Mittwoch, 28. Januar 2015
TOP 10. Fragestunde
„Recht auf digitalen Neustart“ und „Web als Waffe“– welche Pläne hat Justizminister Kutschaty?“
Justizminister Thomas Kutschaty hat in einem Interview im Magazin DER SPIEGEL 3 / 2015 eine Bundesratsinitiative zu Themen der Internetkriminalität und Internetsicherheit angekündigt. Er erwähnte unter anderem ein „Recht auf digitalen Neustart“, und kündigte an, sich für die Verschärfung mancher Strafen einzusetzen. Welche genauen Regelungen beabsichtigt der Justizminister im Einzelnen in der von ihm angekündigten Bundesratsinitiative einzubringen?
Mündliche Anfragen
Drucksache 16/7790
Redner: Daniel Schwerd
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Protokoll der Fragestunde
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen für die Mündliche Anfrage 58 vor.
Ich rufe nun die Mündliche Anfrage 59 des Herrn Abgeordneten Daniel Schwerd von der Fraktion der Piraten auf zu dem Thema „Recht auf digitalen Neustart“ und „Web als Waffe“ welche Pläne hat Justizminister Kutschaty? Justizminister Thomas Kutschaty hat in einem Interview im Magazin DER SPIEGEL 3 / 2015 eine Bundesratsinitiative zu Themen der Internetkriminalität und Internetsicherheit angekündigt. Er erwähnte unter anderem ein „Recht auf digitalen Neustart“, und kündigte an, sich für die Verschärfung mancher Strafen einzusetzen. Welche genauen Regelungen beabsichtigt der Justizminister im Einzelnen in der von ihm angekündigten Bundesratsinitiative einzubringen?
Ich bitte Herrn Minister Kutschaty um Beantwortung der Frage. Thomas Kutschaty, Justizminister: Vielen Dank. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch Ihnen, Herr Kollege Schwerd, vielen Dank für diese Mündliche Anfrage, weil Sie damit tatsächlich auch eine der großen rechtspolitischen Zukunftsthemen ansprechen.
Die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft hat nämlich zahlreiche Rechtsfragen auch auf dem Gebiet des Zivilrechts sowie des Datenschutzrechts aufgeworfen, die anhand des derzeit geltenden Rechts oftmals nur sehr schwer oder manchmal auch gar nicht zu beantworten sind.
Dies gilt auch für die Frage, wie wir das Recht auf einen digitalen Neustart ermöglichen. Es darf nämlich nicht sein, dass jemand bei der Bewerbung um einen Job Nachteile befürchten muss, weil gegen seinen Willen Bilder oder andere Informationen über seine Jugendsünden im Internet veröffentlicht sind.
Der Europäische Gerichtshof hat hierzu am 13. Mai letzten Jahres eine vielbeachtete Entscheidung getroffen. Danach kann eine Person von einem Suchmaschinenbetreiber unter bestimmten Voraussetzungen verlangen, dass zu ihrem Namen bestimmte Informationen nicht mehr in einer Ergebnisliste angezeigt werden. Nach Auffassung der europäischen Richter gibt es auch im Internet ein sogenanntes Recht auf Vergessenwerden. Die Reaktionen auf diese Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs sind sehr unterschiedlich ausgefallen. Von einer überfälligen Durchsetzung des Datenschutzrechtes ist ebenso die Rede wie von einer Bedrohung der Meinungsvielfalt und der Informationsfreiheit.
Der Europäische Gerichtshof lässt aber auch einige Fragen nach wie vor offen. Das gilt sowohl in rechtlicher als in tatsächlicher Hinsicht. Ich will Ihnen hier nur zwei Beispiele nennen.
Erstens. Die europäischen Richter sprechen den Betroffenen nicht pauschal ein Recht auf Vergessenwerden zu, sondern verlangen für jeden Fall eine Abwägung der jeweiligen einander gegenüberstehenden Rechte und Interessen des Betroffenen, des Suchmaschinenbetreibers und nicht zuletzt auch der Öffentlichkeit. Ihre Vorgaben für diese Abwägung sind aber keinesfalls abschließend. Das gilt sowohl mit Blick auf den hierzu aufzustellenden Kriterienkatalog als auch für die Gewichtung der einzelnen Abwägungskriterien. Zweitens. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs betrifft Suchmaschinenanbieter. Zeigen diese bestimmte Inhalte nicht mehr an, mag sich zwar möglicherweise der Verbreitungsgrad dieses Inhaltes verringern, die Ursprungsveröffentlichung ist aber weiterhin im Internet abrufbar.
