Mittwoch, 14. Mai 2014
Top 15. Fehlerhafter Erfassung rechter Gewalt ein Ende setzen: Die Notwendigkeit einer Reformierung des Definitionssystems „Politisch motivierte Kriminalität-rechts“ (PMK-rechts) anerkennen
Drucksache 16/5748 – direkte Abstimmung
Protokoll der Rede von Birgit Rydlewski
Präsidentin Carina Gödecke: Ich schließe den Tagesordnungspunkt 14. Ich rufe auf: 15 Fehlerhafter Erfassung rechter Gewalt ein Ende setzen: Die Notwendigkeit einer Reformierung des Definitionssystems „Politisch motivierte Kriminalitätrechts“ (PMK-rechts) anerkennen Antrag der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/5748 Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion Frau Kollegin Rydlewski das Wort.
Birgit Rydlewski (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Damen und Herren! Wie viele Muslime wurden in NRW Opfer rechter Gewalt? Wie viele Sinti und Roma wurden in NRW Opfer rechter Gewalt? Wie viele Menschen wurden aufgrund ihrer sexuellen Orientierung Opfer rechter Gewalt? Wie viele Menschen wurden aufgrund ihrer sozialen Stellung oder einer Behinderung Opfer rechter Gewalt? Wie viele Menschen wurden in NRW von Neonazis ermordet? Wir wissen es nicht. Warum wir das nicht wissen, dafür gibt es viele Gründe, die ich hier kurz vorstellen möchte.
Seit vielen Jahren reißt die Kritik am polizeilichen Meldewesen zur Erfassung von politisch motivierten Straftaten nicht ab. Einerseits wird zivilgesellschaftlicher Protest in Form von Sitzblockaden zum Beispiel gegen Neonazi-Demos akribisch erfasst und als PMK-links gebrandmarkt. Andererseits beklagen Verbände für Opfer rechter Gewalt, dass für Menschen wirklich bedrohliche rechtsideologisch motivierte Gewalt unentdeckt und unerfasst bleibt. Besonders erschreckend anschaulich wird dies bei der Diskrepanz zwischen der Zählung von Todesopfern rechter Gewalt durch die staatlichen Behörden und durch unabhängige Organisationen und Journalistinnen und Journalisten.
Die offizielle Polizeistatistik spricht von 63 rechtsextrem motivierten Tötungsdelikten seit 1990. Recherchen durch die Amadeu Antonio Stiftung ermittelten eine weitaus höhere Zahl, nämlich 182 Todesopfer. Das führt in NRW dazu, dass 14 der 21 entdeckten Fälle aus NRW keine Berücksichtigung in der PMK-rechts fanden. Nach dem Bekanntwerden der Morde des NSU wurde allen klar, dass die Dunkelziffer von Morden durch Neonazis sehr hoch sein muss. Deshalb überprüfen die Landeskriminalämter zurzeit 746 Tötungsdelikte mit 849 Opfern auf ein rechtes Tatmotiv. Das ist ein Anfang, reicht aber nicht.
(Beifall von den PIRATEN)
Denn nicht nur bei den rechtsideologisch motivierten Tötungsdelikten wird das Ausmaß verzerrt. Hassdelikte werden seit Jahrzehnten nicht ausreichend als solche erkannt. Im Antrag wird schon auf die Auswertung von Gerhard Piper zu Anschlägen auf Moscheen verwiesen. Er zählt wesentlich mehr Anschläge als die Polizeistatistik.
(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)
Auch andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wie zum Beispiel der Soziologe Roland Eckl sagen, dass die Zahlen, die von Staatsschutzabteilungen der Landeskriminalämter ermittelt, vom Bundeskriminalamt zusammengestellt und von der Bundesregierung bekanntgegeben werden, einfach nicht realistisch seien. Aber wieso wird rechtsideologisch motivierte Gewalt nicht erkannt und spezifiziert? Und wie können wir das Ausmaß von Hasskriminalität genauer erfassen? Zunächst einmal fehlt es oft an der Sensibilisierung der Polizei und der Strafverfolgungsbehörden in den Bereichen Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus und generell gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.
Es kommt noch wesentlich zu oft zu Fällen, bei denen Gerichte und/oder Ermittlungsbehörden den rassistischen Hintergrund nicht erkennen. Da wird zum Beispiel munter behauptet, rassistische oder antiziganistische Äußerungen seien ausschließlich auf Alkoholeinfluss zurückzuführen. Aber in vielen Fällen ist Alkohol lediglich der Auslöser, nicht aber das Motiv. Warum wurde gerade diese Tat begangen? Warum wurde gerade dieses Opfer ausgewählt? Diese Fragen werden oftmals nicht gestellt.
Deshalb werden solche Fälle somit nicht als für die PMK-rechts relevant betrachtet. Auch die Opferperspektive findet kaum Berücksichtigung. Die Aussage des Täters nimmt oft eine höhere Priorität ein als die Aussage von Opfern und Zeuginnen und Zeugen. Dies führt auch dazu,
(Vorsitz: Präsidentin Carina Gödecke) dass sich Opfer rechter Gewalt eher an zivilgesellschaftliche Organisationen und Opferberatungsstellen wenden als an die Behörden. Deshalb müssen staatliche Behörden zukünftig enger mit zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammenarbeiten und deren Fachwissen und Erfahrung in Aus- und Fortbildungsmaßnahmen der Polizeibeamtinnen und -beamten einbezogen werden. Das Hinzuziehen externer Expertise kann dafür sorgen, dass Hasskriminalität besser erkannt, spezifiziert und ihr Ausmaß richtig erfasst wird.
Der Rechtsextremismusexperte Bernd Wagner von Exit vertrat gegenüber der „Berliner Zeitung“ die Auffassung, dass die Zahlen der PMK-rechts von Anfang an nach unten gedrückt würden und die politische Führung die Zahlen immer gerne niedrig gehalten habe. Zusammenfassend kann man sagen, das geschönt niedrige Mordzahlen aus PMK-rechts in Bezug gebracht werden mit aufgebauschten Zahlen aus PMK-links, welche sich beim genauen Hinsehen in hohem Umfang als Ordnungswidrigkeiten herausstellten. Zeigen wir der Öffentlichkeit, dass es auch anders geht. Erkennen wir endlich die ganz reale tägliche Bedrohung für viele Menschen durch rechte Gewalttäter in diesem Land an und tun wir etwas dagegen. Bitte stimmen Sie deshalb für unseren Antrag. Danke schön.
(Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Rydlewski. Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Lüders.
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