I. Sachverhalt
Die Schulzeitverkürzung am Gymnasium ist auch in Nordrhein-Westfalen gescheitert. Sie wurde ohne fundierte wissenschaftliche Basis angestoßen und in Form des gegenwärtigen G8 schlecht umgesetzt. Deshalb erfährt sie bei Schülerinnen und Schüler, bei Eltern und Lehrerinnen und Lehrern keinen Rückhalt.
Die Wiedervereinigung hat den Bestrebungen zur Schulzeitverkürzung in den westdeutschen Bundesländern Auftrieb gegeben. Die damalige Situation in den neuen Bundesländern war durch einen 12-jährigen Bildungsgang zum Abitur geprägt, während in allen westdeutschen Bundesländern der 13-jährige Bildungsgang die Regel war. Im Sinne einer Vereinheitlichung wurde in der Folge die Schulzeitverkürzung in den westdeutschen Ländern angestrebt. Eine vollständige Vereinheitlichung wurde jedoch nie erreicht, da Rheinland-Pfalz das G8 bis heute nicht zur Regel gemacht hat.
Heute ist die Lage durch die unterschiedlichen Beschlusslagen zur Rückkehr zu G9 in Hessen und Niedersachsen uneinheitlicher denn je. Keines der Nachbarländer Nordrhein-Westfalens hat heute noch ein G8 als Regelfall.
Für eine Schulzeitverkürzung wurde bereits seit den 1980er Jahren geworben. Dabei haben die Befürworter vor allem mit der Notwendigkeit eines früheren Eintritts in einen Beruf und somit der Verlängerung der Lebensarbeitszeit argumentiert. Das relativ hohe Alter der deutschen Hochschulabsolventen im europäischen Vergleich sahen die Befürworter einer Schulzeitverkürzung als ein Wettbewerbsnachteil der deutschen Akademiker im europäischen Binnenmarkt an. Die längere Ausbildungszeit wurde auch als ein Hindernis dafür erachtet, dass junge Menschen früh die Chance erhalten, ihr Leben selbst zu gestalten und in Beruf und Gesellschaft Verantwortung zu übernehmen (vgl. „Modellversuche: Konzentration und Straffung der Schulzeit an Gymnasien auf 8 Jahre“, Antrag der CDU-Fraktion, Drs. 11/873; „Schulzeit auf 12 Jahre straffen – Ausbildungsqualität sichern“, Antrag der Fraktionen CDU und FDP, Drs. 11/5224). Dies zeigt, dass die Schulzeitverkürzung auch seitens ihrer Befürworter nicht als eine Maßnahme zur Verbesserung der schulischen Bildung an den Gymnasien betrachtet wurde. Vielmehr sollte sie einer Anpassung des Bildungsgangs an vermeintliche Erfordernisse der Ökonomie und des Wettbewerbs im europäischen Binnenmarkt dienen. Doch heute ermöglichen auch die Einführung der Bachelor-Studiengänge sowie bei jungen Männern die Abschaffung der Wehrpflicht einen früheren Eintritt der Hochschulabsolventen ins Erwerbsleben.
Bereits in der Anhörung zum Antrag der CDU-Fraktion „Modellversuche: Konzentration und Straffung der Schulzeit an Gymnasien auf 8 Jahre“ am 25. September 1991 wurden viele Argumente gegen eine Schulzeitverkürzung vorgebracht. Als erwartbare Folgen einer Schulzeitverkürzung haben Sachverständige auf Qualitätseinbußen, Überforderung der Schülerinnen und Schüler durch die Verdichtung der Unterrichtsinhalte sowie stärkere Selektion und ein weniger durchlässiges Bildungssystem hingewiesen. Zudem wurde dargelegt, dass es im Rahmen eines verkürzten Bildungsgangs kaum noch möglich sei, eine bessere oder verstärkte Vermittlung neuer Inhalte zu organisieren.