Diese Beispiele zeigen schon, meine Damen und Herren: Der Europäische Gerichtshof hat nur den Anfang gemacht. Die konkrete Ausgestaltung eines digitalen Neustarts liegt in erster Linie in den Händen des Gesetzgebers.
Ich halte es deshalb für problematisch, wenn es in dieser Frage, die so viele von uns betrifft, keine gesetzliche Grundlage gibt. Wir sollten uns auch nicht auf das Entgegenkommen von Google oder anderen Suchmaschinenbetreibern verlassen müssen.
Aus diesem Grund möchte ich das komplexe Thema eines digitalen Neustarts sowohl unter rechtlichen als auch unter tatsächlichen Gesichtspunkten gerne umfassend beleuchten. Beleuchtet werden muss aber nicht nur, meine Damen und Herren, der Umgang mit veralteten Informationen im Netz. Beleuchten müssen wir auch die Verhaltensregeln im Internet insgesamt.
Wenn die Personen, die in der digitalen Welt aufgewachsen sind, dabei die Eigenverantwortung der Nutzer im grenzenlosen Netz preisen, machen Sie es sich teilweise sehr bequem. Jeder siebte Jugendliche im Alter von zehn bis 18 Jahren ist nach neueren Studien schon einmal im Internet gemobbt worden. In absoluten Zahlen entspricht das rund 1 Million Fällen in Deutschland. Im März 2014 belegte die ARAG-Studie, dass das Phänomen inzwischen auch mehr und mehr in die Erwachsenenwelt übergreift.
Der Blogger Sascha Lobo hat das einmal in einer „SPIEGEL“-Kolumne auf den Punkt gebracht. Ich würde das gerne zitieren:
„… das Internet macht es einfacher, Hass auszukübeln. Wer das leugnet, weil er das Internet zu verehren glaubt, der hat nicht nur das Netz nicht verstanden, sondern die Welt ebenfalls nicht. Außerhalb des Internets hat es einen hohen sozialen Preis, einer Person gegenüberzutreten und ihr Hass zu zeigen. Netzhass ist gratis.“
Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, haben die Justizministerinnen und Justizminister der Länder und des Bundes sich auf ihrer letzten Konferenz im Juni 2014 mit dem Phänomen des Cybermobbings befasst. Es besteht nämlich Prüfungsbedarf, ob die geltenden strafrechtlichen Vorschriften, die für eine analoge Welt ausgelegt sind, das Cybermobbing angemessen erfassen. Die Justizministerinnen und Justizminister der Länder haben den Bundesjustizminister gebeten, sich der Sache anzunehmen. In Berlin werden daher seit geraumer Zeit schon Gespräche mit Netzunternehmen und Verbänden geführt, um die Melde- und Löschungsmechanismen beim Mobbing zu optimieren. Das ist gut und richtig; denn Löschen geht vor Sperren.
Noch besser wäre es allerdings, wenn hochaggressive Mobbingattacken erst gar nicht in die Welt gesetzt würden. Ich glaube, wir sind uns einig, dass hierzu sicherlich viel Aufklärungsarbeit zu leisten ist. Aber auch dem Strafrecht kommt mit seiner generalpräventiven Wirkung eine gewisse Bedeutung zu.
Natürlich wird man einen guten Teil der Mobbingfälle in sozialen Netzwerken mit den bestehenden Rechtsvorschriften wie denen zu Beleidigung, Nötigung und Bedrohung erfassen können. Den Besonderheiten des digitalen Raums werden diese Vorschriften aber nicht immer gerecht; denn sie sind nicht spezifisch darauf zugeschnitten. Eine Persönlichkeitsrechtsverletzung im Internet hat nun einmal ein anderes Gefährdungspotenzial als eine Hänselei auf dem Schulhof oder in der Betriebskantine, ja, selbst in den herkömmlichen Medien.
