Die Blockadehaltung des Bundesfinanzministers muss ein Ende haben! – NRW muss jetzt zum Vorreiter im Kampf gegen aggressive Steuervermeidungsstrategien insbesondere von multinationalen Konzernen werden!

I. Sachverhalt

Nach Angaben von Valdis Dombrovskis, Vizepräsident der EU-Kommission, entgehen dem Fiskus in den EU-Staaten wegen der Steuervermeidung der Konzerne 50 bis 70 Milliarden Euro jährlich. Dombrovskis betonte in diesem Zusammenhang, die entgangenen Einnahmen wegen Steuervermeidung seien mehr als fünfmal so hoch wie der Betrag, der in der EU 2015 und 2016 zum Bewältigen der Flüchtlingskrise zur Verfügung stehe. Nach Angaben von EU-Steuerkommissar Pierre Moscovici ist aufgrund der Vermeidungsstrategien die Steuerbelastung von kleineren, nur national tätigen Unternehmen um 30 Prozent höher als jene der multinationalen Konzerne.

Als Reaktion auf die Veröffentlichungen der „Panama-Papers“ hatte sich der Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble unter anderem mit seinem Zehn-Punkte-Plan als Vorreiter im Kampf gegen Steuertricks inszeniert.

Laut einem Bericht vom Spiegel Online vom 17.06.2016 nimmt die Bundesrepublik Deutschland im Kampf gegen aggressive Steuervermeidungsstrategien von Konzernen keineswegs eine Vorreiterrolle ein. Vielmehr war der Bundesfinanzminister bei den Verhandlungen der EU-Finanzminister darum bemüht das sogenannte Country-by-Country-Reporting einzuschränken. Das zeigen Verhandlungsprotokolle der Bundesregierung, die SPIEGEL ONLINE vorliegen.

Bei dem Country-by-Country-Reporting handelt es sich um länderspezifische Bilanzen für multinationale Konzerne, aus denen ersichtlich wird, wie viel Geld in welchem Land verdient wurde – und wo es demnach versteuert werden muss. Das soll Tricks wie bei Google oder Amazon verhindern, die ihre Gewinne über Tochterunternehmen in Europa verteilen, um so ihre Steuerlast zu minimieren.

Eine Einbeziehung solcher Tochterfirmen lehnte Deutschland jedoch ab, sofern die Muttergesellschaft nicht selbst zu Berichten verpflichtet ist. Vertreter des Finanzministeriums argumentierten im Februar in Brüssel damit, dass die Umsetzung des sogenannten BEPS-Aktionsplans der Industrieländerorganisation OECD genüge. Dieser bedeute „insbesondere keine verpflichtende Berichtspflicht von Tochtergesellschaften“.

Im Ergebnis hätte das dazu geführt, dass die Tochterunternehmen von Konzernen wie Google oder Amazon nicht einem Country-by-Country-Reporting unterworfen gewesen wären. Diese Konzerne haben ihren Hauptsitz in den USA, die sich zwar grundsätzlich am BEPS-Projekt beteiligen, aber dessen Umsetzung im US-Kongress blockiert wird.

Mit dem Versuch das Country-by-Country-Reporting zu verwässern, stand Deutschland allerdings zum Glück alleine da. Alle anderen EU-Finanzminister widersetzen sich dem deutschen Finanzminister und beschlossen, dass auch Tochterfirmen unter die Berichtspflicht fallen – allerdings müssen sie ihre Angaben im Gegensatz zu Muttergesellschaften erst für 2017 machen.

Nach wie vor ist Schäuble bestrebt den Transparenzgewinn und die Wirksamkeit des Country-by-Country-Reportings auszuhöhlen. So sträubt sich der Bundesfinanzminister gegen Pläne der EU-Kommission, länderspezifische Berichtspflichten der Konzerne auch öffentlich zugänglich zu machen. Er begründet dies mit einem völlig verdrehten Datenschutzverständnis im Hinblick auf juristische Personen.

Für die Effektivität und Funktionsfähigkeit des Country-by-Country-Reporting ist aber die öffentliche Zugänglichkeit, ähnlich wie beim geplanten Transparenzregister für Briefkastenfirmen, von elementarer Wichtigkeit. So war es wegen bereits heute geltender Veröffentlichungspflichten für den Bankensektor möglich zu erkennen, dass britische Investmentbanken trotz massiver Gewinne kaum Steuern im Vereinigten Königreich zahlen. Nur wenn die Öffentlichkeit, etwa Journalisten und zivilgesellschaftliche Organisationen, den vollen Zugriff auf Country-by-Country-Reports haben, ist ausreichende Transparenz hergestellt, um sicherzustellen, dass aggressive Steuervermeidungsstrategien von Konzernen aufgedeckt werden können.

