Plenarrede: Oliver Bayer zu barrierenfreiem Zugang zu Mobilität

Donnerstag, 21. März 2013

TOP 10. Barrierefreien Zugang zu Mobilität ermöglichen. Zugangshürden ab- statt aufbauen

Antrag der Fraktion der PIRATEN
Block I
Überweisung an den Ausschuss für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr – federführend – sowie an den Ausschuss für Kommunalpolitik; die abschließende Beratung und Abstimmung sollen im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen.
Unser Redner: Oliver Bayer
Unsere Abstimmungsempfehlung: Zustimmung

Das Wortprotokoll zur Rede von Oliver Bayer:
Oliver Bayer (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Mobilitätsakteure! Niemand hier möchte Zugangssperren gegen Schwarzfahrer errichten. Davon gehe ich aus. Das würde auch allem widersprechen, was wir sonst so fordern, schon unseren Bemühungen, vollständige Barrierefreiheit zu erreichen, wie es das Personenbeförderungsgesetz bis 2022 bundesweit fordert. Die barrierefreie Umgestaltung der Bus- und Bahnhaltestellen wäre mit zusätzlichen Barrieren gegen Schwarzfahrer kaum erreichbar.
Es geht jedoch beim barrierefreien Zugang zu Mobilität nicht nur um bauliche Maßnahmen, an vielen Stellen gibt es Zugangshürden. Auch hohe Einzelticketpreise oder eine niedrige Taktfrequenz sind Zugangshürden. Im Regen auf den Bus warten zu müssen, ist eine Zugangshürde. Und viermal umsteigen zu müssen, ist auch eine Zugangshürde. Es gibt viele Dinge, die Zugangshürden sind und den ÖPNV unattraktiv machen. Auch vermeintliche Kleinigkeiten können entscheidende Eintrittshürden zur Nutzung des ÖPNV sein. Auch im Sinne verbesserter Lebensqualität in den Städten sollte es die Aufgabe aller Akteure sein, den ÖPNV attraktiver zu gestalten und Zugangshürden abzubauen. Ziel muss es sein, mehr Verkehrsteilnehmer für den ÖPNV zu gewinnen.Die Grundhaltung, die hinter noch so vagen Plänen steht, Schwarzfahrer durch Zugangs-sperren abzuhalten, die auch alle anderen Nutzer beeinträchtigen, geht in die komplett entgegengesetzte Richtung. Darum ist unser Antrag wichtig – nicht, weil wir befürchten, dass der VRR nun unmittelbar damit beginnt, Bahnsteigkarten einzuführen, wir möchten hingegen, dass Verkehrsverbünde und Verkehrsunternehmen das Ziel eines attraktiveren ÖPNV ohne Zugangshürden verinnerlichen können,(Beifall von den PIRATEN)

dass sie ein eigenes Interesse an einer grundsätzlichen Erhöhung der Fahrgastzahlen im ÖPNV entwickeln können. Denn – seien wir ehrlich – dies ist derzeit nicht gegeben. Eine Erhöhung der Fahrgastzahlen ohne oder mit negativem wirtschaftlichen Nutzen für das Un-ternehmen ist für Verkehrsbetriebe ungefähr so attraktiv, wie eine Stunde im Schneeregen auf den Bus zu warten. Und damit die Fahrgäste nicht im Regen stehen gelassen werden, muss es das Land Nordrhein-Westfalen für die Verkehrsunternehmen attraktiver machen, den ÖPNV attraktiver zu machen, und zwar nicht nur für Abo-Kunden, sondern auch für neue Nutzer des ÖPNV.

Wir haben bereits und werden noch oft darüber diskutieren, wie man eine Steigerung der Attraktivität des ÖPNV bewirken und dessen Akzeptanz und Nutzung durch die Gesellschaft ausweiten kann. So schlägt die Zukunftskommission ÖPNV der Landesregierung auch in ihrem Zwischenbericht Maßnahmen zur Verbesserung von Raumbedienung und Angebotsgestaltung vor. Ja, auch Herr Husmann ist dort neben vielen weiteren Vertretern der Akteure Mitglied, und zwar in den entscheidenden Arbeitsgruppen Zielsystem und Finanzierung.

In dem Zielsystem werden Umweltziele und Mobilitätsziele der Bezahlbarkeit gegenübergestellt. Mal abgesehen davon, dass hier Ziele fehlen, nämlich die der gesamtgesellschaftlichen Bezahlbarkeit von Verkehr und die der Steigerung der Lebensqualität abseits von Mobilitätsbedürfnissen – nicht alles lässt sich unter „Umweltziele” packen. Abgesehen davon fällt auf, dass die Bezahlbarkeit öffentliche und private Haushalte berücksichtigt, jedoch nicht die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Verkehrsunternehmen, obwohl es natürlich die ganze Zeit darum geht. Der Einfluss dieser Komponente auf die Mobilitätsziele ist enorm.

Wir erfahren in dem Zwischenbericht auch, dass Fahrgeldeinnahmen im Regelfall 35 bis 50 % der anfallenden Betriebskosten abdecken und als Baustein der ÖPNV-Finanzierung unverzichtbar wären. Ein Nulltarif der ÖPNV-Nutzung sei abzulehnen. Warum? – Weil dieser Nulltarif zu erheblichen Fehlsteuerungen und zu einer finanziellen Schwächung des ÖPNV führen würde. Also, eigentlich sind die Fahrgeldeinnahmen dazu da, Fehlsteuerungen zu vermeiden, dafür zu sorgen, dass Verkehrsunternehmen eigenverantwortlich das Angebot so verbessern, dass der ÖPNV fahrgastzahlenmäßig expandieren kann. Funktioniert aller-dings nicht! Stattdessen wird darüber nachgedacht, wie man Schwarzfahrer abhält, Gängelung aller Nutzer in Kauf genommen.

Fahrgeldeinnahmen können also in der Praxis die ihnen zugedachte Steuerungsfunktion nicht übernehmen. Die Anzahl verkaufter Einzeltickets massiv zu erhöhen, macht für kein Verkehrsunternehmen wirtschaftlich Sinn. Höhere Fahrgastzahlen erhöhen die Kosten, ob nun mit oder ohne den Anteil an Fahrgeldeinnahmen. Fahrgeldeinnahmen sind irrelevant! Wir brauchen von den Fahrgeldeinnahmen unabhängige Anreizsysteme.

Deshalb haben wir in dem Antrag vor allem unsere zweite Forderung gestellt. Ich bitte, diese zu vor allem beachten. Im Übrigen wäre auch das Leistungsschutzrecht eine Barriere. Darüber sollten Sie bis morgen noch einmal nachdenken. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Bayer.

Getagged mit: ,
Veröffentlicht unter Bauen, Wohnen und Verkehr (A02), Reden

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

*

*