Wir alle kennen das ja als Politiker. Da sagen wir schon mal, „das versendet sich“, wenn wir etwas in der Zeitung über uns sehen, was uns nicht so gefällt. Das ist ein viel bekannter Trost im Umgang auch mit Radio und Fernsehen. Aber das Netz, meine Damen und Herren, vergisst nicht. Es ermöglicht zudem die unkontrollierte Verbreitung vom Content bis hin zum Shitstorm, ohne dass es dazu des besonderen Zutuns des Täters überhaupt bedürfte. Wird der Angriff erst einmal kollektiviert, fällt häufig jede zivilisatorische Hemmschwelle gegenüber dem Opfer.
Es geht darum, auf diese Besonderheiten des Cybermobbings angemessen zu reagieren. Verschiedene Vorschläge werden dazu von Fachleuten diskutiert, wie zum Beispiel gesonderte Strafzumessungsregeln oder ein besonderer Tatbestand des Internet-Stalkings. Momentan liegt der Ball allerdings noch im Spielfeld des Bundesjustizministers.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. Es liegt eine Frage des Herrn Kollegen Schwerd vor. Bitte schön.
Daniel Schwerd (PIRATEN): Herzlichen Dank, Herr Minister, für diese Ausführungen und dafür, dass Sie uns Ihre Pläne erläutert haben. Nun erwähnen Sie in diesem Recht auf digitalen Neustart einen Anspruch, der sich in der Form gegen Suchmaschinenbetreiber richten soll, dass Suchergebnisse ausgeblendet werden sollen. Nun ist es so: Wenn ein Ergebnis ausgeblendet wird, dann ist der Inhalt als solcher ja noch vorhanden. Warum finden Sie denn dann, dass das Sperren von Suchergebnissen effektiver sei als das Löschen der Beiträge an der Quelle selbst? Herzlichen Dank.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Minister.
Thomas Kutschaty, Justizminister: Das ist eine der wichtigen Fragestellungen, die im weiteren Verfahren zu erörtern sind. Der größte Verbreitungsgrad oder Erkennungsgrad ergibt sich natürlich durch das Auffinden in der Suchmaschine. Man wird den Inhalt zwar auch bei Nichtanzeige in der Suchmaschine nach wie vor im Netz finden. Aber die Chance, etwas zu finden, ist natürlich deutlich größer, wenn man es in die Suchmaschine eingibt. Wir müssen hier im Einzelfall abwägen. Es gibt natürlich auch Informationsansprüche und Urheberrechte an eigenen Internetseiten. Aber das Entscheidende ist das schnelle Auffinden.
Lassen Sie mich in dem Zusammenhang auch noch einmal den Sachverhalt, der der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zugrunde lag, nennen. Es gab einen Betroffenen, der in der Suchmaschine von Google in Kombination mit einer Position, einem Sachverhalt erschienen ist, der 16 Jahre zurück lag. Damals ist in einer spanischen Zeitung über ihn ein Artikel veröffentlicht worden, dass bei einer Immobilie eine Zwangsversteigerung wegen nicht gezahlter Sozialversicherungsbeiträge drohe. Das ist 16 Jahre danach immer noch bei der Suchmaschine angezeigt worden. Wir sind uns, hoffe ich, einig, dass in diesem Bereich auch dieser betroffenen Person ein digitaler Neustart ermöglicht werden muss. Die Vorgaben dazu hat der Europäische Gerichtshof ja gut gemacht.
(…)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. Herr Schwerd hat eine zweite Frage. Bitte schön.
Daniel Schwerd (PIRATEN): Herzlichen Dank. Herr Minister, Sie sprachen eben an, dass es einen Abwägungsprozess geben muss, wenn jemand mit dem Interesse, einen Inhalt zu löschen, an eine Suchmaschine herantritt. Dann muss er ja irgendeine Begründung anführen. Wie kann ein Suchmaschinenbetreiber dann feststellen, ob solch ein Begehren tatsächlich gerechtfertigt ist? Wie kann er da auf eine für ihn rechtssichere Weise entscheiden? Wie will man denn dann Missbrauch, zum Beispiel das Unterdrücken unerwünschter Nachrichten, vermeiden?
(Vizepräsident Oliver Keymis erteilt Herrn Minister Kutschaty per Handzeichen das Wort.)