Vermutlich will der Bundesfinanzminister durch sein Agieren Tochterunternehmen von deutschen Konzernen im Ausland vor zusätzlichen Steuerforderungen schützen. Die Schließung von Steuerschlupflöchern auf europäischer und internationaler Ebene kann aber nur nach dem Prinzip der Reziprozität erfolgen. Nur wenn die Bundesrepublik Deutschland glaubhaft und konsequent keinen Steuerlobbyismus für deutsche Konzerne im Ausland betreibt, werden die anderen EU-Staaten bereit sein, Steuerschlupflöcher in ihrer jeweiligen Gesetzgebung, wie z. B. Patent- bzw. Lizenzboxen, zu beseitigen.

Die Landesregierung und der Landtag von Nordrhein-Westfalen können daher nicht weiter zusehen wie der Bundesfinanzminister trotz anderslautenden öffentlichen Gebaren beim Schließen von Steuerschlupflöchern in Europa mit dem Fuß auf der Bremse steht.

II. Der Landtag stellt fest:

  1. Dem Fiskus in den EU-Staaten entgehen alleine wegen struktureller Steuervermeidung von Konzernen 50 bis 70 Milliarden Euro jährlich.
  1. Ein zentrales Element gegen aggressive Steuervermeidungsstrategien von Konzernen und für mehr Transparenz ist das Country-by-Country-Reporting.
  1. Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble ist bei den Verhandlungen der EU-Finanzminister darum bemüht das sogenannte Country-by-Country-Reporting in seiner Wirksamkeit auszuhöhlen und konterkariert damit aktiv den Kampf gegen aggressive Steuervermeidungsstrategien.
  1. Die Landesregierung hatte sich bereits im Jahr 2014 im Zuge der Beratungen über Lizenz-Boxen und andere Steuervermeidungsstrategien bereit erklärt, notfalls im Alleingang dagegen tätig zu werden, falls andere Bundesländer nicht mitziehen oder sich die Bundesregierung verweigert, weshalb nunmehr der Zeitpunkt für solch einen Länderalleingang NRWs gekommen ist.

III. Der Landtag beschließt:

  1. Der Landtag Nordrhein-Westfalens appelliert an den Bundesfinanzminister seine Blockadehaltung im Kampf gegen aggressive Steuervermeidungsstrategien insbesondere von multinationalen Konzernen aufzugeben.
  1. Der Landtag fordert die Landesregierung auf, sich gegenüber dem Bundesgesetzgeber sowie gegenüber der Europäischen Kommission konsequent für die Schließung von Steuerschlupflöchern und für die rückhaltlose Bekämpfung aggressiver Steuervermeidungsstrategien einzusetzen, was insbesondere die Einbindung von Tochterunternehmen von multinational operierenden Konzernen und Unternehmen bzw. Unternehmensgruppen in das country-by-country-reporting einschließt.
  2. Die Landesregierung wird aufgefordert, umgehend alles in ihrer Macht stehende zu unternehmen, um aggressive Steuervermeidungsstrategien jedweder Art aus NRW heraus zu unterbinden; einschließlich solcher Steuervermeidungsstrategien, die auf die Vermeidung der Grunderwerbsteuer gerichtet sind.

Mitschnitt der kompletten Debatte:

Protokoll der Rede von Dietmar Schulz:

Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer im Saal und daheim! Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber auch dieser Antrag – wir hatten ja schon einen – geht so ein bisschen in Richtung Kritik am Bundesfinanzminister – und das aus gutem Grund. Laut EU-Kommission entgehen dem Fiskus in den EU-Staaten allein wegen struktureller

Steuervermeidung von Konzernen 50 bis 70 Milliarden € jährlich. Die Bundesrepublik Deutschland nimmt im Kampf gegen aggressive Steuervermeidun gsstrategien von Konzer- nen keineswegs eine Vorreiterrolle ein. Vielmehr war es gerade der Bundesfinanzminister, der bei den Verhandlungen der EU-Finanzminister darum bemüht war, dass sogenannte Country-by-Country-Reporting einzuschränken. Dies ergeben die Verhandlungsprotokolle der Bundesregierung. Bei dem Country-by-Country-Reporting handelt es sich um länderspezifische Bilanzen für multinationale Konzerne, aus denen ersichtlich wird, wie viel Geld in welchem Land verdient wurde und wo es demnach ertragss teuerlich gesehen zu versteuern ist. Das ist somit ein zentrales Element unter anderem gegen aggressive Steuervermeidungsstrategien von Konzernen und für mehr Steuertransparenz.

