Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen – Absenkung der Altersgrenze für das aktive Wahlrecht auf 16 Jahre

Artikel 1

Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen

Die Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen vom 28. Juni 1950 (GV. NRW. S.127), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 14. Juni 2016 (GV. NRW. S. 442), wird wie folgt geändert:

Artikel 31 Absatz 2 Satz 1 wird wie folgt gefasst:

“Wahlberechtigt ist, wer das 16. Lebensjahr vollendet hat.”

Artikel 2

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am 15. Mai 2017 in Kraft.

Begründung

Art. 31 Absatz 2 Satz 1 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen lautet:

„Wahlberechtigt ist, wer das 18. Lebensjahr vollendet hat.“

Dadurch sind 16- und 17-Jährige von den Wahlen zum Landtag von Nordrhein-Westfalen ausgeschlossen. Dafür besteht kein überzeugender Grund mehr.

Demokratische Staaten sind u.a. durch den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl gekennzeichnet. Dies bedeutet, dass jeder das Recht hat, an Wahlen zu Parlamenten teilzunehmen. Der Ausschluss von Wahlen bedarf einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Eine solche ist aber beim Ausschluss der 16- und 17-Jährigen vom aktiven Wahlrecht zum Landtag nicht erkennbar.

Der politische Kampf um die Gleichberechtigung der Menschen hat eine lange Geschichte und ist noch nicht beendet. Dieser Kampf spiegelt sich auch in der Geschichte des Wahlrechts wider. Im 1871 gegründeten deutschen Kaiserreich waren die Frauen von den Wahlen zum Reichstag ausgeschlossen. Das aktive Wahlrecht hatten nur Männer, die das 25. Lebensjahr vollendet hatten (ausgeschlossen waren zudem Soldaten und Männer, „welche eine Armenunterstützung aus öffentlichen oder Gemeinde-Mitteln beziehen, oder im letzten der Wahl vorhergegangenen Jahre bezogen haben“, §§ 1, 2, 3 Nummer 3 Wahlgesetz für den Reichstag des Norddeutschen Bundes vom 31. Mai 1869). Nach der Ausrufung der Republik im November 1918 wurde in Deutschland das Frauenwahlrecht eingeführt. Die Altersgrenze für das aktive Wahlrecht wurde auf 20 Jahre gesenkt. Nachdem in der Bundesrepublik Deutschland die Altersgrenze zunächst bei 21 Jahren lag, wurde sie 1970 auf 18 Jahre gesenkt. Die historische Entwicklung bis zur Gegenwart ist demnach – unterbrochen von der Nazi-Diktatur – von einer fortschreitenden Realisierung des Grundsatzes der Allgemeinheit der Wahl gekennzeichnet.

Die Gegner des aktiven Wahlrechts für 16- und 17-Jährige behaupten, dass diese noch nicht über die erforderliche Reife verfügten, um eine Wahlentscheidung zu treffen. Dabei verweisen sie auf die zivilrechtlichen Regelungen zur Geschäftsfähigkeit eines Menschen. Die volle Geschäftsfähigkeit beginne erst mit Vollendung des 18. Lebensjahrs (vgl. § 2 Bürgerliches Gesetzbuch). Daher solle diese Altersgrenze auch für das aktive Wahlrecht gelten.

Nach dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis besteht aber kein Zweifel daran, dass 16- und 17-Jährige fähig sind, bei Wahlen eine politisch selbstbestimmte Entscheidung zu treffen. Die zivilrechtliche Regelung über den Beginn der vollen Geschäftsfähigkeit mit Vollendung des 18. Lebensjahrs hat den Zweck, Minderjährige vor den Folgen von rechtlichen Nachteilen zu schützen (vgl. § 107 Bürgerliches Gesetzbuch). Die Ausübung des aktiven Wahlrechts hat aber keine rechtlichen Nachteile. Daher ist der Verweis auf das Zivilrecht irreführend.