Thomas Kutschaty, Justizminister: Vielen Dank, Herr Präsident. Herr Schwerd, Sie sprechen genau das Problem an, weswegen ich sage: Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs allein reicht mir nicht, um Rechtssicherheit zu finden.
Der Europäische Gerichtshof hat ja genau diesen Abwägungsprozess vorgegeben. Das ist eine Dreierbeziehung: die betroffene Person, der Suchmaschinenbetreiber und das Interesse der Öffentlichkeit. Das ist ein individueller Abwägungsprozess, der letztendlich sehr vom Goodwill von Google oder anderen Suchmaschinenbetreibern abhängig ist.
Wir haben mittlerweile Fälle im Sommer letzten Jahres war auf „SPIEGEL ONLINE“ ein entsprechender Bericht , in denen Google eine Suchkombination entfernt hat. In einem Fall war ein Artikel auf „SPIEGEL ONLINE“ angezeigt im Zusammenhang einer Person mit Scientology. Scientology wollte das von Google gelöscht haben. Google hat damals den Abwägungsprozess für sich vorgenommen und gesagt: Ja, bei Scientology löschen wir das.
Aber wie sieht das bei einem einzelnen Bürger aus? Welche Ansprüche hat der gegenüber Google? Die Ansprüche sind von einem einzelnen Bürger doch deutlich schwieriger geltend zu machen als von einer großen, mächtigen Organisation. Das muss jetzt nicht für Scientology gelten, kann natürlich auch für private Unternehmen gelten.
Genau dieser Abwägungsprozess, der sehr vom Ermessen auch des Suchmaschinenbetreibers abhängig ist, stört mich hier. Denn ich will Rechtsklarheit für alle Bürgerinnen und Bürger und nicht nur für die, die mit großen Anwaltskanzleien solche Verfahren und Prozesse führen können.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister.
Die Stunde ist rum. Was machen wir jetzt? Fünf Fragesteller habe ich noch. Wollen Sie alle Ihre Fragen noch stellen? Im Prinzip: Ja. Wenn sich jemand zwischendurch noch etwas überlegt, geht das auch. Im Prinzip läuft die Zeit ja mit auf.
Herr Olejak von der Piratenfraktion mit seiner ersten Frage.
Marc Olejak (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. Vielen Dank für die bisherigen Antworten, Herr Minister.
Ich greife noch mal die Frage von Herrn Witzel auf, bei der er mir eben fast meine Frage weggenommen hätte zum Glück dann doch nicht.
Herr Witzel frug ja nach den Bündnispartnern. Ich möchte das mit einer Zusatzfrage erweitern. Mich würde interessieren, ob und mit wie vielen anderen Stellen zum Beispiel im Bildungsministerium oder mit Lehrern oder mit Eltern oder genau in diesem Zusammenhang mit betroffenen Schülerinnen und Schülern Sie bisher darüber gesprochen haben, das Mobbing überhaupt einzugrenzen aus Sicht des Justizministeriums.
(Vizepräsident Oliver Keymis erteilt Herrn Minister Kutschaty per Handzeichen das Wort.)
Thomas Kutschaty, Justizminister: Vielen Dank. Wir haben vor ungefähr einem Jahr einen Pro-Opfer-Tag NRW durchgeführt. Das mache ich als Minister regelmäßig, indem wir uns ein besonderes Thema herausgreifen und Rechtspolitik auch mal aus Opfersicht betrachten. Vor einem Jahr war ein Thema des Pro-Opfer-Tages hier in Nordrhein-Westfalen „Cybermobbing“. Wir hatten verschiedene Betroffene und verschiedene Wissenschaftler zu Gast, aber auch Kriminalbeamte, die für die Strafverfolgung zuständig sind. Dort ist mir persönlich in sehr eindrucksvoller Art und Weise geschildert worden, welche dramatische Auswirkungen und Konsequenzen Cybermobbing auf Menschen haben kann, insbesondere auf junge Menschen. Das fängt damit an, dass sich Kinder plötzlich nicht mehr trauen, zur Schule zu gehen. Üblicherweise werden Bauchschmerzen vorgetäuscht, wenn man wegen Mobbings nicht mehr zur Schule möchte. Das geht bis zu Suiziden, die auch schon vorgekommen sind.