Mit dem Country-by-Country-Reporting lassen sich Tricks wie bei Google und Amazon verhindern, die ihre Gewinne über Tochterunternehmen in Europa verteilen, um so ihre Steuerlast zu minimieren. Eine Einbeziehung solcher Tochterfirmen lehnte Deutschland, vertreten durch den Bundesfinanzminister Dr. Schäuble, in den Verhandlungen jedoch vehement ab, sofern die Muttergesellschaft solcher Konzerne nicht selbst zu Berichten verpflichtet ist. Im Ergebnis hätte das dazu geführt, dass die Tochterunternehmen von Konzernen, die ihren Sitz in den USA haben – wie zum Beispiel Google und Amazon – keinem verpflichtenden Reporting unterworfen gewesen wären.

Zum Glück stand Deutschland bei diesem Versuch, ein länderspezifisches Berichtswesen zu verwässern, in den Verhandlungen alleine da. Alle anderen EU-Finanzminister wiedersetzten sich dem deutschen Finanzminister und beschlossen, dass auch Tochterfirmen unter die Berichtspflicht fallen. Allerdings müssen sie ihre Angaben im Gegensatz zu Muttergesellschaften erst für 2017 machen.

Bundesfinanzminister Schäuble ist aber nach wie vor bestrebt, den Transparenzgewinn und die Wirksamkeit des Reportings auszuhöhlen. So sträubt er sich zum Beispiel gegen die Pläne der EU-Kommission, länderspezifische Dokumente der Berichtspflichten der Konzerne öffentlich zugänglich zu machen. Dies halten wir Piraten allerdings für unerlässlich. Für die Effektivität und Funktionsfähigkeit des Country-by-Country-Reporting ist die öffentliche Zugänglichkeit von elementarer Wichtigkeit. So war es wegen bereits heute geltender Veröffentlichungspflichten für den Bankensektor möglich, zu erkennen, dass britische Investmentbanken trotz massiver Gewinne kaum Steuern im Vereinigten Königreich zahlen. Nur wenn die Öffentlichkeit, etwa Journalisten und zivilgesellschaftliche Organisation und auch Whistleblower den vollen Zugriff auf Country-by-Country-Reportings haben, ist ausreichende Transparenz hergestellt, um sicherzustellen, dass aggressive Steuervermeidungsstrategien von Konzernen aufgedeckt werden können.

Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen und damit auch wir können nicht weiter zusehen, wie der Bundesfinanzminister trotz anderslautenden öffentlichen Gebarens beim Schließen solcher Steuerschlupflöcher in Europa mit dem Fuß auf der Bremse steht. Eine ähnlich lethargische Haltung erkennen wir des Weiteren beim Kampf gegen weitere Vermeidungsstrategien. So erkennen wir keinen Fortschritt bei der Eingrenzung der Steuervorteile hinsichtlich sogenannter Linzenzboxen. Wir erkennen keine durchgreifenden Veränderungen beim Drehen an der Schraube des Körperschaftsteuergesetzes. Wir erkennen keine nachhaltigen Bemühungen zur Eindämmung der Möglichkeiten, Grunderwerbsteuer zu umgehen. Wir erkennen keine nachhaltigen Bemühungen zur Eindämmung von Sitzverlagerungen ins europäische oder Offshore-Ausland hin zu sogenannten internen Steuerparadiesen.

Die Piratenfraktion fordert daher einen klaren Appell des Landtags Nordrhein-Westfalen an den Bundesfinanzminister, seine Blockadehaltung im Kampf gegen aggressive Steuervermeidungsstrategien aufzugeben. Darüber hinaus fordern wir die Landesregierung auf, sich gegenüber dem Bundesgesetzgeber sowie gegenüber der Europäischen Kommission konsequent für die Schließung von Steuerschlupflöchern und für die rückhaltlose Bekämpfung von Steuervermeidungsstrategien einzusetzen. Soweit es möglich ist – Herr Finanzminister, so Sie es an diesem Pult schon einmal gesagt haben – ist dies notfalls auch im Alleingang durchzuziehen.

Wir danken im Übrigen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen für den Entschließungsantrag, der im Wesentlichen unseren Antrag wiederholt. Sie hatten uns eingeladen, …

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Dietmar Schulz (PIRATEN): … Ihrem Entschließungsantrag beizutreten. Wir haben dies aus einem Grund nicht getan. Wir vertreten nach wie vor die Auffassung, dass der Ankauf von Steuer-CDs, wie er durchgeführt worden ist und wie er weiterhin angekündigt ist, nicht derrichtige Weg ist, um das alles durchzusetzen, was wir unter transparenter Vermeidung von Steuerschlupflöchern verstehen.

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Jesses!)

Deswegen haben Sie bitte Verständnis, wenn wir uns hinsichtlich …

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit!

Dietmar Schulz (PIRATEN): … Ihres Entschließungsantrags enthalten. Ich werbe für die Zustimmung zu unserem im Übrigen überwiegend gleichlautenden Antrag. Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN

Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Da merkt man die Remix-Kultur!

– Gegenruf von Dietmar Schulz [PIRATEN]: Alles gut!)

 

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