Plenarrede: Dietmar Schulz zu Zahlungsausfällen bei Studentischen Hilfskräften

Mittwoch, 19. Juni 2013

 

TOP 1. Landesregierung lässt 10.000 studentische und wissenschaftliche Hilfskräfte bei den Universitäten im Stich

Aktuelle Stunde CDU
Unsere Abstimmungsempfehlung: Ablehnung
in Verbindung damit

„Studierende schützen – Aufklärung im Parlament vorantreiben“

Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN

Drucksache 16/3323

Seit die Piratenfraktion die ausstehenden Gehaltszahlungen an studentische und wissenschaftliche Hilfskräfte Mitte Mai in den Haushalts- und Finanzausschuss des Landtags gebracht hat, arbeiten die Landesregierung und das LBV nach der berüchtigten Salamitaktik: Die wichtigsten Fragen zum Abrechnungsverfahren sind immer noch unbeantwortet. Die Unstimmigkeiten in Bezug auf die Vermeidbarkeit und den Umgang mit dem Vorfall bleiben ungeklärt. Mit unserem Antrag wollten wir die Landeregierung dazu verpflichten, im Rahmen eines Sofortprogramms unverzüglich dafür Sorge zu tragen, dass alle Zahlungsrückstände unter Einsatz maximal möglicher Personalressourcen ausgeglichen werden.

 

Unser 1. Redner: Dietmar Schulz
Entschließungsantrag PIRATEN: Zustimmung

 

Dietmar Schulz, Haushalts- und Finanzpolitischer Sprecher der Piratenfraktion: „Hier werden Softwareprobleme, eine mangelhafte Personalpolitik und Managementfehler auf dem Rücken der schwächsten Mitglieder unserer Wissensgesellschaft ausgetragen. Diese Menschen warten seit Monaten auf ihr Geld, obwohl sie ihre Leistung längst erbracht haben. Schluss mit dieser Chronologie des Unvermögens!“

Abstimmungsergebnis: Der Antrag wurde mit den Stimmen von SPD und Grünen bei Enthaltung von CDU und FDP abgelehnt.

Wortprotokoll zur Rede von Dietmar Schulz:

Dietmar Schulz (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war ein sehr erfrischender Auftakt dieser Debatte, die hier entgegen den Äußerungen, es sei bereits alles in den Ausschüssen ausdiskutiert worden, eröffnet wird.

Ja, es ist richtig: Wenn die Piratenfraktion das nicht vor mittlerweile zwei Monaten in den Ausschuss gebracht hätte, würde das Thema immer noch rumdümpeln.

(Beifall von den PIRATEN)

Es ist zwar dank vieler Medien und vor allen Dingen Hunderter Studenten, die sich laut zu Wort gemeldet haben, inzwischen so, dass die Angelegenheit „LBV und Bezahlung von Gehältern“ eine Öffentlichkeit erreicht hat, die den regierungstragenden Fraktionen, sicherlich auch dem Herrn Finanzminister und vielleicht auch Frau Schulze nicht so ganz recht ist. Aber damit müssen wir uns hier auseinandersetzen. Dafür stehen wir hier im Parlament – einerseits von Regierungs-, andererseits aber auch von Oppositionsseite.

Wenn uns oder auch der CDU oder der FDP Populismus vorgeworfen wird, dann ist das gut so. Populismus heißt nichts anderes als Volksnähe. Und die studentischen Hilfskräfte und die wissenschaftlichen Hilfskräfte gehören dazu.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir werden – um bei diesem Thema zu bleiben – in diesen Tagen unter anderem über Hilfen für die Opfer von Hochwasser debattieren. Wir werden über Wahlversprechen und Steuergeschenke in Milliardenhöhe diskutieren. Großartig! Große Politik! Das aber ist alles davon abhängig, dass günstige Winde Geld in die Kassen des Landeshaushaltes und des Bundeshaushaltes spülen.

Hier und heute debattieren wir über konkrete Ansprüche von Arbeitnehmern, die bereits primäre Ansprüche gegenüber dem Land Nordrhein-Westfalen erworben haben und für die die Vergütungen etatisiert sind. Diese Hilfskräfte, diese Arbeitnehmer brauchen kein Hochwasser, denn ihnen steht das Wasser wegen der Versäumnisse einer Landesbehörde zum Teil bereits seit Monaten bis zum Hals.

(Beifall von den PIRATEN)

Es geht nicht um salbungsvolle Worte in Ausschüssen, es geht auch nicht um Sonntagsreden, sondern um Taten, um unverzügliche Zahlungsanweisungen und um Hilfestellungen, die einzig im Bereich von Anspruchserfüllung öffentlich-rechtlicher Schuldner anzusiedeln sind.

Mehrere Tausend studentische und wissenschaftliche Hilfskräfte an Universitäten in Nordrhein-Westfalen warten seit Monaten auf diese Erfüllung. Angaben, wie viele es nun tatsächlich genau sind, schwanken, sind nicht exakt ermittelt oder nicht exakt ermittelbar. Wir reden von irgendetwas zwischen 5.000 und 10.000 Zahlfällen. Wir warten immer noch auf genaue Zahlen. Wir haben Anfragen in den Ausschüssen gestellt. Auch im Ausschuss für Wissenschaft und Innovation ist eine entsprechende Frage gestellt worden. Es gibt diese Informationen nicht.

Ich frage mich: Was bitte soll noch passieren, damit eine Opposition, die die Landesregierung zu kontrollieren hat, entsprechende Auskünfte bekommt, um Politik in die richtige Richtung zu lenken – sei es durch Entschließungsanträge, sei es durch Eilanträge?