Deswegen ist es wichtig, dort umfassend tätig zu werden. Ich sagte schon in meiner Eingangserklärung: Es ist in erster Linie natürlich eine Aufgabe der Prävention, durch Aufklärung mit Schule, mit Jugendarbeit vorbeugend tätig zu werden.
Es gibt in Nordrhein-Westfalen sehr viele Informationsangebote. Aus dem eigenen Familienbereich weiß ich, dass das Thema in einigen Schulen behandelt wird. Diese Angebote müssen wir aber mit einer Überprüfung von strafrechtlichen Sanktionsnormen flankieren. Denn strafrechtliche Sanktionsnormen haben generalpräventiven Charakter.
Lassen Sie mich das ergänzen. Wir haben schon einige Straftatbestände, die in Teilbereichen einschlägig sein können. Aber offensichtlich ist die Wirkung auf diejenigen, die Cybermobbing betreiben, nicht weit verbreitet. Ihnen fehlt vielleicht die Vorstellung, dass Cybermobbing strafrechtliche Vorschriften erfüllen kann. Deswegen ist es notwendig, Cybermobbing auch strafrechtlich zu präzisieren und zu formulieren, damit es den potenziellen Adressaten einer Tat auch relativ schnell klar wird.
Aber ich sage es an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich: Ich möchte am liebsten überhaupt keine Straftaten oder Cybermobbing haben. Deswegen ist die erste Stufe die Prävention, die Aufklärung gerade im Schul- und Jugendbereich, aber auch die Verpflichtung der Eltern, ihren Kindern ab und zu mal über die Schulter zu schauen, was sie tatsächlich machen.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. Herr Herrmann für die Piratenfraktion. Bitte Ihre Frage.
Frank Herrmann (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. Ich möchte an der Stelle einhaken. Sie haben gerade gesagt, aus persönlicher Kenntnis wissen Sie, dass Cybermobbing an Schulen thematisiert wird. Das ist für mich ein klares Zeichen, dass das viel zu wenig ist. Das ist nicht stark genug. Mobbing ist ein gesellschaftliches Phänomen, was schon seit ewigen Zeiten existiert nicht nur im Internet. Das nannte man im normalen Leben Klatsch und Tratsch. Das hat viele Menschen betroffen gemacht, was auch heute noch der Fall ist. Sie ziehen etwa aus der Stadt weg.
Ist es da nicht völlig verkehrt, zu versuchen, Dinge zu verbieten? Klatsch und Tratsch konnte man auch bis heute nicht verbieten. Den gibt es immer noch und immer wieder. Muss man nicht eigentlich viel stärker auf Programme zur Bewusstseinsschärfung von Jugendlichen Stichwort: Medienkompetenz in den Schulen setzen? Was macht da die Landesregierung konkret? Wäre das nicht etwas, das viel früher und stärker kommen muss, ehe man über Verbote nachdenkt?
Thomas Kutschaty, Justizminister: Klatsch und Tratsch kann auch heute schon, selbst wenn er auf dem Marktplatz oder im Treppenhaus stattfindet, Straftatbestände erfüllen, wie beispielsweise Beleidigung, üble Nachrede, oder Verleumdung. So ganz ungefährlich ist das auch nicht. Auch da muss man aufpassen, was man über Nachbarinnen sagt. Insofern wäre ich auch da sehr vorsichtig.
Aber wir haben beim Cybermobbing eine andere Dimension. Ich möchte das noch mal deutlich machen. Die Hemmschwelle, im Internet Mobbing zu betreiben, ist nach meiner festen Überzeugung deutlich niedriger, als einer Person von Angesicht zu Angesicht etwas zu sagen. Ein Klick ist schnell gemacht, aber die Folgen sind anders. Die Verbreitung ist um ein Vielfaches höher und erfolgreicher, wenn man das so bezeichnen möchte, als bei einer Verbreitung unter zwei bis drei Leuten im Treppenhaus oder auf dem Schulhof.
Selbstverständlich ist die präventive Arbeit das Allerwichtigste, um zunächst zu schauen: Wie kann ich das verhindern? Dazu hat die Landesregierung ressortübergreifend in vielen Bereichen Angebote: von Bildungsangeboten der Landeszentrale für politische Bildung mit Informationen bis hin zu Informationen im Schulunterricht.