16- und 17-Jährige tragen in Gesellschaft und Staat bereits umfangreich Verantwortung: Sie sind schadensersatzpflichtig, es sei denn, im Einzelfall besteht nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsichtsfähigkeit (vgl. § 828 Absatz 3 Bürgerliches Gesetzbuch). Sie können, wenn der künftige Ehegatte volljährig ist und das Familiengericht zustimmt, die Ehe eingehen (vgl. § 1303 Bürgerliches Gesetzbuch). Sie sind im Sinne des Strafgesetzbuchs schuldfähig und strafbar, wenn sie die von einem Straftatbestand umfasste spezifische Rechtsgutverletzung als Unrecht erkennen (vgl. § 19 Strafgesetzbuch, § 3 Jugendgerichtsgesetz). Die Schule vermittelt ihnen demokratisches Bewusstsein, die Bereitschaft zum sozialen Handeln, Verantwortungsbewusstsein für das Gemeinwohl und die Fähigkeit, am politischen Leben teilzunehmen (vgl. § 2 Absätze 1, 2 und 3 Schulgesetz NRW). 16- und 17-Jährige treffen eine Entscheidung für eine berufliche Ausbildung oder ein Hochschulstudium. Schließlich haben sie in Nordrhein-Westfalen das aktive Wahlrecht bei Kommunalwahlen. Auch vor diesem Hintergrund ist nicht nachvollziehbar, weshalb 16- und 17-Jährige nicht fähig sein sollten, bei Landtagswahlen eine Wahlentscheidung zu treffen.

Die Gegner des aktiven Wahlrechts für 16- und 17-Jährige erklären des Weiteren, dass in dieser Altersgruppe die Wahlbereitschaft relativ gering sei und es nur wenig Interesse an landespolitischen Themen gebe (vgl. Abschlussbericht der Verfassungskommission des Landtags von NRW, Drucksache 16/12400, S. 70). Solche Einlassungen verkennen das Wesen des aktiven Wahlrechts. Wie jedes Recht gibt auch das Wahlrecht dem Einzelnen die Möglichkeit, die eigenen Interessen geltend zu machen und eine entsprechende Wahlentscheidung zu treffen. Es besteht aber keine Pflicht dazu. Daher ist es insoweit unerheblich, ob die Wahlbereitschaft relativ gering ist. Im Übrigen ist es Aufgabe aller maßgeblichen landespolitischen Akteure, die Bedeutung der Landespolitik öffentlich darzustellen und so das Interesse an Landtagswahlen zu wecken.

Mitschnitt der Rede von Daniel Düngel:

Mitschnitt der kompletten Debatte:

Protokoll der Rede von Daniel Düngel:

Daniel Düngel (PIRATEN): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von meinen beiden Vorrednern ist schon einiges gesagt worden. Dem stimme ich natürlich vollum fänglich zu. Ich werde versuchen, in meiner Rede diese einzelnen Punkte nicht noch einmal zu erwähnen.

Wir haben heute eine längst überfällige Debatte im Plenum unseres Landtags. Wir reden über das Wahlalter. Dazu einige Bemerkungen vorab: Damit eine Absenkung des Wahlalters sinnvoll ist und greifen kann, brauchen wir mehr politische Bildung. Wir brauchen – das wären Konsequenzen daraus – die Anpassung von Lehrplänen, mehr Mitbestimmung an Schulen, den Ausbau von Partizipation junger Menschen in allen Lebenslagen. Wir brauchen auch die altersgerechte Aufbereitung von Informationen. Gerade wir im Landtag und gerade auch die Fraktionen von CDU und FDP fordern immer mehr von jungen Menschen. Wir schicken Minderjährige in die Berufsausbildung. Wir schicken heutzutage schon Minderjährige ins Studium.

(Monika Pieper [PIRATEN]: Und zur Bundeswehr!)

Durch die G8-Debatte ist das Ganze noch einmal deutlich verschärft worden. Im Bundestag wird heute über Minderjährige in der Bundeswehr gesprochen. Darüber reden wird. Das ist die Sachlage. Aber wir trauen jungen Menschen nicht zu, wählen zu gehen. Ein kleiner Fakt am Rande: Wir reden zwar über die Absenkung des Wahlalters auf faktisch 16 Jahre; im Durchschnitt allerdings ist ein Erstwähler 20,5 Jahre alt, wenn er das erste Malan die Wahlurne tritt. Das ist der Stand heute. Wenn wir das Wahlalter um zwei Jahre absenken, ist ein durchschnittlicher Erstwähler 18,5 Jahre alt, also immer noch volljährig. Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, da gibt es wirklich gar nichts, vor dem man Angst haben müsste.

