Birgit Rydlewski über die Erweiterung von Berufsperspektiven für junge Mädchen

Donnerstag, 27. März 2014

Top 5. Berufsperspektiven  für junge Mädchen erweitern – Aktionstage wie „Girls´Day“ bieten eine gute Möglichkeit!

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Drucksache 16/5283

Unsere Rednerin: Birgit Rydlewski

Abstimmungsempfehlung: Enthaltung

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Protokoll der Rede von Birgit Rydlewski

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Schneider.  Die nächste Rednerin ist Frau Kollegin Rydlewski für die Piratenfraktion.

Birgit Rydlewski (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Damen und Herren! Im letzten Jahrzehnt haben Ministerien, Unternehmen, Verbände, Gewerkschaften, Arbeitsagentur und Bildungsträger eine Vielzahl von Aktivitäten und Projekten entwickelt, um das Berufswahlspektrum von Mädchen auszuweiten. In Realbegegnungen zum Beispiel am Girls‘Day sowie in zahlreichen Initiativen zur Gewinnung von Mädchen für die MINT-Fächer bietet sich Gelegenheit, Neigungen, Interessen, Rollenmuster und Lebensperspektiven zu reflektieren und eigene Handlungsoptionen zu entwickeln. In Praktika und arbeitsweltbezogenen Unterrichtssituationen werden Schülerinnen und Schüler zu interessen- und kompetenzorientierten Berufswahlentscheidungen angeregt. Auf diese Weise sollen geschlechtsstereotype Entscheidungen vermieden werden. So weit, so gut.

Ich frage mich jedoch oftmals: Stehen hier wirklich die Interessen der Frauen und Mädchen im Vordergrund? Oder ist es nicht vielmehr so, dass viele Unternehmen in der Zielgruppe „Mädchen und Frauen“ vor allem eine verschiebbare Personalressource sehen, die nun nur deshalb für sie interessant wird, weil der deutschen Wirtschaft zunehmend Facharbeiter und Facharbeiterinnen fehlen? Qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in technischen Berufen sind mittlerweile rar und werden es voraussichtlich auch zukünftig sein. Allerdings ist dies auch eine Folge von Bildungspolitik sowie einer schlechten Familienpolitik im Zusammenhang mit den Unternehmensphilosophien. Es geht also ganz simpel mitunter um das Geld der Unternehmen und um Steuereinnahmen für den Staat. Der Girls‘Day soll auch der deutschen Wirtschaft die Facharbeiterinnen sichern. Das Argument der Gleichstellung wirkt deshalb oftmals vorgeschoben. In Deutschland muss ein generelles Umdenken stattfinden, und das vor allem in den Unternehmen. Gezielte Aus- und Weiterbildung mit einer langfristigen Ausrichtung ist unumgänglich.

Schulische Berufsorientierung muss in einer geschlechterbewussten Pädagogik die unterschiedliche weibliche und männliche Lebensplanung berücksichtigen. Das Bewusstsein der doppelten Lebensplanung, das Nachdenken über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf setzt bei Mädchen sehr viel früher als bei Jungen ein. Sie antizipieren sehr früh Behinderungen und Erschwernisse auf dem Arbeitsmarkt und im Erwerbsleben, insbesondere in technischen Berufen. Weil sie sich von den sogenannten Frauenberufen eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf versprechen, greifen viele nach wie vor auf ein eingeschränktes Berufsspektrum mit weniger Aufstiegschancen und oftmals geringerer Entlohnung zurück. Hier ist dringend gegenzusteuern. Was aber brauchen wir, um Frauen den Weg in ein gleichberechtigtes Berufsleben zu ermöglichen? Wir benötigen gleichen Lohn für gleiche Arbeit, angepasste Kinderbetreuung, zum Beispiel 24-Stunden-Kitas, gesellschaftliche Anerkennung, ausreichendes Elterngeld, ein deutlich größeres Angebot an Teilzeitstellen  um nur einige der unabdingbaren Voraussetzungen zu nennen. Noch immer sind Frauen am Arbeitsplatz sexueller Belästigung und Diskriminierung ausgesetzt, und dies vor allem in von Männern dominierten Unternehmen und in technischen Berufen. Es reicht also nicht, Mädchen für technische Berufe zu begeistern; der Umgang miteinander in Unternehmen muss sich ebenfalls ändern.

(Beifall von den PIRATEN)

Weiterhin wird nach dem Eintritt in das Erwerbsleben und im Verlauf der Berufskarriere eine geschlechtsspezifische Differenzierung aufgebaut, wonach im unteren Segment der Arbeitsplätze mit niedriger betrieblicher Position und niedrigem Einkommen hauptsächlich Frauen zu finden sind. Dies relativiert sich erst bei den mittleren Positionen und den mittleren Einkommen. Erst hier findet eine Angleichung der Erwerbschancen von männlichen und weiblichen Angestellten statt. Ziel aller unserer Aktivitäten soll vor allem sein, die Bedingungen und das Selbstbewusstsein junger Frauen so zu verändern und zu stärken, dass junge Frauen sagen: Meinen Beruf suche ich mir selbst. Insofern sollte der Girls‘Day vorrangig Mädchen darauf vorbereiten, nicht nur einen für sie passenden Beruf zu wählen, sondern sich im Arbeitsleben gegen männliche Kollegen zu behaupten, Gehaltsverhandlungen zu führen und ihre Interessen auch durchzusetzen. Dies lässt sich natürlich nicht mit einer Veranstaltung erreichen, die nur einmal im Jahr stattfindet. Ich begrüße durchaus die vielfältigen Ansätze der Landesregierung bei der Unterstützung junger Mädchen und Frauen, halte aber den Girls‘Day selbst für eine oftmals eher von Wirtschaftsinteressen geleitete Veranstaltung. Auch bei Programmen wie „Kein Abschluss ohne Anschluss“ stehen für mich in vielen Darstellungen zu sehr die Funktionalität von Menschen als Ressource und der lückenlose Lebenslauf im Vordergrund, nicht aber die Frage, was wir tun müssen, damit Menschen mit ihrer Berufswahl und ihrer Lebensgestaltung auch glücklich sind. Entsprechend empfehle ich meiner Fraktion eine Enthaltung.

Danke schön.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Rydlewski.  Für die Landesregierung hat jetzt Herr Minister Schneider das Wort.

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