Mein Part als Justizminister ist weniger der direkte Schulbereich, allenfalls über den Rechtskundeunterricht in den Schulen. Jedes Jahr finden in rund 1.000 Schulen in Nordrhein-Westfalen Rechtskundearbeitsgemeinschaften statt. Ich finde es gut, dass von den dortigen Rechtskundearbeitsgemeinschaftslehrern auch solche Themen angesprochen werden. Sie sehen also, in den verschiedensten Bereichen, in denen wir etwas tun können, werden wir präventiv tätig, um solche Mobbingattacken möglichst erst gar nicht entstehen zu lassen.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. Wir sind nun knapp zehn Minuten über der Zeit. Ich habe noch vier Wortmeldungen, die wir noch zulassen. Damit ist die Liste der Meldungen geschlossen. Sonst kommen wir zu weit über die Zeit hinaus. Das wollen wir uns nicht angewöhnen. Die Fragestunde soll nach einer Stunde beendet sein.
Herr Wegner hat noch eine Frage. Bitte schön, Herr Wegner.
Olaf Wegner (PIRATEN): Vielen Dank. Ich möchte noch mal auf den Abwägungsprozess zurückkommen, den Sie vorhin beschrieben haben. Sie haben gesagt, es gibt ein Dreiecksverhältnis zwischen Verleumder, Opfer und Suchmaschinen. Für mich drängt sich dabei direkt die Frage auf: Wer führt diesen Abwägungsprozess im Einzelfall durch? Hinzu kommt: Wie wird er dokumentiert? Wer kann wie Einspruch gegen das Ergebnis dieses Abwägungsprozesses einlegen?
Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte, Herr Minister.
Thomas Kutschaty, Justizminister: Zunächst muss sich der Betroffene an den Suchmaschinenbetreiber werden und ihn auffordern, eine entsprechende Kombination in der Suchmaschine nicht mehr erscheinen zu lassen. Das ist eine Angelegenheit, die der Suchmaschinenbetreiber selbst zu entscheiden hat. Ich habe gerade gesagt, bei Scientology war Google sehr großzügig und hat sehr schnell gelöscht. Wenn der Suchmaschinenbetreiber das nicht tut, ist das Gericht gefragt. Man muss seinen Anspruch als Betroffener gerichtlich gegen den Suchmaschinenbetreiber geltend machen, und dann ist es eine Abwägung des Gerichts. Leider hat der Europäische Gerichtshof die Abwägungskriterien nicht zu 100 % fest eingegrenzt, was auch schwer möglich ist, sodass man sagen könnte: Es gibt zehn Abwägungskriterien, die für jeden Fall gelten. Denn es ist immer eine sehr individuelle Abwägung vorzunehmen zwischen den Rechten des Betroffenen, den Rechten des Suchmaschinenbetreibers und den Interessen der Öffentlichkeit, Informationen zugänglich zu haben. Insofern ist das im jeweiligen Einzelfall zu beurteilen.
Das hängt auch davon ab, wie schwer die Konsequenzen für den Betroffenen wiegen, in der Suchmaschine mit einer Begriffskombination zu erscheinen. Wenn es für ihn weniger störend ist, liegt dem Abwägungsprozess vielleicht eher das Interesse der Öffentlichkeit und des Suchmaschinenbetreibers zugrunde. Wenn es den Betroffenen sehr persönlich, sehr tief, sehr privat und sehr weitgehend verletzt, wird die Abwägung eher zu seinen Gunsten ausfallen. Aber das ist eine Abwägungsfrage, die letztendlich, wenn der Suchmaschinenbetreiber nicht von sich aus reagiert, ein Gericht zu entscheiden hat.
(…)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke, Herr Minister. Herr Schulz.
Dietmar Schulz (PIRATEN): Danke, Herr Präsident. Herr Minister, zum Themenbereich „Cloud“: Auch dieser Bereich wird als ungeregelter Bereich gesehen, wobei mir jetzt nicht so ganz klar ist, welchen Bereich Sie da im Detail regeln wollen, wie da der Eingriff gerade bei US-amerikanischen Providern von Clouds vonstattengehen soll.
