Birgit Rydlewski zur Aufarbeitung der Unterdrückung Homosexueller nach 1949

Mittwoch, 26. März 2014

Top 5. Die strafrechtliche Verfolgung und Unterdrückung Homosexueller nach 1949 muss aufgearbeitet werden

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Drucksache 16/5282

Unsere Rednerin: Birgit Rydlewski

Abstimmungsempfehlung: Zustimmung

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Protokoll der Rede von Birgit Rydlewski

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Wedel.  Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Rydlewski für die Piratenfraktion.

Birgit Rydlewski (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Damen und Herren! Wie die Kolleginnen und Kollegen schon sagten, befassen wir uns mit der Strafverfolgung Homosexueller nicht zum ersten Mal in dieser Legislatur. Schon am 13. September 2012 haben wir hier im Plenum über dieses Thema gesprochen. Und schon damals habe ich gesagt, dass wir mit der Beschäftigung mit dieser Problematik noch lange nicht am Ende sind und sich an vielen Stellen zeigt, dass ein Ende der Kriminalisierung nicht zwangsläufig auch ein Ende von Diskriminierung bedeutet.

Auch jetzt, knappe anderthalb Jahre später muss ich feststellen, dass Fortschritt oft nur sehr mühsam zu erreichen ist. Wir können und werden dem jetzt vorliegenden Antrag natürlich zustimmen, der ein Zeichen setzt gegen das Unrecht, das in der Vergangenheit erfolgt ist. Eine Aufarbeitung der Strafverfolgung ist notwendig, sinnvoll und auch für kommende Generationen zur Dokumentation ratsam. Im Grunde sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, dass sich der Staat aus dem Intimleben seiner Bürgerinnen und Bürger heraushält. Es kommt nicht so oft vor, dass ich einer Meinung bin mit den Kollegen der FDP. Aber gerade deshalb möchte ich an dieser Stelle mit Ihrer Erlaubnis den Kollegen Dirk Wedel zitieren, der in der Plenardebatte am 13. September 2012 sehr treffend gesagt hat: „In § 175 Strafgesetzbuch wurden viel zu lange Vorurteile und Vorbehalte untermauert und befördert. Der Staat hat mit diesem Paragrafen in die Intimsphäre der Bürger eingegriffen.“ Da hatte der Kollege vollkommen recht.

(Beifall von der FDP und den PIRATEN  Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ich möchte aber noch einen Schritt weitergehen. Es ist ja nicht immer nur der Staat, durch den eine Diskriminierung von Menschen mit einer von der Mehrheit abweichenden Sexualität erfolgt. Eine staatliche Diskriminierung hat bei der Strafgesetzgebung  zum Beispiel dem abgeschafften § 175  naturgemäß meist sehr gravierende Folgen für die einzelnen Bürgerinnen und Bürger. Oft aber  und oftmals mit ebenso schrecklichen Folgen  findet die Diskriminierung Andersdenkender, Anderslebender nicht unbedingt durch den Staat statt, sondern durch die Gesellschaft selbst, durch Menschen, die sich und ihre Wert- und Moralvorstellungen für normal halten und alles, was davon abweicht, verdammen und verurteilen. Ich befürchte, dass wir in dieser Hinsicht leider noch lange nicht dort sind, wo wir eigentlich hinmöchten. Solange es mitten in dieser Gesellschaft Menschen gibt, die sich als besorgte Eltern tarnen, aber in Wirklichkeit nur fundamentalistische und homophobe Propaganda verteilen, solange es über hunderttausend Menschen gibt, die nicht verstehen können oder wollen, dass sexuelle Vielfalt bundesdeutsche Realität ist und daher auch ihren absolut berechtigten Platz in Lehrplänen hat, solange im Internet und auf der Straße menschenverachtende Ansichten und Kommentare über Homosexuelle alltäglich sind und solange man beim Outing eines Fußballers freudig jubeln muss, statt zu fragen: „Na und? Wo ist denn jetzt hier die Meldung?“, so lange sind wir noch sehr weit entfernt von einer Gesellschaft, die Menschen mit anderer Sexualität wirklich in ihrer Mitte aufgenommen hat.

(Beifall von den PIRATEN und der FDP)

Wirkliche Normalität, wirkliche Akzeptanz sieht anders aus. Umso wichtiger ist es, solches Unrecht, wenn man es denn als solches erkannt hat, auch deutlich zu benennen und die Opfer dieses Unrechts zu rehabilitieren  auch wenn dies manchmal ziemlich spät geschieht. Aus diesem Grund stimmen wir dem Antrag selbstverständlich zu. Insbesondere die im Antrag getroffene Feststellung  ich zitiere : „Darüber hinaus ist es unsere Pflicht, uns weiterhin gesamtgesellschaftlich dafür einzusetzen, dass alle Lebensformen gleichberechtigt nebeneinander anerkannt werden.“ ist mehr als die Bewältigung einer sehr unrühmlichen Vergangenheit. Sie ist die Verpflichtung, auch zukünftig achtsamer mit Menschen umzugehen, die nicht in allen Belangen einer Norm entsprechen. So sperrig der Begriff „LSBTTIQ“ erscheinen mag, so prägnant beschreibt er mit ebendieser Sperrigkeit auch, dass es eine Vielfalt von sexuellen Identitäten und Lebensmodellen gibt, die alle ihre Berechtigung haben und in die sich niemand einzumischen hat. Deshalb würden wir uns freuen, wenn dieser Leitgedanke, nämlich Andersdenkenden und -lebenden ein Leben nach ihren eigenen Vorstellungen ohne Diskriminierung zu ermöglichen, auch bei anderen Themen, die in diesem Haus behandelt werden, Berücksichtigung fände. Am Ende möchte ich Goethe bemühen: „Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein. Sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.“ Wir wollen echte Akzeptanz. Wir wollen echte Gleichstellung in allen Lebensbereichen. Diese Akzeptanz kann durch Bildung erreicht oder zumindest verbessert werden. Die mit diesem Antrag angestrebte wissenschaftliche Aufarbeitung und Dokumentation wird hierzu sicherlich einen guten Teil beitragen.  Danke schön.

(Beifall von den PIRATEN, Serdar Yüksel [SPD] und Josefine Paul [GRÜNE])

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Rydlewski.  Für die Landesregierung spricht jetzt Frau Ministerin Steffens.

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