Bei der Einführung des sogenannten Turbo-Abiturs mit dem Zweiten Schulrechtsänderungsgesetz im Jahr 2006 wurden ein Modell der Schulzeitverkürzung in Kraft gesetzt, das die Gymnasien von anderen weiterführenden Schulformen abgekoppelt und so eine Wechsel zwischen den Schulformen erschwert. Auch wurde es versäumt, Maßnahmen zur Verschlankung der Lehrpläne zu ergreifen. Im Gesetzgebungsverfahren wurde entsprechend deutliche Kritik am Turbo-Abitur geübt, die seitdem nicht ausgeräumt werden konnte. Auch die Maßnahmen der Landesregierung seit 2010, wie der Schulversuch „Abitur an Gymnasien nach 12 oder 13 Jahren“ und die Umsetzung der Empfehlungen zur verbindlichen Weiterentwicklung von G8 des Runden Tischs, konnten keine ausreichende Akzeptanz für das Turbo-Abitur herstellen. Am Schulversuch nehmen zu wenige Gymnasien teil, um in der Fläche wirksam zu werden. Die Empfehlungen des Runden Tischs konnten die Verdichtung und Verkürzung in der Sekundarstufe I auf fünf Schuljahre nicht aufheben. Dies kann nur mit einer Rücknahme der Schulzeitverkürzung erreicht werden, bei der ein neunjähriger Bildungsgang am Gymnasium die Regel bildet.
II. Der Landtag stellt fest
Die Rückkehr zum G9 ist die geeignete Maßnahme, um den Schülerinnen und Schülern der meistbesuchten Schulform mehr Zeit zur Persönlichkeitsentwicklung zu gewähren. Ein neunjähriger Bildungsgang am Gymnasium wird von der überwiegenden Mehrheit der Betroffenen favorisiert. Das G9 bietet die beste Möglichkeit zur zeitlichen Entlastung für alle Schülerinnen und Schüler am Gymnasium sowie für eine individuell kürzere oder längere Schulzeit.
III. Der Landtag beschließt,
- gemeinsam mit der Landesregierung die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um den neunjährigen Bildungsgang am Gymnasium zum Schuljahr 2017/18 wieder zur Regel zu machen.
- Dabei sollen insbesondere bei der Gestaltung der Sekundarstufe II alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um individuell ein kürzere oder längere Schulzeit zu ermöglichen.
- Den Schülerinnen und Schülern der laufenden Jahrgänge fünf bis sieben soll dabei der Übertritt in einen neunjährigen Bildungsgang ermöglicht werden.
Mitschnitt der kompletten Debatte:
Protokoll der Rede von Monika Pieper:
Monika Pieper (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich einen Satz vorwegschicken. Heute ist Weltlehrertag. Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich bei allen Kolleginnen und Kol- legen bedanken, die sich Tag für Tag für die Kinder und Jugendlichen in diesem Land engagieren – und das nicht immer unter ein fachen Bedingungen.
(Beifall von allen Fraktionen)
Ich stelle fest: G8 ist in NRW gescheitert. Es fehlt an Akzeptanz – bei Eltern, Schülern, Kolleginnen und Kollegen. Wir haben schon zu Beginn des ersten runden Tisches ein Ausstiegsszenario gefordert, falls die Verhandlungen beim runden Tisch scheitern. Da war die Empörung in diesem Haus riesengroß: Wie können wir es wagen, zu sagen: „Lasst uns überlegen, was passiert, wenn es nicht klappt“? Heute stellen wir fest: Hätte man damals auf uns gehört, könnten wir heute auf einem ganz anderen Niveau debattieren und uns gemeinsam überlegen, wie wir aus dem Mist wieder rauskommen, um es mal ganz deutlich zu sagen. Es ist doch wie im wahren Leben. Am runden Tisch war man sich einig, dass die Einführung des G8 ein Fehler war. Ich kenne es nur so: Wenn ich zu Hause einen Fehler mache und ich erkenne ihn, dann sehe ich zu, dass dieser Fehler revidiert wird. Ich beschreite einen neuen Weg und versuche, das Ganze besser hinzukriegen.