Gleichzeitig haben wir aber gerade auf EU-Ebene Handelsabkommen, die entworfen sind und werden, wie aber auch Datenschutzregelungen. Halten Sie es für sinnvoll, auf Bundesebene solche Vorstöße zu machen, während gerade solche internationalen Handelsabkommen und EU-Datenschutzregeln entworfen werden? Halten Sie ein solches Engagement dort nicht für sinnvoller?
Thomas Kutschaty, Justizminister: Das halte ich für sehr sinnvoll, weil wir erst einmal nationale Positionen finden müssen, um uns dann international positionieren zu können und überhaupt international verhandeln zu können.
Ich möchte Ihnen gerne einmal die Problematik im Zusammenhang mit der Cloud erläutern, die ich in dem Bereich sehe, und zwar mithilfe einer Fallkonstellation. Stellen Sie sich vor, der Betreiber einer Cloud geht in Insolvenz. Dann gibt es einen Insolvenzverwalter, und der sagt an irgendeiner Stelle plötzlich: Ich gebe jetzt nichts mehr heraus. Sie haben kleine Unternehmen, vielleicht eine Anwaltskanzlei, die darauf angewiesen ist, an diese Daten heranzukommen, die dort zentral gespeichert sind.
Da stößt unser Bürgerliches Gesetzbuch, das im Jahre 1896 geschaffen wurde und 1900 in Kraft getreten ist, an deutlich rechtliche Grenzen. Denn Sie werden Schwierigkeiten haben, einen sachenrechtlichen Anspruch auf Herausgabe von Daten zu bekommen. Sie können vielleicht einen USB-Stick herausverlangen, aber die Daten als solche sind keine Sache. Sie haben Schwierigkeiten mit urheberrechtlichen Ansprüchen, weil das bloße Speichern von Daten erst einmal keine eigene schöpferische großartige Leistung ist.
Sie sehen, es gibt durchaus sehr spannende und für unsere Wirtschaft existenziell wichtige Rechtsfragen in diesem Zusammenhang zu klären. Deswegen halte ich es für nötig, dass wir uns auch mit diesem Thema beschäftigen. Ich freue mich im Übrigen sehr, dass ich dieses Thema beim nächsten Deutschen Juristentag, der in Nordrhein-Westfalen stattfinden wird, platzieren konnte, sodass man auch einmal im Zusammenhang mit Rechtswissenschaft, aber auch mit Praktikern sich über genau diese Fragestellungen unterhält.
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. Herr Schwerd, Sie hatten sich eben noch einmal eingedrückt als Fragesteller zu Ihrer dritten und damit letzten Frage. Dann schließen wir die Fragestunde entsprechend ab. Bitte schön, Herr Schwerd.
Daniel Schwerd (PIRATEN): Herzlichen Dank. Wir müssen uns auch die Frage stellen: Was bedeutet es denn für den IT-Standort Deutschland, wenn in Deutschland praktisch andere oder weiterreichende Rechte gelten, die international vielleicht gar nicht durchgesetzt werden können? Können Sie abschätzen, was das für den IT-Standort Deutschland, insbesondere für kleine Unternehmen oder sogar für Einzelunternehmer, die unter diesen Suchmaschinenbegriff fallen werden, bedeuten wird? Haben Sie dazu gegebenenfalls Ausnahmeregelungen im Kopf?
Thomas Kutschaty, Justizminister: Ich glaube, wir brauchen insgesamt vernünftige Regelungen in diesem Bereich, die idealerweise auch international abgestimmt sind. Meiner Meinung nach gilt es hier jedoch, einen Interessenausgleich zwischen den wirtschaftlichen Interessen und den Individualinteressen betroffener Personen zu erzielen, dem sich die Politik verschreiben muss. Das wird natürlich ein Gegenstand im Abwägungsprozess eines konkreten Gesetzgebungsverfahrens sein.
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. Damit sind wir am Ende unserer Fragestunde.
Ich denke genau darin liegt das Problem, dass auch die Interessen der Suchmaschinenbetreiber gewichtet werden- irgendwie scheinen das immer „halbe Sachen“ zu sein, was die Politik in Sachen Privatsphäre im Internet in Angriff nimmt. Wahrscheinlich liegt letztendlich das Problem auch darin, dass diejenigen, die beauftragt werden, diesbezüglich Gesetze zu erlassen, keine oder nur unzureichende Kenntnisse von der Materie haben.