Man fragt sich darüber hinaus, was der größere Skandal aus Sicht dieses Parlaments ist: die Tatsache, dass wir bald täglich Hiobsbotschaften über finanzielle Schwierigkeiten von studentischen und wissenschaftlichen Hilfskräften im Radio hören bzw. im Fernsehen sehen müssen, oder dass das Finanzministerium die überwiegend prekären Arbeitsverhältnisse, egal ob studentisches Zubrot oder nicht, inzwischen seit mehreren Wochen unterschätzt oder dass das Finanzministerium in seiner Eigenschaft als Aufsichtsbehörde des Landesamtes für Besoldung und Versorgung die ihm unterstellte Behörde als das größte Lohnbüro Deutschlands schlicht und ergreifend nicht im Griff hat?

Die Piratenfraktion ist der Auffassung: Alle drei genannten Aspekte sind gleich bemerkenswert und insgesamt gleich schlecht gemanagt – genauso schlecht gemanagt wie die Verzögerungen, die jetzt als Begründung dafür hergenommen werden, dass die Hilfskräfte auf ihr Geld warten müssen.

All das ist seit vielen Monaten, schon bevor die ersten Zahlungsschwierigkeiten auftraten, bekannt. All das ist auch das Resultat einer verfehlten Politik im Hinblick auf die Unterstützung des LBV. Das LBV sagt: Per 31. März musste die Projektnachbearbeitung aus Kostengründen eingestellt werden. – SAP-Berater wurden nicht über den 31. März hinaus verpflichtet.

All das, worüber wir heute reden, hätte möglicherweise vermieden werden können, wenn hier ein Management am Werk gewesen wäre, welches in der Lage gewesen wäre, den Informationsfluss zwischen LBV und Ministerium so weit aufrechtzuerhalten oder einzuführen, dass das Schlimmste hätte verhindert werden können. All das ist nicht geschehen. Das ist inakzeptabel und eines der wirtschaftsstärksten Bundesländer in Deutschland unwürdig. Es schadet dem Ansehen des Landes Nordrhein-Westfalen, und es schadet Nordrhein-Westfalen vor allem auch als Wissenschaftsstandort.

Ich möchte Sie ernsthaft fragen: Welche Hilfskraft will sich in diesem Land bewerben, an dessen Universitäten Arbeit ohne Bezahlung geleistet wird? Der Finanzminister sagt: Ja, das kann man alles abwiegeln. – Sie wiegeln das genauso ab, wie Sie sich hinstellen und sagen, das sei eine ärgerliche Situation. Wenn irgendwelche Hilfskräfte vielleicht Miete zahlen müssen, müsste man mal gucken, wie das läuft. – Nein! Zahlung jetzt in vollem Umfang, und zwar so, wie es machbar ist und aus den Akten, die dem LBV insgesamt vorliegen, ersichtlich ist.

Junge, wissbegierige, flexible und arbeitswillige Menschen werden durch Nichtzahlung ihrer Gehälter regelrecht beleidigt. Stattdessen fällt Ihnen, sehr geehrter Herr Finanzminister, nichts Besseres ein, als diesen Vorgang als ärgerlich abzutun und gebetsmühlenartig zu wiederholen, es würden Abschlagszahlungen geleistet. Warum sind dann heute immer noch fast 10.000 Abschlagszahlungen nicht geleistet, wenn das schon seit zwei Monaten angekündigt wird? All das muss man fragen. Diese Fragen müssen Sie sich hier gefallen lassen.

Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ein Ergebnis ist noch nicht in Sicht. Doch – möglicherweise im September!

Beim LBV selbst, dessen Mitarbeitern nicht irgendetwas angelastet werden kann, muss gefragt werden: Ist auf der Führungsebene irgendetwas im Argen? – Ich sage: Es muss so sein. Sie selbst, Herr Finanzminister, haben im Ausschuss ausgeführt, dass Sie vor zwei Jahren die Führungsspitze ausgewechselt haben. Es könnte sein, dass dies derzeit wieder der Fall sein muss, damit sich derartige Zustände nicht wiederholen. Diese wiederholen sich nämlich offensichtlich zu jedem Semesterwechsel. Man muss ganz klar sagen: Es fehlt irgendwie ein Konzept.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

– Es wird doch jedes Mal davon berichtet, dass immer zum Semesterwechsel die Vertragszahlen steigen und eingepflegt werden müssen und es dann zu Verzögerungen kommt. Natürlich nicht in diesem gravierenden Maße; das ist ja zurückzuführen auf das Missmanagement im Zusammenhang mit der Einführung von SAP.

Ich komme zum Schluss meiner Ausführungen. Sehr verehrter Herr Minister, machen Sie bitte von Ihrem Weisungsrecht Gebrauch! Das haben Sie. Sorgen Sie dafür, dass die universitären Hilfskräfte unverzüglich durch an Vollständigkeit reichende Abschlagszahlungen bedient und damit die technischen Missstände beim LBV bis zur ordnungsgemäßen Abrechnung überbrückt werden.

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

Um die Sache abzukürzen, möchte ich an dieser Stelle auf unseren entsprechenden Entschließungsantrag verweisen. Ich könnte noch locker insbesondere auf das, was hier von den regierungstragenden Fraktionen vorgetragen worden ist, eingehen. Das werde ich jetzt nicht können, weil meine Redezeit beendet ist.

(Beifall von den PIRATEN)

Veröffentlicht unter Dietmar Schulz, Haushalts- und Finanzausschuss (A07), Reden

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