70 Jahre Landeszentrale für politische Bildung: Wir brauchen jetzt mehr politische Bildung für alle

I. Sachverhalt

Vor 70 Jahren wurde in NRW die „Staatsbürgerliche Bildungsstelle“ gegründet, die am 1. Oktober 1967 in „Landeszentrale für politische Bildung“ umbenannt wurde. Die Aufgaben der „Landeszentrale für politische Bildung“ sind vielfältig: Sie soll die demokratisch-politische Kultur, Demokratiekompetenz, den kritischen Umgang mit Medien und die Integration von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte fördern sowie die Teilhabe an politischen Prozessen und das politische und bürgerschaftliche Engagement steigern. Je nach aktueller Herausforderung setzt sie jährliche Schwerpunkte.

Seit vielen Jahren zeichnet sich in NRW ab, dass Menschen- und Demokratiefeindlichkeit in erschreckendem Ausmaß zunehmen. In den letzten Monaten ist besonders die Gruppe der Flüchtlinge ins Visier der Rechtspopulisten und Rechten gera-ten. Am Dienstag, den 26.01.2016 veröffentlichte das nordrhein-westfälische Innen-ministerium die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Straftaten gegen Flüchtlinge und deren Unterkünfte. Seit 2014 hat sich die Zahl der flüchtlingsfeindlichen Straftaten von 25 auf 214 im Jahr 2015 verachtfacht.

Lange Zeit wurde diese Entwicklung in NRW und Deutschland verharmlost: Die Aufklärungsquote bei menschenfeindlichen Straftaten ist sehr niedrig und die Dunkelziffer ist viel zu hoch. Seit Jahren wird bemängelt, dass Hasskriminalität oft von Polizei, Politik und Justiz unterschätzt wird. Das hat nicht zuletzt die Aufdeckung der Gewalttaten des NSU verdeutlicht. Seit Jahren warnen Experten vor der zunehmenden Radikalisierung von sogenannten Rechtspopulisten, deren Positionen durch demokratische Parteien zum Teil aufgegriffen werden.

Dieses Wochenende wurde leider wieder ein Höhepunkt menschenfeindlicher Ausschreitungen erreicht: Im sächsischen Clausnitz setzte eine rassistische Menge einen Bus mit Familien über Stunden fest, die zu einer Flüchtlingsunterkunft gefahren wurden. Die Gruppe hatte mit drei Autos die Straße zum Flüchtlingsheim versperrt. Die Frauen und Kinder im Bus äußerten in Interviews, dass sie Angst um ihr Leben gehabt hätten. Kurz danach brannte wieder eine Flüchtlingsunterkunft – diesmal in Bautzen und unter Beifall von Schaulustigen.

Im Landtag wurde nach Silvester eine verstärkte demokratische und politische Bildung von Flüchtlingen gefordert. Es sollte aber mittlerweile allen klar sein, wie wichtig es ist, dass parallel zu solchen Forderungen immer Position gegen die Zunahme der demokratie- und menschenfeindlichen Einstellungen bezogen werden muss. Es braucht eine politische Bildungsoffensive, und zwar für alle. Politische Bildung ist der Schlüssel zur Vermeidung von Rassismus und religiöser Radikalisierung sowie zur Förderung des Pluralismus und der Demokratie. Es ist fatal, wenn im Landtag der Eindruck vermittelt wird, dass nur Neuankömmlinge Nachhilfe im Bereich Grundrechte und staatsbürgerliche Pflichten brauchen würden. Auch haben nicht nur Neuankömmlinge Nachholbedarf, wenn es um die Gleichberechtigung von Frauen und Männern geht. Das wird leider zurzeit wieder einmal offensichtlich: In Köln stehen Vorwürfe im Raum, dass Wachleute geflüchtete Frauen auf sexueller Grundlage beleidigt hätten. Die hiesige Gesellschaft hat mit Sexismus und sexualisierter Gewalt seit Jahrzehnten zu kämpfen. So wurde erst am 15. Mai 1997 die Gleichstellung des Strafbestands der Vergewaltigung innerhalb und außerhalb der Ehe im Bundestag beschlossen. Bis dato konnte sexualisierte Gewalt innerhalb der Ehe allenfalls als „schwere Nötigung” angezeigt werden.

In der letzten Woche kündigte das Niedersachsen an, das Angebot der politischen Bildung auszuweiten. Es ist auch in NRW höchste Zeit, gegen Vorurteile Position zu beziehen und Werte wie Solidarität, Toleranz und Hilfsbereitschaft hochzuhalten.

 

II. Der Landtag stellt fest:

  1. Wir verurteilen menschenfeindliche Anschläge, Ausschreitungen, Hetze und deren ideologische Unterstützung durch Parteien, bestimmten Medien und Institutionen auf das Schärfste.
  2. Der Landtag setzt ein Zeichen für Demokratie und gegen Menschenfeindlichkeit und bedankt sich bei allen Initiativen und Institutionen, die sich seit Jahrzehnten gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Sexismus, Nationalismus und für Vielfalt, Humanität und Demokratie einsetzen.

III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  1. den Etat für die „Landeszentrale für politische Bildung“ zu verdoppeln.
  2. zivilgesellschaftliche Organisationen in die Analyse, Dokumentation und Entwicklung von Abwehrmaßnahmen gegen Menschenfeindlichkeit viel stärker als bisher einzubeziehen und ihre wertvolle Arbeit auf eine Langzeitfinanzierung umzustellen.
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