Es gibt zig Gründe für die Absenkung. Allein wenn ich nur die positiven Gründe hier erwähnen möchte, sind die fünf Minuten Redezeit schon durch. Ich will mich auf zwei, drei, vier konzentrieren: Die Stärkung der parlamentarischen Demokratie ist tatsächlich einer der Punkte. Wir haben eine echte Mitbestimmung für Jugendliche, und nicht nur eine modellhafte Mitbestimmung. Wir werten Persönlichkeiten von jungen Menschen dadurch auf. Herr Kollege Körfges ist vorhin auch darauf eingegangen. Ganz wichtig ist genauso, dass wir die Belange von Jugendlichen, von jungen Menschen in unseren Parteien aufgreifen; denn wir haben diese Zielgruppe plötzlich als potenzielle Wähler und verankern dort Punkte in den Wahlprogrammen. Was spricht gegen eine Herabsenkung des Wahlalters? – Ich habe das nachgeschlagen, ich habe den Zettel nicht vergessen: Es spricht nichts dagegen. Es gibt nichts.

(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)

Es wird immer wieder ausgeführt, dass Jugendliche nicht reif genug seien, um mit 16 zu wählen. Das ist Unsinn. Es sind nicht die jungen Menschen, die für den Brexit gestimmt haben, und es sind auch nicht die jungen Menschen, die einen politischen Geisterfahrer zum amerikanischen Präsidenten machen. Es gibt ganz viel Unterstützung in der Gesellschaft: Bundesjugendring, Landesjugendring. Den BDKJ, liebe Kollegen von der CDU, oder das Deutsche Kinderhilfswerk. Die gehen sogar noch weiter; das Wahlalter ab 14 Jahre und sogar das Wahlalter ab null sind die Punkte, die dort im Vordergrund stehen. Wahlalter ab 16 ist ein weiterer Schritt zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention. Eigentlich müssten wir noch weiter gehen und noch weiter absenken. Es gibt Experten, die halten die jetzige Begrenzung, die wir haben, sogar für verfassungswidrig.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, ich bin sehr überrascht, dass gerade Ihre jugendpolitischen Sprecher, Herr Kollege Tenhumberg und Herr Kollege Hafke, jetzt bei dieser Debatte nicht hier sind. Das ist sehr, sehr bemerkenswert. Sie sind es auch, die immer wieder das Ranking der Bundesländer aufgreifen und der Landesregierung vorwerfen, wieder Letzter, Vorletzter und was weiß ich zu sein. Wir haben hier die Chance, beim Wahlalter 16 einmal nicht Letzter zu sein. Vier Bundesländer sind vorangegangen und haben schon entsprechende Regelungen umgesetzt. Lassen Sie uns doch da im Bundesvergleich vorne mitspielen!

Kollege Hafke bezeichnet die FDP hier immer als die Partei der Jugendbeteiligung. Wir werden heute Mittag eine gemeinsame Vereinbarung unterzeichnen. Ich lache, und zwar  hart. Herr Kollege Lindner ist leider auch nicht im Saal. Warum auch? Was ist aus dieser Nummer German Mut geworden? Ist es doch German Angst letztendlich beim Wahlalter?

(Beifall von den PIRATEN)

Herr Kollege Tenhumberg, der jugendpolitische Sprecher der CDU-Fraktion sagt an jeder Stelle, wie wichtig es ist, junge Menschen zu beteiligen, das Wahlalter herabzusenken usw. Aber seine Partei steht nicht hinter ihm. Liebe CDU-Fraktion, entweder weichen Sie dort Ihre Position auf oder Sie fangen bitte Ihren Kollegen Tenhumberg ein! Herr Präsident, ich komme langsam zu Schluss. Ein Punkt noch: Wir haben unseren Antrag zurückgezogen. Wir haben gesehen, dass Rot-Grün einen guten Vorschlag gemacht hat. Rot-Grün hat den Kompromiss aus der Verfassungskommission aufgegriffen. Das möchten wir hier selbstverständlich unterstützen. Das ist der zustande gekommene Deal aus der Verfassungskommission. Den wollen wir hier auch zur Abstimmung stellen. Wir wollen vergessen, dass in der Verfassungskommission Dinge gegeneinander verhandelt wurden, die einfach nichts miteinander zu tun haben. Wir stimmen hier einfach nur für eine Herabsenkung des Wahlalters.

Letzter Satz: Liebe CDU- und liebe FDP-Fraktion, wenn Sie sich dann am Ende schon auf Partei- oder Fraktionsebene nicht verständigen können, den Anträgen zuzustimmen, dann darf ich Sie schon jetzt bitten, nach der zweiten Lesung, die wir dann haben werden, zumin- dest die Abstimmung freizugeben und Ihre Kollegen eigenständig entscheiden zu lassen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)

 
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