(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Sie sind doch immer noch bei den Piraten!)
Da braucht es auch keinen neuen runden Tisch. Wenn man Schule vom Kind aus denkt, dann landet man mit Blick auf das Gymnasium zwangsläufig bei G9; denn nur ein G9 mit einer sechsjährigen Sekundarstufe I erreicht die von Schülern und Eltern gewünschte Entzerrung und bietet die notwendige Zeit für eine persönliche Entfaltung und gute Entwicklung innerhalb der Schullaufbahn. Nur ein G9 mit einer echten sechsjährigen Sekundarstufe I steht für die Abkopplung des Gymnasiums von den anderen Schulformen. Darüber haben wir lang und breit diskutiert. Bei einer Flexibilisierung der Schullaufbahn muss man von einer sechsjährigen Sekundarstufe I als Normalfall ausgehen; anderenfalls sind Brückenjahre und Orientierungsjahre nur schöne Namen für die Wiederholung einer Klasse, und sonst gar nichts.
(Beifall von den PIRATEN)
Die Entscheidung über die Gestaltung der Schullaufbahn darf nicht allein bei den Gymnasien liegen; vielmehr wollen alle Schulen diese Auseinandersetzung. Frau Gebauer, wir waren ja bei der gleichen Veranstaltung. Da haben die Lehrer und auch die Eltern gesagt: Nein, das möchten wir nicht; das trägt Ärger in die Schulen. In der Schulkonferenz ist es häufig so, dass letztlich der Schulleiter entscheidet, was getan wird. Das kann nicht die Lösung sein. Herr Lienenkämper – er ist jetzt leider gerade nicht im Raum –, sich hierhinzustellen und irgendwas von „Reife“ und „Wahlalter mit 16“ und „Geschäftsfähigkeit“ zu erzählen, dann aber Jugendliche mit 17 Jahren an eine Universität in einer fremden Stadt zu schicken – da rege ich mich jetzt wirklich auf! Wenn Sie auf der einen Seite Jugendlichen in diesem Alter zumuten, alleine zu leben und zurechtzukommen, dann aber auf der anderen Seite sagen, dass sie mit 16 nicht wählen dürfen – das muss mir hier mal jemand erklären. Das ist doch nicht nachvollziehbar!
(Beifall von den PIRATEN)
Warum das Ganze zum nächsten Schuljahr? Die grundlegenden Probleme der Schulzeitverkürzung am Gymnasium sowie die mangelnde Akzeptanz sind lange bekannt. Es bringt nichts, jetzt noch länger zu warten, bis man daran geht, die Fehler auszuräumen. Ich finde, wir sollten keine weiteren Jahrgänge in die verkürzte Schullaufbahn schicken. Frau Ministerpräsidentin hat heute Morgen hier erklärt: Wir machen Politik für die Menschen in NRW. Die Umfragen belegen: NRW will kein G8. Wenn wir die Menschen in diesem Land ernst nehmen und die Ministerpräsidentin beim Wort nehmen, dann sollten wir dafür sorgen, dass das G9 im nächsten Jahr wieder eingeführt wird.
(Beifall von den PIRATEN)
Kein einziges Bundesland, das an NRW grenzt, hat am G8 festgehalten. Erklären Sie mir: Warum sollen nicht auch die Schüler in NRW in den Genuss einer umfassenden Bildung kommen? Warum sollen die Schüler in NRW nicht die Zeit dafür bekommen, so wie es in anderen Bundesländern üblich ist? Im Vergleich zu einer Verkürzung ist die Verlängerung der Schulzeit relativ einfach zu organisieren. In anderen Ländern hat man es vorgemacht, daran kann man sich orientieren. Das Gleiche gilt für einige G9-Gymnasien und ihre Konzepte hier in Nordrhein-Westfalen.
Lassen Sie uns endlich gemeinsam dafür sorgen, dass dieses Thema zur Ruhe kommt. Schaffen wir ein Gesetz, das die Rückkehr zu G9 für das Schuljahr 2017/2018 ordentlich regelt!
– Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
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