen entwickelt, um ihren Analphabetismus zu verstecken. Es bedarf sehr unkonventioneller und kreativer Ideen, um diese Personen überhaupt zu erreichen. Es reicht nicht, Angebote zu machen, man muss aktiv auf die Menschen zugehen.

Die Tatsache, dass Schüler die Schule mit einem Abschluss ohne ausreichende Lesefähigkeit verlassen, ist ein Indiz dafür, dass die Wurzeln dieser Problematik schon in ganz jungen Jahren der schulischen Ausbildung zu finden sind und bis zum Ende der Schullaufbahn weitergeschleppt werden.

Deshalb stellen wir zu diesem Antrag einen ersten ergänzenden Entschließungsantrag, um deutlich zu machen, dass, wenn es darum geht, Analphabetismus zu verhindern, ein zentraler Entwicklungszeitraum in den ersten Grundschuljahren liegt. Hier muss einer der zentralen Ansätze zur Verbesserung liegen. Wir fordern eine mittelfristige Finanzplanung, die die Absenkung der Klassenfrequenzrichtwerte ermöglicht, und eine Verbesserung der Schüler-Lehrer-Relation, die über die Vereinbarung des Schulkonsenses hinausgeht.

Frau Zentis hat gerade sehr richtig festgestellt, dass die Lehrer qualifiziert werden müssen, um Analphabetismus zu verhindern. Die Lehrer brauchen deutlich mehr Zeit für den einzelnen Schüler. Dafür müssen Ressourcen geschaffen werden, die eine solche Förderung tatsächlich ermöglichen.

Wir haben heute über das schlechte Abschneiden der Schüler in NRW im Vergleich zu denen aus anderen Bundesländern geredet. Wir haben über Inklusion gesprochen. Jetzt sprechen wir hier über Analphabetismus. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir diese Themen im Kontext betrachten. Sie ergänzen und bedingen einander. Der Bildungssektor ist, besonders was die frühkindliche Bildung betrifft, strukturell unterfinanziert. Solange sich daran nichts ändert, werden wir bei aller Anstrengung nur punktuell Erfolg haben, aber substanziell nicht viel verbessern können.

Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss. Ich hoffe, dass wir dort vielleicht gemeinsam zu einem guten Ergebnis kommen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Getagged mit:
Veröffentlicht unter Monika Pieper, Reden, Schule und Weiterbildung (A15)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

*

*